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1.4.1. Lehre und Praxis

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Obwohl die Texte von Evagrios hauptsächlich für Mönche der damaligen Zeit verfasst wurden,116 können Mönche von heute diese auch für sich verstehen und nutzbar machen – aber ebenso auch alle anderen Menschen.117 So ist „der moderne Leser […] aufgefordert, sich nicht mehr als nötig bei dem Wüstenkolorit der evagrianischen Schriften aufzuhalten, will er ihren geistlichen Gehalt für sich fruchtbar machen, und auf die Stimme seines Herzens zu hören.“118

Bunge spricht über die Präsenz der evagrianischen Lehre in der Geschichte, dass sie „die gesamte christliche Spiritualität in Ost und West, über alle konfessionellen Grenzen hinweg [… so] geprägt [hat], dass man mit Fug und Recht von einer ‚evagrianischen Spiritualität’ sprechen muss“.119 Was macht die Lehre Evagrios so aktuell, dass sie von einer großen Anhängerschaft immer noch mit Interesse nachgeahmt und, akzentuiert für den jeweiligen Lebensweg, für nützlich gehalten wird? Einer der Gründe dafür ist Evagrios’ Fähigkeit, tief religiöses Wissen mit menschlichem Verstand in einer besonderen Zusammensetzung von Weltweisheiten und Spiritualität neu zu interpretieren. In der patristischen Denkweise war dies keine Seltenheit. So stand es zum Beispiel für Evagrios außer Frage, seine Theologie mit einigen philosophischen Gedanken zu erklären, und dies in einer christlich geprägten Weise.120 Dies erklärend schreibt Driscoll: “If the wisdom is genuine, then the connection is not to be wondered at. If it is truth, then it is truth valid for all. It is this that explains Evagrius’ synthesis between the wisdom of the Greek philosophical tradition and the wisdom in desert monasticism.”121

Ein weiterer Aspekt der Arbeitsweise der Mönche jener Zeit war der Bezug zur Bibel. Dies spiegelt sich auch im Stil von Evagrios’ Texten wider. Allerdings bedeutet bei den Mönchen ein direkter Bezug zur Bibel keine direkte Einschränkung der Sprache in der ‚geistlichen Menschenführung’. Dies war Charakteristikum der monastischen Tradition, die allerdings dadurch zum Ausdruck kam, dass die Mönche das Wissen und die Weisheit der heiligen Schrift so verinnerlicht hatten, dass ihre Sprache davon durchgedrungen war, ohne dass die üblichen ‚biblischen’ Anspielungen die Oberhand gewannen.122

Ein Beispiel für den Umgang mit der Bibel finden wir in einer Erzählung über den Wüstenvater Poimen:

Der Fremde begann zu reden von der Schrift, von geistlichen und himmlischen Dingen. Da wandte Abbas Poimen sein Haupt ab und gab ihm keinerlei Antwort. Als der Einsiedler sah, dass er nicht mit ihm sprach, ging er betrübt davon und sagte zu dem Bruder, der ihn hergebracht hatte: ‚Ich habe diese ganze Wanderung umsonst gemacht. Denn ich kam zu dem Greis, aber siehe, er will nicht mit mir reden!‘ Da ging der Bruder zum Altvater Poimen hinein und sagte: ‚Vater, deinetwegen kam dieser Mann, der in seiner Gegend ein so großes Ansehen besitzt. Warum hast du denn nicht mit ihm gesprochen?‘ Der Greis gab zur Antwort: ‚Er wohnt in den Höhen und spricht Himmlisches, ich aber gehöre zu denen drunten und rede Irdisches. Wenn er von den Leidenschaften der Seele gesprochen hätte, dann hätte ich ihm wohl Antwort gegeben. Wenn er aber über Geistliches spricht, so verstehe ich das nicht.‘ Der Bruder ging nun hinaus und sagte zu dem Einsiedler: ‚Der Greis redet nicht leicht von der Schrift, aber wenn jemand mit ihm von den Leidenschaften der Seele spricht, dann gibt er ihm Antwort.‘ Er besann sich und ging zu ihm hinein und sprach zu ihm: ‚Was soll ich tun, wenn die Leidenschaften der Seele über mich Macht gewinnen?‘ Da achtete der Greis freudig auf ihn und sagte: ‚Jetzt bist du richtig gekommen, nun öffne deinen Mund für diese Dinge, und ich werde ihn mit Gütern füllen.‘ Der aber hatte großen Nutzen und sagte: ‚Wahrhaftig, das ist der rechte Weg!‘ Und mit Dank gegen Gott kehrte er in sein Land zurück, weil er gewürdigt worden war, mit einem solchen Heiligen zusammenzutreffen.123

Hier wird gezeigt, welche Stellung Menschenkenntnis, in diesem Fall das Wissen über die Leidenschaften, in geistlichen Reden innehat, ohne dabei den Bezug zu Gott zu verlieren. Auch den Wüstenvätern und -müttern ging es darum, dass dem Ratsuchenden Übungen angeboten werden, die ihm dazu verhelfen, das eigene spirituelle und persönliche Wachstum zu ermöglichen. Dies geschieht, indem der Ratsuchende sein ganzes menschliches Dasein vor Gott ‚entblößt‘. Obwohl nach Grün diese Methode von manchen als ‚nicht genuin christlich’ erachtet wird, kann dazu zum Beispiel in der geistlichen Begleitung jede Person einen persönlichen Zugang haben. Damit werden Wege geöffnet, wie auf unterschiedliche und persönliche Weise die Grenzen in der ‚Menschenführung’ überwunden werden können.124 Sie entspricht dem, was der Mensch auf seiner Suche nach sich selbst und nach Gott mitnehmen sollte: seine ganze Persönlichkeit. In alldem geht es bei der Wüstentradition darum, dass der Mensch seine ‚ganze Persönlichkeit’ auch als ‚Weg’ zu Gott wahrnimmt. Die psychologisch aufgeladene beladene Art der geistlichen Begleitung bei den Wüstenvätern und -Müttern, die durch und durch religiös und theologisch fundiert ist, mag für viele Personen störend sein, die auf eine klare Trennung von Spiritualität und Persönlichkeit bzw. Psychologie beharren. Die verschiedenen psychologischen Richtungen zeigen, wie die persönliche Fassung einen allzu großen Einfluss nicht nur auf die soziale Kompetenz, sondern auf das innere transzendentale Gleichgewicht der Person hat. Dies zeigen auf eindrückliche Weise z.B. die Arbeiten von Horst-Eberhard Richter: ‚Der Gotteskomplex’125, oder die ‚Dämonischen Gottesbilder’126 des Pastoralpsychologen Karl Frielingsdorf. Hier zeigen die Autoren, wie die persönliche Verfassung die Vorstellung von Gott bildet. Die eigene Biographie ist die Brille, durch welche die Person Gott sieht. Zusammenfassend zu diesem Gedanken zitiere ich Rohr/Eberts Betrachtung der Untrennbarkeit der Person und der ‚religiösen Reife’:

Die Traditionen östlicher und westlicher Weisheit und Seelenführung […] haben […] immer die Zusammengehörigkeit seelisch-charakterlicher und religiösspiritueller Reifung betont. In diesen Traditionen wäre das undenkbar, was bei uns gang und gäbe ist: dass man Leuten begegnet, die analytisch versiert, psychologisch ‚integriert‘, aber spirituell total verkümmert sind, und dass man andererseits religiöse Menschen findet, deren Charaktermängel und psychische Instabilität mit den Händen zu greifen sind.127

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