Читать книгу Der Himmel kann warten - Katrin Zimmer - Страница 6
Samstag, 18. September, Friedericus
ОглавлениеLena fuhr sich durch die Haare und zupfte ihren Pony zu Recht. Die Bewegungen wirkten kantig und aufgesetzt.
„Hast du eine Zigarette?“
Aaron verneinte. Geraucht hatte er noch nie. Er wusste, dass es Lenas Laster war. Eigentlich mochte er Frauen nicht, die rauchten. Die nach Qualm rochen und ihre Kippen durch die Gegend schnipsten. Und dabei lässig lachten. Aber Lena roch nicht nach Qualm. Und sie lachte nicht lässig, sie lächelte. Sie roch nach Rosenduft und nach früher. Lena war Julia und Lena war eine Ausnahme. Bei ihr würde er eine Ausnahme machen. Heute hatte er vielleicht die Gelegenheit dazu.
„Was willst du jetzt machen?“
„Wegen der Scheidung, meinst du?“
„Ja.“
„Ich rudere ziemlich. Aber ich will die Kinder behalten.“
„Du liebst deine Kinder sehr, oder?“
Lena legte ihren Kopf schief und zog ihre Augenbrauen nach oben. Aaron kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Beide Augenbrauen nach oben hieß: na-hör-mal, nur eine Augenbraue hieß: meinst-du-das-jetzt-ernst? Gerade waren eindeutig beide Augenbrauen oben. Da hieß es na-hör-mal.
„Na hör mal! Als Mutter liebt man seine Kinder. Deine Kinder liebst du wie nichts anderes. Da kann kommen was will.“
„Das verstehe ich.“
„Nein, das verstehst du nicht.“ Lena kramte wie wild in ihrer Tasche. Frauen konnten unglaublich viel aus ihrer Tasche zutage fördern. Und diese Tasche hatte viel mehr Fassungsvermögen als die Sporttasche eines Mannes. Aber offensichtlich gab es darin keine einzige, verlorengegangene Zigarette mehr. Lena gab die Kramerei auf und zerdrückte stattdessen nervös die Zuckerkrümel, die auf ihre Untertasse gefallen waren. „Wenn man keine Kinder hat, dann kann man das nicht verstehen. Ich hab das vorher auch nicht verstanden.“
„Soll das jetzt ein Vorwurf sein?“
„Nein. Soll es nicht. Aber es ist echt bescheuert. Da meckern die einem den ganzen Tag die Ohren voll, mäkeln an diesem und jenem, das Essen schmeckt nicht, die Sonne ist zu heiß, der Kindergarten blöd und die Mutter sowieso, weil sie einem nie was erlaubt. Überhaupt ist in ihren Augen alles blöd wenn‘s nicht nach ihrer Nase geht. Die Butter auf ihrem Brot ist zu dick geschmiert oder zu dünn, die Salami fällt ständig runter, weil du sie nicht richtig draufgelegt hast und der Rand ist zu hart. Jeder normale Mensch würde so jemandem die Freundschaft kündigen. Aber es sind deine Kinder. Und wenn sie dann ihre Arme zärtlich um dich schlingen, dich abknutschen und mit einem bezaubernden Augenaufschlag erklären, dass du die beste Mami auf der ganzen Welt bist, dann glaubst du denen das auch noch. Und der ganze Scheiß von vorher ist wieder vergessen. Weil‘s deine Kinder sind. Und niemand darf denen was antun.“
Der unsichere Ausdruck war einem weicheren gewichen. Lena die Mutter. So hatte Aaron sie sich nie vorgestellt. Damals in der Schule machte man sich keine Gedanken, ob man mit jemandem alt werden wollte. Nicht als Mann jedenfalls. Diese sentimentalen Gefühle und verklärten Zukunftsvorstellungen überließ man den Frauen.
„Und was ist mit Rüdiger?“
„Das ist ein selbstverliebter Arsch!“
„Das hätte ich dir schon vorher sagen können.“
„Danke.“
„Bitte. Du wolltest ja nicht auf mich hören.“
„Er hat eine andere. Mit der wohnt er zusammen, holt die Kinder jedes zweite Wochenende ab und bringt sie schön am Sonntagabend wieder. Er versucht, sie mit Geschenken und schönen Ausflügen zu bestechen und macht einen auf tollen Papi.“
„Und, ist er’s?“
„Natürlich nicht. Aber jetzt kann er ja gut der tolle Papi sein: macht keine Vorschriften, muss die Kinder nicht pünktlich ins Bett bringen, liest vor und baut Sandburgen.“
„Hat er vorher nicht gemacht?“
Lena lachte. Nicht nett, sondern hässlich. Das galt dem Vater der Kinder, nicht Aaron natürlich.
„Was würdest du denn sagen, wenn jemand um halb acht heim kommt und sich auch Wochenends hinter der Arbeit vergräbt? Natürlich hatte er keine Zeit. Einer musste ja das Geld verdienen. Das war sein Argument. Dagegen konnte ich nichts sagen. Aber dass er sich auf der Arbeit von seiner liebreizenden Sekretärin hat den Kaffee bringen lassen und auch sonst nach Feierabend nicht immer gleich nach Hause kam, weil er noch anderen Interessen nachging, die ich besser nicht erfahren sollte, dagegen konnte ich auch nichts sagen. Das hat er mir ja nicht erzählt.“
„Natürlich nicht.“
„Und jetzt stehe ich da, mit den Kinder, in dem großen Haus und muss sehen wie ich klar komme.“
„Bekommst du Unterhalt?“
„Ja. Den Unterhalt zahlt er. Aber das war ein ganz schöner Kampf. Du kannst dir vorstellen, dass das Nerven gekostet hat.“
Aaron konnte sich das vorstellen. Aber wahrscheinlich konnte man sich auch das nur wirklich vorstellen, wenn man es selbst erlebt hatte. Lena tat ihm leid.
„Und jetzt arbeite ich im Reismuseum in Mannheim. Aushilfsweise, wenn sie mich brauchen, und samstags. Da kommt kein wirklich geregeltes Gehalt heraus, aber was will ich machen. Ich schaue mich weiter um. Mit drei kleinen Kindern kann man keine großen Sprünge machen. Und als Kunsthistorikerin sind die Stellen nicht gerade üppig. Im Moment geht es noch ganz gut, weil Rüdiger einigermaßen zahlt. Aber was weiß ich, was später ist. Als Frau muss man heutzutage sehen, wie man über die Runden kommt.“
„Früher hast du ganz anders geklungen.“
„Ja? Wie denn?“ Lena lehnte sich zurück und nippte an ihrem Latte Macchiato.
„Du warst ziemlich selbstbewusst. Du hast dir genommen, was du gewollt hast. Und die Jungs sind dir hinterher gelaufen. Ich inklusive.“
„Ach so?“ Lena tat kokett, so, als höre sie das zum ersten Mal. „In der Schule war das Leben auch noch leichter. Da erzählt einem jeder, dass die Welt nur auf dich wartet. Und wenn du im Studium gute Noten hast, dann sind die Praktika auch kein Problem. Ich war ein Semester in Frankreich und eins in der Schweiz. Zwischendurch hab ich Urlaub gemacht und nebenbei gejobbt. Alles easy.“ Lena entspannte sich bei jedem Schluck, den sie aus ihrem Röhrchen zog. „Und bei dir?“
„Wenn du’s so willst: auch alles easy. Ich arbeite als Informatiker, hab ein gutes Einkommen, komme jeden Abend um sieben nach Hause und kann mir dann überlegen, mit welcher der vielen Frauen ich heute mal ausgehen möchte.“
Eine Augenbraue. Die linke. „Meinst du das jetzt ernst?“
Lena war naiv geworden. Früher hätte sie keine Sekunde lang die Unwahrheit dieser Aussage angezweifelt.
„Doch, doch, ich kann mich kaum retten vor Angeboten. Die Frauen hängen geradezu an meinen Lippen. Kannst du sie nicht sehen?“
Lena schaute sich um.
„Nö, gerade nicht. Wo sind sie?“
„Ach, dann sind sie wohl schon gegangen. Haben gemerkt, dass sie gegen dich nicht ankommen. Aber warte nur, wenn du weg bist kommen sie alle wieder. In Scharen.“
„Du bist lustig, Aaron. Ich hab dich ganz anders in Erinnerung.“
„Ich bin schon immer lustig, Lena. Du wolltest es nur nicht wissen. Aber das hatten wir schon, ich will mich nicht wiederholen.“
„Wiederhol dich ruhig. Es gibt Dinge, die muss man mehrmals hören, um sie zu begreifen.“ Lena schaute auf die Uhr. Es war zehn nach vier.
„Musst du schon wieder los?“
„Nein. Ich hab gesagt, dass ich um sechs Uhr wieder da bin. Wir haben noch Zeit.“ Lena schlürfte lautstark ihren letzten Milchschaum mit Vanillegeschmack aus und blätterte auf die letzte Seite der Karte. „Welcher war der gute Wein?“
„Der Silvaner. Aber den magst du doch nicht.“
„Früher mochte ich auch Rüdiger. Komm, den trinken wir. Trinkst du mit?“