Читать книгу Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze - Страница 16
14. Kapitel
ОглавлениеSeline warf sich rücklings auf ihr Bett, dass das Holz nur so knarrte. Ihr offenes, rotes Haar verteilte sich über das weiße, mit Stroh und Kräutern gefüllte Kopfkissen. Was für ein Tag, dachte Seline völlig entnervt und legte ihren rechten Arm über die Augen und vergrub ihr Gesicht in der Armbeuge. Mit dem anderen Arm zog sie sich das lange, weiße Schlafgewand zurecht, damit es auch ihre kalten Füße bedecken konnte, wenn sie die Beine etwas anwinkelte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie wieder, wie Trahil ihr mit einem Tuch lachend die Erde vom Gesicht wischte. Im Moment bin ich scheinbar vom Unglück verfolgt! Das Beste wäre es, ich würde morgen den ganzen Tag im Bett bleiben. Nur um ganz sicher gehen, spottet sie über sich selbst. Sonst werde ich morgen womöglich einmal niesen und schon bricht die Stadt über meinem Kopf zusammen. Seline war wirklich wütend. Denn das war immer noch besser, als langsam aber sicher an der eigenen Ungeschicklichkeit zu verzweifeln. Sie drehte sich ruckartig auf die Seite und zog dabei das Kissen unter ihrem Kopf hervor. Mit Schwung warf sie es sich auf das Gesicht und presste es, einen Arm oben drüber, fest an sich. Und so einigermaßen vor dem Unbill der letzten Tage geschützt, schlief Seline vollkommen ermattet dann endlich auch ein. Doch trotz des sanft lieblichen Duftes der beruhigenden Kräuter in ihrem Kissen, wälzte sie sich im Schlaf wieder unruhig hin und her. Da klopfte es plötzlich an der Tür. Und obschon eher leise und vorsichtig, war Seline trotzdem sofort hellwach und saß Kerzengerade in ihrem Bett. Sie brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Dann seufzte sie und dachte, fast schon belustigt vor Übermüdung, Resignation, oh du mein neuer, ständiger Begleiter! „Seline?“, erklang fragend eine wohltuend vertraute Stimme, „bist du wach?“ Seline verzog entnervt den Mund und antwortete: „Jetzt schon! Komm rein Tiria. Und erzähle mir, was meine beste Freundin mitten in der Nacht zu mir treibt.“ Seline schwang sich über den Bettrand und setzte sich auf die Kante. Sie vermutete, das Tiria wieder ihre Gedanken über einen gewissen jungen Mann, unbedingt und unverzüglich mit jemandem teilen musste. Doch als Tiria den Raum betrat, musste man kein Empath sein, um zu erkennen, dass es ernstere Dinge waren, die sie mitten in der Nacht hergeführt hatten. Dass es überall dunkel war, störte die beiden Frauen nicht! „Seline.“, sagte Tiria ruhig aber unumwunden. „Du musst sofort kommen. Leela geht es nicht gut!“ „Was?“, fragte Seline erschrocken und sprang vom Bett auf. „Wie kann das sein, so plötzlich?“, fragte sie mehr zu sich selbst und lief zu einer der großen Holztruhen, die am Boden standen. „Sie war doch immer gesund und hat sich gerade in der letzten Zeit kugelrund gefressen!“ Seline nahm sich einen dichten braunen Filzumhang aus der Truhe und warf auch Tiria einen davon zu. „Hier, sonst verkühlst du dich noch in deinem Kleid!“ „Danke Mama!“, sagte Tiria grinsend und schon fühlten sich die beiden Freundinnen ein wenig besser! Und schon war Seline an der Tür und Tiria folgte ihr dicht auf. Die zwei Frauen waren schnell, aber dennoch vollkommen lautlos in all ihren Bewegungen. Noch auf der Treppe warfen sie sich beim Hinauseilen die Filzumhänge um die Schultern. Als sie auf die Straße traten, zog sich Seline den Umhang gegen die Nachtkälte bis über den Kopf und hielt ihn dann mit einer Hand vor der Brust fest. Ein Kopfnicken in Richtung Tiria genügte und die Freundin tat es ihr gleich, wobei sie vielsagend grinste. Nun waren die Frauen bis zur Unkenntlichkeit verhüllt. „Zu den Koppeln?“, fragte Seline knapp und Tiria nickte. Und schon huschten die beiden lautlos und flink durch das Gewirr der Straßen. So dauerte es auch nicht lange, bis sie den südöstlichen Stadtrand erreichten. Schon von weitem sahen sie, dass man auf der großen Koppel, dem Limtaangehege, extra ein großes Feuer angezündet hatte. Vormals eine saftige, grüne Wiesenfläche gewesen, hatten die Tiere im Laufe der Zeit dort alles so stark abgegrast, dass der Boden nur mehr aus feinem, weichen, sandigen Erdreich bestand. Und wie sich später herausstellen sollte, war dem auch gut so. Denn die Erde im Limtaangehege wurde von den Tieren gefressen und verbesserte Verdauung und Wohlbefinden. Aber woran kann Leela dann erkrankt sein, fragte sich Seline besorgt, als sie mit ihrer Freundin auf den Feuerschein zueilte. Ob es an ihrem hohen Alter lag? Seline krampfte sich das Herz zusammen. Dann erkannte sie im flackernden Schein des Feuers den Tierempathen. Er kniete vor Leela. „Lethon!“, rief Seline, erfreut ihn zu sehen. Seline schob sich den Umhang vom Kopf und legte ihn sich wieder um die Schultern. „Kein Anblick wäre mir in diesem dunklen Moment lieber!“, fügte sie hinzu und lies sich mit den Knien in den Sand fallen, direkt neben den Kopf ihrer geliebten Leela. Doch ihre alte Freundin zeigte kaum erkennen, wie sie da so matt im Sand lag. So in Anspruch genommen, ist sie von ihren Schmerzen, durchfuhr es Seline erschrocken. Der Schmerz des alt vertrauten Tieres, war für sie sichtbar, wie ein dunkles, schweres Tuch, das über Leelas Körper schwebte. Lethon nickte Seline nur knapp zu. Seine Aufmerksamkeit galt nun voll und ganz dem Tier. Leelas Schmerzen sind nun die Seinen, verstand Seline sofort, mitfühlend und anerkennend zugleich. Still beobachtete sie abwechselnd den in sich versunkenen Lethon und die schwache Leela. Und auch wenn sie den Tierempathen nicht bei seiner Untersuchung stören wollte, so konnte sie einfach nicht länger an sich halten. Deshalb fragte sie ganz zaghaft, im Flüsterton: „Weißt du schon, was Leela fehlt?“ Lethon wirkte wie aus einem Traum geweckt und antwortete blinzelnd und auch etwas verwirrt. „Natürlich, sie ist trächtig!“ „Waas?“, dachte Seline und war wie vom Donner gerührt. Gleichzeitig dankte sie dem Allliebenden, dass sie das nicht laut ausgerufen hatte. „Hast du es etwa nicht gewusst?“, fragte Lethon ungläubig und runzelte die Stirn. „Ich dachte Leela würde altersdick und behäbig.“, gestand Seline kleinlaut und musste zusehen, wie Lethon ein Lachen unterdrückte, dass sich ihm die Wangen blähten. Wo bin ich nur mit meinen Gedanken gewesen, schollt sich Seline und streichelte sanft Leelas Kopf. Armes Mädchen, du, dachte sie dabei. „Ich habe mit dem Ungeborenen Kontakt aufgenommen.“, erklärte Lethon. „Es ist gesund und bereitet sich nun darauf vor, dass ich es herausholen werde!“ „Herausholen? Und Leela?“, wimmerte Seline ängstlich. Lethon nickte bedächtig. „Sie ist nicht mehr so jung. Mit ihr habe ich zuerst Kontakt aufgenommen. Sie dämmert und ist in einen schützenden Halbschlaf der Erschöpfung gefallen.“ Selines Augen wurden so groß, das Lethon für einen Moment der widersinnige Gedanke kam, ihr Gesicht bestünde nur mehr aus Augen. Abgespannt rieb er sich seinen versteiften Nacken. Die Schmerzen des großen Limtaan hatten ihm körperlich zugesetzt. „Ich habe die Energiepfade der zwei Körper erfühlt.“, fuhr Lethon fort. Entweder werden wir Mutter und Kind retten können, oder aber wir werden beide zugleich verlieren. Seline nickte, voller Angst. Denn sie verstand, was Lethon damit meinte. Die Lebenskräfte der zwei Wesen, Mutter und Kind, waren hier sehr stark miteinander verknüpft. Beide gleich stark gewichtet, in einem harmonischen Gleichgewicht. Würde Leela sterben, dann könnte man auch das Kleine nicht retten und umgekehrt. Seline streckte trotzig das Kinn vor und nickte noch einmal zum Zeichen ihres Einverständnisses. Ihr Nicken galt Lethon, ihr Trotz jedoch dem Schicksal. Denn auch wenn sie ganz schreckliche Angst davor hatte, sie würde sich ihm stellen. Vielleicht ist es sogar besser so, dachte sie. Denn manchmal stirbt nur einer von beiden, Mutter oder Kind und der andere kann gerettet werden. Hier jedoch gehen sie gemeinsam, ins Leben oder ins Licht. „Willst du wirklich dabei sein?“, fragte Lethon sanft. „Ich gehe hier nicht weg!“, antwortete Seline und ihre Unterlippe schob sich noch etwas weiter vor, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. Lethon schwieg und begann mit seinem blutigen, aber notwendigem Werk. Und Seline? Während sie den verschwitzten, zitternden Körper von Leela streichelte, stiegen unwillkürlich Erinnerungen in ihr auf. So fiel ihr voller Zärtlichkeit wieder ein, wann sie ihre Leela das erst mal gesehen hatte. Das war damals gewesen, vor vielen, viel zu schnell vergangenen Jahren. In dem Wald jenseits der großen Wiesenfläche von Melan. Seline erinnerte sich noch ganz genau. Beim Beerensammeln hatte sie plötzlich stark und deutlich gefühlt, dass sie beobachtet wurde. Und im selben Moment, in dem ihr das bewusst wurde, trat plötzlich ein Limtaan aus dem Dickicht des Waldes hervor. Er war groß und schön, wenn auch nicht mehr ganz so jung. Gut gewachsen, zeichneten sich bei jedem Schritt die Muskeln unter dem Fell ab, als das Tier direkt und ohne Scheu auf Seline zukam. An dem weichen Blick der braunen Augen hatte Seline sofort erkannt, dass es ein Weibchen war. Und es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, als sie dort im Wald zum ersten Mal über das zarte dunkelbraune Fell gestreichelt hatte, so wie sie es auch jetzt tat. Sofort hatte sie damals den rechten Namen für das Tier empfunden. Leela! Und vom ersten Moment an, war es eine echte Verbindung gewesen. Ein Bund fürs Leben. Bei der schönen Erinnerung hatte Seline unbewußt gelächelt. Nun aber holte die Wirklichkeit sie wieder ein und Seline dachte traurig, ich werde das Bündnis auch alleine für uns beide weiter tragen, wenn Leela mich verlässt! In meinem Herzen werde ich es weiter tragen! Und als sie das Zittern ihrer vor Anstrengung völlig verschwitzten alten Freundin spürte, da fühlte Seline sich hilflos und schrecklich allein. Aber sie wusste nicht, dass sie auch jetzt wieder beobachtet wurde. Und auch dieses mal wieder aus einem Dickicht heraus Denn dort war jemand. In der Dunkelheit. Lautlos, heimlich lauschend. Auch aus der Entfernung entging ihm keine Bewegung, kein Wort. Doch dieses Mal war Seline zu gefangen vom Leid ihres Tieres und von ihrem eigenen, um etwas davon zu bemerken. Dort hockte er. In seinem grünen, blattreichen Versteck. Und beobachtete gespannt das hektische Treiben. Du Tor; schollt sich Trismon selber. Das also ist es, was sich hinter der übergroßen Eile der zwei vermummten Gestalten verborgen hat! Trismon war es zutiefst unangenehm, dass er hier so verstohlen im Gebüsch lauerte. Allliebender, durchfuhr ihn der Schreck. Was, wenn ihn hier jemand so sehen würde?! Eine nicht auszudenkende Schande wäre das! Trismon wollte sich schon so leise wie nur irgend möglich abwenden. Da jedoch sah er Tränen auf dem Gesicht der Empathin schimmern. Wieder erschien sie ihm viel zu jung, um jetzt schon das oberste Mitglied des Rates zu sein. Zu zart und zu zerbrechlich für diese gewiss schwere Bürde, war sie. Es rührte ihn, wie sie sich so besorgt um das kranke Tier bemühte. Sie ist ja ganz bestimmt eine gutherzige Frau, räumte Trismon ein. Aber einer der obersten Entscheidungsträger?! Niemals! Und doch ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er ihr jetzt gerne dort in ihrer Not beigestanden hätte. Aber er war kein Heiler. So würde er dort also eher stören als nützen. Zumal sich schon genug Helfer um das Tier eingefunden hatten. Und deshalb tat Trismon das einzige, was er hier tun konnte. Er senkte respektvoll den Blick und schlich unauffällig und lautlos davon. Jedoch nicht, ohne zuvor im Stillen den Allliebenden zu bitten, das Leiden des Tieres zu beenden.