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Das »Geheimnis« vor unserer Nase

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Sehr einfache, nahezu banale Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Fußballmatch sein ganzes Spiel- und Spaßpotenzial entfalten kann. Und davon können wir einiges auf die Arbeitsorganisation übertragen. Wir glauben häufig, dass wir von erfolgreichen Sportteams etwas über Teamgeist oder Siegeswillen lernen können oder dass wir fachliches oder motivationspsychologisches Geheimwissen aus der Trickkiste herausragender Trainer und Führungspersönlichkeiten dafür brauchen. Alles das schadet nicht – aber es löst nicht einmal ansatzweise die Motivationsprobleme in Unternehmen. Die Lösung dafür ist ausgesprochen banal und sie liegt wie viele sogenannte »Geheimnisse« direkt vor unserer Nase. Sie liegt nicht in Persönlichkeitseigenschaften oder Spezialwissen, sondern in den systemischen Rahmenbedingungen. Noch einmal: Das Herumschrauben an Menschen ist sinnlos. Stattdessen müssen wir an den Systemen arbeiten.

Welche Grundvoraussetzungen müssen nun erfüllt sein? Hier zwei essenzielle Bedingungen: Beim Fußball kennen alle Spieler ihre Rolle und beherrschen sie auch. Heißt: Jeder Mitarbeiter muss für seine Rolle und Aufgaben qualifiziert sein und sie kennen. Das ist die leichteste Übung. Darüber hinaus müssen alle Spieler die Spielregeln kennen. Hier geht das Problem los: Im eigenen Bereich weiß man dank Arbeitsplatzbeschreibung und Flurfunk in der Regel recht gut, was zu tun ist und was nicht. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Fast niemand weiß, was er oder sie tun muss, um das Spiel zu gewinnen. Im Fußball ist das relativ einfach. Die kritische Erfolgskennzahl lautet: Wir müssen ein Tor mehr schießen als der Gegner. Steht es in der Nachspielzeit 0:0, wird das Team automatisch anders – nämlich aggressiver – spielen, als wenn es nach 70 Minuten 4:0 vorne liegt. Doch wie sieht diese kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen aus? Tatsächlich können selbst Unternehmenslenker diese Frage nicht spontan beantworten. Sie ist auch nicht pauschal zu beantworten, denn je nach Geschäftsmodell, Wertschöpfungsprozess und aktueller Lage des Unternehmens kann sie anders ausfallen.

Die kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen ist »eine operationale oder finanzielle Kennzahl, die den zentralen Erfolgstreiber oder eine zentrale Verletzbarkeit repräsentiert«2. Sie kann die Leistungsfähigkeit und langfristige Sicherheit des Unternehmens gefährden, wenn sie nicht überwacht und korrigiert wird (mehr dazu im 9. Kapitel über »Scoreboard-Management in der Praxis«). Die Spielregel, dass derjenige siegt, der ein Tor mehr als der Gegner schießt, versetzt eine Fußballmannschaft in Verbindung mit der Kenntnis des Spielstandes in die Lage, selbstorganisiert und spontan sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Doch wie sieht das in Unternehmen aus? Angenommen, die kritische Zahl ist der Cashflow – etwa weil das Unternehmen munter wächst und die Kreditlinie langsam erschöpft ist. Das Team sieht nur, dass neue Mitarbeiter eingestellt und neue Kunden gewonnen werden. Kein Grund also, sich Sorgen zu machen und das Verhalten zu ändern. Bei den wenigen Eingeweihten sieht das anders aus: Sie haben ordentlich Stress. Da aber niemand über die prekäre Lage reden will oder kann, liegt eine merkwürdige, nicht greifbare Spannung über dem ganzen System. Würde jetzt der Cashflow täglich öffentlich unter Beobachtung gestellt, ganz so wie auf der großen Toranzeige im Stadion – und wäre jedem klar, was man generell und konkret tun kann, um ihn zu beeinflussen –, so würde sich automatisch und ohne großartige Appelle das Verhalten ändern. Und etwas anderes, extrem Wichtiges würde passieren: Die meisten Mitarbeiter würden sich darüber unterhalten, was man tun könnte, um an der Situation etwas zu verändern. Sie würden Ideen produzieren. Dieser »Besserwisser-Effekt« ist uns mehr oder weniger angeboren. Sobald wir irgendwo ein Problem sehen, das uns berührt, überlegen wir sofort, wie man es lösen könnte – auch wenn wir dafür keinen Auftrag und keine Qualifikation haben.

Würde man nun die Ideen des gesamten Teams zum Thema »Cashflow verbessern« einholen und diese auch umsetzen, gäbe es sehr rasch zwei bemerkenswerte Effekte: Der kritische Engpass wird weniger kritisch, und das Team macht die Erfahrung, dass es wirksam ist. In den meisten Organisationen aber agieren Führungskräfte wie Blindenführer: Sie lassen ihre Mitarbeiter über die Folgen ihres Handelns im Dunkeln und wundern sich dann, dass zu wenig Dynamik im Team zu spüren ist.

Alle Spieler müssen wissen, wie das Spiel steht. Anders ausgedrückt: Man braucht Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse. Die kritischen Engpässe brauchen Öffentlichkeit und einen Bezug zum täglichen Handeln. Solange die Zahlen als etwas betrachtet werden, das »die da oben« erzeugen, und solange diese Zahlen in einer langweiligen Excel-Tabelle auf einem Server schlafen, können sie weder steuern noch aktivieren. Können wir keinen Bezug zu unserem täglichen Handeln herstellen, bleibt die Steuerungskraft von Kennzahlen aus.3 Man stelle sich vor, man setzte Sebastian Vettel das Ziel, »möglichst viel Gewinn für Ferrari rauszuholen«. Eine absurde Vorstellung. Das Ziel ist idealerweise an einen hohen »Kundennutzen« gebunden, also in diesem Fall: Formel-1-Rennen zu gewinnen. Je besser das gelingt, desto höher die Chance auf einen ebenso attraktiven Gewinn für Ferrari, das mit jedem Sieg seine Marke pflegt und in der Folge einen Rekordgewinn von fast 70 000 Euro pro verkauftem Fahrzeug einfährt.4

Spielregeln für Game Changer

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