Читать книгу Der Himmel kann warten - Katrin Zimmer - Страница 12
Sonntag, 19. September, Cielo
ОглавлениеUm neun Uhr abends war im Cielo noch nicht viel los. Einzelne Touristen betraten die Bar in der Hintergasse, steckten ihre Köpfe hinein und kamen meist kurz darauf wieder. Es waren vermutlich Hungrige, auf der Suche nach einer empfehlenswerten Lokalität. Das Cielo gehörte nicht dazu. Zumindest nicht, was das Essen betraf. Die Leute, die hierher kamen, hatten anderes im Sinn. Essen war nur Nebensache, was es hier gab, waren nur Kleinigkeiten für den Hunger zwischendurch.
Aaron betrachtete es von außen. Das Cielo war eines von vielen, äußerst liebevoll renovierten Fachwerkhäusern in Neustadt, die sich in dem malerischen Gässchen aneinanderreihten. Hier war er noch nie gewesen, jedenfalls nicht, seit es aufgemacht hatte. Gehört hatte er schon davon, man hörte ja Vieles, aber interessiert hatte es ihn bisher nicht.
Vor der Tür standen ein paar Stühle eng um kleine, runde Tischchen herum. Nur ein Pärchen hatte darauf Platz genommen und unterhielt sich angeregt. Die junge Frau trug ein luftiges, rotes Kleid. Zu luftig vielleicht um diese Uhrzeit im September. Sie wirkte aufgekratzt und glücklich und nippte ständig an ihrem Cocktail. Der junge Mann, dessen Hand auf ihrem Knie ruhte, schaute ihr ununterbrochen in die Augen. War wohl sein Verdienst, ihre Fröhlichkeit.
Lena war noch nicht da. Aaron hatte es sich denken können: als Mutter dreier Kinder war es sicher nicht einfach, alles unter einen Hut zu bekommen. Aber er würde warten, sicher dauerte es nicht lange bis Lena um die Ecke bog.
Letzte Nacht war eigenartig. Aaron lag schon um halb zwölf im Bett. Alleine. Dabei hatte der Abend so vielversprechend angefangen. Aaron war sich fast sicher, dass er dieses Mal Lenas Herz für sich gewinnen konnte, und dann kam ihr Moralischer dazwischen. Aber immerhin war er für sie da. Und heute hatte sie sich schon wieder mit ihm verabredet. Das sollte ein gutes Zeichen sein.
Die junge Frau am Tischchen nebenan schlürfte den letzten Rest Erdbeersahne aus dem Glas und drängte ihren Begleiter, hinein zu gehen. Wahrscheinlich war ihr doch zu kalt. Kein Wunder, mit dem bisschen Kleid.
Als die Tür aufging schwappte eine Welle lauter Musik nach draußen. Es war ziemlich dunkel da drinnen, aber vielleicht täuschte auch der Schein, denn von seinem Stuhl aus konnte Aaron nur bedingt in die Bar hineinsehen.
Die freundliche Bedienung kam zum zweiten Mal heraus. Ihr Umsatz konnte um diese Zeit nicht berauschend sein, und trotzdem machte sie einen sehr zufriedenen Eindruck.
„Darf’s jetzt was sein?“, fragte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie wippte im Takt hin und her und schnalzte leise mit der Zunge. Seltsame Angewohnheit. Aber es war nett anzusehen.
Aaron überlegte. Eigentlich war es unfreundlich, im Vorab schon alleine einen Drink zu sich zu nehmen. Aber Lena würde ihm sicher nicht böse sein.
„Ein Weizen, bitte.“
„Gerne.“ Mit Popowackeln machte sie den Abgang. Die Bedienung war etwa Anfang zwanzig und wirklich nett anzusehen. Ihre dunklen, naturgelockten Haare fielen bei jedem Schritt über die Schulter, und die dünne, fliederfarbene Bluse unterstrich ihre schmale Silhouette. Fast schade, dass er nicht schon öfter hier gewesen war.
Die Nächsten schlenderten die Hintergasse entlang. Aaron machte sich einen Spaß daraus, die Leute zu begutachten und nach ihrem Vorhaben zu beurteilen. Ehepaare um die fünfzig wollten meistens Essen gehen. Sie waren alleine unterwegs oder zu mehreren befreundeten Paaren. Einzelpersonen im Laufschritt wohnten in der Nähe, Einzelpersonen im Schlenderschritt urlaubten hier. Weibliche Einzelpersonen im Laufschritt mit Ausgehkleidung wollten ins Cielo. Auch wenn Aaron davon bisher noch nicht so viele gesehen hatte, war er sich sicher, dass die nächste Frau in dem kurzen Röckchen gleich bei ihm abbog. Genauso wie die zwei Männer, die aus der anderen Richtung kamen. Aaron sollte Recht behalten. Und man kannte sich sogar. Küsschen rechts, Küsschen links, der Frau hob man die Tür auf und folgte in das Dunkel. Wieder schwappten ein paar Takte Musik nach draußen. Gar nicht so übel.
„Wartest du schon lange?“ Lena ließ sich wenig damenhaft neben Aaron in den Sitz fallen.
„Ich schaue mir gerne die Leute an.“ Aaron war ein Stein vom Herzen gefallen. Er hoffte, dass Lena ihn nicht plumpsen gehört hatte.
„Du wiederholst dich!“
“Stimmt. Du auch. Aber schön, dass du da bist.“ Aaron zog sie zu sich herüber und umarmte sie.
Lena lächelte das Lena-Lächeln. Das eigenartige, seltsam unnahbare.„Es tut mir leid. Ich gehöre nicht zu den pünktlichen Menschen. Und meine Kinder…“ Sie versuchte, sich zu rechtfertigen. Es gab Leute, die glaubten, sich immer rechtfertigen zu müssen. Für alles und manchmal auch für andere. Aaron kannte die Leute. Er winkte ab. „Ist schon in Ordnung. Ich kann ja leicht pünktlich sein, so ohne Kinder.“
„Gefällt es dir hier? Warst du schon drinnen?“ Lena schaute Aaron gar nicht an, während sie sprach. Sie suchte unterdessen in ihrer Tasche nach einem Lippenstift.
„Nein. Ich hab auf dich gewartet. Alleine trau ich mich nicht.“
Ein winziges Schminkspiegelchen war auch noch drin. Lena zog mit präzisen, geübten Strichen den korallenroten Lippenstift von L’Oreal über ihre Lippen. „Ach was, das macht doch nichts. Du hättest ruhig schon mal reingehen können.“ Frauen sprachen undeutlich, wenn sie sich dabei noch die Lippen schminkten.
„Hätte ich. Möchtest du etwas trinken? Einen Latte Macchiato, vielleicht?“
Das Lena-Lächeln. „Hey, du erinnerst dich aber genau.“
„Natürlich. Warum nicht?“
„Manche Männer hören einem gar nicht zu, wenn man redet.“
„Manche. Ich gehöre nicht dazu. Denke ich.“
Die Tasche gab noch einen Kajalstift her. Lena hatte wirklich keine Zeit mehr gehabt, sich ausgehfein zu machen. Dabei sah sie auch so sehr schön aus, fand Aaron. Jetzt wusste er auch, warum Frauen solch große Handtaschen besaßen. Bei Müttern waren wahrscheinlich noch Windeln und Feuchttücher drin. Und wenn Lena gleich noch ein Abendkleid mit allem Pipapo herausgezogen hätte, dann hätte ihn das auch nicht mehr erstaunt. Aber angezogen war sie schon. Sehr nett sogar. Sie trug ein knielanges Wickelkleid, und um die Schultern lag ein dünner Schal. Gegen die Kälte hätte der sie nicht schützen können, aber welche Frau hatte schon das Talent, sich warm anzuziehen. Schön musste es sein, nicht praktisch.
Lena zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch freundlicherweise in die andere Richtung. Sie wirkte angespannt. Ihre Gesichtszüge waren nicht so weich wie gestern.
„Was haben deine Kinder denn dazu gesagt, dass du wieder weggehst?“ Aaron riskierte, Öl ins offene Feuer zu gießen. Er wusste nicht, warum er das tat, aber Lena war sehr weit weg von ihm. Gedanklich. Er wollte wissen, warum.
„Sie haben gefragt, warum ich sie schon wieder alleine lasse.“
Lena hatte Schuldgefühle.
„Und was hast du ihnen geantwortet?“
„Dass es wichtig für mich ist. Und dass ich sie lieb habe.“ Zigarettenrauch in die andere Richtung. Ein hektischer Zug.
„Ah.“ Aaron überlegte, ob auch er ein schlechtes Gewissen haben musste, weil er der Grund für ihre Abwesenheit war. Aber momentan hatte er gar nicht den Eindruck, dass er im Zentrum ihres Interesses stand. Lena war einfach nur da, vielleicht nur zufällig und gar nicht seinetwegen. Er musste sich keine Vorwürfe machen. Es war alleine ihr Vorschlag gewesen, sie hätte es nicht tun müssen.
Aaron nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. Das Bier schmeckte gut, er hätte sich durchaus noch ein zweites bestellt. „Willst du nichts trinken?“
Lena schüttelte den Kopf. „Drinnen. Gehen wir rein?“
Der Abend war lau, fast milder als der letze Abend. Aaron wäre durchaus noch ein bisschen draußen sitzen geblieben und hätte sich mit Lena unterhalten und nebenbei die Leute beobachtet, die durch die Gasse marschierten. Aber Lena war nicht zum Reden aufgelegt. Warum hatte sie sich überhaupt mit ihm hier treffen wollen?
„Okay, gehen wir rein.“