Читать книгу Der Himmel kann warten - Katrin Zimmer - Страница 5
Samstag, 25. September, 15.02 Uhr
ОглавлениеDer Sanitäter hieß Schrott. So zumindest stand es auf seinem Namensschildchen. Noch nicht einmal Hr. Schrott. Einfach nur Schrott. Er tat mir leid, ich an seiner Stelle hätte meine Mutter verklagt. Oder besser: meinen Vater. Oder den Namen meiner Frau angenommen. Heutzutage ist das ja keine große Sache mehr. Aber Schrott trug seinen Namen mit Fassung, genauso wie er das Schildchen mit Fassung trug. Vielleicht war er auch gar nicht verheiratet oder solidarisierte sich lediglich mit seinem Einsatzfahrzeug.
Der Wagen war eine Katastrophe. Die Federung war so erbärmlich, dass man bei jeder Bodenwelle seiner Sitzhöcker gewahr wurde. Wenn ich eine Nierenkolik gehabt hätte oder sonst was Schmerzhaftes, ich wäre dem Herrn Schrott schon längst an die Kehle gegangen. Ich war noch niemals in einem Ambulanzwagen gefahren, aber ein bisschen komfortabler hatte ich es mir schon vorgestellt. Gut, dass Nora das erspart blieb.
Wahrscheinlich war der Hubschrauber vor uns da. Ganz bestimmt war er das. Ich wollte raus. Ich hörte Noras Stöhnen in meinen Ohren. Bei jeder Unebenheit der Straße erschütterte ihre hilflose Stimme mein Trommelfell. Ich musste ihr helfen.
Die Umstände sprachen dagegen. Inzwischen standen wir an der fünfundzwanzigsten Ampel zwischen Neustadt und Ludwigshafen. Wo doch die längste Strecke aus Autobahn bestand. Ich starrte aus dem Fenster. Herr Schrott auch. Er hatte es aufgegeben, mich zu ermuntern, und das war mir auch lieber so.
Draußen zogen die anderen Autos an uns vorbei, während wir nicht vorwärts kamen. Ich hatte den Fahrer im Verdacht, dass er stundenlang im Kreis fuhr, weil er keinen Bock mehr auf den nächsten Einsatz hatte. Aber der Pfeil auf dem Schild neben uns an der Ampel, das erste, das ich entdeckte, deutete nach rechts. Klinikum war darauf zu lesen. Na Gott sei Dank! Dann konnte es nicht mehr weit sein.
Der Fahrer legte einen regelrechten Kavaliersstart hin. Ein ungeahnter Temperamentsausbruch, der den beleibten Körper des Fahrers plötzlich durchzuckte. Selbst Herr Schrott, der die ganze Fahrt über recht regungslos auf seinem Sitz gesessen hatte, ließ sich zu einer Frotzelei hinreißen „He Manni, ist deine Flamme wieder da oder hast du nen Vertrag mit meiner Krankenkasse?“
Manni lachte wie ein Reibeisen. Eine Schachtel verrauchte der bestimmt am Tag. Eher drei. „Nä, awwer mei Kläni. Die kummt nur alle Schaltjohr mol.“
„Welche? Die von der Hilde oder die von der Gisela?“
„Die vun meim Sohn, du Schossel.“
„Du hast schon Enkel?“
„Awwer sicher. Vier sogar.“ Manni war hörbar stolz auf seinen Nachwuchs. Und um seinem Stolz Ausdruck zu verleihen bogen wir mit geschwellter Brust in doppeltem Tempo um gefühlte zwanzig weitere Ecken bis wir unser Ziel endlich erreicht hatten.
Die Gastfreundschaft endete hier.
„Kommen Sie zurecht?“, fragte mich der Herr Schrott.
Ich lugte vorsichtig aus dem Fenster. Das Gebäude war nicht gerade klein, aber ich würde mich schon zurechtfinden. Hauptsache raus aus diesem Krankenwagen.
„Gehen Sie den Haupteingang da rein und dann immer geradeaus bis Sie an die Rezeption kommen. Die können Ihnen sicher Auskunft geben, wo Sie ihre Frau finden.“ Schrott klatschte mir noch einmal mitfühlend auf die Schultern und verschwand mit einer Zigarette hinter dem Wagen. Zusammen rauchten sie also vier.