Читать книгу Truth & Betrayal - K.C. Wells - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеJake folgte Liam in ein kleines Wohnzimmer. Eine Wand wurde von einer großen Couch eingenommen, der zwei Sessel gegenüberstanden, dazwischen ein Couchtisch. Das Zimmer machte einen eher spartanischen Eindruck. Nicht wirklich anheimelnd. Es gab noch ein hohes, schmales Bücherregal ohne Bücher und abgesehen vom Fernseher keine weiteren Möbel.
Das alles verbreitete die Atmosphäre einer eben erst bezogenen Wohnung, in der noch alles auszupacken war.
Liam deutete auf die Couch. »Bitte, setz dich. Ich hole den Tee. Gesüßt oder ungesüßt?«
»Süß, bitte.« Er wartete, bis Liam den Raum verlassen hatte, dann sah er sich um und nahm die Umgebung in sich auf. Es schien keine große Wohnung zu sein, aber er schätzte, dass der Platz für zwei Personen ausreichend war. Sein Blick fiel auf den Couchtisch und er hielt den Atem an. Dort lag ein Laptop, dessen dunkelgraue Farbe unter zahlreichen Aufklebern aller Art kaum zu erkennen war.
Oh mein Gott. Er hat das Ding immer noch benutzt? Jake hatte vermutet, dass der Laptop schon vor langer Zeit kaputtgegangen war.
Er zuckte zusammen, als Liam ein hohes Glas vor ihm abstellte. »Lieber Himmel!«
»Entschuldige. Ich hätte mich bemerkbar machen sollen. Du hast ausgesehen, als wärst du meilenweit entfernt.« Liam setzte sich Jake gegenüber auf einen der Sessel. Die Beine hatte er überkreuzt, sein rechter Arm ruhte auf seinem Oberschenkel, der linke auf der Sessellehne, in der Hand hielt er sein Glas.
Unbehagliches Schweigen breitete sich aus, was Jake nicht störte. Er war immer noch durcheinander, weil er beim Hereinkommen Liam vorgefunden hatte. Jake trank einen Schluck Tee und musterte den ihm gegenübersitzenden Mann verstohlen. Liams Augen waren von so dunklem Braun, dass sie beinahe schwarz erschienen, seine dunkelbraune Haut hatte einen kühlen Unterton. Über der vollen Oberlippe war die Andeutung eines Schnurrbarts zu erkennen, der zu den Stoppeln auf seinem Kinn passte. Sein kurz geschnittenes, an den Seiten nahezu rasiertes Haar war kraus, sah aber dennoch weich aus.
Er trug ein weißes T-Shirt mit einem tiefen Halsausschnitt, das an seinem schmalen Oberkörper klebte und breite Schultern und leicht definierte Oberarme enthüllte. Der violette Gips umschloss seinen rechten Unterarm vom Ellbogen bis über das Handgelenk hinaus. Die Finger seiner linken Hand, die er um das Glas geschlungen hatte, waren lang und schlank.
»Also, warst du schon mal in Atlanta?«
Jake blinzelte, dann errötete er und hoffte sehr, dass Liam nicht aufgefallen war, dass er ihn abgecheckt hatte. Dann wurden ihm Liams Worte bewusst und er starrte ihn ungläubig an. »Echt jetzt? Damit willst du anfangen? Na schön. Nein, ich bin zum ersten Mal hier. Ja, nach dem zu urteilen, was ich auf dem Weg hierher gesehen habe, ist es beeindruckend. Ja, das ist die größte Stadt, in der ich jemals war. Jetzt weißt du's. Sind wir jetzt durch mit dem Small Talk? Können wir uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren?«
Liam nippte an seinem Tee, dann stellte er mit ungerührter Miene das Glas ab. »Wie wär's mit einem etwas höflicheren Verhalten? Denn ich finde, ich war bemerkenswert höflich, als du hier reingekommen bist, wenn man bedenkt, wie du mit mir gesprochen hast. Vergiss nicht, du bist gerade in mein Zuhause reinmarschiert.«
Jake verspannte sich bei der leichten Zurechtweisung, aber er wusste, dass Liam im Recht war. »Es tut mir leid.«
Liams Gesichtsausdruck wurde weicher. »Okay. Ich hatte angenommen, du wüsstest, dass Caleb einen Mitbewohner hatte. Es gab keinen Grund für ihn, das zu verschweigen.«
»Wie lange habt du und Caleb euch schon eine Wohnung geteilt?« Jake konnte es auch nicht verstehen. Dann dachte er darüber nach, dass Caleb nie darüber gesprochen hatte, wo er wohnte. Über seinen Job wussten sie nur, dass er für eine große Versicherungsgesellschaft arbeitete.
»Seit wir unseren Abschluss gemacht haben. Wir haben uns auf dem College kennengelernt. Als wir feststellten, dass wir beide hier einen Job suchen, machte es Sinn zusammenzuziehen.«
Vier Jahre? Jake runzelte die Stirn. Das ist verrückt. »Du bist nicht von hier?«
Liam schüttelte den Kopf. »Meine Familie lebt in Wilmington, in North Carolina.« Er beugte sich vor, die Ellbogen auf den Knien, seine linke Hand stützte die im Gips steckende rechte. »Schau, Jake… Ist es okay, wenn ich Jake sage? So hat Caleb dich immer genannt. Na ja, meistens.«
Jake starrte ihn an. »Und wie hat er mich sonst genannt?«
Liams Lippen zuckten. »Murmelchen. Er sagte, es ist die Abkürzung für –«
»Ja, ich weiß, wofür das die Abkürzung ist.« Als er den vertrauten Kosenamen hörte, wurde ihm die Brust eng, aber er war entschlossen, sich davon nicht aus der Bahn werfen zu lassen. »Du hast dich angehört, als hättest du etwas zu sagen.«
»Ja… Es geht um das, was du auf der Beerdigung zu mir gesagt hast.«
Jake verkrampfte sich. »Was ist damit?«
Liam saß ganz still da. »Gibst du mir wirklich die Schuld an dem, was passiert ist?«
Fuck. Jakes Kopfhaut prickelte und ihm drehte sich der Magen um. »Schau. Ich –«
Liam sprang auf und rieb sich mit der Hand über den Kopf. »Okay. Ich kann verstehen, dass du gerade eine Zielscheibe brauchst, aber vertrau mir, du zielst auf den Falschen. Ich hätte absolut nichts tun können, was den Ausgang der Ereignisse verändert hätte. Ich bin nicht unberechenbar gefahren, ich war aufmerksam… Und lass uns das Ganze mal einen Moment logisch betrachten. Wenn die Polizei gedacht hätte, dass ich in irgendeiner Weise verantwortlich wäre, dann hätten sie mich angeklagt, oder? Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann dem Kerl, der den Sattelzug beladen hat, denn er muss irgendwas getan oder unterlassen haben, dass die Ladung nicht ordentlich gesichert war.« Er schauderte. »Dieser Reifen kam geradewegs auf uns zu und wir konnten nicht ausweichen.« Liam ging zum Fenster hinüber und lehnte sich dagegen, presste die Stirn gegen das Glas.
Der Schmerz in Liams Stimme drang durch Jakes köchelnde Wut. Jake gab es nicht gerne zu, aber seine Worte ergaben Sinn, vor allem der Hinweis auf die Polizei. »Okay. Okay. Du hast recht.« Hatte er das tief in seinem Inneren nicht immer gewusst? Aber es war einfacher gewesen, die Logik zu ignorieren und sich auf den Vorwurf zu konzentrieren.
Erst als Jake versuchte, über seine eigene Wut hinauszusehen, erkannte er, dass er Liam gegenüber nicht fair gewesen war. Was lediglich dazu führte, dass er sich schämte.
Er musste das Richtige tun.
»Es tut mir leid. Ich hätte all diese Dinge nicht sagen sollen.« Jake rieb sich über die Nase. »Caleb sagte immer, dass ich sofort schieße und erst später Fragen stelle.«
Liam ging zu seinem Sessel zurück und setzte sich wieder. »Ich kann verstehen, warum du das alles gesagt hast. Wäre es mein Bruder gewesen? Zum Teufel, ich hätte genau das Gleiche getan.« Er streckte die linke Hand aus. »Sollen wir noch mal von vorn anfangen?«
Angesichts des Gifts, das Jake in seine Richtung verspritzt hatte, war es eine großherzige Geste. Er ergriff Liams ausgestreckte Hand und schüttelte sie unbeholfen. »Hallo. Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Jake, und ich bin ein Arschloch. Manchmal.«
Liam lächelte. »Das darfst du sein. Du bist neunzehn. Und ich hatte durchaus ähnliche Momente.« Er räusperte sich, seine Miene wurde ernster. »Einer davon war, bei der Beerdigung aufzutauchen, ohne euch wissen zu lassen, dass ich komme. Andererseits hattet ihr keine Ahnung, wer ich überhaupt bin, also hätte das nur mehr Verwirrung verursacht.«
»Und das ist genau das, was ich nicht kapiere.« Jake runzelte die Stirn. »Wenn du und Caleb euch seit dem College kanntet, warum hat er dich nie erwähnt? Soll heißen, nicht ein einziges Mal.«
Liams Lippen wurden schmal. »Keine Ahnung. Also lass mich dich was fragen. Hat er jemals irgendjemanden aus Atlanta erwähnt, wenn er zu Besuch nach Hause kam? Hat er über irgendeinen Teil seines Lebens hier gesprochen?«
Jake drehte sich der Magen um. »Um ehrlich zu sein, hat er überhaupt nicht viel geredet. Und wenn er es tat, dann nie über persönliche Dinge.« Da war der vertraute Schmerz in seiner Brust und seine Glieder fühlten sich an wie Blei. »Ich denke, die Antwort ist nein. Es war, als wäre sein Leben hier ein einziges großes Geheimnis.« Seine Augen brannten. Seit wann hatte Caleb ihm etwas verheimlicht? Sicher, Jake hatte Geheimnisse, aber…
Jake hatte sich danach gesehnt, das eine, das ihn innerlich auffraß, mit ihm zu teilen, aber er hatte nie die Chance dazu bekommen. Er würde sein Herz sicher keinem seiner Freunde ausschütten. Caleb war der Einzige gewesen, dem er vertraut hätte, so zu reagieren, wie Jake es brauchte.
»Ich nehm an, du bist wegen Calebs Sachen gekommen?«
Jake begrüßte den Themenwechsel. »Ja. Ich hab Kisten im Pickup.« Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeug Caleb in der Wohnung hatte, aber er wollte alles so schnell wie möglich zusammenpacken und lange vor Einbruch der Dunkelheit auf dem Heimweg sein.
Liam stand auf. »Die wirst du nicht brauchen.« Als Jake ihn fragend ansah, bedeutete er ihm mit der linken Hand, ihm zu folgen. »Komm mit, ich zeig's dir.«
Jake folgte ihm durch die Wohnung und bemerkte die winzige Küche. Es gab kaum Arbeitsfläche und das bisschen, was vorhanden war, wurde von der Mikrowelle und der Kaffeemaschine in Anspruch genommen. In der Ecke stand ein Herd, dessen Edelstahloberflächen glänzten.
Liam folgte seinem Blick. »Keiner von uns war ein Ass in der Küche. Abgesehen vom Frühstück haben wir meistens auswärts gegessen.«
Jake musste lachen. »Das überrascht mich kein bisschen. Mama hat Caleb nicht in die Nähe ihrer Töpfe und Pfannen gelassen, nachdem er in einer irgendwas derart hatte anbrennen lassen, dass sie sie in den Müll werfen musste.« Hinter der Küche gab es nur drei Türen.
Liam deutete auf die offen stehende, die ihnen am nächsten war. »Das ist das Badezimmer, wenn man es so bezeichnen kann. Es ist winzig.« Die Tür daneben war geschlossen. »Mein Zimmer.« Er führte Jake zu der Tür, die noch übrig war, und stieß sie auf. »Das war Calebs Zimmer.«
Jake blinzelte. »Du hast seine Sachen schon eingepackt.« Unter dem Fenster stand ein Doppelbett ohne Bettzeug, darauf mehrere beschriftete Kisten. Die Wände waren kahl, der Tisch leer, darunter befanden sich weitere Boxen.
»Ja, ich wusste, irgendwann würde jemand auftauchen, um alles abzuholen. Aber ganz ehrlich, als ich Mitte Juni immer noch keinen Ton gehört hatte, beschloss ich, alles zusammenzupacken und nach Tennessee zu schicken.« Liam sah sich mit abwesendem Blick im Raum um. »Das hätte für das Wochenende auf meiner To-do-Liste gestanden.«
Er sah einen Moment lang so verloren aus, dass Jakes Herz ihm zuflog. Jake hatte seinen Bruder verloren und Liam einen Freund. Dann drehte sich Liam zu ihm um. »Brauchst du sonst noch was?«
Jake fiel die Liste seines Daddys wieder ein. Er zog sie aus der Tasche und schaute darauf. »Kontoauszüge. Mietunterlagen. Details über seinen Job.«
Liam deutete auf eine Box. »Da drin ist ein Ordner mit all seinen Kontoauszügen. Ich geh davon aus, dass sein letztes Gehalt und alles, was ihm eventuell sonst noch zustand, überwiesen wurde. Mach dir keine Gedanken wegen der Miete. Das ist erledigt. Im Grunde genommen ist alles, was ihn an Atlanta gebunden hat, beendet.« Er seufzte resigniert. »Soll ich dir helfen, den ganzen Kram zu deinem Pick-up zu bringen?«
»Das wär nett.« Jake lächelte. »Nachdem ich meinen Tee ausgetrunken hab.«
Liam schmunzelte. »Ja, entschuldige. Ehrlich, ich wollte dich nicht loswerden. Ich dachte nur, du hast noch eine lange Heimfahrt vor dir.« Er verließ das Schlafzimmer und Jake folgte ihm zurück ins Wohnzimmer. Als sie durch den Flur gingen, nahm Liam sein Handy vom Tisch. »Nur so ein Gedanke«, sagte er, als sie sich setzten. »Wie wäre es, wenn wir Nummern tauschen? Dann können wir uns miteinander in Verbindung setzen, wenn ihr etwas nicht finden könnt oder hier was auftaucht, das ich übersehen hab.«
»Das macht Sinn.« Jake reichte ihm sein Handy und nahm Liams entgegen. Er tippte die Nummer ein und speicherte sie in den Kontakten. Nachdem das erledigt war, lehnte er sich mit dem Glas in der Hand zurück. Er hatte ein unangenehmes Gefühl im Magen. »Wegen der Beerdigung…«
Liam winkte ab. »Schon okay. Das haben wir hinter uns.«
»Nein, haben wir nicht.« Jake stellte sein Glas ab. »Ich möchte mich dafür entschuldigen, wie einige Leute auf dich reagiert haben. Das ging zu weit. Falls es dir nicht aufgefallen ist, LaFollette ist nicht gerade…« Er dachte darüber nach, wie er es am höflichsten ausdrücken sollte.
»Ja, ich kam mir vor wie ein Schaf, das in eine Versammlung von Wölfen gestolpert ist.« Liam zuckte die Schultern. »Glaub mir, es war keine Überraschung. Caleb hat mir von seiner Heimatstadt erzählt. Um fair zu sein, meine ist nicht viel anders. Der Anteil der Afroamerikaner ist vielleicht etwas höher, liegt aber immer noch unter zwanzig Prozent.« Seine Augen funkelten. »Nichtsdestotrotz gab es bei der Beerdigung einen Moment, da hab ich erwartet, dass jemand anfangen würde, Mistgabeln zu verteilen. Ich konnte sie fast hören. Du bist nicht von hier, oder, du –? Hier bitte eine rassistische Beleidigung deiner Wahl einsetzen.«
Jake erstarrte. »Du hast das bemerkt?« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh es nicht. Diese Leute sind angeblich Christen und dieses… Verhalten war alles andere als christlich.«
Liam legte den Kopf schief. »Ich nehme an, du siehst das anders?«
Lieber Himmel, das war mal eine Frage. Jake nahm sein Glas und trank es halb aus. »Lass es mich so sagen: In meiner Klasse an der Highschool waren nur Weiße. Tatsächlich hatte die Schule ungefähr eintausend Schüler und nur eine Handvoll waren nicht weiß. Zwei der Kids waren Afroamerikaner und, na ja, sie taten mir leid.«
»Warum?«
Jake seufzte. »Sie waren an die Schule geholt worden, um für die Cougars Basketball zu spielen. Das ist das Schulteam. Ich sage jetzt nicht, dass sie Anfeindungen der anderen Kinder ausgesetzt waren, denn das war nicht der Fall. Sie wurden einfach… nirgends miteinbezogen.«
»Und du hattest das Gefühl, dass das falsch war«, sagte Liam leise.
»Ja.« Total falsch. »Die jüngere Generation kapiert es scheinbar langsam, aber die Leute in LaFollette? Es spielt keine Rolle, was im Rest des Landes passiert – sie sind noch nicht so weit.«
»Lass ihnen Zeit. Es gibt Hoffnung.«
Jake hatte in letzter Zeit irgendwie alle Hoffnung verloren. »Da bin ich nicht so sicher.«
»Du hast es selbst gesagt, die jüngere Generation ist auf einem guten Weg. Nun, sie sind die Zukunft. Du bist die Zukunft.«
Jake musste lächeln. »Du auch. Ich schätze, du bist so alt wie Caleb. Also sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig? Kommt mir so vor, als hättest du auch genügend Zeit, etwas zu verändern.« Sein Blick fiel auf den Laptop und er beugte sich vor, strich mit der Hand über die mit Aufklebern übersäte Oberfläche. »Ich hätte nie gedacht, dass ich den noch mal wiedersehe. Meine Eltern haben ihn Caleb geschenkt, als er in der zwölften Klasse war. Ich war mir sicher, dass mittlerweile jemand draufgetreten ist, das Ding den Geist aufgegeben hat, oder was auch immer.«
»Ich hab ihm so oft gesagt, dass er einen neuen braucht, aber nein. Caleb bestand darauf, den hierzubehalten, obwohl er langsamer arbeitet, als Melasse fließt. Er hat so oft Dateien oder Programme gelöscht, um ihn am Laufen zu halten.«
Jake griff nach dem Laptop und legte ihn auf seine Knie. »Ich war zehn oder elf, als er ihn bekommen hat. Er wurde jedes Mal fuchsteufelswild, wenn er mich dabei erwischt hat, wie ich versuchte, sein Passwort herauszufinden. Und ich hab's nie geschafft.« Er streichelte das Gerät beinahe liebevoll. »Vielleicht habe ich jetzt mehr Glück.«
»Du nimmst ihn mit?«
Der scharfe Unterton in Liams Stimme machte Jake neugierig, er hob ruckartig den Kopf und sah Liam an. »Klar. Ich meine, es ist Calebs, richtig? Ich hab gehofft, dass ich ihn selbst benutzen kann, jetzt, wo ich weiß, dass er noch funktioniert.« Er warf Liam einen spekulativen Blick zu. »Oder wolltest du ihn haben?« Jake konnte sich keinen Grund dafür vorstellen.
Liam lächelte. »Nein, natürlich nicht. Wahrscheinlich macht er es eh nicht mehr lange.«
Selbst wenn der Laptop den Geist aufgab, sobald er zu Hause ankam, würde sich Jake niemals davon trennen. Dies war ein Teil von Caleb, ein Teil von Jakes Kindheit. »Ich werd gut darauf aufpassen.« Beinahe ehrfürchtig legte er ihn neben sich auf die Couch. »Okay, wie wär's, wenn wir uns jetzt um diese Kisten kümmern? Dann schaffe ich es vielleicht, noch bei Tageslicht nach Hause zu kommen.«
»Klar.« Liam stand auf. »Wird nicht allzu lange dauern.« Er schaute auf seinen Arm hinunter. »Andererseits… Gott sei Dank werd ich den Gips nächste Woche los.«
»Tu dir nicht weh«, schleuderte Jake ihm entgegen.
»Schau, du kannst nicht all diese Kisten allein –«
»Ich schaff das allein.« Jake schob das Kinn vor.
Liam biss sich auf die Lippe. »Einen Moment klang es so, als würde ich Caleb zuhören. Er konnte auch ein stures Arschloch sein.«
Damit konnte Jake leben.
***
»Das war alles«, sagte Liam, als Jake durch die Haustür kam. Ich hab deine Flasche mit Eistee gefüllt und dir Chips und Snacks eingepackt.
Jakes Magen zog sich zusammen. »Das war nicht nötig.«
»Und ob.« Liam sah ihn freundlich an. »Du bist Calebs kleiner Bruder.«
Jake schlug ihm auf den gesunden Arm. »Hey, so klein nun auch wieder nicht.« Was für einen Unterschied ein paar Stunden gemacht hatten. Beschämt erinnerte er sich an die Wut und Feindseligkeit, mit denen er Liam begegnet war, als er hier ankam. »Es tut mir leid, wie ich vorhin mit dir gesprochen hab. Ich –«
»Du musst wirklich aufhören, dich zu entschuldigen«, sagte Liam mit finsterem Blick. »Ernsthaft. Ich dachte, wir kommen jetzt gut miteinander aus.«
»Tun wir doch«, protestierte Jake. Es hatte sich herausgestellt, dass Liam ein netter Kerl war.
»Dann verabschieden wir uns jetzt. Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennengelernt haben.« Liam hielt ihm die linke Hand hin und Jake schüttelte sie. »Pass auf dich auf und gute Fahrt zurück nach Tennessee. Du könntest mir allerdings einen Gefallen tun.«
»Klar, welchen?«
»Du hast meine Nummer. Schreibst du mir, wenn du da bist? Nur damit ich weiß, dass du gut nach Hause gekommen bist.«
Liams Worte ähnelten frappierend denen seiner Mutter, in ihnen schwang dieselbe Sorge mit – und die gleiche unausgesprochene Angst.
Jake schluckte. »Ich versprech's.« Er nahm die Tasche mit der Flasche und den Snacks und wandte sich zum Gehen. Als er die Türschwelle erreichte, blieb er abrupt stehen. »Moment. Calebs Laptop.«
»Ich hol ihn.« Liam ging ins Wohnzimmer und kam mit dem kostbaren Gegenstand zurück. »Pass auch darauf gut auf. Ich denke immer noch, es wäre ein Wunder, wenn er weiter funktioniert, also mach dir keine Hoffnungen, ihn allzu lange benutzen zu können. Und er kann ein bisschen… launisch sein. Vielleicht solltest du die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Speicher löschen zu lassen. Vielleicht verlängert es seine Lebensdauer ein bisschen, ihn auf die Werkseinstellungen zurückzusetzen.«
Jake klemmte ihn sich unter den Arm. »Ich schätze, das wäre eine Möglichkeit.« Insgeheim war er von der Idee wenig begeistert. Wer wusste schon, welche Informationen der Speicher des Laptops enthielt? Er nickte Liam zu und trat auf den überdachten Gehweg hinaus. Als er die Straße erreichte, drehte er sich noch einmal um. Liam stand am Geländer und beobachtete ihn. Jake hob die Hand und Liam erwiderte die Geste.
Jake stieg in den Pick-up, deponierte den Laptop vorsichtig auf dem Beifahrersitz und legte seine Jacke darauf.
Zeit, nach Hause zu fahren.