Читать книгу Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze - Страница 18

16. Kapitel

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„Du bist zu hart zu dir selbst, mein Kind!“, sagte Trahil und sah Seline zu, wie sie dabei half, die Wegzehrung für die Boten zu bereiten. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und war damit beschäftigt, Käse, Äpfel und Nüsse in kleine, weiße Leinentücher zu wickeln. Sie befanden sich in einem der oberen Stockwerke eines der Vorratsgebäude. Auf den großen Holztischen an der Wand lagen auch schon viele eingewachste Filzbeutel bereit. Diese würden später noch mit frischem Brunnenwasser befüllt werden. Als Seline ihm nicht antwortete, seufzte Trahil und wand seinen Blick dem Fenster zu. Es war so ein schöner Morgen und es dauerte ihn, Seline so betrübt zu sehen. Darum versuchte er noch einmal zu ihr durchzudringen. „Ich weiß“, sagte er, „dass es im Moment sehr viel für dich sein muss!“ Und diesmal erhielt er tatsächlich eine Antwort. Sehr schnell sogar, wenn auch Seline dabei nicht von ihrer Arbeit aufblickte. „Das kommt davon, wenn der Rat jemanden erwählt, der so unfähig ist, wie ich es bin!“, sagte sie trotzig und schnürte den Knoten des gefüllten weißen Leinentuches besonders fest zu. Hoffentlich bekommt der arme Bote, der diese Wegzehrung erhält, sie auch jemals wieder auf, dachte Trismon besorgt, hütete sich aber, etwas dazu zu sagen. Zur Not mit dem Feuerstein, beruhigte sich Trahil und unterdrückte bei diesem Gedanken ein Lachen. Seline jedoch war wieder völlig verstummt. Trahil schüttelte lächelnd den Kopf. Heute war sie aber ganz besonders mürrisch! „Jetzt ist es aber genug!“, sagte er ebenso streng wie liebevoll und griff sie bei den Schultern. „Kind! Du bist die Tochter, die ich nie hatte. Und ich bin sehr stolz auf dich! Wir alle sind das! In deiner mitfühlenden Art, hast du die Erwartungen des Rates in dich, auf das Schönste erfüllt. Aber du bist noch jung. Darum höre darauf, was ein alter Mann dir zu sagen hat!“ Er sah ihr liebevoll in die Augen und Seline war überrascht, als sie erkannte, wie ernst es ihm war. „Das tiefe Mitgefühl in dir, für alles und jeden. Du musst es auch für dich selbst haben!“ Seline sah in nachdenklich an und blinzelte verwundert. Daran hatte sie tatsächlich noch nie gedacht! Trahil, der Seline noch immer bei den Schultern hielt, konnte fühlen, wie ihr Körper sich merklich entspannte. Sie nickte dankbar und blickte etwas beschämt zu Boden. Dann jedoch blickte Seline plötzlich verwundert auf und fragte: „Hörst du das?“ Trahil blickte über Selines Kopf hinweg in die Ferne und lauschte. „Ich höre nichts!“, antwortete er dann und schüttelte den Kopf. „Es ist auch mehr so eine Erschütterung, die über den Boden läuft. Ein Vibrieren, das dann auch auf den Körper übergeht.“ Seline runzelte die Stirn und sagte nachdenklich: „Wie das ferne Brummen eines wütenden Fangzahns.“ Seline riss die Augen plötzlich weit auf. Und mit Angst und Schrecken rief sie: „Die Brannen! Sie kommen!“ Trahil erbleichte. Beide ließen voneinander ab und eilten zur Fensteröffnung. Sie hielten angestrengt Ausschau nach den großen Tieren, die mit ihren rundlich dicken Körpern und dem kurzen Fell in etwa so aussahen wie Limtaane. Nur, dass sie kurze Ohren hatten und nicht so stark entwickelte Hinterläufe. „Ich glaube, jetzt kann ich es auch fühlen!“, sagte Trahil besorgt. „Wie ein ganz leichtes, weit entferntes Beben der Erde.“ „Schau da!“; rief Seline plötzlich aufgebracht und wies mit dem ausgestreckten gen Süden. Trahil folgte ihrem Fingerzeig und erschrak. „Oh nein, die Kinder!“ Seline und Trahil mussten vom Fenster aus mit ansehen, wie sich dort am Stadtrand eine Gruppe von Kindern mit ihrem Lehrenden anschickte, die große Wiesenfläche zu überqueren. Offensichtlich waren sie auf dem Weg in den dahinter gelegenen Wald. „Wenn die Brannen dort vorbei ziehen, werden sie sterben, Seline.“, flüsterte Trahil mit tonloser Stimme, wie versteinert vor Entsetzen. „Seline?“, wiederholte er und drehte sich nach ihr um. Doch Seline konnte ihn schon nicht mehr hören. Sie war bereits losgerannt. „Ich muss es schaffen! Ich muss es schaffen!“, pochte der Gedanke unablässig in ihrem Kopf, als sie aus dem Zimmer hinaus, die Treppe hinunter, auf die Straße rannte. Am liebsten hätte sie sofort los geschrieen: „Die Brannen kommen!“ Doch sie fürchtete eine allgemeine Panik damit auszulösen. Und ein Tumult könnte ihr nun den Weg versperren und die so kostbare, unendlich kostbare, Zeit rauben. Deshalb blickte sie nur gehetzt um sich, denn sie suchte etwas ganz Bestimmtes. Und das Glück war mit ihr. Jetzt war der Platz noch ziemlich leer. Aber heute würden sich hier die Boten mit ihren Reittieren versammeln! Und tatsächlich. Da stand auch schon ein Limtaan. Dem Allliebenden sei Dank! Womöglich war es nicht zu spät und doch noch nicht alles verloren. Seline rannte auf den Limtaan zu. Er stand unweit von ihr, angebunden an einen Brunnen mit oberirdischem Wasserbecken. Das Tier war gerade dabei gewesen genüsslich und geräuschvoll Wasser aufzusaugen. Doch es merkte sofort, wie Seline sich ihm näherte und verhielt. Seline wusste, das man eigentlich besser nicht auf Limtaane zurennen sollte. Diese Tiere waren sehr scheu und schreckhaft. Und einen panischen Limtaan vermochten auch nur sehr wenige wieder einzufangen, ehe er sich endlich wieder von selbst beruhigte. Doch hier und jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Deshalb versuchte Seline noch im Rennen ihren aufgebrachten Geist zu beruhigen und mit freundlichen Gedanken und Empfindungen zu füllen. Dabei formte sie innerlich immer wieder die Worte: „Ich brauche deine Hilfe!“ In der Hoffnung, dass ihre Fähigkeit auch ein wenig bei Tieren wirken könnte. Der Limtaan jedenfalls blieb ruhig stehen und blickte Seline aufmerksam an. Er war sehr groß und stark und seine Muskeln zeichneten sich unter dem prächtigen schwarzen Fell ab. Ohne zu zögern griff Seline nach dem Strick, mit dem sein Brustgeschirr an einem der Brunnenpfeiler befestigt war. Mit vor Aufregung zitternden Händen löste sie den Knoten am Brustgeschirr. Dann kletterte sie auf den Rücken des Tieres und dieses wartete geduldig. „Hee!“, rief eine verwunderte Männerstimme hinter Seline. Vermutlich der Reiter des Tieres. Aber Seline war schon dabei das Tier mit mehrfachem, kräftigen Schenkeldruck zu wenden. Und nun schien es ihr auch die rechte Zeit, das nahende Unheil zu verkünden. „Die Brannen kommen!“, rief sie und trieb dabei gleichzeitig dem Limtaan die Fersen in die Seite. Das Tier machte einen großen Satz nach vorn und raste davon in Richtung Süden, auf den Stadtrand zu. Und fast so schnell, wie der Limtaan durch die Straßen rannte, bereitete sich auch die furchtbare Neuigkeit aus. Diese jedoch nicht nur in eine Richtung, sondern nach allen Seiten gleichzeitig. „Die Brannen kommen! Der Allliebende stehe uns bei! Habt ihr es auch schon gehört? Hoffentlich fallen sie nicht wieder in die Stadt ein!“ Und einige der Melanen, die sich im Süden der Stadt befanden, konnten die erwählte Empathin hören, wie sie immer wieder laut rief: „Holt die Kinder von der Wiese! Die Brannen kommen! Holt die Kinder zurück in die Stadt!“ Und Trismon, der plötzlich gesehen hatte, wie die Empathin auf einem großen schwarzen Limtaan davon gerast war und geschrieen hatte, verstand überhaupt nicht, was da vor sich ging. Er sah die aufgeregten Einwohner wild umherrennen und hörte immer wieder das Wort „Brannen“. Deshalb beschloss er ganz einfach zu fragen. Und zwar den Einzigen der, soweit Trismon es sehen konnte, nicht hektisch hierhin oder dorthin rannte. Er stand an einem Brunnen und hielt einen Strick in der Hand. Er hatte braune dichte Locken und rote Augen, die ebenso verwundert wie besorgt, der Empathin hinterdrein blickten. Trismon schlenderte auf den Mann zu und fragte leichthin: „Brannen? Was ist das?“ Der andere Mann wandte ihm nur langsam den Kopf zu, denn er konnte sich kaum trennen vom Anblick der Empathin, die in der Ferne immer kleiner wurde. Er schaute Trismon ungläubig an und sagte: „Du kennst die Brannen nicht, Fremder?“ Und Trismon antwortete: „Hoch im Norden, von wo ich stamme, kennen wir diese Tiere nicht. Mein Name ist Trismon.“, stellte er sich dem Mann etwas verspätet vor. „Ich heiße Kallenn. Und Brannen sind Tiere, die alles niederrennen, was auf ihrem Weg liegt. Sie sind groß und kommen in Scharen. Immer dann, wenn es schon früh im Jahr mild ist und ungünstige Winde wehen. Ansonsten sind sie völlig harmlose Grasfresser.“ An seinem Blick merkte Kallenn, das Trismon den Tumult ringsumher trotzdem noch für übertrieben hielt. Deshalb blickte er ihm eindringlich in die Augen und sagte: „Verstehst du denn nicht? Wenn sie erst einmal richtig in Bewegung sind, trampeln sie dich und jeden anderen einfach tot. Sie stampfen dich beim Vorbeirennen in den Boden, ohne es auch nur zu merken!“ Trismon erbleichte. Er dachte an die kleine, junge Frau, die soeben auf dem Limtaan davongeritten war. Wollte sie sich etwa diesen Tieren, diesen „Brannen“ entgegenstellen. So etwas Törichtes würde er ihr zutrauen! Ohne zu überlegen rannte Trismon los. Er setzte mit weiten Sprüngen und ausladenden Schritten, der Empathin hinter her. In NordcumMelan war er schon seit seiner Kindheit, der schnellste Läufer gewesen. Und dabei waren eigentlich alle Balinen schon recht schnell. Aber ob ich es hier überhaupt noch rechtzeitig schaffen kann, dachte er besorgt. Denn schon drang über den Boden ein leichtes Zittern. Immer stärker brandete es auf und wurde schon zu einem Schütteln. Wie ein Erdbeben, das seine Hände nach der Stadt ausstreckte. Trismon hörte, wie ringsumher Gegenstände umfielen und klirrend auf dem Boden zerschellten. Doch er versuchte, sich davon nicht ablenken zu lassen, sondern blickte nur stur geradeaus und achtet auf seinen Weg. Aber er schaffte es trotz allem nicht! Noch weit vom Stadtrand entfernt, merkte er plötzlich, wie sich der Himmel zu verdunkeln schien. Verwundert blieb er stehen und blickte auf. Melan lag plötzlich im Schatten. Denn dort kamen sie! Trismon blieb vor Staunen der Mund offen stehen und seine Augen wurden weit. Eine Welle aus großen Tierleibern hatte die Hügelkette im Osten erreicht und schwoll immer weiter an. Sie verdunkelten die Sonne, die direkt hinter ihnen am Horizont stand. Und auch wenn Trismon ein Blinzeln unterdrückte, um nichts von diesem furchteinflössenden, erstaunlichen Anblick zu versäumen, so waren die Tiere trotzdem zu schnell für das Auge des Betrachters. Denn schon hatten sie sich über die Hügel ergossen und stürzten ins Tal, um die große Grasebene vor Melan zu fluten. Werden sie wieder in die Stadt einfallen? Erst jetzt merkte Trismon, das dieser letzte Gedanke nicht von ihm gekommen war. Sondern von den vielen Bürgern, die um ihn her standen und sich besorgt etwas zuriefen. Man konnte aber kaum mehr sein eigenes Wort verstehen. Denn auch der Lärm und das Getöse, das von dem stampfenden Getrampel der Tiere herrührte, schwollen immer stärker an. Es wurde schier ohrenbetäubend! Und dann – dann war es vorbei. Die Tiere waren direkt an Melan vorbeigerast, gen Westen auf die offene Grasebene zuhaltend. Und in eben dem Moment, wo sie an der Stadt vorbei waren, war es fast sofort wieder still. Nur ein immer leiser werdendes Dröhnen war noch zu hören, das aber mehr und mehr zurückwich. Alles, was jetzt noch von dem Ansturm der Brannen kündete, war der Staub! Eine große Staubwolke hatte sich von den Hügeln aus erhoben. Sie waberte auf die Wiesenfläche hinab, um sich mit dem Staub der von der Wiese aufgewirbelt worden war, zu vereinen. Diese dichte Wand aus Staub schwebte nun langsam in die Stadt hinein. Dort lies sie sich nieder, um den südlichen Teil Melans mit einer feinen, hellbraunen Sandschicht zu überziehen. Das Beben war noch nicht ganz in der Ferne verebbt, da hörte Trismon plötzlich Freudenrufe, die sich vom südlichen Stadtrand her immer weiter ausbreiteten. Mit seinen scharfen Augen erkannte er eine Schar Kinder, die von ihren lachenden und weinenden Eltern in die Arme gerissen wurden. Und in Mitten des Getümmels, war dort eine kleine, zierliche Gestalt, mit langem rotem Haar.

Der Kampf der Balinen

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