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Kapitel 2
ОглавлениеJake durchlebte die drei Wochen, die auf den Polizeibesuch folgten, eingehüllt in einen betäubenden Nebel. Die Zeit war nicht in Tage eingeteilt, sondern in Vorfälle, und jeder brachte schmerzhafte Stiche mit sich, riss die Wunde erneut auf, bis er sich in sich selbst zurückzog, auf der Suche nach dem Taubheitsgefühl.
Der erste Vorfall war der Anruf des Gerichtsmediziners. Jake hatte neben seiner Mama gesessen und ihre Hand gehalten, während sein Daddy in einem leeren Tonfall gesprochen hatte, den Jake zuvor nie gehört hatte, der aber in letzter Zeit immer häufiger geworden war. Es hatte sich angefühlt, als hätte nur der Mediziner geredet, denn sein Daddy hatte nur wenige Fragen gestellt, und, als das Telefonat beendet war, den Hörer wieder aufgelegt. Dann war er zum Fenster gegangen und hatte eine gefühlte Ewigkeit hinausgesehen. Anschließend hatte er sich zu ihnen umgedreht und ihnen bedächtig, sehr bedächtig erzählt, wie Caleb ums Leben gekommen war.
Scheinbar waren er und ein anderer Mann auf dem Freeway unterwegs gewesen, als ein Sattelzug, der in die entgegengesetzte Richtung fuhr, seine aus Reifen bestehende Ladung verloren hatte, die sich daraufhin über alle Fahrspuren verteilte. Einer der Reifen war von der Fahrbahn abgeprallt, über die Mittelleitplanke gesprungen und hatte direkt die Windschutzscheibe getroffen. Calebs Verletzungen waren so schwer, dass er nach kurzer Zeit verstarb, aber der Fahrer trug nur Prellungen im Gesicht und einen gebrochenen rechten Arm davon.
Das Wissen, dass der andere Insasse des Autos so glimpflich davongekommen war, nagte an Jake, schnürte ihm die Brust zusammen, bis er nicht mehr atmen konnte. Es war lediglich das harte, stakkatoartige Keuchen seiner Mama, das ihn daran erinnerte, dass er nicht der Einzige war, der litt, und er hatte ihre Hand fester umklammert, als würde das etwas helfen.
Nichts würde jemals helfen, und all diese Plattitüden, die Freunde und Nachbarn ihnen auftischten, von wegen, dass die Zeit die Wunden heilen würde? Tja, sie konnten ihren gut gemeinten Mist nehmen und ihn sich sonst wohin stecken. Und das galt ganz besonders für Reverend Hubbert, der weniger ein einzelner Vorfall als vielmehr allgegenwärtig war.
Jake hatte nichts gegen den Reverend persönlich. Er war keiner dieser Hetz-Prediger, aber er hatte während der Gottesdienste gelegentlich Dinge gesagt, die eisige Finger unter Jakes Haut kriechen ließen, die sich dann um sein Herz schlossen und immer fester und fester zudrückten. Aber jetzt? Es kam ihm so vor, als würde er bei ihnen leben, so oft war er da. Jake störte das nicht so sehr – was schmerzte, war das, was er sagte. Dass Caleb jetzt an einem besseren Ort war. Dass er beim Herrn war.
Woher zum Teufel willst du das wissen? Jake wollte schreien. Dieser Kerl kannte seinen Bruder nicht. Er wusste nichts über den Caleb, der in seiner Bibel Comichefte in die Kirche geschmuggelt hatte, als Jake sechs oder sieben gewesen war. Den Caleb, der fluchte, wenn er und Jake allein am Ollis Creek waren, und der Jake hatte schwören lassen, dass er es ihrer Mama nicht verraten würde. Wenn Caleb gläubig gewesen wäre, hätte er, als er ein Teenager war, Mama und Daddy jeden Sonntag begleitet. Mama hatte ihn nicht gedrängt, als er darum gebeten hatte, zu Hause bleiben zu dürfen, aber es war allen Beteiligten klar, dass sie nicht glücklich darüber war.
Also hielt Jake den Mund, wenn Reverend Hubbert im Haus war, und wahrte um seiner Mutter willen den Frieden. Er lächelte jedes Mal höflich, wenn der Prediger vor ihrer Tür auftauchte, schenkte ihm ein Glas Eistee ein und ging ihm dann aus dem Weg. Allerdings konnte er nicht leugnen, dass diese Besuche seiner Mama guttaten, und allein aus diesem Grund war er bereit, sich auf die Zunge zu beißen, wenn der Reverend seine Theorien über Calebs ewige Ruhestätte aufstellte.
Jake wusste genau, wo diese sein würde – im Familiengrab auf dem Woodlawn Cemetry.
Jeder, der etwas anderes behauptete, täuschte sich gewaltig.
Nur kamen mit dem Reverend auch all die Damen der United Methodist Church, die mitfühlend mit der Zunge schnalzten, Aufläufe, gebratenes Huhn, Maisbrot, Landschinken und genügend mit Käse überbackene Makkaroni vorbeibrachten, um eine Armee zu ernähren. Nicht, dass Mama die nachbarschaftlichen Gaben als Ausrede genutzt hätte, sich auszuruhen. Sie kochte wie eine Irre, bis der Deckel der Gefriertruhe protestierend ächzte, wenn man ihn zu schließen versuchte, und im Kühlschrank war kein Zentimeter Platz mehr frei. Wenn die Damen kamen, hielt sich Jake daran, unzählige Gläser Eistee einzuschenken und tat sein Bestes, den süßlichen Mitleidsbekundungen und den mitfühlenden Bemerkungen auszuweichen.
Gibt es ein Buch für all diesen Mist, den sie da ständig von sich geben? Denn ich schwöre, jede Einzelne von ihnen sagt genau dasselbe.
Natürlich war von Daddy weit und breit nichts zu sehen, wenn sie auftauchten. Er stieg in seinen Pick-up und fuhr zur Arbeit, ließ Jake bei seiner Mama zurück und behauptete, dass sie ihn brauchen würde.
Jake glaubte nicht, dass Mama überhaupt wusste, dass er da war.
Vorfall Nummer vier war eine brutale Erinnerung daran, dass es wirklich passiert war. Etwa eine Woche nach ihrem ersten Besuch tauchten die beiden Polizisten erneut auf, nur dass sie dieses Mal eine Box mitbrachten, die Calebs persönliche Sachen enthielt, die ihnen aus Georgia zugeschickt worden waren. Daddy quittierte den Empfang und als die Polizisten gegangen waren, stellte er die Box auf den Couchtisch und… starrte sie einfach nur an.
Als weder er noch Mama Anstalten machten, sie zu öffnen, nahm Jake die Sache selbst in die Hand. Nicht, dass da viel drin war. Keine Kleidung, abgesehen von einem Paar Sneakers, aber Jake hatte genug Serien gesehen, die in der Notaufnahme spielten, also hatte er das erwartet. Calebs Brieftasche und sein Schlüsselring waren da, zusammen mit ein paar Lederarmbändern und einer Goldkette. Einer der Schlüssel war eindeutig für Calebs Wohnung und Jake legte den Schlüsselring in eine Schublade.
Sie würden nach der Beerdigung genügend Zeit haben, sich Gedanken um Calebs Wohnung und den Rest seiner Sachen zu machen. Im Moment lag das Augenmerk allein auf der Beerdigung und je näher sie rückte, desto schmerzhafter wurde die Aussicht.
Vorfall Nummer fünf brachte sie alle an den Rand des Zusammenbruchs. Cliff Dawson vom Martin Wilson Funeral Home rief an. Jake konnte immer noch Cliffs Stimme hören, seine Art, leise zu sprechen, sah ihn immer noch nicken und eine Tasse samt Untertasse auf seinem Knie balancieren, während er versuchte, sich unauffällig Notizen zu machen. Was sie alle bis ins Mark traf, war die Tatsache, dass es ein geschlossener Sarg sein würde.
Der Ausdruck auf Mamas Gesicht, als Cliff ihr das sagte…
Diese Neuigkeit beschwor Bilder in Jakes Kopf herauf, über die er nicht nachdenken wollte, und gemessen an der Blässe und dem scharfen Einatmen seines Daddys war er nicht der Einzige, der damit Probleme hatte. Und als Mama das goldene Kreuz an ihrer Halskette umklammerte, die Augen weit aufgerissen, die Lippen leicht geöffnet, und das vertraute, stakkatoartige Geräusch erklang, als sie versuchte, genügend Sauerstoff in ihre Lungen zu zwingen, wollte Jake sich nur unter seiner Bettdecke zusammenrollen und die Welt ausschließen.
Natürlich hatte Cliff schnell das Thema gewechselt und war auf den Nachruf zu sprechen gekommen, der in der LaFollette Press, der Wochenzeitung des Campbell County, erscheinen sollte, die sowohl in Papierform als auch digital herausgegeben wurde. In dem Moment war Jake aufgestanden und hatte den Raum verlassen, denn er konnte es keine Sekunde länger ertragen.
Wann immer er an diese drei Wochen zurückdachte, fiel ihm der süße, berauschende Duft der vielen Blumensträuße und Gestecke ein, die überall im Haus herumstanden. Jake konnte nicht leugnen, dass die Leute sehr freundlich waren, und ihre Reaktionen auf Calebs Tod überwältigten ihn, aber er hätte all diese Vorfälle für eine einzige weitere Minute mit seinem Bruder eingetauscht.
Jake hielt, um seiner Eltern willen, seine Emotionen unter Verschluss und unterdrückte seine Trauer. Er konnte nicht vor ihnen zusammenbrechen, nicht, wenn sie selbst kurz davor waren. So wurde Jake zu dem Sohn, den sie brauchten, der, ohne Fragen zu stellen, alles tat, worum er gebeten wurde, der sie unterstützte und liebte.
Sie bekamen nicht den Jake zu sehen, der jeden Abend die Tür seines Schlafzimmers hinter sich schloss und in sein Kissen weinte, um das Geräusch zu dämpfen. Oder den Jake, der beim geringsten Anlass mit den Tränen kämpfte und sich schnell zurückziehen musste, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Sie hatten keine Ahnung, wie oft Jake unter der Dusche schluchzte, da er wusste, dass sie ihn dort nicht hören konnten. Aber sich so fest im Griff zu haben, war etwas, das nicht auf Dauer funktionieren konnte.
Am Abend vor der Beerdigung stieß er an seine Grenzen.
Sobald er den Tisch abgeräumt hatte, griff Jake nach seinem Handy und schlich hinaus in den Garten. Die letzten Sonnenstrahlen leuchteten auf den Baumwipfeln und die Temperatur war so weit gesunken, dass er zitterte. Er ging zügig zu dem Zaun hinüber, der die Grundstücksgrenze markierte, und suchte in seinen Kontaktdaten nach Petes Nummer.
»Jake?« Pete klang nahezu zaghaft.
»Hey.« Jake hielt ein wachsames Auge auf die Veranda gerichtet, um sich zu vergewissern, dass seine Eltern immer noch im Haus waren.
»Hätte nicht erwartet, von dir zu hören. Dachte irgendwie, dass du dich momentan um jede Menge Scheiß kümmern musst.«
»Tja, also, ich hatte so viel Scheiß um die Ohren, dass es für ein ganzes Leben reicht, und ich werd irre. Haste heute Abend was vor?« Jake drückte sich selbst die Daumen.
Es gab eine Pause. »Na ja…«
»Lieber Himmel, das ist keine Fangfrage. Ich muss hier raus.« Er brauchte mehr als das, aber wie er Pete und seine Freunde kannte, würde für seine anderen Bedürfnisse gesorgt werden.
»Dan und ich gehen später zu Mike. Seine Eltern besuchen seine Oma und kommen erst morgen Nachmittag zurück.« In Petes Stimme schwang jetzt Zuversicht mit. »Mike hat was, das dir gefallen könnte.«
»Es sollte besser Alkohol oder Gras sein.« Momentan wäre beides okay.
»Wie hört sich eine Flasche Wodka für dich an?« Pete lachte. »Ja, ja, blöde Frage.«
»Wann?« Manche Fragen waren es nicht wert, beantwortet zu werden.
»Ich bin in einer Stunde dort, sobald ich meine Aufgaben hier erledigt hab. Dan trifft mich dort.« Nach einer kurzen Pause klang seine Stimme zögerlicher. »Bist du sicher, dass du –«
»Wir sehen uns dann in einer Stunde.« Jake legte auf. Er wollte es sich von Pete nicht ausreden lassen.
»Jacob?« Mama rief von der Veranda aus nach ihm.
Er wusste genau, warum. »Ich komm gleich rein und mach den Abwasch, Mama.« Er wollte ihr keinen Grund geben, später etwas dagegen sagen zu können, wenn er seine Absicht ankündigte, seine Freunde zu besuchen. Er fand, dass er eine Pause verdient hatte, nachdem er drei Wochen zu Hause festgesessen hatte. Darüber hinaus brauchte er ein Betäubungsmittel, um den Schmerz in seinem Inneren zu bekämpfen, und Alkohol war die perfekte Lösung.
***
Jake stellte seinen Pick-up in Mikes Einfahrt ab, direkt hinter Petes Honda, und als er die Hand nach der Türklingel ausstreckte, war Pete bereits da. »Hey. Dan kommt auch gleich.«
Jake schlug in ihrem üblichen Begrüßungsritual mit dem Handrücken gegen Petes, bevor er das Haus betrat. »Okay, wo ist der Alkohol?«, rief er.
Mike tauchte in der Tür zur Küche auf. »Mann, warum sagst nicht gleich der ganzen Nachbarschaft Bescheid, Arschloch? Die alte Hexe nebenan kann eine Maus aus sechs Metern Entfernung furzen hören. Wir wollen nicht, dass sie hier reinmarschiert, vor allem nicht, wenn sie weiß, dass meine Alten nicht da sind.« Er musterte Jake eingehend. »Du siehst scheiße aus.«
Jake verdrehte die Augen. »Tja, fuck, meinem Bruder wurde von einem außer Kontrolle geratenen Reifen der Kopf zerschmettert. Was denkst du, wie du das wegstecken würdest? Vielleicht könntest du nachts schlafen, aber ich? Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, stell ich mir vor, wie schlimm er aussehen muss, dass sie auf einem verfickten geschlossenen Sarg bestehen. Und wenn ihr nur Fragen über Cal stellen wollt, dann kann ich verfickt noch mal auch sofort wieder gehen.«
Mike starrte ihn mit offenem Mund an.
Pete schnaubte hinter Jake. »Beeindruckend. Drei Wochen nur in Gegenwart deiner Leute. Du musst alle Flüche direkt auf einmal loswerden, oder? Es dir von der Seele reden?«
Es dauerte einen Moment, den Humor in Petes Worten zu erkennen. Jake stieß den Atem aus. »Ich denke, sie sollten mir eine verdammte Medaille an die Brust heften, das denke ich. Drei Wochen, und mir ist nicht ein einziges Mal ein fuck über die Lippen gekommen.« Er seufzte und warf Mike einen entschuldigenden Blick zu. »Sorry, ich wollt es nicht an euch auslassen. Ich bin ein bisschen… empfindlich, wegen morgen, und überhaupt.«
Mike nickte, seine Miene war etwas weicher geworden. Er hielt ihm eine fast volle Flasche entgegen. »Dann brauchst du wahrscheinlich einen Schluck.«
Jake beruhigte sich ein wenig. »Du glaubst nicht, wie sehr.« Die Taubheit, die ihn seit jenem schrecklichen Tag eingehüllt hatte, ließ nach, und an ihre Stelle war ein Schmerz getreten, der seine scharfen Klauen in sein Fleisch krallte, sich durch sein Brustbein direkt in sein Herz bohrte. Er starrte Mike durchdringend an. »Haben wir nur die eine?« Denn so, wie er sich fühlte, würde eine Flasche nicht reichen.
Bei Weitem nicht.
Mike reichte ihm die Flasche und Jake öffnete sie, setzte sie an und trank zwei große Schlucke, bevor er heftig hustete und sie Mike zurückgab. »Wo hast du das Zeug her?«
»Aus dem Pick-up meines Dads geklaut, als er vom Schnapsladen zurückkam.« Mikes Augen funkelten. »Dachte mir, er hat so viel Alkohol gekauft, da würde ihm nicht auffallen, wenn eine Flasche fehlt. Hab sie unter meinem Bett versteckt. Nicht mal meine Mama ist mutig genug, da drunterzugucken.« Er gluckste. »Sie würde wahrscheinlich von tollwütigen Wollmäusen angegriffen werden.«
»Und was deine Frage angeht?« Pete hielt einen Joint hoch. »Wo der Wodka nicht ausreicht, hilft der hier.«
Jake hätte ihn küssen können. »Worauf warten wir dann noch? Lasst die Party beginnen.« Es war doch egal, wenn er hinterher stockbesoffen und total high war.
Alles war besser, als zu fühlen.
»Wenn ihr raucht, macht es draußen. Flaschen kann ich beseitigen. Aber den Geruch von Gras? Scheiße, nein. Meine Mama hat eine Nase wie ein Bluthund.« Mike schob sich an Pete vorbei, machte sich auf den Weg zur hinteren Veranda und reichte ihm die Flasche, als er an ihm vorbeiging. »Ich bring das Lagerfeuer in Gang, wir können uns davorsetzen.«
Pete grinste. »Und außerdem, wenn wir das erst mal intus haben? Wer wird da schon merken, wenn es kalt wird?«
Jake nickte. Das hat was. Und mit etwas Glück würde er einen so gewaltigen Kater haben, dass er sich später an kein einziges Detail des nächsten Tages erinnern würde.
Was exakt das war, was er erreichen wollte.