Читать книгу Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze - Страница 4

2. Kapitel

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Die junge Frau erwachte mit einem lauten Schrei. Verwirrt blickte sie sich um und erkannte, dass es noch früh am Morgen sein musste. Das Licht des neuen Tages war noch zaghaft und zögerlich. Kaum merklich begann es, die Dunkelheit der Nacht zu durchdringen. Doch schon jetzt konnte man erahnen, dass es ein Sonnendurchwirkter Tag werden würde. Aber dennoch kühl. Denn die Jahreszeit des keimenden Grün hatte gerade erst begonnen. Seline stöhnte und fasste sich benommen mit der Hand an die schweißnasse Stirn. Dabei wischte sie sich einige ihrer langen, dichten roten Locken aus dem Gesicht. Ein Albtraum. Schon wieder. Dies war nun schon die dritte Nacht hintereinander, in der dunkle Träume sie geplagt hatten. Seline hob die Hand von ihrer Stirn und lies den ausgestreckten Arm achtlos zurück auf das Bett fallen. Sie blickte entnervt zur Zimmerdecke hinauf. Unruhig durchstreiften ihre großen grünen Raubtieraugen die Umgebung. Blickten hierhin und dorthin. Halt suchend. In dem großen, hell und freundlich eingerichteten Raum, begann das Tageslicht die ersten Konturen aus den Schatten herauszulösen. Mit ihrem guten Sehvermögen, das alle Balinen ihr Eigen nannten, konnte Seline auch in der Dunkelheit sehen. Doch sie mochte es, zu beobachten, wie das Licht allen Dingen eine intensive Farbe verlieh. Im Licht wurde alles weicher, heller und bunter. Seline mochte den Tag deshalb lieber als die Nacht. Denn sie liebte das Licht. Sie brauchte es förmlich, um sich damit anzufüllen. Damit es aus ihr überströmte und sich als Freude auf die Umgebung ergoss. Und nun nahte auch schon der Morgen und mit ihm sein Licht. Seline konnte es hören. Denn auch das Gehör der Balinen war sehr fein. So vernahm Seline nun aus weiter Ferne den Gesang jener Vögel, die bereits in den ersten Sonnenstrahlen badeten. Wie eine brandende Welle lief dieser Morgengesang nun unaufhaltsam auf Seline zu. Er kam auf den Sonnenstrahlen daher und beruhigte Selines gepeinigten Geist. Denn schon wieder hatte dieser immer gleiche Albtraum ihr auch in dieser Nacht aufgelauert. Im Schlaf war wieder diese große Aufregung und Angst zu spüren gewesen. Etwas kam auf sie zu. Unabwendbar und unaufhaltsam. Im Traum hatte sie sich zitternd die Augen zugehalten und sich geweigert, hinzusehen. Denn mit jeder Faser ihres Körpers hatte sie es schmerzhaft gewusst; auch jetzt noch war sie ganz verkrampft. Das, würde sie ihre Augen auf die nahenden Schrecken richten, ihr Geist dem gewiss nicht standhalten könnte. Im Angesicht dieses Grauens, würde ihr Selbst zerbrechen, gleich einem Tongefäß, das auf harten Steinboden aufschlägt. Seline begann angstvoll zu zittern. Sie richtete sich im Bett auf. Sie zog die Knie an ihren Körper und stülpte den Saum ihres weißen Nachtgewandes über die Beine. Dann vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Na wunderbar, dachte Seline trotzig. Jetzt bin ich wach und trotzdem ist alles wieder so wie in meinem Traum. Missmutig nahm sie die Hände vom Gesicht und schlang ihre Arme um die angewinkelten Knie. Dann legte sie ihren Kopf auf das linke Knie und blickte nachdenklich in das Morgenlicht, das langsam durchs Fenster drang und den Raum flutete. Ganz ohne Zweifel war dies kein normaler Albtraum, wie er etwa durch Anspannung oder Überlastung hervorgerufen wird. Dieser hier war bei weitem zu intensiv, zu stofflich. Ganz ohne Zweifel, musste Seline es sich selbst eingestehen, war dies ein Ruf des Schicksals. Eine böse Vorahnung bemächtigte sich der jungen Frau. Der kurze, kaum sichtbare helle Haarflaum, der ihren Körper, wie bei allen Balinen, bedeckte, richtete sich auf. Denn Selines innere Anspannung war so groß, dass ihr Körper sie instinktiv vor drohender Gefahr warnen wollte. Da jedoch, traf das erste Sonnenlicht, das sich im Raum immer weiter ausgebreitet hatte, Selines nackte Oberarme. Der feine Haarflaum begann zu schimmern und lies ihre Haut sanft aufleuchten. Dieser Anblick gefiel Seline und lenkte ihre Gedanken fort aus der Dunkelheit der Nacht, hinein in die helle Heiterkeit des Tages. Sie bereitet die Arme aus und bewegte sie im Sonnenlicht hin und her. Verspielt beobachtete sie dabei, wie der feine Glanz auf ihrer Haut hin und her glitt. Die Schrecken der Nacht verblassten darüber mehr und mehr. Also beschloss Seline, auch noch die restlichen Traumfetzen durch ein munter begonnenes Tagwerk zu vertreiben. Sie sprang mit einem anmutig geschmeidigen Satz ihres schlanken, feingliedrigen Körpers schwungvoll aus dem Bett und landete dabei sicher auf ihren schmalen Füßen. Hastig zog sie sich ihr leichtes Nachtgewand über den Kopf und warf es achtlos auf das Bett. Außerdem kann ein jeglicher Traum auch falsch gedeutet werden, murmelte Seline trotzig vor sich hin, um sich selber Mut zu zusprechen. Sie griff nach einem schlichten, langen, weißen Kleid aus gewebten Holzfasern und schlüpfte mit den Füßen voran, hinein. Dann griff sie in eine der vielen verzierten Holztruhen in ihrem Zimmer. Sie nahm sie ein langes, geflochtenes Baumwollband von leuchtend grüner Farbe heraus und wickelte es sich mehrfach um die schmale Taille. Am Rücken band sie einen Knoten und ließ die offenen Enden des Bandes hinabhängen. Währenddessen überlegte Seline weiter, dass sie ja auch nicht im Mindesten die Gabe der Hellsichtigkeit oder gar das Wissen um Zukünftiges ihr Eigen nannte. Wenn man davon absah, dass sie sich sehr gut in andere Lebewesen einfühlen konnte, Seline war eine Empathin, besaß sie eigentlich keinerlei besondere Fähigkeiten. Bei diesem Gedanken wurde Seline wieder missmutig. Und doch, tröstete sich Seline, war sie es gewesen, die der Rat von Melan erwählt hatte. Vor wenigen Monden erst, war sie zur ersten des Rates, zur erwählten Empathin von Melan, ernannt worden. Ihr oblag es nun, den Frieden und das Wohlergehen für alle Bürger der Stadt, zu wahren. Denn es hatte sich schon in Selines Kindheit gezeigt, dass sie in besonders ausgeprägter Weise mit allen Lebewesen mitempfand. Sie nannte eine einfühlende, geistig-seelische Verbindung zu allem was lebt, ihr Eigen. Daraus wiederum erwuchs ein starkes Mitleid, das sie allem und jedem entgegen brachte. Seline verzog voller Zweifel das Gesicht und griff nach einem, mit fein geschnitzten Blättern verzierten Holzkamm. Mit eilig festen Strichen durchkämmte sie ihr langes, lockiges, rotes Haar, bis es ihr in glänzenden Wellen über den Rücken fiel. Sie selbst empfand ihr Wesen nämlich keinesfalls als etwas Besonderes. Zumal sie oft eine große Unsicherheit verspürte. Ihr unruhiges, eher nervöses Temperament, war ihr sogar manchmal eher eine Last. Für ihr Leben gerne, wäre sie so ruhig und besonnen gewesen wie ihr alter, väterlicher Freund Trahil. Seline seufzte bei diesem Gedanken und griff in eine kleine Holztruhe, die auf dem Tisch stand. Sie zog ein fein gewebtes, kleines grünes Baumwolltuch daraus hervor. Damit band sie sich ihr dickes Haar stramm nach hinten, zu einem langen Zopf. Nun wirkte ihr blasses, schönes Gesicht noch ernster und ihre großen, grünen Augen noch raubtierhafter. Aber ihr eigenwilliges, widerspenstiges Haar, wollte nicht gehorchen. Die dicken Strähnen lösten sich und warfen das grüne Tuch dabei zu Boden. Seline fauchte entnervt. Was für ein Morgen. So fahrig begonnen, das war nicht gut! Seline musste dringend in den Tag hinein finden! Sie ließ das Tuch achtlos auf dem Boden liegen und trat mit langem, wallendem Haar an das offene Fenster. Seline schloss die Augen und konzentrierte sich nur mehr auf das gleichmäßige Ein- und Ausströmen ihres Atems. Ganz so, wie Trahil es sie dereinst gelehrt hatte. Nach wenigen Augenblicken schon, war ihr Geist vollkommen frei von jeglichen Gedanken, ruhig und klar. Seline öffnete zufrieden die Augen. Ihr Blick glitt hinaus auf die Stadt. Auf das schöne Melan, das soeben vom Licht der aufsteigenden Morgensonne übergossen wurde. Der rote Sandstein, aus dem alle Gebäude und Straßen in Melan geschaffen waren, leuchtete geheimnisvoll auf. Ganz so, als würde ein Wesen aus Fleisch und Blut erweckt. Denn was zuvor noch leblos schien, aber wohl doch nur geschlafen hatten, ward nun lebendig. In der aufgehenden Sonne wurde der rote Sandstein zu strömendem Blut, das Melan Leben einhauchte. Dies lag auch an der harmonisch, gleichförmigen Struktur aller Gebäude in der Stadt. Sie hatten eine abgerundete Kuppelform und sahen aus wie umgestülpte Tonschalen aus Sand. Wie ein Leib aus vielen ineinander greifenden Bergen, dachte Seline verträumt. Berge, deren Spitzen und Zacken im Laufe der Zeit durch die Anstrengungen des ewig währenden Kampfes ums Überleben, abgeschliffen worden waren. Als würde man in einem lebendigen Gebirge leben, lächelte Seline. Sie ließ ihren Blick über die Gebäude gleiten. So als würden ihre Augen über die Dächer dahin springen, von Kuppel zu Kuppel. Einige der Gebäude waren sehr hoch und darum bemüht, sich über die anderen hinweg zu strecken. Manche Gebäude wiederum waren besonders klein und suchten in ihrer geduckten Haltung unter den anderen nach Schutz. Seline lächelte noch immer. Sie liebte ihre Stadt. Die Rote, so wurde Melan auch von vielen genannt. Sie liebte es, wenn die ersten Bewohner am frühen Morgen ihre farbenfrohen Decken und Tücher aus den Fenstern hingen, um den Atem der Nacht daraus zu vertreiben. Oder wenn die Straßen und Plätze sich dann langsam füllten und alle ihr Tagwerk begannen. Sie liebte die vielen dichten, grünen Gärten, die das Rot der Stadt noch stärker betonten. „Die Gärten!“, rief Seline plötzlich erschrocken und ihr Lächeln erstarb. „Oh, nein!“, jammerte sie. Heute war es an ihr, den Zentralgarten der Stadt zu bewässern. Und sie stand hier herum und träumte! Dabei mussten die Gärten immer rechtzeitig am frühen Morgen gewässert werden. Denn wenn die Sonne ersteinmal zu hoch steht, verbrennt ihr Licht die Körper der Pflanzen, wenn sie dann noch nass sind. Seline drehte sich ruckartig um und stürmte durchs Zimmer. Sie riss die bunt bemalte Holztür auf und eilte aus dem Raum, ohne die Tür wieder hinter sich zu schließen. Dabei hatten ihre schnellen Schritte das noch immer achtlos am Boden liegende, feine grüne Haartuch aufgewirbelt. Und während Selines eilige Schritte auf dem Weg nach unten schon auf der Treppe verhalten, da schwebte das Tuch langsam und lautlos wieder zu Boden. Sein Grün im Sonnenlicht schimmernd, wie die lieblichen Augen der erwählten Empathin. Und seine Berührung mit dem Grund so zart und sanft wie ihr Herz.

Der Kampf der Balinen

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