Читать книгу Der Himmel kann warten - Katrin Zimmer - Страница 13

Sonntag, 26. September, 3.12 Uhr

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Ich knipste den Fernseher an. Um drei Uhr nachts kam nichts Bemerkenswertes mehr, aber alles war besser als mit wirren Gedanken einzuschlafen. Ich musste mich ablenken.

Es gab viel zu viele Kanäle, auf denen nur Schrott kam. Schrott. Der Sanitäter aus dem Rettungswagen. Was der jetzt wohl machte. Sicher hatte er noch einige Einsätze gefahren bevor er Feierabend machen konnte. Für ihn alles Routine: zur Einsatzstelle fahren, Patienten erstversorgen, Angehörige trösten, Leute sterben sehen, nach Hause gehen, zu Abend essen. Alles Routine. Er war sicher schon Anfang fünfzig, der Herr Schrott. Vielleicht auch Ende vierzig, Zigaretten ließen die Menschen schneller altern.

Nächster Kanal. Es war hoffnungslos, irgendetwas Ansprechendes zu finden. Aber wie viele Nachtwandler gab es auch schon, für die es sich lohnte ein attraktives Programm in der Nacht anzubieten. Talkshows, Wiederholungen, Dauerwerbesendungen. Selbst für die Sexfilmchen war es zu spät. Aber die Frauen in den jaguargemusterten Blusen und den unglaublich hässlichen, schwarzen oder lila Steghosen konnten immer. Immer lächelnd, immer gemakeupt und immer ein paar Kilo zu schwer, priesen sie mit ihrem Blendax-Lächeln noch nachts um drei die Superabnehmpillen von Doktor Dingsbums an. Dreißig Kilo in einem halben Jahr. Auch ich könne das schaffen. Bla, bla. Dann folgten schreckliche Vorher-Nachher-Bilder und der Aufruf, meinen Geldbeutel zu erleichtern, weil ich für den Einsatz von nur fünf Prozent meines Monatsgehaltes meine Lebensqualität um zweihundert Prozent steigern könnte. Was wären da schon läppische hundertfünfzig Euro gegen ein glückliches restliches Leben!

Ich zappte weiter zu Liz Taylor und der Katze auf dem heißen Blechdach, Wiederholung Nummer 498. Ganz guter Film, leider schon zur Hälfte rum. Außerdem brauchte ich was Hirnfreies. Irgendeinen Actionfilm zum Berieseln lassen. Irgendwas mit weniger Realitätsbezug. Wenn Züge durch die Gegend flogen oder Helden kilometerweise über den Asphalt geschleift wurden und anschließend lediglich mit einem kleinen Kratzer noch die Welt retteten bevor sie Ihre Geliebte küssten, dann war das genau das richtige. Kein Psychodrama, kein echtes Blut. Ein bisschen Herumgeballere hier, ein paar aufgeblasene Muskeln da und am Ende war alles gut, die Bösen besiegt und das Popcorn leer. Es gab aber keinen ordentlichen Actionfilm, und Popcorn hatte ich auch nicht. Und mein letzter Kinobesuch war schon lange her.

Es war hoffnungslos. Liz Taylor war noch die beste Alternative. Aber was interessierten mich die Probleme anderer Leute, wenn ich selber welche hatte. Das heißt, wenn Nora welche hatte. Ich hoffte, dass Nora noch selig schlief. Dass sie sich ausschlief und am nächsten Tag oder vielleicht auch am übernächsten aufwachte und alles nur geträumt hatte. Dass sie ihre Beine und Arme bewegen konnte und die Ärzte sich getäuscht hatten. Oder das CT-Gerät. Dass die Läsion gar keine war. Die Realität sieht manchmal anders aus als der klinische Befund, das hatte Doktor Müller doch gesagt, wenn ich das richtig verstanden hatte.

Die Krankenschwester, die freundliche mit dem übrigen Essen, hatte übrigens auch gesagt, dass ich Noras Sachen einpacken und in die Klinik bringen sollte. Ihre Krankenkassenkarte, ihr Ausweis, Waschsachen, Kleider, das Wichtigste eben. Bisher hatte sie ein Flügelhemdchen an, sagte die Schwester, das wäre zwar praktisch, aber keine Lösung. Und Nora musste voraussichtlich länger im Krankenhaus bleiben. Ob sie keine Verwandten hatte, die informiert werden müssten, hatte sie mich gefragt. Aber ich kannte keine Verwandten, also hatte ich verneint. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Eltern? Ich würde mich darum kümmern, habe ich gesagt. Scheiße, die Eltern. Und wie kam ich an Noras private Sachen ran? Ich wusste zwar, wo sie wohnte, aber das alleine reichte bei Weitem nicht aus, um in ihre Wohnung zu kommen. Nora hatte mir auch nichts über ihre Familie erzählt. Nicht viel. Ich wusste, dass sie eine ältere Schwester hatte und keine Eltern. Nora hatte behauptet, dass sie noch niemals welche gehabt hätte. Und das mit einer Leichtigkeit, mit der Pippi Langstrumpf behauptete, die Leute in Südamerika liefen rückwärts. Ich hatte es nicht in Frage gestellt. Nora war so unglaublich authentisch und ehrlich, auf ihre Art, dass man nichts infrage stellen wollte. Und jetzt musste ich sehen, wie ich das alleine bewerkstelligte.

Der Himmel kann warten

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