Читать книгу Der Himmel kann warten - Katrin Zimmer - Страница 7
Samstag, 25. September, 15.42 Uhr
ОглавлениеDie Krankenhausluft war widerlich. Ich hasste Krankenhäuser. Man sollte am Eingang Atemmasken verteilen, aber vielleicht war das genau der Trick der Krankenhäuser: noch mehr Patienten durch schlechtere Luft. Wahrscheinlich hatten sie einen Deal mit den Ärzten. Ihr gebt uns die Patienten und wir ihnen die schlechte Luft. Das Geld geben dann die Krankenkassen. Und woher nehmen die’s? Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Ich würde mich nur unnötig aufregen.
Der Eingangsbereich war groß und unübersichtlich. Ich ging den Gang entlang, wie der Hagere mir empfohlen hatte, und hielt Ausschau nach der Information. Einige Krankenschwestern eilten an mir vorbei, die einen mit Zetteln, die anderen mit Patienten. Die mit den Patienten waren um einiges langsamer unterwegs, weil die Patienten entweder schon so alt waren oder so krank. Wahrscheinlich beides in den meisten Fällen, sonst wären sie nicht hier. Aber besonders freundlich guckte keine von den Schwestern, die meinen Weg kreuzten, also suchte ich alleine weiter. Ich hielt mich an die Schilder und als ich die für den Aufzug entdeckte, merkte ich, dass ich an der Information wohl schon längst vorbei gekommen sein musste. Ich wanderte zurück.
„Frau Schiller, sagten Sie?“
„Ja. Nora Schiller.“
„Einen Moment bitte.“ Die Frau an der Information verschwand hinter ihrem Computer.
„Schiller wie der Schiller?“
„Ja. Wie der Dichter.“
„Tut mir leid, aber die habe ich hier nicht auf meiner Liste.“ Die Frau schüttelte bedauernd den Kopf. „Ein Neuzugang?“
„Ja.“
„Dann mal noch einen Moment.“
Natürlich. Ich wartete.
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Auch bei den Neuzugängen nicht. Tut mir leid. Haben Sie sich vielleicht im Krankenhaus geirrt?“
Vielleicht schaute ich dämlich. Vielleicht hielt man mich für geistig verwirrt und würde mich gleich in die Psychiatrische bringen. „Wir sind doch hier in der Klinik in Ludwigshafen. Oder etwa nicht?“
Ich wollte nur zu Nora.
„Ja. Da sind sie richtig.“ Die Frau betrachtete mich mitleidig. „Wann ist sie denn eingeliefert worden?“
„Eben, denke ich. Ich bin auch gerade erst mit dem Rettungswagen hierhergekommen.“
„Ohne Frau Schiller?!“
„Ja. Man hat sie hierhergeflogen. Das hat mir zumindest der Herr Schrott gesagt. Kennen Sie den?“
„Nein, den kenne ich nicht. Aber wenn das gerade eben erst war, dann kann es gut sein, dass wir sie noch gar nicht in der Datei der Neuzugänge erfasst haben. Dann fragen Sie doch bitte direkt in der Notaufnahme nach.“
„Wo muss ich da hin?“
„Sie gehen da vorne den Flur entlang, dann rechts. Dann sehen Sie schon das Schild „Notaufnahme“.
„Danke.“
Vor der Notaufnahme standen eine Menge Stühle, die fast alle besetzt waren. Man sah den meisten Patienten nicht an, warum sie hier saßen. Die konnten nicht so wichtig sein. Nicht so wichtig wie meine Nora, die gar nicht sitzen konnte. Die wie auf Rosen gebettet war, damit sie sich nicht noch mehr verletzte. Hier war keiner auf Rosen gebettet. Weit und breit nicht.
„Entschuldigung, bin ich hier richtig in der Notaufnahme?“
„Drängeln Sie sich nicht vor!“
Ich hatte den älteren kleinen Mann übersehen, der so halb schräg an der Anmeldung lehnte.
„Entschuldigung, ich wollte mich nicht vordrängeln. Ich wollte mich nur erkundigen, ob meine Freundin hier liegt.“
„Hier liegt keiner, das sehen Sie doch!“
Ich wusste, warum ich Krankenhäuser nicht mochte. Die Menschen waren alle so humorvoll.
„Das sehe ich. Aber man wird ja wohl mal fragen dürfen!“
Der Mann grummelte in Motzdeutsch und deutete an, dass ich mich vordrängeln durfte, wenn ich denn so unverschämt sein wollte.
„Danke, das ist nett von Ihnen!“ Ich stellte mich an den Tresen und wartete auf den nächsten freien Mitarbeiter. Herr Miesepeter stand dicht hinter mir. Dabei war sein Atem genauso schlecht wie seine Laune.
„Guten Tag! Ihr Name?“ Ein freundlicher junger Mann in grüner Krankenhauskluft pflanzte sich schwungvoll auf den Drehstuhl, der hinter dem Tresen stand.
„Keller. Aaron Keller.“
„Ihr Versichertenkärtchen?“
„Ich glaube das brauche ich nicht.“
„Doch, doch, das brauchen Sie schon.“
„Nein. Ich wollte nur fragen, ob hier eine Nora Schiller eingeliefert wurde.“
„Da müssen Sie an der Information nachfragen.“
Himmel hilf mir! „Da komme ich gerade her. Die Frau hat mich aber zu Ihnen geschickt. Nora ist ein Notfall, sie muss erst vor kurzem hier eingeliefert worden sein.“
„Ach so, warten sie einen Moment!“ Der junge Mann drehte sich zu der Drehtür um, aus der er zuvor gekommen war. „Norbert? Haben wir gerade eine Nora Schiller rein bekommen?“
Rein bekommen. Wie das klang! Als wären wir hier im C&A: „Frau Werner, haben wir schon die neue Kollektion Damenblusen rein bekommen? – Nein, die Blusen sind noch nicht da. Kommen Sie doch bitte in zwei Wochen noch einmal vorbei.“ Wie unpassend.
Der junge Mann hieß übrigens Geist. Nicht Herr Geist, einfach nur Geist. Genauso wie Schrott. In der Medizin hatte man es offensichtlich nicht so mit der korrekten Ansprache. Jeder wusste, was gemeint war. Das Herr oder Frau davor konnte man sich sparen. Nur keine Zeit verlieren, hier ging es schließlich um Menschenleben!
„Ja.“
Herr Geist wendete sich zu mir. „Mein Kollege sagt ja.“
„Kann ich zu ihr?“
„Sind Sie Ihr Mann?“
„Nein, ihr Bruder.“
„Ich weiß nicht, ob das jetzt geht. Frau Schiller ist gerade im CT. Außerdem ist sie sediert. Setzen Sie sich doch bitte noch einen Moment vor die Computertomographie. Dort kann man Ihnen vielleicht Auskunft geben. Wenn Sie wieder zurückgehen Richtung Ausgang und dann rechts abbiegen, dann kommen Sie hin.“
„Danke!“
Es war zum Verrücktwerden. Man schickte mich von Station zu Station. Und immer musste ich rechts abbiegen. Wobei das rechts genaugenommen ein links war, wenn man es von der anderen Seite, also vom Ausgang her, betrachtete. Je länger ich lief, desto wacher wurde ich. Desto tiefer drang ich ein in die harte Realität. Ich sah das Bild von Nora vor meinen Augen. Immer und immer wieder. Ich sah, wie sie auf die Straße lief und wie einen Bruchteil einer Sekunde später schon der laute Klatsch des Aufpralls zu hören war. Noras Aufprall. Wenn ich doch bloß die Zeit zurückdrehen könnte. Ich hätte sie festhalten können! Ich hätte sie daran erinnern können, dass man nicht einfach wie ein dreijähriges Kind über die Straße lief. Ich hätte ihr erklären können, dass es sich nicht rentierte ein Menschenleben für das einer Katze aufs Spiel zu setzen, die ohnehin schon halb tot war. Katzen hatten immerhin sieben Leben, Nora hatte nur das eine.
Ich setzte mich auf einen freien Stuhl vor der Computertomographie und wartete artig, bis sich jemand vom Personal blicken ließ, den ich fragen konnte.