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Kapitel 3

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Es vergingen mehrere Tage, seit der alte König Sigurd, der Neunzehnte, seine letzte Ruhe fand und in das Reich von Aegir übergelaufen war. In der Zwischenzeit betraten die Gelehrten den Steinkreis und schaufelten den, in dickem Fell eingewickelten und vollständig gefrorenen, Leichnam aus dem Schnee, der nach wie vor auf dem Steintisch lag. Anschließend gruben sich die Gelehrten auf einem freien Fleckchen im Steinkreis tiefer in der Erde vor, platzierten den Körper des Königs im Loch, schütteten dieses zu und stellten einen gewaltigen Stein darauf. Der Stein enthielt die Inschrift »König Sigurd der Neunzehnte, der Gutmütige«.

Robin nutzte die Tage, um sich der Situation klarer zu werden. Hymnenartig sprach er sich Mut zu und nahm sich vor, nur noch nach vorne zu sehen. Es hätte keinen Sinn, würde er sich in seinem kleinen Domizil verstecken und darauf hoffen, dass sich alles von allein zum Guten wenden würde. Sein Vater sollte weiterhin stolz auf ihn sein. Dies erschwerte er ihm derzeit, mutmaßte Robin.

Schwierige Zeiten standen dem Lande bevor und Robin musste die Herausforderung und den Kampf annehmen. Wie hatte sein Vater stets gesagt: »Kämpfen macht dich stärker, nicht das Gewinnen.« Robin fühlte sich jedoch instabil. Während er sich Mut und Hoffnung zusprach, folgten die vielen Selbstzweifel, die ihn erneut in ein Tal aus Tränen versetzten. Er fühlte sich nicht bereit, Nachfolger seines Vaters zu werden. Genau genommen wusste Robin nicht, ob er es überhaupt wollte. Zu groß war der Druck, der auf ihm lastete, nach seinem Vater und Großvater den Königsthron zu erobern und mit derart großem Zuspruch das Lande zu führen.

Um künftig den König bestimmen zu können, erließ Stian, der Zehnte, etwa 1620 das Gesetz, einen großen Turnierkampf zu veranstalten. Nach seinem Tod im Jahre 1636 fand erstmals ein Turnier um die Krone statt und Bjarne, der Elfte, konnte den Sieg erringen. Das Turnier machte Robin wenig Sorgen, er wusste, er war ein begnadeter Kämpfer. Jedoch war er im Kopf nicht bereit und mit Sicherheit nicht derart reif, wie damals seine Vorfahren, dachte er.

Fortan machte sich Robin daher nur noch Gedanken über diesen bevorstehenden Turnierkampf, der sein restliches Leben bestimmen würde. Neben den Selbstzweifeln schlichen sich stetig auch noch Tagträume ein, in denen er auf vergangene Ereignisse mit seinem Vater zurückblickte.

>Robin folgte seinem Vater, beide waren in dicke Mäntel eingepackt. Damals trug König Sigurd noch mehr Haar, anstatt einer Halbglatze mit wenigen kurzen grauen Haaren, die emporstanden. Sie verließen Königsburg im Osten und betraten den Gebirgsweg, ehe sie zur rechten Seite den riesigen, verrufenen Gebirgswald erblicken konnten. König Sigurd zeigte seinem Sohn den Wald, um ihm anschaulich verdeutlichen zu können, welch Wunder sich darin befanden.

Von großen gefährlichen Tieren bis hin zu Pflanzen, die derart riesig waren, dass sie selbst ausgewachsene Menschen verschlucken könnten, zeigte er Robin alles.

Der Boden war übersät von heilvollen Pflanzen wie Lavendel, Melisse, Liebstöckel und Arnika, die allesamt ausschließlich im kalten Eislande ihr Zuhause hatten. Sie wurden von Heilern und Heilerinnen vor Gebrauch frisch geerntet und für besondere verschiedenartige Heiltränke verwendet. Als Kind beeindruckten Robin die großen bunten Pflanzen, er fand sie aber auch unheimlich<, erinnerte er sich zurück.

>Umso tiefer sie in den Wald voller Birken hineindrangen, desto mehr Angst überkam Robin. Dieses Gestrüpp von Ästen, in dem kein klarer Blick hindurch möglich war, schien Geheimnisvolles zu verstecken und zu verschweigen. Robin hatte das Gefühl, rundherum von zig zusammengekniffenen Augen angestarrt zu werden. Seine Angst verflog allerdings rasch, denn er war der Sohn des Königs und damit konnte ihm niemand etwas anhaben, solange sein Vater an seiner Seite war.<


Die Tatsache, dass dieser Schutz der Vergangenheit angehörte, holte Robin schneller in die Realität zurück, als ihm lieb war. Er war nun auf sich allein gestellt, sein Vater konnte ihn nicht mehr beschützen und es lag an ihm, zu realisieren, dass er ab sofort seine Familie beschützen musste. Robin war kein Kind mehr, es war an der Zeit, erwachsen zu werden und aus dem geschützten Kokon seines Elternhauses zu schlüpfen.


Robin schlenderte durch die monströsen Gänge der Burg, in der seine Familie zumindest noch bis zum Ende des Turnierkampfs beheimatet war und im Fall eines Sieges von ihm gar noch länger hier verweilen konnte. Die Burg war ein beeindruckendes Gebäude, das aus massiven Steinen aus den umliegenden Gebirgen erbaut worden war. Sowohl die Gemächer der Königsfamilie, im Königshaus Kemenaten genannt, als auch die gesamte restliche Burg, von den Essensräumen über Arbeitsräume und Badezimmern, waren mit den besten Materialien ausgestattet.

Während Wände, Böden und Kamine, die für Wärme in der Burg sorgten, aus den kostbaren Gebirgssteinen hergestellt waren, diente das wertvollste Holz des Landes für Schlaf- und Sitzgelegenheiten. An den Wänden der verschiedenen Kemenaten und Verbindungswegen waren zudem Malereien von alten kreativen Königen sowie seltene und wertvolle Gegenstände zu finden. An einer bestimmten Stelle in der Burg blieb Robin stehen und berührte sanft die Mauer. Er erinnerte sich, was ihm sein Vater über den Bau der Burg gelehrt hatte.

Im Jahr 1170 beschloss König Victor der Erste, der Eroberer, dass für ihn und alle folgenden Könige eine Burg, in damals noch für Menschen unvorstellbarer Größe, in seiner Heimatstadt Königsburg erbaut werden sollte. Durch dieses Monstrum stieg Königsburg zur wichtigsten und bedeutsamsten Stadt vom Eislande auf. Jedes Jahr wanderten unzählige Menschen zur nördlichsten Stadt der Fünf Lande, um die Burg von außen begutachten und bestaunen zu können.

Als der Bau der Burg begonnen hatte, gab es einen aus heutiger Sicht schrecklichen Brauch. Denn bei solchen bedeutungsvollen Bauten waren Hohlräume und Säulen errichtet worden, in denen lebendige, insbesondere Unruhestifter und Gesetzesbrecher, sowie tote Menschen eingemauert worden waren. Dies sollte der Burg, neben den ohnehin schon massiven Steinen aus den Gebirgen, einen zusätzlichen symbolischen Wert geben und absurderweise Stabilität verleihen.

Den Geschichtsbüchern nach waren etwa hundert Menschen in den Wänden der Burg verewigt worden. An der Stelle, an der Robin seine Hand aufgelegt hatte, war laut seinem Vater, dem diese Geschichte ebenfalls zugetragen worden war, Victor, der Erste, eingemauert worden. Dies soll Victors letzter Wunsch vor seinem Tod gewesen sein, denn fertiggestellt war die Burg erst etwa im Jahre 1300. Dies bedeutete, dass König Victor sein eigenes fertiges Kunstwerk nie selbst bestaunen durfte. Von außen zumindest nicht.

Robin stellte sich vor, wie es wohl wäre, hinter den Wänden eingesperrt zu sein und für ewig dort existieren zu müssen. Ohne Essen und Wasser, mit kaum noch Luft zum Atmen. Er fragte sich, wie lange ein Mensch in solch einem Zustand überleben konnte. König Sigurd hatte ihm erzählt, die Menschen waren sofort gestorben, da ihnen sämtlicher Zugang zu Atemluft fehlte.

Dass eine derartige Praktik früher Brauch war, konnte sich Robin heute nicht mehr vorstellen. Er selbst würde niemals eigene Frauen und Männer des Landes opfern, ebenso keine Fremden oder Feinde damit bestrafen, nur um einer Symbolik nachzujagen.


Noch in Gedanken versunken, war Robin von vier Freunden überrascht worden, die bereits erfolglos in seiner Kemenate nach ihm gesucht hatten. Seine Weggefährten Sven, Torm, Asger und Andar waren in der Hoffnung gekommen, Robin ablenken und aufmuntern zu können. Die Innenstadt von Königsburg war grundsätzlich ein gern besuchter Ort von Robin und seinen Freunden.

»Es würde dir guttun, diese Mauern einmal nicht vor Augen zu haben. Die Innenstadt kann es sich nicht leisten, auf uns Schönlinge zu verzichten, also kommt mit!«, forderte Torm, der an seinen hochgebundenen blonden Haaren herumspielte. Mit seinen 24 Jahren war er der jüngste Freund von Robin. In seinem Gesicht fand sich stets ein breites Grinsen, derart glücklich und positiv eingestellt war er. Er verachtete nichts mehr als schlechte Laune, denn das Leben sei zu kurz, um sich ständig schlecht zu fühlen.

Diese positive Art von Torm konnte Robin oftmals zur Verzweiflung treiben, auch wenn er sich zumeist von dessen positiver Ausstrahlung anstecken ließ, so auch dieses Mal. Er empfand es als eine gute und willkommene Ablenkung und folgte ihnen.

Der Weg von der Burg, Hauptsitz der Königsfamilie, bis in die Innenstadt von Königsburg war ein langer.

Die Burg war zwar zentral in der Hauptstadt erbaut worden, doch befand sich das mächtige Gebäude auf einem gewaltigen Hügel, umgeben von hunderten von Häusern, die im Tal um die Festung herum errichtet waren.

Beim Verlassen der Burg marschierten die fünf Freunde am großen Festsaal, an den Aussichtstürmen der Burg (den sogenannten Burgfrieden) sowie dem Burghof vorbei, in dem alle Arbeitskräfte des Königshauses untergebracht waren und ihre Arbeit verrichteten. In der Mitte des Burghofes befand sich der grüne Hof, der für die ruhigen und geselligen Momente Sitzmöglichkeiten für die Bediensteten bot.

Rund um den grünen Hof waren verschiedenste Arbeitshäuser platziert, wie eine kleine Schmiede, ein Ärztehaus, eine Wäscherei, eine Bäckerei und eine Brauerei, die alle ausschließlich für das Königshaus zur Verfügung standen. Unter dem letzten König kam es jedoch zur Lockerung dieser Regelung, sodass die Arbeiter und Arbeiterinnen nicht mehr ausschließlich dem Königshaus dienten, sondern allgemein Königsburg.

Am Ende des Hügels angekommen, erwartete die Fünf ein Haupttor, geformt und erbaut aus ebenfalls unzerstörbaren Steinen aus den umliegenden Gebirgen. Dieses Haupttor stand, soweit sich Robin erinnern konnte, immer schon offen, könnte allerdings jederzeit nach Anweisung geschlossen werden. Den Eingang sowie Ausgang der Burg zierten mehrere Flaggen vom Eislande, auf denen ein Bär abgebildet war. Rund um das Haupttor umgab die Burg eine Mauer, die derart groß war, dass diese noch von der Innenstadt aus gesehen werden konnte.

Nachdem das Haupttor durchquert war, folgte eine Brücke über einen seit Jahrhunderten zugefrorenen Fluss. Diese interessante Bauweise und Ausrichtung der Burg machte es nahezu unmöglich, dass Feinde die Festung erobern konnten.

In der Geschichte vom Eislande kam es nur selten vor, dass feindliche Gruppierungen versuchten, die Burg zu stürmen. Egal ob Barbaren oder andere wütende Formationen, sie bissen sich stets beim Versuch die Zähne aus und mussten dabei schlussendlich ihr Leben lassen.

Ein einziger Angriff auf die Burg und die damalige Königsfamilie konnte tatsächlich mit Erfolg beendet werden. In der Rebellion gegen Wodan, den Zwölften, im Jahre 1740, siegte das aufgebrachte, unzufriedene Volk. Zu zahlreich war die erboste Menge und zu gering der Widerstand und Rückhalt des damaligen unbeliebten Königs.

Königsburg war umgeben von schneebedeckten Gebirgen, wobei sich die Häuser der Stadt bis zum Rande und dem Beginn der hohen Gebirge streckten. Manche bauten ihre Häuser sogar in die Gebirgsfelsen hinein, nur um in der Hauptstadt leben zu können. Die Mehrzahl der Häuser war aus Steinen hergestellt worden. Menschen mit weniger Besitz wählten Holz aus dem Gebirgswald für ihre Unterkünfte. Aus Königsburg hinaus führten lediglich zwei offizielle Wege, der Gebirgsweg im Osten und im Westen.

In der Innenstadt von Königsburg angekommen, schaute sich Robin neugierig um, denn ihm unbekannte Kämpfer waren in großer Anzahl zu sehen. Die Fünf konnten deutlich spüren, wie die Anspannung für den kommenden großen Turnierkampf ins Unermessliche stieg. Erste Vorbereitungen für das prestigereiche Turnier waren getroffen, Unterkünfte für die extra anreisenden Kämpfer geschaffen, die Kampfarena gerüstet worden und einiges mehr. All die vor ihm herlaufenden und unter Stress schuftenden Arbeitskräfte beeindruckten Robin und ließen ihn nervöser werden. Ein seltsames Gefühl kroch seinen Magen hoch und er verspürte eine extreme Unruhe.

Als er an einer Wand eine Malerei erblickte, die einen Kampf darstellen sollte, verfiel Robin wieder in eine Erinnerung an seinen Vater, die ungefähr zehn Jahre zuvor stattgefunden haben musste.

>Robin stand plötzlich in einer Höhle, neben ihm sein Vater, König Sigurd, der ihm die Bedeutung erklärte.

»Mein Sohn, wir befinden uns hier in der Höhle der Zeit. Sie existiert seit Anbeginn der Zeit und all unsere Vorfahren haben hier die wichtigsten, aber auch einige aus heutiger Sicht betrachtet unbedeutende Ereignisse vom Eislande festgehalten.«

Robin staunte nicht schlecht, als er sich in der Höhle umsah. »Die Höhle dient als Geschichtswerk für alle Menschen im Lande, heute vor allem für die, die ferner nicht schreiben und lesen können. Früher, als es noch keine Bücher gab, wanderten unzählige Einheimische hierher. Denn damals wurden Ereignisse anhand von Zeichnungen an der Wand dieser Höhle verewigt«, fügte König Sigurd hinzu, als er seinen Sohn, der immens beeindruckt war, sah.

»Es gab keine Bücher?«, fragte Robin ungläubig.

Sein Vater lachte, es verwunderte ihn nicht, dass sein Sohn sich schwertat, dies zu glauben. Robin war begeistert von Büchern aller Art. Wenn er sich nicht mit Freunden traf, war er stets mit einem Buch in der Hand in seiner Kemenate anzutreffen. Für Robin spielte es keine Rolle, ob es beispielswese ein Geschichts- oder Politikbuch war, er verschlang alle Bücher in nur kurzer Zeit und konnte sich Monate später noch genauestens an alle Details erinnern.

»Nein, mein Junge, früher mussten die Menschen tatsächlich noch ihr Hab verlassen und die Gefahr auf sich nehmen, hierher in die Höhle zu wandern, um die umfassende Geschichte unseres alten Landes zu erfahren. Mit Hilfe ergiebiger Malereien an den Wänden, eine schöner als die andere.«

Egal wie oft König Sigurd die Höhle der Zeit mittlerweile besucht hatte, es war jedes Mal aufs Neue besonders für ihn. Selbst beim zehnten Besuch konnten noch neue Details erkannt werden, die zuvor nie von ihm registriert worden waren.

»Kaum zu glauben, hier ist alles komplett unübersichtlich. Wo fängt etwas an und wo hört es auf?«, fragte der neugierige Robin, der damals noch ein Junge war.

»Wenn du dich nur lange genug hier aufhältst, dann weißt du es«, zwinkerte ihm sein Vater bestimmt zu.

Robin hatte noch weitere Fragen. »Bedeutet das nun, dass all die Sachen, die ich in Geschichtsbüchern gelesen habe, aus dieser Höhle stammen?«

Bevor König Sigurd antworten konnte, sprach Robin völlig aufgedreht weiter. »Und wer hat die Malereien in Bücher übertragen?«

»Warte, warte, mein Sohn! Du bekommst deine Antworten, aber du musst mir schon zuhören«, erklärte sein Vater und lachte laut auf.

»Tut mir leid, Vater.«

»Also, zuallererst hattest du Recht. All das, was wir von der Vergangenheit vom Eislande wissen und heute in Geschichtsbüchern nachlesen können, war damals hier in der Höhle verewigt und vor etwa 200 Jahren von Gelehrten auf Papier niedergeschrieben worden.«

»Von Gelehrten?«, fragte Robin erstaunt nach.

»Ja, von Gelehrten. Deswegen findest du kaum Malereien von der jüngeren Vergangenheit, da seither alles primär auf Papier verewigt worden war und nur noch wenige Malereien in dieser Höhle.«

Robin überkam eine gewisse Skepsis. »Was, wenn all das hier nicht stimmt und ferner nie stattgefunden hat?«, überlegte er laut.

»Wie meinst du das?«, fragte König Sigurd verdutzt.

»Wer weiß, ob sich die angefertigten Malereien von vor über 200 Jahren wirklich zugetragen haben?«, rätselte Robin und befürchtete, seinen Vater mit dieser Frage zu verärgern.

»Warum sollte es nicht stimmen, mein Sohn?«, erkundigte sich König Sigurd in einem ruhigen Ton. Er ließ nicht durchblicken, wie stolz er auf seinen Sohn war, dass dieser, in Stein gemeißelte Tatsachen, trotzdem hinterfragte und nicht einfach blind glaubte.

»Ich weiß nicht, war nur ein Gedanke, der mir spontan kam. Wäre auf jeden Fall witzig, wenn wir eine Geschichte leben und verbreiten, die nie stattgefunden hat und sich nur ein paar kreative Köpfe ausgedacht haben.« Diese Aussage brachte nicht nur Robin zum Lachen, sondern obendrein seinen Vater.

Nachdem sich beide beruhigt hatten, wollte König Sigurd noch etwas loswerden. »Übrigens, eines ist mit Sicherheit nicht verfälscht, denn sogar dein Großvater und ich haben hier Ereignisse anfertigen lassen.«

»Echt? Wo?«, fragte der Königssohn neugierig.

»Hier!«, rief sein Vater und zeigte auf ein wunderschön gemaltes Bild, auf welchem der Steinkreis zu sehen war. »Die Trauerfeier deines Großvaters. Es war eine unglaubliche Zeremonie, das ganze Lande war zugegen, um König Thanos die letzte Ehre zu erweisen. Ich war damals extrem überwältigt und gerührt. Es zeigte, was für ein großartiger König er all die Jahre war.« König Sigurd verfiel in Sentimentalität. »Es war eine große Ehre für mich in seine Fußstapfen zu treten, auch wenn es zu Beginn nicht einfach war.«

Für Robin war es eine neue Erfahrung, seinen starken Vater emotional zu sehen. Es war überwältigend in dieser Höhle zu stehen und die teils uralten Malereien zu betrachten. Erstaunlich war für Robin, dass die Menschen schon damals den Drang hatten, ihre Gedanken festhalten zu wollen und ihnen anhand von Malereien Unsterblichkeit verliehen.

Als sich Robin einen ersten Überblick verschafft hatte, merkte er, dass die Reihung der Zeichnungen doch Sinn ergab und alle eine bestimmte Größe hatten. Sämtliche Künstler hatten sich offenbar stets an vorherigen Malereien orientiert. Ältere Werke waren zum Teil mit schwarzen Schattierungen übersehen. Dies fand Robin erstaunlich, dass bereits einst extrem auf Einzelheiten geachtet worden war.

Zudem stellte er fest, dieser Stil mit den schwarzen Schattierungen war bis in die gegenwärtige Zeit praktiziert und mittlerweile perfektioniert geworden. Nicht wenige junge Malereien waren bis in das kleinste Detail durchdacht und wirkten durch die Feinheiten wie reale Erscheinungen. Bei einigen Malkünsten waren für Robin Ränder zu erkennen, die jedoch mit Sicherheit nicht von großer Bedeutung waren, aber eine gewisse Schönheit verliehen.

In seinem Tagtraum berührte Robin eine Malerei mit einem schwarzen Rand, in der zahlreiche Krieger mit Schwertern zu sehen waren, als plötzlich die Höhle anfing zu beben und zu bröckeln. Der steinerne Boden unter Robin wackelte, in Begleitung von lauten Schlaggeräuschen, auf und ab, ehe er aus seiner Erinnerung gerissen worden war.<

Robin stand wieder neben seinen Freunden in Königsburg und blickte auf einen Schmied, der heftig auf einem Eisenschwert hämmerte.

»Alles gut? Wo warst du mit deinen Gedanken?«, fragte ihn Sven lächelnd, nachdem Robin seine Reise durch seine Erinnerungen beendet hatte.

»Ach, nirgends. Was gehen wir an?«, fragte Robin voller Vorfreude, Zeit mit seinen besten Freunden verbringen zu können und somit abgelenkt zu werden.

»Weiß nicht, was wollt ihr machen?«, fragte Sven in die Runde.

»Also ich würde ja, aber das ist bloß meine bescheidene Meinung, den Schänkenweg vorschlagen«, verkündete Torm belustigt und hoffte, dass die anderen ebenfalls Durst hatten.

»War klar.« Sven verdrehte belustigt die Augen und alle lachten.


Nach dem Ausflug in die Innenstadt von Königsburg, saß Robin am Morgen des nächsten Tages mit seiner Mutter und dem Königsberater Ragnarr zum Essen an einem Tisch. Sie befanden sich in einer geräumigen Esskammer, der größeren von den insgesamt zwei Esskammern in der Burg. Die Königsfamilie aß ausschließlich in dieser, für die andere hatten sie kaum Verwendung, auch weil das Königshaus mit den wenigen Personen der aktuellen Königsfamilie ohnehin recht unbewohnt war.

Die Esskammer besaß in der Mitte einen aus Holz hergestellten langen Tisch, der für etwa zwölf Menschen Platz bot. Die Stühle waren ebenfalls aus Holz und zusätzlich gepolstert, um ein langes Verweilen angenehm zu gestalten. Bunte Bilder an den Wänden verschönerten den dunklen und alten Raum, der zuletzt vor etwa 400 Jahren teilsaniert worden war. Dennoch war die Esskammer ein ansehnlicher Ort, der eine lange Geschichte mit sich zog.

Zu Essen gab es in der Burg dreimal, in der Früh, zur Mitte des Tages (wenn die Sonne am höchsten stand) und bei Dunkelheitseinbruch. Wobei die derzeitige Königsfamilie mit dem Personal vereinbart hatte, dass mit einbrechender Dunkelheit kein drittes Gericht serviert werden musste, sondern die Reste vom zweiten Gang aufgegessen wurden, um eine Essensverschwendung zu vermeiden.

Wie die gesamte Belegschaft, waren auch das Kochpersonal und deren Familien im Burghof untergebracht.

Serviert wurde meist frisches Gemüse und Obst, das im südlichen Teil von Königsburg auf den zwei vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen angebaut worden war. Mit Hilfe dieser zwei Felder konnte die Versorgung von fast ganz Königsburg sichergestellt werden. Der Anbau und die Ernte bereiteten jedoch Königsburg und dem Rest des Landes, dank der Eiseskälte, immer wieder Kopfzerbrechen. Bis kluge Handwerker ein neues System mit durch die Sonne aufgeheizten Dächern erfanden, welche die Flächen vor dem Eis schützten.

Weiters war der Verzehr von Langohren im Eislande weit verbreitet, vor allem in den Dörfern, die kaum Zugriff auf andere Nahrungsmittel hatten. In Königsburg gab es eine Langohren-Zuchtanlage, doch das Fleisch der Tiere landete nur selten auf den Tellern der Königsfamilie, diente es eher der Versorgung von besitzärmeren Familien der Stadt.

Die wohlhabenderen Häuser griffen vermehrt auf kostbarere Güter wie beispielsweise Gemüse, Obst und verschiedene Nahrungsmittel aus Getreide, die jedoch allesamt knapp und begrenzt waren, zurück. Langohren waren dagegen massenhaft vorhanden, es verirrten sich sogar hin und wieder einige davon in die Stadt Königsburg. Im Prinzip waren diese kleinen Tiere allerdings scheu und gingen den Einheimischen vom Eislande aus dem Weg.

Während Königin Runa und Ragnarr am Essenstisch über den möglichen Tag des Turnierkampfes rätselten, der von den Gelehrten festgesetzt werden würde, saß Robin daneben und verspeiste sein mit Gemüse belegtes Brötchen.

»Mir ist das Gerücht zu Ohren gekommen, dass die Anzahl an Bewerbungen für das Turnier noch nie derartig hoch war«, sagte Ragnarr, der dies selbst erst einen Tag zuvor in verschiedenen Schänken aufgeschnappt hatte.

»Das wundert mich nicht, feiern wir schlussendlich ein doppeltes Jubiläum«, erwiderte Königin Runa.

Von einem doppelten Jubiläum war im Eislande die Rede, da es sich um den 10. Turnierkampf der Geschichte handelte und dadurch der 20. König gekürt werden sollte.

»Stimmt, aber mit so einer Menge an Bewerbungen hätte wohl trotzdem niemand gerechnet. Beim letzten Turnierkampf vor vierzig Jahren waren es nicht einmal die Hälfte, im Vergleich zu heute. Und die Eintragungen sind noch nicht beendet.«

»Aber wie soll das ablaufen? Das wären haufenweise Kämpfer und Kämpferinnen. Wer bringt diese in Königsburg alle unter?«, fragte Königin Runa. Als Ragnarr antworten wollte, setzte Runa wieder ein. »Und die Anzahl der Kämpfe erst, diese würden den gewöhnlichen Rahmen deutlich ausdehnen. Das Turnier würde doppelt oder möglicherweise sogar die dreifache Anzahl der Tage in Anspruch nehmen. Das halte ich für komplett unmöglich«, fasste Königin Runa ihre Gedanken zusammen.

Doch Ragnarr wusste bereits mehr, als er bisher verkündet hatte. »Meine Vögel in Königsburg zwitschern, dass erstmals eine Art Mutprobe, eine sogenannte Qualifikation für das Turnier stattfinden soll, um die besten Kämpfer des Landes vorab zu testen.« Triumphierend ob dieser heißen Neuigkeiten lehnte sich Ragnarr in seinem Stuhl zurück und erwartete voller Begeisterung die Reaktionen von Königin Runa und Robin.

Robin sah erstmals auf und wirkte, als ob er sich an seinem Brötchen verschluckt hätte. Ohne zu kauen schluckte er einen großen Bissen hinunter. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er überstürzt.

»Mehr weiß ich leider noch nicht, ich befürchte jedoch, dass die Gelehrten den Turnierkampf und die mögliche Qualifikation enorm auskosten und ausschlachten wollen. Den Menschen soll ein Drama geboten werden und deren Gier nach blutrünstigen Fantasien gestillt werden.« Ragnarr holte Luft und genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde.

»Andere Zungen behaupten dagegen, dass die Gelehrten damit nicht die Gier stillen, sondern die Gier nach Blut und Tod wiedererwecken wollen. Sie wollen damit der zu lange anhaltenden Zufriedenheit der Menschen in unserem Lande, welche eine sogenannte Überbevölkerung gefördert hätte, entgegenwirken.« Ragnarr fand dieses Gerücht selbst derartig komisch und fremd, dass er anschließend laut auflachen musste.

»Also nicht, dass ich es den Gelehrten nicht zutrauen würde, aber von einer Überbevölkerung im Eislande zu sprechen ist schon belustigend«, fügte Ragnarr noch hinzu, da Runa und Robin nicht in seinen Lacher eingestiegen waren.

»Die Gelehrten fürchten um ihren Besitz und deren immer kleiner werdenden Macht über die Bevölkerung«, brachte sich Königin Runa ein.

Ragnarr grinste ihr zu, er war erfreut, dass Königin Runa, wie er selbst, das Spiel der Gelehrten durchschaut hatte. »Es wird leider derart viele Tote, wie noch nie bei einem Turnierkampf, um den Königsthron geben. Es wird nicht nur, es muss, wenn den Gerüchten über die Ideen der Gelehrten Glauben geschenkt werden kann.«

Den Gerüchten, die ihm zugetragen worden waren, wollte Ragnarr abschließend noch mit seiner gewohnt rauen Stimme etwas hinzufügen. »Es wird endlich Zeit, die vier Gelehrten neu zu besetzen. Sie kamen ab von ihrem eigentlichen Auftrag, dem Lande zu dienen und nutzen nur noch deren letzte übrig gebliebene Macht aus, die zum Glück unter König Sigurd noch weiter eingegrenzt werden konnte.«

Königin Runa nickte zustimmend, besser hätte sie es nicht beschreiben können.

»Doch wer weiß, wer der neue König wird und in welchem Verhältnis er zu den Gelehrten steht. Möge Aegir dafür sorgen, dass unser Eislande in behutsame Hände gelegt wird«, sagte Ragnarr bedrückt und in Erwartung des für das Lande schlechteste Szenario.

»Da kann ich dir nur zustimmen«, antwortete Königin Runa, während Robin wieder tief in seinen Gedanken versunken war.


Den restlichen Tag grübelte Robin über die Worte von Ragnarr nach. Als wäre der Turnierkampf nicht genug, machte ihm nun obendrein die Qualifikation große Sorgen. Wieder kamen unzählige Selbstzweifel in ihm auf und er überlegte sogar, nicht am Turnier teilzunehmen. Er fühlte sich nicht in der Verfassung, die Qualifikation und den Turnierkampf zu überstehen und letzten Endes zu gewinnen. Schlussendlich zählte nur der Sieg, alles andere war beim Turnier wertlos.

Weiters überraschte ihn, dass die Gelehrten offenbar solche abwegigen Pläne verfolgen würden. Bisher hatte er nie Kontakt zu Gelehrten, doch die Hingabe der wichtigsten Diener des Landes hatte er sich anders vorgestellt. Das Turnier um die Krone sollte den Hauptzweck haben, den neuen König zu bestimmen und nicht mit aller Macht als ein brutales Spektakel der schaulustigen Masse zu dienen. Robin wünschte sich lediglich ein gerechtes Turnier, in dem der würdigste Nachfolger von König Sigurd gefunden werden sollte.

Der Umstand, dass sein Wunsch wohl nicht in Erfüllung gehen würde, verunsicherte Robin mehr als je zuvor. Er war die Hoffnung dieses Königshauses, doch plagte ihn die Angst, bereits in der Qualifikation zu scheitern und sich somit zum Gespött des gesamten Landes zu machen. Nicht nur sich selbst, auch die Königsfamilie und seinen verdienstvollen Vater würde er der Lächerlichkeit preisgeben. Er sah bereits vor seinen Augen, wie die Menschen auf ihn zeigten und ihn auslachten. Robin fühlte sich nicht bereit. Der Druck verkam zu einer Last, die er nicht länger auf seinen Schultern stemmen konnte.

Die Schlacht der Fünf Lande

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