Читать книгу Truth & Betrayal - K.C. Wells - Страница 13
Kapitel 9
ОглавлениеDrei Tage später war Jake mehr als sauer.
Warum geht er kein einziges verdammtes Mal ans Telefon?
Drei Tage voller Nachrichten, noch mehr Nachrichten und Anrufe, aber alles, was es ihm einbrachte, war Schweigen. Offensichtlich wollte Liam nicht reden und je länger es dauerte, umso wütender und emotionaler wurde Jake. Er hatte Calebs Tagebuch so oft von vorne bis hinten durchgelesen, dass er es auswendig kannte. Mit seinem Daddy zu arbeiten, bot nicht genügend Ablenkung. Er konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken.
Caleb kann nicht schwul gewesen sein. Ich hätte es gewusst.
Er sagte sich, dass das Tagebuch übertrieben war, es war ja nicht so, dass es eine Menge Details enthielt. Er verglich es damit, was manche Mädchen im Teenageralter in ihre Tagebücher schrieben, wenn sie diese Fantasiegeschichten darüber erfanden, in jemanden verliebt zu sein.
Allerdings wusste Jake tief in seinem Inneren, dass das eine schwachsinnige Theorie war. Er war nicht einmal sicher, warum er überhaupt mit Liam reden wollte. Ursprünglich hatte Jake die blödsinnige Idee gehabt, ihn damit zu konfrontieren, ihn zu zwingen zuzugeben, dass Caleb das alles erfunden hatte.
Wem will ich da was vormachen? Das ist einfach nicht stichhaltig.
Jake musste etwas unternehmen. Den Blicken nach zu urteilen, die sein Daddy ihm immer wieder zuwarf, war Jakes Verhalten unberechenbar genug, dass es ihm aufgefallen war. Das Letzte, was Jake wollte, war, dass er anfing Fragen zu stellen, denn es wäre nicht viel nötig und er würde zusammenbrechen.
Es hatte keinen Zweck. Er musste mit Liam reden.
Mittwochabend nach dem Abendessen ging Jake in den Hinterhof hinaus und machte sich auf den Weg zu seinem Baumhaus. Es war Jahre her, dass er dort gespielt hatte. Manchmal waren Pete oder Dan oder andere Freunde zu Besuch gekommen und Mama hatte ihnen Limonade und Chips gebracht. Sie hatten Comics oder Spielkarten dabei, je nachdem, wonach ihnen gerade zumute war, und sich dort oben vor den neugierigen Blicken der Erwachsenen versteckt.
Für einen kleinen Jungen, der seinen Bruder vermisste, waren diese Tage kostbar.
Jake setzte sich unter den Baum, den Rücken gegen den massiven Stamm gelehnt, und zog sein Handy heraus.
Komm schon, Liam. Geh ran. Nur ein einziges Mal. Jake blieb dran, hörte zu, wie es klingelte, wollte nicht aufgeben, als würde Ausdauer irgendwann belohnt werden.
Allem Anschein nach war das der Fall.
Liams Seufzen drang an sein Ohr. »Warum hast du bloß dieses dringende Bedürfnis, mich anzurufen, Jake? Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mittlerweile all deine Antworten hast.« Er hörte sich hundemüde an.
Was auch immer Jake hatte sagen wollen, war wie weggeblasen. »Das ist nicht wahr«, platzte er heraus. Und sobald er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, wie dumm er klang.
Einen Moment herrschte Schweigen. »Oh. Mein. Gott. Wenn das alles ist, was du mir zu sagen hast, beende ich dieses Gespräch auf der Stelle.«
»Warte!« Panik machte sich in ihm breit, sein Herz raste. Zu seiner großen Erleichterung tat Liam, worum er ihn gebeten hatte, und bevor Jake seine Gedanken richtig formulieren konnte, übernahm sein Mund das Kommando. »Caleb war schwul? Du und Caleb… ihr wart wirklich zusammen?«
Noch ein Seufzer. »Du hast den Laptop. Ich weiß nicht, was du dort gefunden hast – ob du mir das glaubst oder nicht –, aber wenn du dir das zusammengereimt hast, dann weißt du, dass du nicht der Einzige bist, der hier leidet.«
Heilige Scheiße. Dann war es tatsächlich wahr. Ein taubes Gefühl breitete sich in ihm aus und verzagt wisperte Jake: »Warum hat er es mir nicht gesagt?«
Einen Moment lang war die Stille so allumfassend, dass er dachte, die Verbindung wäre abgebrochen. »Über dieses Thema könnten wir uns die ganze Nacht unterhalten.«
Das reichte nicht. »Ich muss es wissen. Hat er mir nicht vertraut? Hatte er Angst, wie Mama und Daddy reagieren würden, wenn er sich outet?« Jake zögerte, aber es musste gesagt werden. »War es wegen dir?«
»Was sollte das mit mir zu tun haben?«, fragte Liam in scharfem Tonfall.
Jake prustete. »Oh, um Himmels willen. Du warst bei der Beerdigung. Du hast alle Anwesenden gesehen. Du hast ihre Reaktionen sogar selbst angesprochen. Hatte Caleb Angst, es ihnen zu sagen, weil du schwarz bist?«
Liam schnaubte. »Nun, das ist besser, als ich erwartet hatte. Nach allem, was Caleb mir über eure Stadt erzählt hat, hab ich schon fast damit gerechnet, dass du ein Farbiger sagst. Ich schätze, du und er wart euch ähnlicher, als er dachte.« Noch eine Pause. »Tut mir leid. Ich kann dir nicht helfen.«
»Jetzt warte doch mal!« Erneut kochte Jakes Wut hoch.
»Nein, du wartest mal.« Liam atmete schwer. »Ich verstehe, dass du dieses ganze emotionale Chaos durchmachst. Tja, hier ist eine Neuigkeit für dich – das gilt auch für mich. Du hast deinen Bruder verloren, und ja, ich weiß, dass das verdammt wehtut, aber weißt du was? Ich hab grad den Mann verloren, den ich liebe. Er ist verdammt noch mal direkt neben mir gestorben. Also vergib mir, wenn ich an deinem Selbstmitleid kein Interesse habe. Im Moment hab ich genug damit zu tun, mit meinem eigenen fertigzuwerden.« Und damit legte er auf.
Benommen und verwirrt starrte Jake auf das Display. Was zum Teufel? Auf keinen Fall würde er Liam die Sache so beenden lassen. Nicht, wenn er noch so viele Fragen hatte. Und er lässt sich über mein Verhalten aus?
»Jacob? Komm bitte rein«, rief Daddy von der hinteren Veranda aus.
Aww, Mist. Jake kannte diesen Tonfall. Irgendwas war im Busch. »Komme!« Er kämpfte sich auf die Füße und schob das Handy in die Tasche seiner Jeans. Als er sich dem Haus näherte, sah er, dass sein Daddy auf ihn wartete, und der Anblick reichte aus, dass er sich ein bisschen schneller bewegte.
Daddy deutete hinein. »Geh ins Wohnzimmer. Mama und ich wollen mit dir reden.«
Nicht jetzt, stöhnte er innerlich. Er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam, aber er wusste, dass es nichts Gutes sein würde. Folgsam ging er durchs Haus dorthin, wo Mama neben dem Kamin in ihrem Sessel saß. Jake ließ sich auf der Couch nieder, sein Herzschlag beschleunigte sich. Was soll das alles?
Daddy kam herein und nahm den anderen Sessel in Beschlag. »Okay. Willst du uns sagen, was los ist?«
Jake blinzelte. »Was?«
Daddy durchbohrte ihn mit einem scharfen Blick. »Jacob John Greenwood, denkst du nicht, dass ich dich mittlerweile kenne? Du warst nicht mehr bei klarem Verstand, seit du in Atlanta gewesen bist. Also schätz ich mal, du sagst uns, was dich umtreibt? Und erzähl mir keinen Mist von wegen, du trauerst immer noch um Caleb. Denn natürlich tust du das, genau wie wir. Aber ich kenn dich, Junge. Das ist nicht dasselbe. Dir geht irgendwas im Kopf rum, und das macht dich irre.«
Bevor Jake ihm sagen konnte, dass er falschlag, mischte sich Mama ein. »Du redest kaum noch mit uns. Ich dachte immer, du würdest zu mir kommen, wenn du ein Problem hast.« Sie presste die Lippen zusammen. »Es kommt mir vor, als würde ich dich nicht mehr kennen.«
Oh Gott, der Schmerz, der sich bei diesen Worten in seine Brust bohrte. Jake schnürte es die Kehle zu und er senkte den Blick. Auf keinen Fall konnte er seine Gedanken mit ihnen teilen, aber er musste hier irgendwie durch. »Ich denke…«, setzte er an, aber er fand nicht die richtigen Worte.
»Jacob?« Er hob den Kopf und begegnete dem Blick seiner Mama. »Wenn du dich uns nicht anvertrauen kannst, gibt es jemand anderen, mit dem du reden kannst? Weil ich den Eindruck hab, dass du alles in dich reinfrisst, und das ist nicht gut für die Seele. Soll ich Reverend Hubbert bitten vorbeizuschauen?«
Bloß nicht. Jake atmete schneller. »Schon gut, Mama. Du musst den guten Reverend nicht belästigen.« Eine Idee schoss ihm durch den Kopf und ein Gefühl der Leichtigkeit breitete sich in ihm aus. »Es gibt jemanden, mit dem ich reden könnte… Allerdings ist er nicht hier. Ich würde wegfahren müssen, um ihn zu sehen.«
Mama warf ihm einen spekulativen Blick zu. »Lebt er zufällig in Atlanta?«
Gott segne Mama und ihre Intuition.
Jake lächelte und Erleichterung durchströmte ihn. »Ja, Ma'am.«
»Von wem redet ihr?« Daddy runzelte die Stirn und sah zwischen Mama und Jake hin und her.
»Calebs Mitbewohner.« Sie nickte wissend. »Es liegt auf der Hand, dass er ein guter Gesprächspartner wäre. Und wenn es was helfen könnte, dann musst du natürlich dorthin.« Sie warf Daddy einen finsteren Blick zu. »Findest du nicht auch?«
Daddy räusperte sich. »Sicher. Aber kann das bis zum Wochenende warten? Ich brauche Jacob zurzeit wirklich. Es gibt zu viel zu tun und ich schaff das nicht allein.«
»Na klar.« Jake lächelte seinen Daddy beruhigend an. »Ich lass dich nicht im Stich. Ich breche am frühen Samstagmorgen auf, wie letztes Mal.«
Daddy strahlte. »Du bist ein guter Junge.« Er sah zum Kamin hinüber und seine Miene verhärtete sich. »Gott hat uns mit zwei wundervollen Söhnen gesegnet.«
Jake folgte seinem Blick und hatte plötzlich Schwierigkeiten zu schlucken. Auf dem Kaminsims standen mehrere gerahmte Fotos, von denen eines Caleb in seiner Robe beim Highschoolabschluss zeigte. Jake stand vor ihm, reichte ihm kaum bis zur Schulter. Calebs Hände lagen auf Jakes Schultern und Jake sah bewundernd zu seinem großen Bruder auf.
Jake war nicht überrascht, als Daddy aufstand und den Raum verließ.
Mamas Blick war bestürzt. »Scheint, dass du nicht der Einzige bist, der dieser Tage weniger redet.« Die Bemerkung war so unerwartet, dass Jake innehielt. In diesem Moment war sie mehr als nur seine Mama – sie war die Ehefrau seines Daddys, dessen Seelenverwandte. Dann blinzelte sie und der Moment verging. »Wenn ich jetzt in die Küche gehe, finde ich dann alles Geschirr abgewaschen und weggeräumt vor?« Das Funkeln in ihren Augen war nach der Ernsthaftigkeit der letzten Minuten ein willkommener Anblick.
Jake biss sich auf die Lippe. »Ich fang gleich an, Mama.«
»Tu das.« Sie nahm ihre Stickerei auf. »Bringst du mir ein Glas Eistee, wenn du fertig bist? Du könntest deinem Daddy auch eins bringen.«
»Klar, Mama.« Jake verließ das Zimmer und eilte in die Küche. Während er seine Arbeit erledigte, waren seine Gedanken bereits bei der Fahrt nach Atlanta. Nicht, dass Liam von seinem geplanten Besuch erfahren würde. Oh nein. Jake würde ihm nicht die Möglichkeit geben, eine Ausrede zu finden, warum er nicht dort sein würde. Am Wochenende würde er höchstwahrscheinlich zu Hause sein.
Und dann werden wir reden.
Jake hatte den Laptop gewollt, um irgendwie abschließen zu können, aber das war ihm nicht gelungen. Was er gesehen hatte, hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, und Liam war der Einzige, der ihm diese Antworten vielleicht liefern konnte – immer vorausgesetzt, er ließ Jake in die Wohnung.
***
Jake stellte den Motor ab und gähnte. Gott sei Dank hatte er angehalten und sich ein paar Dosen Energydrinks besorgt. Er hatte in der vergangenen Nacht sehr schlecht geschlafen und war, kaum dass er wach war, in seinen Pick-up gestiegen. Mama war nicht dumm. Die dunklen Schatten unter seinen Augen, die er an diesem Morgen im Spiegel gesehen hatte, konnten ihr nicht entgangen sein, aber sie hatte nichts gesagt, sondern ihm einfach eine Tasche mit Eistee und einem riesigen Sandwich in die Hand gedrückt.
Die Strecke das zweite Mal zu fahren, war etwas einfacher gewesen, und erneut hatte sich das Radio als Glücksfall erwiesen. Alles war besser als Stille. Die brachte ihn nur dazu nachzudenken.
Jake stieg aus dem Pick-up und ging zu den Stufen hinüber, die zu dem überdachten Gehweg führten. Er erreichte die Tür mit der Hausnummer acht und klopfte laut. Liam hatte natürlich Calebs Schlüssel behalten. Als die Tür geöffnet wurde, setzte Jake ein Lächeln auf, nach dem ihm absolut nicht war. »Morgen. Ich –«
Er stand einer jungen Frau mit einem Baby auf dem Arm gegenüber. »Hallo. Kann ich helfen?«
Hinter ihr tauchte ein junger Mann mit einem ungepflegten Bart auf und bedachte ihn mit einem fragenden Blick.
Jake runzelte die Stirn. »Entschuldigen Sie. Ich bin gekommen, um Liam zu besuchen. Er wohnt hier.« Er schaute an dem Paar vorbei in den Flur, an dessen Wänden Kisten aufgestapelt waren. Was zum Teufel?
Der Blick des Mannes wurde freundlicher. »Ah, war das der Typ, der hier vorher gewohnt hat? Er ist vor einer Woche ausgezogen. Wir sind eben erst eingezogen. Als die Wohnung frei wurde, haben wir die Gelegenheit sofort beim Schopf gepackt.« Er deutete auf die Kisten. »Noch herrscht Chaos, aber es wird langsam, nicht wahr, Süße?« Er legte den Arm um die junge Frau.
Jake reagierte schnell. »Haben Sie vielleicht eine Nachsendeadresse für ihn?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der Vermieter meinte, wir sollen seine Post sammeln, er holt sie dann ab und schickt sie weiter. Tut mir leid.«
Jake dankte ihnen und verabschiedete sich, dann ging er benommen den Gehweg entlang.
Wie zum Teufel hat er es geschafft, so schnell umzuziehen? Dann dachte er an den spartanischen Eindruck, den die Wohnung gemacht hatte, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Tja, fuck. Er war nahe dran gewesen, hatte es nur aus der falschen Perspektive betrachtet. Es hatte nicht so ausgesehen, weil jemand eben erst eingezogen war – jemand hatte alles zusammengepackt und war im Begriff gewesen auszuziehen.
Und er hat kein Wort gesagt. Liam musste es gewusst haben. Aber warum hätte er es erwähnen sollen? Es war ja nicht so, als hätte er gedacht, dass er mich je wiedersehen würde.
Der Laptop hatte alles verändert.
Jake stieg in den Pick-up und zog das Handy heraus. Er scrollte durch die Kontakte und rief Liam an.
Er ging nicht ran.
Er versuchte es mit einer Nachricht. Hast du einen Moment? Muss mit dir reden.
Keine Reaktion.
Jake grummelte lautstark. »Nicht schon wieder. Damit kommst du nicht durch.« Er rief erneut bei Liam an, wiederholte das mehrmals, bevor er sich dazu entschloss, es klingeln zu lassen. Es hatte schon mal funktioniert, also warum zum Teufel sollte er es nicht so versuchen?
Nach zehn Minuten ging Liam ran. »Du bist hartnäckig, das muss man dir lassen.«
Jake ignorierte ihn. »Wo zur Hölle steckst du? Und sag nicht, in deiner Wohnung, denn wir wissen beide, dass das eine verdammte Lüge ist.«
Mehrere Sekunden vergingen, dann hörte er Liam schwer seufzen. »Was willst du von mir, Jake?«
Das war eine gute Frage. Dummerweise wusste Jake keine Antwort darauf.