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Kapitel 4

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Jake hielt die Hand seiner Mama fest umklammert, als der Sarg vorsichtig in das gähnende Loch in der Erde gesenkt wurde, dessen Ränder mit Rasenteppich verkleidet waren, wie er auch unter ihren Füßen und denen der anderen Trauernden ausgelegt war. Daddy stand neben ihnen, die Zähne zusammengebissen, als würde er sein Bestes geben, nicht in Tränen auszubrechen. Reverend Hubbert sprach erneut, aber dieses Mal blendete Jake ihn aus, richtete seine Aufmerksamkeit auf den Sarg, der aus seinem Blickfeld verschwand.

Sein kummervolles Herz war von Bedauern erfüllt.

Ich wollte dir so vieles sagen, Bro. Der Zeitpunkt war nie der richtige gewesen und in den seltenen Fällen, in denen er die Gelegenheit hätte nutzen können, hatte ihn der Mut verlassen. Als er zusah, wie sein Bruder langsam hinabgelassen wurde, fielen ihm die weisen Worte seines Grandpas ein.

Du bereust immer, etwas nicht getan zu haben.

Ja, Grandpa hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Jake sah verstohlen zu seinen Eltern hinüber. Er konnte schwören, dass Mamas lockige Haare, die unter dem Hut herausschauten, grauer geworden waren. Sie hatte auch mehr Falten im Gesicht. Sein Daddy starrte in das Grab, seine Augen waren Calebs so ähnlich, aber es war, als würde er irgendwie ins Leere schauen.

Dann bemerkte er, dass Reverend Hubbert aufgehört hatte zu reden. Und noch viel wichtiger, etwas passierte. Jake musterte die Menschen, die am Grab standen, um herauszufinden, warum die Stille schlagartig beklemmend geworden war. Dann erklang Flüstern, wurde lauter, als die älteren Bürger ungeniert auf den äußeren Rand der Trauergemeinde deuteten.

Die Erklärung für dieses Verhalten war schockierend offensichtlich.

Ein Fremder stand ganz hinten in der Menge. Er trug ein schwarzes Jackett über einem am Hals offen stehenden weißen Hemd und eine schwarze Jeans. Was ihn hervorstechen ließ, war die Tatsache, dass er schwarz war. Ein einziges dunkles Gesicht in einem Meer von Weiß.

Jake hörte zu, während die Menschen um ihn herum ihre Vermutungen über das plötzliche Erscheinen des Fremden äußerten. Er konnte die Reaktionen nicht ganz verstehen, aber ihm war klar, warum seine Ankunft Aufsehen erregte. Mehr als achtundneunzig Prozent der Einwohner LaFollettes waren Weiße. Sein Blick fiel auf Pete, Dan und ein paar seiner anderen Freunde, die von den entschieden unchristlichen Kommentaren und dem Flüstern um sie herum unbeeindruckt zu sein schienen.

»Wer sind Sie?«, rief Mrs. Talbot, ihre nicht für ihren Feinsinn bekannte, unmittelbare Nachbarin, dem Fremden zu. »Dies ist eine private Zeremonie. Sie können hier nicht einfach reinspazieren.« Die Stimme der alten Dame brach.

Der Mann blieb stehen. »Es tut mir leid. Ich bin gekommen, um meinen Respekt zu erweisen, wie Sie alle sicherlich auch.« Seine volle, tiefe Stimme übertönte das Murmeln der Trauernden. Zögernd kam er näher, durchquerte vorsichtig die Menge, bis er beim Grab ankam. »Mein Name ist Liam Miller. Mein aufrichtiges Beileid. Ich wollte nicht stören. Ich bin hier, weil ich Caleb kannte«, erklärte er an Jake und seine Eltern gewandt.

Erst da bemerkte Jake, dass der rechte Arm des Mannes in einer schwarzen Schlinge steckte. Ein Gips, der einen Teil der Hand bedeckte, war sichtbar. Jake musterte ihn von Kopf bis Fuß. Liam sah gut aus, hatte hohe Wangenknochen und dunkelbraune Augen. Dann sah Jake genauer hin. Liam hatte ein paar Narben im Gesicht, die allem Anschein nach neueren Datums waren.

Gesichtsverletzungen. Möglicherweise ein gebrochener Arm.

Jake mochte nicht wie sein Bruder das College besucht haben, aber das hieß nicht, dass er dumm war. Ein eisiger Schauer überlief ihn, als ihm bewusst wurde, wer genau da vor ihm stand.

Scheiße, nein.

»Oh mein Gott. Sie… Sie sind der Fahrer.«

Liam blinzelte und seine Augen wurden groß. Dann fing er sich wieder. »Ja, ich hab das Auto gefahren. Ich wollte –«

Weiter war Jake nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Er konnte nur daran denken, dass der Mensch, der für Calebs Tod verantwortlich war, direkt vor ihm stand. Er ballte die Hände zu Fäusten, die Arme dicht an seine Seiten gepresst.

»Du hast ja vielleicht Nerven, hier aufzutauchen.« Die Worte kamen angespannt heraus, da er darum kämpfte, seine Wut im Zaum zu halten. »Hast du nicht schon genug getan? Warum zum Teufel sollten wir dich hier haben wollen? Es ist allein deine Schuld, dass Caleb tot ist, du Hurensohn!«

»Ich verstehe nicht.« Mamas Stimme zitterte. »Warum schreist du diesen Mann an? Was hat er getan?« Es war, als hätten Jakes wütende Worte sie aus den unergründlichen Tiefen ihrer Trauer aufgeschreckt.

»Er hat das Auto gefahren, das Caleb umgebracht hat, Mama.« Während er die Worte aussprach, wusste ein Teil von Jake, dass sie nicht wirklich der Wahrheit entsprachen, aber er hatte sich zu sehr hineingesteigert, um sich noch um Logik zu scheren. Alles, was er wusste, war, dass direkt vor ihm jemand stand, dem er die Schuld dafür geben konnte, dass Caleb nicht mehr da war und er war drauf und dran, seine Wut, seine Verzweiflung und seinen Kummer herauszulassen, alles, was sich während der vergangenen drei Wochen in ihm angestaut hatte.

Jake hatte endlich ein Ziel dafür und wollte jedes bisschen Zorn und Gehässigkeit, das er in sich hatte, daran auslassen.

Liam richtete sich auf. »Du weißt, dass das nicht wahr ist«, sagte er mit fester Stimme. »Es hätte an diesem Tag genauso gut ich sterben können. Caleb war zufällig in der Flugbahn dieses Reifens. Es gab nichts, was ich hätte tun können, um auszuweichen. Er kam direkt auf uns zu.«

»Aber du bist immer noch hier, und Caleb ist tot! Warum solltest du derjenige sein, der am Leben ist, und nicht er?«, schrie Jake, sich kaum bewusst, dass sein Daddy auf Liam zuging.

»Ich denke, du musst gehen, Junge«, sagte Daddy mit tiefer Stimme. »Denn es ist eindeutig, dass du hier nicht willkommen bist.« Zustimmendes Murmeln ging durch die Menge und mehrere Männer rückten näher, als die Stimmung bedrohlicher wurde.

Liam öffnete den Mund, offensichtlich, um zu protestieren, aber dann sah er sich um und seine Miene spannte sich an, als das Flüstern lauter wurde. Schließlich seufzte er tief. »Es tut mir leid, dass Sie so denken. Ich wollte mich nur von Caleb verabschieden, genau wie Sie. Aber ich schätze, ich kann Ihre Gefühle verstehen.«

»Es ist uns scheißegal, ob du das verstehst«, gab Jake zurück. »Wir wollen nur, dass du verschwindest. Sofort.« Es kümmerte ihn nicht mehr, dass er in Gegenwart seiner Mama fluchte. Er wollte nur, dass Liam aus seinem Blickfeld verschwand.

Liam nickte. »Dann… gehe ich.« Er drehte sich um und ging langsam durch die Menge, die ihm Platz machte. Jake konnte den Blick nicht von der sich entfernenden Gestalt lösen und erst als der Mann in ein wartendes Taxi stieg und davonfuhr, löste sich die Anspannung in Jakes verkrampfter Muskulatur. Er sackte zusammen, taumelte gegen seinen Daddy, der einen Arm um ihn legte und ihn stützte.

»Es ist okay, Sohn. Er ist weg. Es war richtig, ihm das zu sagen.« Daddy drückte ihm einen Kuss auf das Haar. »Und er hatte kein Recht, hier zu sein.«

Allmählich verstummten das Geschwätz und das Gemurmel und Reverend Hubbert übernahm einmal mehr die Kontrolle über das Geschehen. Nicht, dass noch viel zu tun blieb. Letzte Worte und ein Gebet wurden gesprochen und dann war es endlich vorbei und Caleb unter der Erde. Jake stand neben seinen Eltern, als die Trauernden an ihnen vorbeigingen und ihr Beileid aussprachen. Er bekam kaum ein Wort mit. Er konnte nur an Liam denken.

Ich hätte ihn nicht wegschicken sollen. Ich hätte ihn hierbehalten sollen, bis ich ihm jedes bisschen Kummer und Leid um die Ohren gehauen habe. Ich hätte ihn hierbehalten sollen, bis er endlich den Schmerz und die Qualen verstanden hat, die wir durchgemacht haben.

Aber es war zu spät. Jake hatte Liam entkommen lassen und das war wahrscheinlich die letzte Gelegenheit gewesen, die er je bekommen würde.

Sein Glück. Denn wenn ich Liam je wiedersehen sollte, wird er derjenige sein, der es bereut.

***

»Mama, hast du einen Moment Zeit?« Jake schloss die Küchentür hinter sich und die Stimmen aus dem Wohnzimmer wurden leiser. Mehrere Mitglieder der Kirchengemeinde und einige Nachbarn waren noch da, unterhielten sich, tranken Tee und aßen die Snacks, die nicht weniger zu werden schienen.

Sie sah von ihrer Beschäftigung auf; sie war dabei, noch mehr Sandwiches zu machen. »Brauchst du was?« Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, aber sie machte einen etwas lebendigeren Eindruck als noch am Morgen.

Er schmunzelte. »Ja. Ich muss hier raus. Ich wünschte, jemand würde deine Damen aus der Kirchengemeinde daran erinnern, dass ich neunzehn bin und es nicht angemessen ist, mich in die Wange zu kneifen.«

Seine humorvolle Bemerkung fand Anklang und sie lächelte. »So sind sie halt.«

Fast alle Besucher, die nach der Beerdigung zu ihnen nach Hause gekommen waren, waren im gleichen Alter wie seine Eltern oder älter. Seine und Calebs Freunde waren weggeblieben, wofür Jake vollstes Verständnis hatte. Es entsprach auch nicht seiner Vorstellung einer angenehmen Zeit, aber er hatte keine Wahl gehabt. Er hatte so lange er konnte durchgehalten, bevor er sich schließlich entschied, an die Güte seiner Mama zu appellieren.

»Also… Darf ich bitte gehen?«

Mama seufzte. »Du willst jetzt ausgehen?«

»Ist ja nicht so, als könnte ich hier irgendwas tun. Ich brauche einfach ein bisschen Zeit für mich.«

Sie sah ihn aus schmalen Augen an. »Wo willst du denn hin? Und wie lange? Denn wenn du wieder so spät hier angekrochen kommst wie vergangene Nacht, dann werden wir uns unterhalten müssen, Jacob John Greenwood. Und mach dir gar nicht erst die Mühe, mich darüber anzulügen, dein Daddy hat dich gehört, als du reingekommen bist.« Sie verzog das Gesicht. »Er war nur etwas nachsichtiger wegen… heute.«

Oh Scheiße. »Es tut mir leid, Mama. Ich hatte einfach die Zeit aus den Augen verloren, das ist alles. Und ich wollte nur eine Weile runter zum Bach. Nicht für lange, ich versprech's.« Er brauchte ein wenig Ruhe und die würde er zu Hause garantiert nicht bekommen.

Sie legte das Buttermesser weg und breitete die Arme aus. »Komm her.« Jake trat zu ihr, sie umarmte ihn und drückte ihre Wange gegen seine. »Ich weiß, dass das heute für keinen von uns leicht war. Abschied zu nehmen, ist nie leicht. Aber ich wollte dir sagen, was du während dem Gottesdienst gesagt hast… also, das war… wunderschön.« Sie ließ ihn los, ihre Lippen zuckten. »Abgesehen davon, dass du allen erzählt hast, dass Caleb nackt gebadet hat.«

»Glaub mir, Mama, das wussten sie schon.« LaFollette war eine kleine Stadt.

Sie warf ihm einen gespielt bösen Blick zu. »Nicht alle. Aber jetzt ganz bestimmt.« Mama küsste ihn auf die Wange. »Mach schon, verschwinde. Aber sei rechtzeitig zum Abendessen zurück.«

Jake biss sich auf die Lippe. »Wenn sie uns denn was übrig lassen.«

Das entlockte ihr ein Lachen. »Ich hab noch Makkaroni mit Käse in der Gefriertruhe. Ich denke, wir haben genug, um bis zur Endzeit durchzuhalten.« Sie nahm das Buttermesser in die Hand und machte sich wieder an die Arbeit. »Denk dran, was ich dir über spätes Nachhausekommen gesagt hab.«

Er wartete nicht darauf, dass sie ihre Meinung änderte, sondern schnappte sich seine Jacke vom Haken neben der Hintertür. Dann trat er auf die Veranda hinaus und atmete die frische, kühle Luft tief ein.

Gott sei Dank. In den letzten Stunden hatte er nur die Düfte verschiedener Parfüms eingeatmet, manche hatten stark nach Blumen gerochen, andere einfach nur intensiv. Dazu kam noch der berauschende Duft der Blumen, die Mama aus der Kirche mitgebracht hatte, daher hatte Jake es kaum gewagt, Luft zu holen.

Er ging zum Ende des Hofs, bückte sich und kroch durch die Lücke im Zaun, dann bahnte er sich seinen Weg durch das dichte, bis zu seinen Oberschenkeln reichende Gebüsch, das auf beiden Seiten des Baches wuchs. Er erinnerte sich, dass er sechs oder sieben gewesen war, als Caleb ihn zum ersten Mal hierhergebracht hatte.

Caleb, sein großer Bruder, der offiziell ein Teenager geworden war. Caleb, der vorangegangen war und Jake zum Lachen gebracht hatte, weil er mit einem imaginären Schwert auf das Gebüsch eingehackt hatte, als wären sie auf großer Abenteuerreise mitten in einem Dschungel.

Gott, es fühlt sich an, als wäre es erst gestern gewesen.

Jake kletterte über die Stämme der Bäume, die im Frühjahr umgestürzt waren, und blieb stehen, als er beim Bach ankam. Das Wasser vor ihm floss langsam, hatte sich an manchen Stellen zurückgezogen und dort, wo der Bach ausgetrocknet war, hart gewordenen Schlamm hinterlassen. Der Bach lag im Schatten, die Bäume bildeten einen Baldachin darüber, durch den nur hin und wieder Sonnenlicht fiel, das auf dem Wasser glitzerte. Wenn er nach links ging, würde der Weg an der Kläranlage von LaFollette vorbei verlaufen und schließlich zum Ollis Creek Trail werden, der zum Stausee führte. Rechts käme er zum Wishing Seat.

Über die Entscheidung musste Jake nicht weiter nachdenken. Er wandte sich nach rechts.

Er dachte an das erste Mal, als Caleb ihm den großen Felsen neben dem Bach gezeigt hatte. Es war nur ein gewöhnlicher Felsbrocken, aber so hatte Jake ihn nicht gesehen. Oh nein. Caleb hatte auf eine Stelle in der Nähe der Spitze gezeigt, wo der Stein verwittert war und eine Delle formte, die gerade groß genug war, um darin zu sitzen. Er hatte Jake mit gedämpfter Stimme gesagt, dass das ein magischer Ort war.

Jake konnte noch immer seine Stimme hören.

»Denk dran, du darfst Mama und Daddy nicht sagen, dass ich dir das gezeigt hab, klar? Das ist ein geheimer Platz.«

»Warum?« Jake hatte den grauen Stein ungläubig angestarrt. Es war nur ein Felsbrocken.

Caleb hatte ihn hochgehoben und ihn beinahe ehrfürchtig auf die abgewetzte Stelle gesetzt. »Du sitzt auf dem Wishin‘ Seat. Alles, was du tun musst, ist, die Augen schließen und dir etwas wünschen und es geht in Erfüllung. Aber du musst daran glauben, wirklich daran glauben, denn wenn du es nicht tust, bekommst du nur einen tauben Arsch, weil du zu lange auf einem Fleck gesessen hast.« Jake hatte ihn mit offenem Mund angestarrt und Caleb hatte die Augen zusammengekniffen. »Und du wirst Mama oder Daddy nicht verraten, dass ich Arsch gesagt hab. Kapiert?«

Als hätte Jake Caleb verpfiffen. Er verehrte seinen Bruder. Jake legte sich eine Hand aufs Herz. »Ich schwöre, ich werde nichts verraten.«

Caleb hatte gelächelt. »Tja, na dann. Ich denke, es ist Zeit für deinen ersten Wunsch.«

Jake hatte die Augen geschlossen und mit der völligen Sicherheit eines siebenjährigen Jungen ganz genau gewusst, was er sich wünschen würde. »Sage ich dir, was ich mir gewünscht habe?«

»Oh Gott, nein. Das ist eine todsichere Art, einen Wunsch zu verschwenden. Du verrätst es niemandem, Murmelchen. Es ist dein Wunsch.«

Jake öffnete die Augen und warf Caleb einen bösen Blick zu. »Ich hab dir gesagt, du sollst mich nicht so nennen.«

Caleb lachte leise. »Awww, aber du bist mein kleines Murmeltier. Du bist so niedlich, wie du im Dreck unter der Veranda buddelst.«

Jake störte der Spitzname nicht wirklich. Er gab ihm das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

»Jetzt mach die Augen zu und wünsch dir was.«

Wieder schloss Jake die Augen, fest entschlossen zu glauben und seinen Wunsch in die Welt hinauszuschicken.

Ich möchte wie mein Bruder Caleb sein, wenn ich groß bin.

Und mir nichts, dir nichts, befand sich wieder Jake in der Gegenwart, seine Hand ruhte auf dem vertrauten Felsen. Tränen stiegen ihm in die Augen und er sah nur verschwommen, als er hinaufkletterte. Er saß auf dem kalten, harten Stein und schloss die Augen.

»Ich wünschte, du wärst hier, Caleb.«

Kaum hatte er den Wunsch geflüstert, brach die Realität über ihn herein und er stöhnte laut, als er diese innere, monotone Stimme hörte, die so unglaublich hoffnungslos war.

Es ist völlig egal, wie sehr du daran glaubst, das ist dir schon klar, oder? Caleb kommt nicht zurück.

Jake zog die Beine an, legte den Kopf auf die Arme und weinte hemmungslos, ließ sich von seinem Kummer überwältigen. Als seine Tränen schließlich versiegten, fühlte er sich schwach und ausgelaugt. Er wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die Augen, dann hob er den Kopf und sah auf den Bach hinaus.

Was ihm in der Stille in den Sinn kam, war jedoch nicht sein Bruder, sondern Liam.

»Ich weiß nicht, wo du bist, Cal, und ich hab verdammt noch mal keine Ahnung, ob du mich hören kannst, aber ich hab heute versucht, das Richtige für dich zu tun. Ich schwöre, als ich ihn da gesehen hab – der Kerl hat vielleicht Nerven –, da wollte ich ihn plattmachen, ihn zu Brei schlagen.« Er schluckte. »Ich schätze, ich hab mir nicht genug Mühe gegeben.« Sein Versagen fühlte sich wie Verrat an und Jakes Brust zog sich zusammen. »Es tut mir leid. Ich hab dich enttäuscht. Ich verspreche, wenn ich jemals wieder die Chance bekomme, wird er nicht ohne Schläge davonkommen.«

Es fühlte sich wie ein Gelübde an, und das war für Jake in Ordnung.

Liam hatte ihm seinen Bruder gestohlen, und zwar, als Jake ihn am meisten brauchte. So oft war er in den letzten zwei, drei Jahren kurz davor gewesen, Caleb anzurufen, aber er hatte jedes Mal den Mut verloren. Die wenigen Male, als Caleb zu Besuch kam, hatte Jake sich danach gesehnt, ihn hierher mitzunehmen, zu ihrem geheimen Platz, mit der Absicht, ihm sein Herz auszuschütten…

Er hatte Calebs Rat so dringend gebraucht, und jetzt war es zu spät.

Und das war nur Liams Schuld. Es war Jake egal, dass er auf dem Friedhof vielleicht ein klitzekleines bisschen überreagiert hatte. Im Nachhinein war klar, dass er nicht logisch gedacht hatte. Aber jetzt? Zum Teufel, hinterher war man immer klüger.

Je mehr er über Liams plötzliches Erscheinen nachdachte, desto mehr trat sein Kummer in den Hintergrund, wurde durch die vertraute Wut ersetzt, die seit Calebs Tod allgegenwärtig war.

Damit konnte Jake umgehen. Wut war besser als Trauer. Und anders als zuvor hatte er jetzt ein Ziel für diese Wut.

Liam.

Truth & Betrayal

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