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Hannah

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Die Porridge-Schüssel kann sie noch nach der Arbeit spülen. Die Kaffeetasse auch. Zum wiederholten Mal fragt Hannah sich, warum sie ihren Lippenstift aufträgt bevor sie ihren Kaffee trinkt. Jetzt ist da wieder dieser rote Abdruck an der Tasse.

Sie seufzt genervt.

Das Geschirr von gestern Abend steht auch noch herum. Aber sie kann sich jetzt nicht darum kümmern, sie muss los.

Es ist ihr auch einfach nicht mehr so wichtig, was Philipp von ihr denkt. Ob er findet, dass sie die Wohnung gut in Ordnung hält oder dass sie lecker kocht. Früher hat sie sich immer über sein Lob gefreut.

„Das sieht hier ja wieder picobello aus“, hat er oft gesagt und sie mit anerkennendem Blick auf die Schläfe geküsst.

Solche Gesten gibt es nicht mehr und auch das picobello ist bedeutungslos geworden.

Sie fragt sich vielmehr, woher sie die ganze Zeit die Energie genommen hat. Bei ihnen sah es ja beinahe aus wie in Architektur und Wohnen. Das Wohnen ist dabei immer etwas auf der Strecke geblieben, zugunsten der Unberührtheit von Design und Architektur. Vorzeigbar, aber nicht gelebt. Picobello eben.

Dabei haben die Kinder früher natürlich auch für Chaos gesorgt. Aber sobald sie in der Kita, in der Schule oder im Bett waren, hat Hannah aufgeräumt und alle Spuren kindlicher Spielerei verwischt.

Sie hofft, dass Lena und Patrick jetzt keinen Knacks bekommen. Unzählige Kinder sind ja heute verhaltensauffällig. Hannah wünscht sich, dass die beiden dennoch einmal gerne auf ihre Kindheit zurückblicken werden. Trotz aller Hürden, die Philipp und sie ihnen nun unfreiwillig in den Lebensweg stellen.

„Unser Arrangement gewährleistet ein weitgehend unverändertes, ungestörtes Familienleben, das sich nicht wesentlich von dem anderer Familien unterscheidet, in denen die Eltern noch zusammen sind!“ So sieht Philipp es. Und vielleicht hat er ja Recht damit.

Wie sind Patrick und Lena nur so schnell groß geworden?

Bald schon werden sie eigene Wege gehen, ihre Eltern nicht mehr brauchen.

Ihre Lebensaufgabe wird dann erfüllt sein.

Manchmal wird Hannah ganz wehmütig.

Mit einem Mal dräut die Zukunft wie ein düsteres Endzeit-Szenario.

Sie ist so gerne Mutter. Sie sieht nicht, wie diese Aufgabe jemals durch etwas Anderes ersetzt werden könnte.

Nicht in diesem Leben.

Nachdem sie im Büro einen Text ihres Chefs transkribiert und Emails beantwortet hat, zieht sie den Brief von Lenas Klassenlehrerin aus seinem Umschlag.

So eine von den hysterischen ist diese Lehrerin und Hannah seufzt.

„Alles okay“, fragt die Kollegin aus der Buchhaltung, die ihr an ihrem Schreibtisch gegenübersitzt.

Hannah nickt und lächelt ihr zu. „Lehrerinnen“, sagt sie und verdreht in gespielter Verzweiflung die Augen.

Die Kollegin nickt und lächelt verständnisvoll, ihre Kinder sind längst erwachsen.

„Warum kann Lenas Klasse nicht auch an die Nordsee fahren wie die achten Klassen? Muss es denn unbedingt Bayreuth sein? Was wollen sie dort? Sie wollen sich nicht einmal Wagner anhören!“ Hannah versteht das nicht und rollt noch mal mit den Augen.

Die Kollegin schüttelt den Kopf. „Unverständlich. Zumal Bayreuth echt überschätzt ist.“

Hannah lacht.

„Und dann will Lenas Klassenlehrerin auch noch, dass sie mit dem Bus dorthin fahren. Eine Zugfahrt will die Klassenlehrerin nicht auf ihre Kappe nehmen. Dann passiert nachher noch, was im vergangenen Jahr dem Kollegen passiert ist. Da sind sie mit über hundert Schülerinnen und Schülern mit dem Zug nach Florenz gefahren. Aber am Ende ist nur eine Klasse dort angekommen, weil die anderen Kinder hinter einem Mann hergelaufen sind, der aussah wie der Kollege. Und der schon in Pisa ausgestiegen ist.“

Jetzt kriegt Hannahs Kollegin sich nicht mehr ein vor Lachen.

„So etwas kann sie nervlich nicht stemmen, schreibt die Klassenlehrerin. Also werden sie mit dem Bus nach Bayreuth fahren.“

„Okay“, sagt die Kollegin und zieht dabei das O in die Länge.

„Neben der Jugendherberge gibt es auch ein tolles Freibad, aber schwimmen gehen werden sie nicht. Schwimmen ist ja so eine Sache! Die Lehrerin kann im Freibad unmöglich die Verantwortung für dreißig Kinder übernehmen. Wenn da jemand runtergedrückt wird! Oder einen Krampf im Bein bekommt! Wo denken die Eltern denn hin? Also wird daraus nichts. Ach und der Kletterwald ist natürlich auch keine Option. Nicht auszudenken, wenn da jemand abstürzt und sich verletzt. Mit anderen Worten: Bayreuth minus Spaß. So sieht es aus.“

„Ich freue mich total, sagt Lena trotzdem. Ihr und den anderen Kindern ist das ganze Drumherum egal. Sie denken nicht voraus. Sie machen sich nicht wie die Erwachsenen schon monatelang im Voraus Gedanken über den Aufenthalt in Bayreuth.

„Ich bin einfach gerne mit meinen Klassenkameradinnen zusammen!“, sagt Lena ihrer Mutter. Einige sind ihre Freundinnen. Es gibt auch ein paar Jungs, die sie mag. So viel Hannah weiß, gibt es aber bisher keinen Schwarm.

Philipp hat ihr das bestätigt. Dem würde es vermutlich eher auffallen, weil es ihn mehr treffen würde.

„Der Junge, dem ich meine Lena anvertraue, muss noch geboren werden“, so viel steht für Philipp fest. Das hat er Hannah mal anvertraut. Vor unendlich langer Zeit, als Lena noch klein war und sie sich noch näher waren.

Wie schaffen das die Schwäne?

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