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Das coolste Unternehmen in den USA

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Eines dieser höchst erfolgreichen Unternehmen, die unter anderem The Great Game of Business in ihren »Methodenbaukasten der Selbstorganisation« integriert haben, befindet sich in der idyllischen Universitätsstadt Ann Arbor in Michigan: die Zingerman’s Community of Businesses, kurz ZCOB.8 In USA ist Zingerman’s eine Berühmtheit: Prominente wie Barack Obama oder Oprah Winfrey geben sich dort die Klinke in die Hand. Inc. Magazine (in etwa das US-Pendant der deutschen Unternehmerzeitschrift Impulse) kürte Zingerman’s zur »coolest small company« in den USA. Einer der Gründer, Ari Weinzweig, wurde von Inc. in den Kreis der fünf besten Unternehmenslenker gewählt. In allen der mittlerweile 13 Unternehmen, die zur ZCOB gehören, herrscht ein unglaubliches Maß an Selbstorganisation und ein ebenso phänomenales Niveau an Qualität und Kundenservice. Die Strategie, auf die alle Mitarbeiter ausgerichtet sind, steht auf drei Säulen: Great Food – Great Service – Great Finance (großartige Speisen – großartiger Service – großartige Finanzen).

Die schon fast klischeehafte Erfolgsgeschichte von Zingerman’s begann 1978: Ari Weinzweig arbeitete nach seinem Abschluss in Geschichte mit dem Spezialgebiet »Russischer Anarchismus« zunächst als Tellerwäscher im Restaurant Maude’s, das von Paul Saginaw geleitet wurde. Die beiden entdeckten schnell ihre Liebe zu gutem Essen und waren sich einig, dass Ann Arbor unbedingt ein traditionelles jüdisches Deli brauchte – etwas, womit Ari Weinzweig in Chicago und Paul Saginaw in Detroit aufgewachsen waren. Im November 1981 machten sie ihren Traum wahr, als ein kleines Backsteingebäude in der Kingsley Street frei wurde: Weinzweig bekam ein Darlehen von seiner Großmutter, Saginaw belieh sein Haus mit einer zweiten Hypothek, und die beiden gründeten Zingerman’s. Ihr Ziel war es, dort das beste Corned-Beef-Sandwich aller Zeiten anzubieten und herausragende Lebensmittel nach Ann Arbor zu bringen.

Die Rahmenbedingungen waren alles andere als rosig: Ein halbes Dutzend Delis waren in der Stadt zuvor schon gescheitert, das heute trendige Viertel rund um den Wochenmarkt galt damals als düster und gefährlich – und der Darlehenszinssatz lag bei heute unvorstellbaren 18 Prozent. Doch die beiden schafften, was jeder für unmöglich gehalten hatte: Dank ihrer Liebe zu herausragendem Essen und dem gründertypischen 24/7-Einsatz blühte das kleine Geschäft mit seinen Sandwiches und dem kleinen, aber feinen Lebensmittelhandel immer mehr auf. Mittlerweile ist Zingerman’s eine der Topadressen für Foodies in den USA. Viele der auswärtigen Gäste haben das Gründerduo schon bestürmt, Zingerman’s-Filialen in anderen US-Städten zu eröffnen. Die Antwort ist immer die gleiche: Das Unternehmen habe eine Seele und die könne man nicht klonen. Die meisten auswärtigen Gäste sind überrascht, wie klein das berühmte Geschäft ist. Dazu Weinzweig: »Wir wollten nie zu den Größten zählen, sondern nur zu den Besten.« Statt über Filialen zu expandieren, ist man bei Zingerman’s einen anderen Weg gegangen. So wurden auf Initiative talentierter Mitarbeiter in Ann Arbor zwölf weitere spezialisierte Tochterunternehmen gegründet9, die alle die gleiche Mission verbindet: herausragende Lebensmittel auf hohem ökologischen und handwerklichen Niveau zu produzieren und dabei eine einzigartige Unternehmenskultur zu pflegen.10

Vorbildlich ist Zingerman’s im Umgang mit Unternehmenswachstum und den dabei zwangsläufig auftretenden Problemen und Engpässen. Ari Weinzweig adaptierte einen ursprünglich auf Abraham Maslow und Ron Lippitt zurückgehenden Ansatz namens Visioning. Demnach wehren sich Menschen vor allem darum vor Veränderungen (und genau das ist das »Problem« bei allen wachsenden Unternehmen), weil sie nicht wissen, für welches höhere Gut sie ihre bewährten Routinen aufgeben und Mehrarbeit in Kauf nehmen sollen. Haben sie jedoch eine klare, lebendige und vor allem attraktive (!) Vorstellung (»Vision«) von ihrer beruflichen Zukunft, verschwinden zum einen die Widerstände und zum anderen entfalten sich Selbstorganisation und Unterstützung für das Ziel. Dies zwingt die Unternehmen natürlich dazu, sinnstiftende und attraktive Strategien zu entwickeln, denn für das Ziel »Maximierung des Shareholder-Values« kommt wahrscheinlich kein normaler Mensch begeistert zur Arbeit. Bei Zingerman’s schreiben alle fest angestellten Mitarbeiter – wenn er oder sie es will – eine eigene, persönliche Vision. Und das Unternehmen tut dann alles, um die Person darin zu unterstützen, diese zu erreichen.

Vor einigen Jahren war ich in Ann Arbor, um von Ari Weinzweig die Kunst des Visioning zu erlernen. Ich war damals sehr beeindruckt von einer Küchenkraft aus dem Deli, die in ihrer Vision geschrieben hatte, dass sie Krankenschwester werden möchte. Das Unternehmen hat ihr nicht nur Mut gemacht, diese Vision Realität werden zu lassen, sondern hat ihre Schichtpläne dann so gelegt, dass sie auf die Abendschule gehen konnte. In unserem Workshop erzählte sie, dass sie gerade bei Zingerman’s gekündigt hatte und in drei Monaten im Krankenhaus von Ann Arbor ihre erste Stelle als Krankenschwester antreten würde. »Wer ist so bekloppt, gute Mitarbeiter zu ermutigen, das Unternehmen zu verlassen?«, wird sich jetzt manch einer fragen. Ganz einfach: Zingerman’s will ein attraktiver Arbeitgeber sein, ein Ort, an dem Menschen ihr volles Potenzial entwickeln können. Das ist etwas ganz anderes, als Menschen im Wortsinne einfach nur »Arbeit zu geben«, damit sie ihren Lebensunterhalt fristen können. Wenn der eine oder andere Mitarbeiter dabei entdeckt, dass seine Leidenschaft nicht darin besteht, großartiges Essen zu erzeugen, um dann etwas anderes zu tun, kann das nur im beiderseitigen Interesse sein: Der betreffende Mitarbeiter findet anderswo ein größeres Glück; und bei Zingerman’s ist man sicher, dass diejenigen, die bleiben, mit vollem Herzen dabei sind.

Alle Tochterunternehmen der ZCOB sind entstanden, weil Mitarbeiter die Sehnsucht nach etwas anderem verspürten. Wenn dieses »andere« zu den strategischen Säulen »Great Food – Great Service – Great Finance« passt, dann wird sorgfältig geprüft, ob diese Idee umgesetzt werden kann. Der erste Ableger des Delis ist die 1992 gegründete Bäckerei Bakehouse. Seit der Eröffnung des Delis fuhr jeden Morgen ein Mitarbeiter eine Stunde ins nahe gelegene Detroit (und wieder eine Stunde zurück), um dort bei einem besonders guten Bäcker das Brot für die Sandwiches zu kaufen; das Brot der ortsansässigen Bäcker genügte den Ansprüchen nicht. Frank Carollo, ein Mitarbeiter der ersten Stunde, brachte die Idee auf, eine eigene Bäckerei zu gründen – vor allem, um dann endlich all die köstlichen Backwaren zu produzieren, von denen man glaubte, dass sie die Kunden in Ann Arbor begeistern würden. Nach langem Rechnen und Visionieren fiel dann die Entscheidung, die Bäckerei zu eröffnen. Ganz nach dem Motto »Das Beste oder nichts« ging Carollo (der sich als gelernter Ingenieur das Backen selbst beigebracht hatte und Brot liebte) für ein halbes Jahr nach Frankreich und Deutschland, um dort bei den besten Bäckern zu hospitieren und zu lernen. Nach seiner Rückkehr wurde dann das Bakehouse in einem überraschend langweiligen Gewerbepark am Plaza Drive am Rande von Ann Arbor eröffnet. Hier spielte sich dann das Gleiche ab wie im Deli: Die herausragende Qualität führte zu rasantem Umsatzwachstum. Beliefert werden heute nicht nur die Zingerman’s-Unternehmen, sondern Restaurants und Einzelhändler in der gesamten Umgebung. Allein die Verkaufsstelle im Gewerbepark, weit ab von traditioneller Laufkundschaft, macht nahezu 1 Million Dollar Umsatz pro Jahr. »Eigentlich« wollte man dort gar nichts verkaufen. Doch nach und nach klopften immer mehr Angestellte der umliegenden Unternehmen an die Tür, um Brot mitzunehmen. Die Mundpropaganda tat das Ihrige, sodass dann bald ein eigener kleiner Laden in dem Gebäude eröffnet wurde.

Nach dem gleichen Muster wurden nach und nach die übrigen Unternehmen auf Initiative von Mitarbeitern ausgegründet: eine Kaffeerösterei mit Coffeeshop, ein traditionelles amerikanisches Diner (das Roadhouse), eine Molkerei, die Käse und Eiscreme produziert, ein koreanisches Restaurant (Miss Kim) und so weiter. Zingerman’s ist eine Brutstätte für Unternehmergeist und Exzellenz, und es zieht die besten und motiviertesten Leute an – genau das, wovon viele kleine und mittelständische Unternehmer träumen.

Ein großer Teil des Zingerman’s-Erfolges geht auf Open-Book-Management in spielerischer Form zurück, so wie es ursprünglich bei SRC erfunden wurde. Ausnahmslos alle Mitarbeiter – auch die Aushilfen – bekommen Finanztraining. Jeder versteht das Geschäftsmodell, kennt die Kostenstrukturen und die Gewinnmargen. Alle Mitarbeiter werden, wenn sie es wollen, in die strategische Planung eingebunden und können an der Zukunft des Unternehmens mitwirken. Aus Mitarbeitern sind wirkliche Mitunternehmer geworden. Die dem zugrunde liegende Geisteshaltung kann man natürlich nicht erlernen, man kann sie höchstens in sich entdecken. Allein macht aber auch sie kein Unternehmen erfolgreich. Hinzu kommen Methoden, Prozesse, Prinzipien, die jedermann erlernen kann. Einige davon werden dir in diesem Buch noch begegnen.

Spielregeln für Game Changer

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