Читать книгу Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze - Страница 10

8. Kapitel

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Es war bitterkalt. Der eisige Wind wirbelte die Schneeflocken umher, als vollführten sie einen wilden Tanz. Wenn auch schon die Zeit des ersten Grüns begonnen hatte, so hielt der Winter NordcumMelan noch fest in seinem Griff. Oft brach er nach der ersten Schneeschmelze noch mehrfach und mit großer Wucht über die Siedlung herein. Und auch in diesem Frühjahr hatte der lang ersehnte, willkommene Anblick des dunklen, Leben spendenden Erdreichs nicht lange vorgehalten. Alles lag nun wieder unter einem Tuch aus kaltem Weiß begraben. Und heute war es ganz besonders ungemütlich. Man vermochte kaum die Hand vor Augen zu sehen. Dennoch suchte sich in dem Schneetreiben eine dick vermummte Gestalt ihren Weg durch die Siedlung. Sie bewegte sich zielstrebig, aber auch langsam, fast schleichend. Oft suchte die dunkle Gestalt dabei schützende Hauswände oder Holzstapel auf. Beinahe so, als wollte sie verhindern entdeckt zu werden. Von kleiner, schlanker Statur, musste sie ihren Körper aber auch richtig gehend in den von vorne anstürmenden Wind hinein legen. Fast schien es so, als wollte der Wind selbst, die Gestalt daran hindern, ihr Ziel zu erreichen. Er drückte sie zurück, riss an ihrer Kleidung und schaffte es für einen Augenblick sogar, ihr die dicke baumwollene Kopfbedeckung nach hinten zu wehen. Sofort ergoss sich ein Schwall rotbrauner, lockiger Haare darunter hervor. Die dicken Strähnen tanzten im Wind auf und ab. Das Gesicht eines kleinen Mädchens, mit roten, großen Raubtieraugen, blasser Haut und ernsten, schmalen Lippen, trat zum Vorschein. Schnell drehte das Mädchen sich um, in den Wind hinein. Sie setzte die Kopfbedeckung wieder auf und band sie diesmal nicht mit einer Schleife, sondern mit einem Knoten fest. Nachdem sie mit eisigen Fingern ihre dicken Locken unwillig wieder zurück unter die Kopfbedeckung gestopft hatte, vergrub sie ihre halb erfrorenen, kleinen Finger schnell wieder im dicken Umhang. Und kaum hatte das Mädchen sich wieder zurückgedreht, um ihren Weg fortzusetzen, da sah sie es schon. Das rote Leuchten. Vor ihr. Nicht mehr weit entfernt. Als sie näher heran trat, nahm die Kraft des Windes ab. Denn sie stand nun im Windschatten eines großen, aufgeworfenen Erdhügels. Dieser war von den Bewohnern der Siedlung geschaffen worden. Nach der ersten Schneeschmelze. Als sie hier mit den Grabungen für eine neue Vorratshöhle begonnen hatten. Aus dem hohen, nun mit Schnee bedeckten Erdhügel, drang ein feiner Strahl schimmernden Lichtes aus dem Boden. Ganz leise hörte man ein hohes, summendes Geräusch aus dem Untergrund. Das Mädchen kniff die Augen zusammen und lauschte angestrengt. Obwohl es noch jung war, war sein Gehör schon jetzt ausgezeichnet. Es klingt wie ein aufgeregter, wütender Schwarm von Bienen, dachte das Kind. Doch anstatt nun endlich Angst zu bekommen und sich schnellstmöglich von diesem wunderlichen Ort zu entfernen, trat es nur noch näher heran. In mitten des Erdhügels war ein Tor eingelassen, das in den Boden führte. Ein Eingang, hinein in das Erdreich. Das Tor war seit jenem Tag geöffnet, wusste das Mädchen. Aber dennoch konnte sie zu ihrem tiefen Bedauern nicht hinein schauen. Denn seit dem verhängnisvollen Unglück hatten die Erwachsenen den offenen Eingang mit einer Mauer aus vielen schweren, lose aufgestellten Baumstämmen versperrt. Dennoch erhaschten ihre scharfen Augen immer wieder ein kurzes, rotes Aufleuchten dahinter. Das Mädchen trat noch etwas näher heran und lehnte sich nun sogar gegen die Holzstämme. Das rechte Auge geschlossen, spähte sie mit dem linken durch einen Spalt zwischen den unebenen Baumstämmen hindurch. Blutgeruch! Das Mädchen musste würgen und fürchtete schon sich übergeben zu müssen. Schnell griff sie in ihr Wams und zog einen großen Stängel Bitterkraut daraus hervor. Eilends stopfte sie sich die Heilpflanze in den Mund. Während sie hektisch darauf herumkaute überzog ein kalter, bitterer Geschmack ihre Zunge und vertrieb damit das Gefühl der Übelkeit. Das Mädchen hatte sich auf diesen unschönen Moment gut vorbereitet. Denn seit jenem schrecklichen Tag hatte sie jedes Mal, wenn sie hier in der Nähe vorbei gekommen war, einen Übelkeit erregenden Geruch wahrgenommen. Das geronnene, alte Blut derer, die damals hinein gegangen waren, erfüllte noch immer die abgestandene Luft dort unten. Seit damals war es auch strengstens verboten, sich dem nur notdürftig wieder verschlossenen Tor zu nähern. Es war das erste Mal gewesen, dass das Mädchen in NordcumMelan die Ausrufung eines Verbotes erlebt hatte. Und es galt auch für die Erwachsenen, vor allem aber für die Kinder. Doch das wunderschöne, geheimnisvolle rote Licht zog das Mädchen einfach unwiderstehlich an. Dazu die erschreckend aufregenden fremden Geräusche. Die Neugierde wurde ihr schier unerträglich. Sie merkte nicht einmal, wie ihre Füße langsam immer kälter wurden und sich ein Taubheitsgefühl hinauf in ihre Beine schlich. Was war das dort unten den bloß? „Ich möchte es sehen.“, murmelte sie leise vor sich hin. Doch die dicken Rindenreste der schnell und nur grob behauenen Baumstämme bildeten ein dichtes Netz, das ihr die Sicht verwehrte. „Finna?“, vernahm sie in der Ferne den Ruf einer Frau. Mutter ruft, dachte sie geistesabwesend. Aber schon war der Gedanke wieder fortgewischt. Denn ein neuerliches Geräusch erklang aus dem Untergrund und fesselte Finnas Aufmerksamkeit. Es war ein gleichmäßiges Klopfen, das immer weiter anschwoll. War dort drinnen womöglich noch jemand? Finna runzelte nachdenklich die Stirn. Womöglich war er verwundet, konnte nicht sprechen und versuchte auf sich aufmerksam zu machen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, so gut das mit ihren eiskalten Füßen überhaupt noch möglich war. Sie musste einfach irgendwie doch noch einen Blick in das Innere erhaschen! Da schrie Finna plötzlich laut auf. Der Schreck fuhr ihr durch alle Glieder und löste die Kältestarre darin mit der Schnelligkeit eines Wimpernschlags. Finna spürte eine kalte, schwere Hand auf ihrer rechten Schulter. Und eine dunkle, tiefe Männerstimme knurrte: „Bist du von Sinnen Kind?“ Die Hand verstärkte ihren Griff und drehte Finna unsanft herum. Das Mädchen sah sich einem großen, in dicke, warme Kleidung gehüllten Mann gegenüber. Sein Kopf und das Gesicht waren gegen die Kälte mit einem Filztuch umwickelt, so dass nur seine Augen zu sehen waren. Im Winter wurde dieses Tuch von den meisten in NordcumMelan getragen. Aber Finna mochte es nicht, weil es so unangenehm an der Nase kratzte. Und so konnte sie nun auch nicht erkennen, wen sie da vor sich hatte. Auch hatte der Wind sich gedreht und peitschte die Schneeflocken jetzt genau in Finnas Gesicht. Sie blinzelte tapfer an gegen diesen kalten Flaum, der ihr die Sicht raubte, während sich der Schnee auf ihren Wimpern in Wasser verwandelte. So konnte Finna auch nicht erkennen, dass der große, breitschultrige Mann vor ihr nur mehr einen Arm besaß. Halte dich gefälligst von diesem Schreckensort fern, verstanden!“, grollte er mit seiner dunklen Stimme ungnädig. „Oder meinst du etwa, es ist noch nicht genug Leid hier geschehen?“ Noch bevor Finna etwas darauf erwidern konnte, erklang plötzlich wieder der Ruf ihrer Mutter. Und das war gut so. Denn trotz ihrer tapferen, aufgeweckten Art, hätte selbst Finna auf solche Fragen keine kluge Antwort mehr gewusst. „Finna? Wo bist du nur? So antworte mir doch! Hast du etwa gerade geschrieen, mein Kleines?“ Dieses Mal klang die Stimme ihrer Mutter deutlich näher, aber vor allem auch deutlich höher und ängstlicher. „Aranee ruft dich!“, stellte der Mann trocken fest. Dann schnaubte er kurz. Aber es klang so verächtlich, als wolle er ihr damit sagen, dass ein ungehorsames Kind wie sie, solch eine gute Mutter nicht verdient hatte. Das ist seine Meinung, dachte Finna trotzig. Aber wie zur Bestätigung rief Aranee nun ausgerechnet: „Ich habe dein Lieblingsessen gekocht! Brotsuppe mit grünen Linsen. So dick, dass der Löffel darin stecken bleibt. So antworte mir doch, bitte!“ „Lauf!“, knurrte der Mann und gab Finna frei. Das lies sich das Kind nicht erst ein weiteres Mal sagen und rannte, so schnell es mit der dicken Kleidung in dem stürmischen Schneetreiben nur konnte. „Mutter!“, rief Finna dabei immer wieder laut und dankbar. „Mutter, ich bin hier! Ich komme!“ Doch leise flüsternd versprach sie sich selbst: Irgendwie werde ich doch noch einen Weg dort hinein finden! Aber kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da war ihr, als hörte sie den unheimlichen Mann wieder knurren. Und auch später noch vermochte sie nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, ob dieses kehlige Geräusch wirklich nur eine Täuschung ihres schlechten Gewissens gewesen war.

Der Kampf der Balinen

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