Читать книгу Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze - Страница 5
3. Kapitel
ОглавлениеDie sternenlos dunkle Nacht, in der es immer wieder angefangen hatte zu regnen, war einem trüben Morgen gewichen. Zwar fiel nun kein Wasser mehr vom Himmel, aber er war von trostlosem Grau und mit schweren Wolken verhangen. Alles war ungemütlich feucht und nass. Und so früh im Jahr, war es auch noch kalt, wodurch die Nässe noch ärger zusetzte. Trismon hatte eine unfreiwillige Rast eingelegt. Denn weder er, noch sein alter Limtaan konnten weiter. Es wäre töricht und unvernünftig gewesen, dies länger zu ignorieren. Ihre Gesundheit zu gefährden, hieße ebenso gut ihre dringliche Aufgabe zu gefährden. Die Frühjahrsstürme, die auf der schutzlosen Grasebene über sie hinweg getobt waren, hatten Tier und Reiter einfach zuviel Kraft abverlangt. Doch zumindest diese unwirkliche Landschaft lag nun – dem Allliebenden sei Dank – hinter ihnen. Am Ende der Nacht hatte Trismon in der Ferne auch schon das große Gebirge erblicken können. Direkt dahinter lag Melan, die rote Stadt, ihr Ziel. Und allmählich war dann auch das ermüdend eintönige Grasland von vereinzelten Gesteinshügeln, Büschen und kleinen Baumgruppen unterbrochen worden. Bei Einbruch der Morgendämmerung erreichten Trismon und Neminn sogar einen Waldausläufer. Und sie tauchten ein, in die vertraute, grüne Geborgenheit seines schützenden Dickichts. Zwar wuchsen hier keine Nadelbäume, wie in Trismons Heimat im hohen Norden. Aber auch die Laubbäume reichten aus, um seine Erinnerungen zu wecken und seinem aufgewühlten Herzen Trost zu spenden, als er zu ihren Wipfel aufsah. Zudem hatten die Laubbäume einen ganz eigenen Reiz, nannten eine ganz eigene Schönheit ihr Eigen. So auch, wenn der Wind durch ihre Zweige wehte. Dann begannen ihre Blätter zu rauschen, dass es Trismon erschien, als sängen sie ihr einsames, trauriges Lied. Im Wald hatte er schließlich einen geeigneten und windgeschützten Platz für die Rast gefunden. Er war von Buschwerk zugewuchert und lag in dunklem Halbschatten. Aber dafür war er auch einigermaßen trocken geblieben. Welch ein unverhoffter Segen! Und während ein eilig entzündetes Feuer begann fröhlich zu knacken und zu knistern, da war es nach der anstrengenden Reise ein mehr als verlockender Gedanke, sich hier für einige Zeit auszuruhen. Neminn knabberte an vereinzelten Kräutern und Gräsern, als Trismon kam, um ihm das Brustgeschirr abzunehmen. Dann untersuchte er noch kurz die großen Füße des Tieres nach Dornen oder eingetretenen kleinen Steinen. Das alles kannte Neminn schon zu genüge und lies es bereitwillig geschehen. Er hob Trismon seine Läufe sogar freiwillig entgegen, als dieser abschließend noch prüfte, ob auch keine der langen, dicken Krallen des Limtaan eingerissen war. Doch Trismon fand alles zu seiner Zufriedenheit und so griff er nach altem, trockenem Laub, das auf dem Boden lag. Damit rieb er in kräftigen Strichen das Fell des Limtaan, um es von Feuchtigkeit, Schweiß und Schmutz zu befreien. Als Neminn trocken gerieben war und sein Fell schon fast glänzte, warf Trismon das gebrauchte Laub achtlos bei Seite und griff nach seinem Wasserbeutel, der beim Feuer lag. Er fühlte, dass darin nur mehr wenig Wasser übrig geblieben war. Also nahm er nur einen kleinen Schluck und hielt ihn erst noch im Mund, bevor er ihn hinunter schluckte. Denn er wusste, dass schon das Spüren von Wasser im Mund ausreichte, um den Durst erst einmal zu vertreiben. Dann ging Trismon mit dem Wasserschlauch zu Neminn. Er goss etwas Wasser in seine hohle Hand und reichte es dem Tier vor das Maul. Der Limtaan trank sofort begierig. Trismon gab ihm eine zweite Hand voll Wasser und verschloss danach den Wasserbeutel wieder. „Von nun an müssen wir nach einer Wasserstelle Ausschau halten“, sagte er zu Neminn und tätschelte dem treuen Tier den Rücken. Dann zuckte er kurz die Schultern und fügte hinzu: „Oder wir Dürsten bis Melan.“ Denn Trismon wusste genau, sehr weit konnte der Weg nicht mehr sein. Zudem deckte Neminn einen Großteil seines Wasserbedarfs über das Grünzeug, das er zu sich nahm und den Morgentau, den er von Gräsern und Blättern leckte. Zufrieden setzte Trismon sich ans Feuer und griff nach seiner Vorratstasche. Schon beim anheben merkte er, dass sie nur mehr spärlich befüllt war. Zwei trockene Stücke Brot, das war alles, was noch übrig geblieben war. Na wenn schon, dachte Trismon und griff nach einem der Brotstücke. Ihm machte so etwas nichts aus. Da war er schon mit weit weniger ausgekommen. Fasten und Hungern waren ihm nicht fremd. Auch wenn er noch jung war, so hatte er schon viele lange Reisen in seinem Leben hinter sich gebracht. Denn Trismon war ein Gebietserkunder. Er gehörte zu jenen des Volkes, die große Strecken zurücklegten, um unbekannte Landstriche zu erforschen, notwendige Waren von weit her zu beschaffen, oder wichtige Botschaften zu übermitteln. Und diesmal, dachte Trismon voller Bitterkeit, um schlechte Kunde zu überbringen. Missmutig biss er in das alte, harte Brot. In diesem Augenblick sah er aus dem Augenwinkel eine feine, unscheinbare Bewegung hinter der Feuerstelle. Dort waren zwei kleine Mäuse, beide mit kornbraunem Fell und spitzen Näschen. Von der Wärme des Feuers angelockt und der eigenen Neugier getrieben, hatten sie den Schutz der Sträucher verlassen. Offenbar hungrig, erschnupperten sie am Boden entlang den Geruch der Brotstücke und kamen dabei unvorsichtig nah an Trismon heran. Begierig stellten sie sich auf die Hinterbeine und hielten ihre zuckenden Nasen in die Höhe. Einen kurzen, instinktiven Augenblick lang, hatte Trismon das absolut widersinnige Empfinden, die zwei kleinen Mäuse packen zu müssen. Irritiert schüttelte Trismon den Kopf und dachte unwillig: „Der nagende Hunger muss mir die Sinne verwirrt haben.“ Dann jedoch lachte er belustigt auf und dachte: „Und was soll ich dann mit ihnen machen? Essen womöglich? Also wirklich. Mäuse essen! Alleine der Gedanke daran ist schon widerlich!“ Noch immer lachend beugte Trismon sich nach vorn und zerkrümelte einen Teil seiner kargen Mahlzeit auf den Boden. Vertrauensvoll, denn sie witterten, dass das große Wesen vor ihnen kein Fleischfresser war, kamen die Mäuse zu Trismon. Sie ließen sich auf ihre kleinen pelzigen Hinterteile sinken. Dort unten, direkt vor seinen übereinander geschlagenen Beinen, hockten sie nun und verspeisten genüsslich die Brotkrumen. Immer wieder nahmen sie Stücke davon in ihre kleinen Pfoten auf und knabberten dann mit zitternden Barthaaren an der unverhofften Mahlzeit. Der Anblick belustigte Trismon zutiefst. „Als hätte ich Gäste geladen, nur eben sehr kleine“, dachte er. Und als er sah, wie sie sich so eifrig über das alte Brot hermachten, da erschien auch ihm die karge Kost direkt ein wenig schmackhafter. In diesem Moment entsann Trismon sich wieder, seines alten, längst verstorbenen Lehrmeisters Mimail. Der gütige weise Mann, war auch ein Gebietserkunder gewesen. Zur Verwunderung aller in NordcumMelan hatte er sich damals bereit erklärt, Trismon zu unterweisen, obwohl er schon sehr alt gewesen war. Und einmal, erinnerte Trismon sich jetzt plötzlich wieder genau, als sei es gestern gewesen, hatte Mimail zu ihm gesagt: „Ein Held ist nur der, vor dem alle Schwächeren keine Angst haben, aber alle Stärkeren Respekt! Vergiss das nie mein Junge und handele stets danach. Dann wird deine Achtung vor dir selbst, immer auf festem Grund gebaut sein.“ Trismon lächelte, bei der zärtlichen Erinnerung an vergangene Tage, voller Ausflüge in die Natur und voller Leibesübungen. Vor allem aber voller Erklärungen und mindestens ebenso vieler Zurechtweisungen. Trismon zerbröckelte noch etwas von seinem Brot und warf es wieder vor den kleinen, scheinbar nimmersatten Tieren auf den Boden. Und in diesem Moment spürte Trismon, wie aus dem Nichts heraus, plötzlich eine Bedrohung. Die feinen Haare an seinem Körper stellten sich auf, noch ehe er den Kopf gehoben hatte, um zu wittern. Nichts, alles schien ruhig und unauffällig. Und doch war da etwas. Es verbarg sich in der Dunkelheit des dichten Waldes. Trismon lies sich von der vordergründigen Stille nicht täuschen. Da! Ein verräterisches Knacken im Unterholz. Die Mäuse ließen ab von ihrem Fressen und flüchteten panisch zurück in den Schutz des nahen Dickichts hinein. Da erkannte Trismon mit einem Mal den beißenden Geruch. Schnell und geschmeidig sprang er auf. Trismon hielt den Blick auf das Dickicht gerichtet, dorthin, von wo die unsichtbare Gefahr auf ihn zukam. Er verengte seine großen Raubtieraugen zu schmalen Schlitzen und begann drohend zu knurren. All seine Sinne waren hellwach. Er spürte, dass der Angreifer schon direkt vor ihm im Dickicht war, denn er konnte dessen schweren Atem hören, die üblen Ausdünstungen darin riechen und sogar die ausströmende Wärme des massigen Leibes spüren. Trismon fauchte, laut und gefährlich. Und mit dieser Herausforderung trat er seinem Angreifer entgegen.