Читать книгу Wie schaffen das die Schwäne? - Katja Pelzer - Страница 17
Hannah
ОглавлениеHannah zieht das geblümte Seidenkleid über ihren Kopf. Das, in dem ihre beste Freundin Astrid sie besonders weiblich findet. Ein Blick in den Spiegel bestätigt ihr das. Der zarte Stoff schmiegt sich um ihre Taille und bringt den Ansatz ihres wohlgeformten Busens, der durch den BH hochgedrückt wird, gut zur Geltung.
Hannah lässt ihr Parfum von oben wie eine Dusche über ihre Haare und in ihren Ausschnitt rieseln.
Philipp hat sie gesagt, dass sie ausgeht, aber nicht mit wem. Sie will ihn nicht quälen, doch es wird Zeit, alte Geschichten aufzuwärmen und etwas für ihr Ego zu tun.
Sie weiß noch ganz genau, was sie damals an Oliver hatte. Sie weiß, was sie damals an ihm vermisste. Aber da sie gegenwärtig so ziemlich alles vermisst, mag Oliver genau der Richtige sein, dieses Defizit zu füllen.
Sie sind in einem Biergarten verabredet.
Bei Tageslicht sind Makel nicht zu übersehen und sie läuft nicht so leicht Gefahr in eine Falle zu tappen, aus der sie sich anschließend reumütig befreien muss.
Die meisten der schmalen gelben Bierbänke an den schmalen gelben Biertischen sind leer.
Jetzt am Nachmittag ist noch nicht viel los.
Sie sieht ihn sofort.
Er sitzt allein auf einer Bank. Er wirkt kleiner als früher. Er scheint versunken, in sich, vielleicht nervös.
Jetzt sieht er auf. Ihr Herz hüpft kurz ein paar Etagen höher kommt dann aber wieder an seiner gewohnten Stelle zu liegen und findet in seinen normalen Rhythmus zurück.
Hannah winkt.
Albern, denkt sie im nächsten Moment – wie ein kleines Mädchen. Sie senkt die Hand abrupt.
Oliver steht auf und sie drückt ihm Küsse auf jede Wange. Sie wäre ihm auch um den Hals gefallen, aber er scheint sich zu sträuben. Das spürt sie so. Und weicht zurück.
„Hallo“, sagt sie, nach den Wangenküssen.
„Hallo“, antwortet Oliver.
Er riecht genau wie früher. Etwas herb und nach Waschmittel. Eine unwiderstehliche Mischung, findet sie immer noch.
Sie holt Apfelschorle für sich und für ihn auch, weil seine schon fast leer ist.
Oliver ist zu Besuch bei seinen Eltern. Eigentlich lebt er längst in einer anderen Stadt. Hannah und er haben sich seit sechs Jahren nicht mehr gesehen.
Das letzte Mal waren sie und Philipp noch ein Paar. Und es war ein Paar-Treffen gewesen. Denn Oliver war damals auch noch mit seiner Frau zusammen.
Er ist mittlerweile geschieden.
„So schnell kann’s gehen“, sagt er und guckt wie ein Hund.
Sie nickt.
Sie sitzen sich jetzt still gegenüber und Oliver schaut sie forschend an.
Ob er findet, dass sie gealtert ist? Ob er sie noch hübsch findet?
„Wie geht es dir?“, fragt Oliver und Hannah antwortet „Gut“. Obwohl sie in diesem Moment nicht mehr so sicher ist, dass es stimmt.
Sie fragt ihn, wie es ihm geht und er sagt „Auch gut“.
„Schade ist das natürlich immer, wenn eine Beziehung in die Brüche geht“, setzt er hinzu. „Keine Ahnung, wie die Schwäne das schaffen.“ Er lacht.
Hannah lacht auch. „Man sollte sie mal fragen!“
„Ja“, er lacht wieder. „Eine lustige Vorstellung. Eine Art Schwanentherapie.“
Hannah stellt sich das vor. Sie kichert.
„Für mich ist das mit der Trennung nicht schlimm“, sagt Oliver. Meine Ex sieht das anscheinend genauso. Die Kinder haben zuerst schon gelitten.“
Hannah nickt: „Am Ende leiden immer nur die Kinder darunter“, sagt sie. Und weiß, dass es nicht stimmt. Das sagt sie aber Oliver nicht. Sie fürchtet, sonst irgendwie bedürftig zu wirken und ihn dadurch abzuschrecken. Denn sie will ihn unbedingt küssen. Unbedingt. Das Küssen fehlt ihr noch viel mehr, als das Fummeln oder richtiger Sex.
Neben dem Küssen fehlt ihr außerdem dieses aufgeregte Kribbeln, das vom Verliebt-sein kommt.
Sie seufzt, nicht nur innerlich und Oliver fragt noch einmal, „Wie geht es dir?“
Sie sagt noch einmal „Gut“.
Er lächelt. Sein Lächeln ist echt schön. Noch immer. Es berührt sie. Noch immer.
Was wohl aus ihnen geworden wäre, wenn sie sich nicht getrennt hätten? Sie wagt nicht, die Frage laut auszusprechen.
Sie lächelt ebenfalls.
Sie hofft, dass er ihr Lächeln auch schön findet.
Früher fand er es schön.
Sie hat sich damals von ihm getrennt. Es war ihr zu ernst geworden zwischen ihnen. Er wollte schnell mit ihr zusammenziehen und ein Nest bauen. Da waren sie gerade mal vierundzwanzig Jahre alt gewesen und noch im Studium.
Sie brauchte noch einmal zwei Jahre. Dann hat sie es mit Philipp gewagt. Da gab es aber auch gar kein Vertun.
Philipp hat sie umgehauen.
Brutal.
Hundertprozentig zum Niederknien attraktiv, Rhetoriker, Querdenker, Seelenverwandter, Honigsüßküsser, konservative Werte wie sie.
Es war innerhalb eines halben Jahres alles total klar gewesen zwischen ihnen. Und sie war innerhalb von einem weiteren halben Jahr schwanger gewesen. Ungeplant, aber total gewollt. Sie haben geheiratet und leben glücklich bis an das Ende ihres ... ihrer Liebe.
Plötzlich liegt Olivers Hand auf ihrer.
„Wollen wir gehen?“, fragt er.
Sie nickt. Kann gar nicht anders. Etwas wie ein Schwächeanfall durchschwappt sie. Sie fühlt sich nicht ganz sicher auf den Beinen. Aber sie geht trotzdem immer weiter. Hinter Oliver her.
Sie steigen in die Tram ein und Oliver stempelt für sie beide ab. Er lächelt sie an.
Ist da Zärtlichkeit in seinem Blick? Sie weiß es nicht. Irgendetwas ist da jedenfalls, dass jede Membran ihres Körpers durchdringt bis in ihre Magenwände. Wieder werden ihre Beine weich.
Irgendwie schafft sie es trotzdem mit Oliver die Tram zu verlassen und plötzlich stehen sie an der Rezeption eines Hotels.
Dann vor einer Zimmertür mit der Nummer 212.
Dahinter herrscht sterile Ordnung und mitten drin steht ein breites Bett. Seufzend lassen sie sich darauf fallen.
Sie hat diese Art, ihren Morgenmantel zu tragen, die Oliver immer in den Wahnsinn getrieben hat, so hat er es mal gegen ihren Hals gestöhnt.
Sie trug ihn immer morgens im Bett beim ersten grünen Tee.
Diese Tasse grüner Tee war ihr Morgenritual.
Die rechte Hälfte klaffte auf und heraus blitzte ihre rechte Brust. Weiß. Ihre Brustwarze stand aufrecht, wie eine bräunliche Stupsnase. Keck. Provokant. So beschrieb er es einmal.
„Deine Brüste haben noch immer dieselbe Form“, sagt Oliver jetzt und schaut offensichtlich verzückt. „Schon als du ein junges Mädchen warst, hatten sie diese Form.“
Ihre Brüste waren klein, rund und fest. Apfel nannte sich diese Form, das hatte er einmal gelesen, hat er ihr damals gesagt.
Während er sich jetzt an sie schmiegt, spürt Hannah, wie auch die Wirkung sich keinen Deut verändert hat.
Seine Hand ist ganz warm. Besitzergreifend legt sie sich auf Hannahs rechte Brust. Greift zu. Suchend. Findend. Gleichzeitig küsst er sie auf den Mund. Mit warmen Lippen und gieriger Zunge.
Hannah versinkt in einem dunklen Ozean von geistiger Diesigkeit und schwappenden Wellen der Lust.
Als sie daraus auftaucht, fühlt sie sich so leicht, wie damals an den Sonntagnachmittagen mit Gene Kelly oder Fred Astaire. Sie hat Shirley Temple sein wollen später dann Ginger Rogers.
Steppen lernte sie nach der Schule – im Nachmittagskurs.
Am glücklichsten war sie immer in Bewegung.