Читать книгу Die Schlacht der Fünf Lande - KF König - Страница 11
Kapitel 4
ОглавлениеSeine Augen waren geschlossen, sein Atem schwer und unruhig. Zudem fletschte er die Zähne bei dessen schmerzverzerrten Antlitz. Unmengen an Schweiß liefen über sein verbrauchtes und eingefallenes Gesicht, das alle paar Augenblicke von einem Diener mit einem kalten Tuch abgetupft worden war. Geschwächt von seinem langen Leben, lag er nahezu unbekleidet in seinem Bett, das seit Wochen ununterbrochen seinem Gebrauch diente. Sämtliche Decken und Lacken mussten täglich gewechselt und gereinigt werden, um im Schlafraum einen annähernd erträglichen Geruch beizubehalten. Die Hitze hatte sich in dem weitläufigen Raum ohne Schwierigkeiten eingenistet und machte keine Anstalten vorzeitig abzubrechen. Trotz dicker Vorhänge, die den Raum verdunkelten und ihn vor den Sonnenstrahlen schützten, waren die heißen Temperaturen erschöpfend.
Das Zimmer des Königspaares war prachtvoll eingerichtet. Zentral war ein massives Bett aus Holz aufgestellt, das mit der feinsten Seide des Landes überzogen war. Von der Raumdecke hing ein bemerkenswerter Kronleuchter, der mit Hilfe von zahlreichen Kerzen den Raum erhellte. Neben einem stattlichen Teppich auf dem Boden, welcher die gesamte Raumfläche bedeckte, standen zudem Schränke und ein Tisch sowie drei Stühle in einer Ecke des Schlafraumes. Für Unterhaltungen und andere Angelegenheiten gab es einen weiteren eigens dafür errichteten Bereich, doch seitdem König Finn sein Gemach nur unter schwerster Kraftanstrengung verlassen konnte, blieb er mit der Königin und dem Königsberater zumeist im eigenen Abteil.
An Unterhaltungen war seit langer Zeit nicht mehr zu denken, der König befand sich fortwährend im Kampf gegen den Tod, wobei als Schauplatz des Duells unentwegt sein eigenes Bett diente. Mit jedem neuerlichen Atemzug vermutete er sein Ende, welches er jedoch keineswegs akzeptieren wollte. Er verschwendete keine Gedanken an eine Aufgabe, er hatte mit seinen 74 Jahren noch nicht genug und wollte daher erneut zu Kräften kommen. Im Südlande war dies ein äußerst erhebliches Alter, allerdings machten ihm die Einheimischen Mut, die selbst das Alter von 80 Jahren erreichten.
Trotz seiner Größe, breitete sich König Finn kaum auf seinem riesigen Bett aus, zu ausgehungert war der grauhaarige Mann inzwischen. Aufgrund der langanhaltenden Meidung der Sonne, nach Aufforderung seiner Bediensteten, sah sein Gesicht fahl und leer aus, übersät von unzähligen Falten. Wie sämtliche Angehörige der Königsfamilie hatte er bewundernswert rote Augen, die besonders von seinem eigenen Volk ehrfürchtig betrachtet wurden. Er war Vater eines Sohnes und stolzer Mann von Königin Ann, die ihm pausenlos zur Seite stand. Seine Eltern waren seit langer Zeit tot, Mutter Gwen starb kurz nach Vater Nils, dem 39. König der Südlande, der vor 55 Jahren einer unbekannten Krankheit erlag, die vermutlich die vorherrschende unerträgliche Hitze hervorgerufen hatte.
Finn war ein belesener Mensch, der zudem selbst gerne Bücher über das Leben im Königspalast sowie der Geschichte und den unzähligen Königen vom Südlande schrieb. Diese Bücher sollten seinen Nachfahren als Unterstützung dienen und ein pflichtbewusstes Handeln hervorrufen. Desgleichen konnte Finn von seinen Vorfahren anhand reichlich vorhandener Dokumente und Bücher lernen, wie das Südlande bereits seit dem Jahre 450 erfolgreich von nur einer Königsfamilie geführt werden konnte. Er war stolz, ein Teil davon zu sein, selbst wenn manche dunklen Momente der Vergangenheit kaum auszublenden waren und er sich beständig vornahm, gewissenhafter als seine Ahnen über das Volk zu herrschen.
Trotzdem waren König Finn und seine Familie, wie obendrein deren Vorgänger, von den Menschen im Lande verehrt worden. Sie lagen ihnen zu Füßen, wodurch Finn den mächtigen Palast, seit der Übernahme der Krone nach dem Tod seines Vaters, nicht mehr verlassen konnte. Zumal die unkontrollierbare Menschenmenge unbeabsichtigt heftige Auswirkungen zur Folge haben hätte können.
Für Finn war es besonders wichtig, die Historie der alten Könige zu kennen und folgend zu verstehen, wie es zur Huldigung und der Ehrfurcht vor der Königsfamilie kommen konnte. Bis zuletzt konnte er nicht nachvollziehen, wieso ihm das Volk derart blind vertraute und an ihm und seinen Entscheidungen bedingungslos festhielt.
In den letzten Wochen und Monaten hatte König Finn gehörig mit den heißen Temperaturen zu kämpfen, sein stetig schwächer werdender Körper verzweifelte unter der extremen Sonneneinstrahlung. Im Südlande, insbesondere in Feuerstadt und in der östlichen Kleinstadt Schlangental, war die Hitze ein ständiger Zeitgenosse, anhaltend waren die Menschen diesen beinahe unmenschlichen Bedingungen ausgeliefert. Zudem gab es kaum Böen und bestenfalls nur wenige Male im Jahr Regen, der eine gewisse Entspannung mit sich brachte und dem Volk neue Kraft verlieh. Der König konnte sich nicht mehr genau an den letzten Regenguss im Lande erinnern, lag dies doch schon Monate in der Vergangenheit.
Feuerstadt war die älteste Stadt vom Südlande und zugleich die Hauptstadt, die ab dem Jahre 450 mit Sam, dem 1. König und sämtlichen folgenden Königen des Landes besiedelt worden war. Im Jahre 455 beschloss König Sam den Bau eines prachtvollen Palastes, der alle künftigen Könige und deren Familien beherbergen sollte. Die Errichtung glich einem Wunder, denn der monströse Königspalast war in nur einem Jahr fertiggestellt worden. Anders als die restlichen Gebäude im Südlande, die aus Lehmziegeln erbaut worden waren, bestand der Palast ausschließlich aus massiven Steinen. Dies blieb bis in die Neuzeit eine Ausnahme, niemand anderes konnte sich ein komplettes Bauwerk aus den im Südlande rar vorkommenden Steinen leisten.
Vier riesige Türme ragten aus dem gewaltigen Palast empor, um die Einwohner und Einwohnerinnen aus Feuerstadt von der Ferne aus einzuschüchtern. Neben dem besten Material für den Bau der Festung, war darüber hinaus bei der Ausstattung im Inneren desgleichen nicht gespart worden. Bis heute konnte sich niemand erklären, wie König Sam dieses Kunstwerk erschaffen lassen konnte. Eingeteilt war der Palast in mehrere Abteile, um einen besseren Überblick zu erschaffen.
Im Osten war beispielsweise das Königs-Abteil, in dem der König, seine Königin und der Königsberater untergebracht waren. Der Königssohn und seine Frau waren dagegen im Westen des Palastes einquartiert, dabei war die Wegstrecke nicht zu unterschätzen. Im Norden befanden sich sämtliche Bedienstete des Hauses und im Süden, mit Blick auf das sogenannte »Wasser der Könige«, lag ein weiteres Abteil für den König. An diesem Ort verrichtete er seine Arbeit, empfing Gäste und hielt Besprechungen ab. Vom Dach des Palastes bot sich ein unglaublicher Blick über die gesamte Feuerstadt und dessen Umgebung.
Die Hauptstadt vom Südlande war auf die Fläche bezogen keineswegs groß, trotzdem lebten dort mehr Menschen als in jeder anderen Stadt der gesamten Fünf Lande. In Feuerstadt war über die Jahrhunderte, nördlich vom Palast, ein großer Stadtkern errichtet worden, wobei sich in der Mitte ein Marktplatz befand und rundherum Häuser aneinandergebaut worden waren. Der Anblick enger Gassen, in denen sich unzählige Menschen fortbewegten, war in dieser Stadt gängige Realität. Dies führte, zusätzlich zur ohnehin dauerbeständigen Sonneneinstrahlung, zu unnachgiebig heißen Temperaturen und einer äußerst bedrückenden Atmosphäre, welcher die dort lebenden Menschen pausenlos ausgesetzt waren. Dabei half es kaum, dass sich die eng aneinandergereihten Häuser gegenseitig Schatten liefern sollten.
Da Feuerstadt eine erstaunlich beliebte Stadt war und rasch hinsichtlich der Bevölkerung an ihre Grenzen stieß, waren erstmals in den Fünf Lande mehrstöckige Häuser gebaut worden. Dadurch konnten mehrere Familien in nur einem Haus leben. Dies ermöglichte es fortan, eine höhere Menschenanzahl auf einer, bis dahin begrenzten Fläche, unterbringen zu können. Rund um den Stadtkern bildete sich ein größtenteils unbewohnbares Gebiet, denn die Hitze verbrannte den Untergrund und es ließen sich keinerlei beständige Gebäude errichten. In diesen Gefilden fanden sich vor allem angriffslustige und zum Teil gefährliche Langohren ein, die von der Bevölkerung gejagt und gegessen wurden. Das Fleisch dieses Tieres stellte das Hauptessen dar, neben selten erwerbbarem Gemüse und Obst, das im Südlande aufgrund der hohen Temperaturen kaum anzubauen war.
Als Finn noch ansprechbar gewesen war, hatte er sich zumeist in dunkle Räume zurückgezogen oder er hat seine Diener um ein Bad mit kaltem Wasser gebeten, das bei ihm jederzeit für neue Energie sorgte. Allerdings fehlte ihm nun die Kraft dazu, er lag in seinem Bett und lauschte beständig den Worten der Königin und seines Beraters, ohne aktiv am Gespräch teilzunehmen. Nur an wenigen Momenten des Tages konnte Finn ein paar Worte an seine Frau Ann richten, die er über alles liebte und es kaum ertragen konnte, sie derart geknickt zu sehen, seit sich sein Zustand verschlechterte. Wie fernerhin an seinen Berater Quinn, der ihm seit dreißig Jahren beistand und allzeit mit dessen Wissen unterstützte und nun Bücher für Finn schrieb, wobei der Geschwächte den Text diktierte.
Die Bücher galten insbesondere seinem Sohn Till, dem Nachfolger und baldigen 41. König der Südlande. Allerdings hegte dieser wenig Interesse an Büchern und Schriften alter Tage. Sein Sohn wollte im Hier und Jetzt leben und nicht mit alten Geschichten seine kostbare Zeit opfern.
Dies missfiel König Finn, welcher der Meinung war, ein König müsse die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart begreifen zu können. Die bevorstehende Krönung seines Sohnes trieb den König zu jeder Zeit an weiter zu kämpfen, um noch lange der rechtmäßige König des Landes zu bleiben. Die Eigenschaften von Finn, die ausdrücklich von seinem Volk geschätzt worden waren, hatte sein Sohn Till in keiner Weise in sich. Ganz im Gegenteil, dies war ein Grund der Finn beunruhigte und im Kampf gegen den Tod motivierte.
Der König konnte nicht ausschließen, dass ihn ausgerechnet sein Sohn Till und dessen bevorstehende Herrschaft derart lange am Leben hielt. Ein glücklicher und ausgeglichener Finn wäre längst entschlafen, davon erzählte er jedoch niemanden. Mit jedem Atemzug kämpfte er weiter, mit dem Ziel sich eines Tages wieder erheben zu können und seinen Sohn auf den richtigen Weg zu führen, auch wenn dieser bereits das Alter von 42 Jahren erreicht hatte.
Mit dem Einbruch der Dunkelheit und dem Verschwinden der Diener schloss Finn sanft seine Augen und versuchte tief ein- und auszuatmen. »Alte Könige, bitte lasst ihn endlich gehorchen und zu einem weisen König werden, ehe es zu spät ist.« Jede Nacht richtete der König verzweifelte Worte an die alten Könige, die seinem Sohn Till Vernunft und Gewissenhaftigkeit schenken sollten. Ob sie ihn endlich erhören würden?
Den Blick auf den erschöpften, im Bett liegenden Finn gerichtet, unterhielten sich Till und der Königsberater Quinn. »Was denkst du, wie viel Zeit bleibt ihm noch?«, fragte Till.
Quinn machte einen überraschten Eindruck nach dieser Frage. »Das kann ich leider nicht einschätzen. Tim meinte, er geht von ein paar Tagen aus, bis das Herz deines Vaters schließlich versagen wird«, antwortete er. Es war Quinn offenkundig anzumerken, wie traurig er darüber war. Über all die Jahre als Berater des Königs hatte sich der 70-Jährige äußerlich kaum verändert, denn wie bereits vor dreißig Jahren, zeichneten ihn beständig seine Glatze und sein kurzgeschorener Bart aus. Anders als die Königsfamilie besaß er braune Augen, wie desgleichen all die anderen gewöhnlichen Menschen vom Südlande.
Demütig starrte er den kraftlosen König an, während ihm Erinnerungen seiner Anfangszeit im Palast durch den Kopf gingen. Bis heute konnte er sich nicht erklären, wie König Finn ihn einst entdecken konnte. Vermutlich war es die Liebe zu Büchern, welche die beiden zusammenführte. Andererseits kam ihm der Umstand des zu frühen und rätselhaften Todes seines Vorgängers, der König Finn insgesamt 25 Jahre lang dienen durfte, recht gelegen. Das Königspaar Finn und Ann sprachen niemals über den Verstorbenen, der sie über die Hälfte deren Regentschaft begleitet hatte.
Der Königsberater war davon überzeugt, König Finn werde mit seinem Abgang große Trauer im Volk auslösen, noch mehr als sämtliche Könige vor ihm. Die Leute liebten und verehrten den derzeitigen König, obwohl er gar nicht verstorben war. Zumeist war es im Südlande üblich, erst mit dem Tod einen speziellen Status als ewige Glaubensfigur zu erlangen, das Volk glorifizierte im Normalfall die alten Könige und somit die längst Verstorbenen. Bei Finn dagegen war es anders, zu seinen Lebzeiten stieg er bereits zur höchsten Glaubensfigur der Südlande auf.
Quinn starrte den Sohn des Königs von der Seite aus an und fühlte nichts als Verachtung.
Anstatt sich ehrlich um seinen Vater zu sorgen, dessen Hand zu nehmen und zu streicheln, ihm Mut zuzusprechen, fragte er indessen, wie viel Zeit dem König noch bleibe. Versager und Taugenichts waren noch die nettesten Begriffe, die Quinn spontan zu ihm einfielen. Diese Ansicht hatte er unverändert seit dem Einzug in den Königspalast, als ihm vor dreißig Jahren erstmals der 12-jährige Till vorgestellt worden war. Damals war ihm vorzeitig bewusst, welch egozentrischer und zorniger Mann eines Tages aus ihm werden würde.
Doch all diese Gedanken blieben Quinns Geheimnis, denn er hatte den Eindruck, als würden Finn und Ann jede Menge von deren einzigem Sohn halten. Möglicherweise blieb ihnen nichts anderes über und sie gaben die Hoffnung nicht auf, eines Tages einen gereiften Till zu erleben, der ohne Bedenken neuer König vom Südlande werden konnte. Bisher zumindest schien jegliche Hoffnung aussichtlos, befand Quinn.
König Finn versuchte stets das Beste in den Menschen zu sehen und daher vermutete Quinn, er würde weiterhin eifrig bei seinem Sohn nach dem Guten suchen, bevor er eines Tages nicht mehr erwachen würde. Quinn graute vor diesem Moment und dem Beginn der damit verbundenen neuen Ära. Lange Zeit dachte er darüber nach, wie er Tills Regentschaft verhindern konnte. Er wollte das Gespräch mit Finn suchen, doch hätte es ohnehin keinen Nutzen gehabt, die Königsnachfolge im Südlande war strikt geregelt und ließ keine Abweichungen und kurzfristige Änderungen zu. Das erstgeborene Kind des verstorbenen Königs war traditionell zum neuen Oberhaupt ernannt worden. Da das Königspaar keinen weiteren Nachfahren neben Till hatte, bestand nicht einmal die Möglichkeit zu tricksen und Till auf dreiste Weise zu überspringen. Quinn prüfte alle Mittel und Auswege, um den zukünftigen König zu verhindern, jedoch erfolglos.
Das Südlande musste sein Schicksal akzeptieren, es hatte schon zahlreiche Könige überlebt, die ebenso nicht als barmherzig und gutmenschlich in die Geschichtsbücher eingehen sollten. Quinn erinnerte sich zurück an die Erzählungen und Niederschriften früherer Könige, wie Flint, dem 4. König ab dem Jahre 570, der liebend gerne mit Feuer hantierte und dadurch zahlreiche Menschen auf dem Gewissen hatte. Bis vor wenigen hundert Jahren fanden etliche seiner grausamen Foltermethoden noch großen Anklang unter den Königen, ehe diese im Reich der Vergangenheit verschwanden und nur noch in manchen Büchern aufzufinden waren.
Oder Mark, der 24. König ab dem Jahre 1311, der nachträglich als der Seuchen-König in die Geschichtsbücher einging. Dessen höchstes Gut war die eigene Gesundheit, wodurch ein Drittel der damaligen Bevölkerung von Feuerstadt eines qualvollen Todes ausgeliefert worden waren. Niemand durfte den offensichtlich Infizierten helfen, König Mark verweigerte ihnen sogar das zum Leben existenziellste Gut, das Wasser. Nicht zu überbieten war allerdings Enjo, der 30. König der Südlande, von 1601 bis 1620. Ein Feuersturm beendete frühzeitig seine Regentschaft, nicht auszudenken, was er damals noch hätte anrichten können, wäre ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen.
»Alte Könige, bitte lasst König Enjo noch in hundert Jahren als schrecklichsten Herrscher der Südlande in den Geschichtsbüchern stehen«, wünschte sich Quinn, aus Angst vor Till. Ehe sich Quinn an die bedauerlichen und zu verachtenden Handlungen und Gesetze von König Enjo zurückerinnern konnte, riss ihn Königssohn Till aus seinen Gedanken.
»Wir gehen gleich, hab noch Geduld!«, nuschelte er leise seiner Frau Fee zu.
Die Augen rollend entfernte sich
Quinn von ihnen und ging in Richtung der Königin, der er von hinten seine Hand auf die Schulter legte, um ihr Halt zu geben. Sie starrte unentwegt auf ihren im Bett liegenden und vor Schmerzen windenden Mann, der mit kaltem Wasser behandelt worden war.
»Jeder Tag der Trauer wird schlimmer. Ihn derart schwach zu erleben, raubt ebenso mir meine Lebenskraft«, stammelte Königin Ann traurig vor sich hin.
Quinn starrte auf ihre hochgesteckten langen blonden Haare und sog den Duft dieser genüsslich ein. An beiden Ohren entdeckte er ihre wunderschönen goldenen Ohrringe, die insbesondere ihre leuchtend roten Augen zur Geltung brachten, auch wenn Quinn diese von hinten gegenwärtig nicht sehen konnte. Mit ihren 75 Jahren war sie älter als Finn, dies spiegelte sich hingegen keineswegs in ihrem Gesicht wider, das kaum ein hohes Alter mutmaßen ließ. Wie ihr Mann war sie beharrlich in eleganten Kleidern zu sehen, die sie auffallend locker trug. Von Finn durfte der Königsberater ehedem erfahren, dass Ann in einem gut geführten Haus aufwuchs, woraufhin sie dank guter Beziehungen zum Königspalast mit Finn verschmolzen worden war. Da die beiden äußerst liebenswerte und feinfühlige Menschen waren, entwickelte sich rasch wahre Liebe und eine unvergängliche Loyalität zueinander.
Königin Ann litt immens unter der Krankheit ihres Mannes und hatte in Quinn einen treuen Gefährten gefunden, der ihr seit drei Jahrzehnten beständig zur Seite stand.
»Meine Königin, mein Mitleid sei dir sicher, das kannst du mir glauben. Ebenso ich leide jeden Tag, König Finn hilflos in seinem Bett zu sehen. Er ist wahrlich einer der bewundernswertesten Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Wie ferner du es bist und ich folglich darunter leide, dich täglich dermaßen bedrückt anzutreffen.
Finn würde nicht wollen, dass wir den ganzen Tag um ihn trauern, schon gar nicht solange er unter uns weilt.«
»Du hast ja recht, doch du weißt, welch Überforderung die aktuelle Situation für mich ist«, erwiderte Ann. Während sie sich eine Träne von ihrer Wange wischte, nickte ihr Quinn zustimmend zu. Diese Unterstützung vom Königsberater tat ihr gut, Ann konnte sich keinen Tag ohne ihre drei Männer Finn, Till und Quinn vorstellen, die ununterbrochen in ihrer Nähe waren. Obgleich sie diesen Rückhalt bei ihrem Sohn Till vermisste. Sie liebte ihn, dennoch sollte er sich ausgiebiger um seinen Vater und seine Mutter kümmern, wie es sich für einen baldigen König gehörte. Doch sie wollte ihm keine Vorträge halten, dafür wäre sie derzeit ohnehin nicht in der Lage gewesen.
Der königliche Alltag war von immer kürzer werdenden Gesprächen mit König Finn geprägt und sobald dieser eingeschlafen war, gab sich Königin Ann endlos ihrer Trauer sowie Gesprächen mit Berater Quinn, hin. »Wie sollte sie nur einen Tag ohne diesen Mann, mit dem sie seit über fünfzig Jahren verschmolzen war, überleben?«, fragte sie sich.
Sie konnte ihre aufkommenden Gedanken nicht verdrängen, die ihr einflüstern wollten, ein Leben ohne Finn würde jeglichen Sinn verlieren. Er war ein Mitgrund, weshalb sie sich tagtäglich aus ihrem Bett erhob und sich den anstrengenden Gegebenheiten des Lebens stellte.
Mit dem Rücken zu Till gerichtet, entließ Ann ihn vom Besuch seines sterbenden Vaters. »Danke Till, dass ihr beide zu Besuch gekommen seid. Dein Vater hat sich mit Sicherheit gefreut, euch zu sehen, auch wenn er seine Augen nicht öffnen konnte.«
Fee zog sofort wild an Tills Kleidung. »Komm, wir dürfen gehen!«
Till hingegen war verwirrt, hatte seine Mutter wahrnehmen können, wie Fee ihn mehrmals zum Gehen drängte?
Überfordert starrte er seine Mutter von hinten an, nur Augenblicke später waren aufkommende Schuldgefühle, seinen Vater nur für kurze Zeit gesehen zu haben, schon wieder verflogen. Er war ohnehin zu geschwächt und bekam womöglich rein gar nichts mit, dachte sich Till.
»Nichts zu danken, wir kommen doch gerne«, antwortete Till seiner Mutter. Anschließend bewog er seine Frau, sich ebenfalls zu Wort zu melden.
»Ja, wir nehmen uns gerne die Zeit!«, sagte Fee mit einer übertrieben hohen Stimme.
»Sehen wir uns morgen wieder?«, fragte Königin Ann.
Till und Fee wandten sich gerade zum Gehen, ehe sie sich nochmals umdrehten. »Ich bin nicht sicher, ob wir dies morgen einplanen können. Wir sind aktuell reichlich beschäftigt, aber wir werden uns bemühen. Spätestens in zwei Tagen sind wir abermals da.« Till marschierte los, ehe er sich erneut umdrehte. »Sollte es inzwischen Neuigkeiten von Vater geben, schickt schleunigst einen Diener.«
Vorweg, es sollte mindestens zwei Wochen dauern, bis Till und Fee den kranken König erneut besuchten.
Als die beiden den Raum fluchtartig verlassen hatten, wandte sich Quinn an Ann. »Womit sind sie denn reichlich beschäftigt?« Wobei Quinn speziell das Wort »reichlich« betonte, als sei dies von Bedeutung.
Königin Ann atmete hörbar aus. »Wer weiß das schon? Ich hoffe lediglich, es ist die einzige Beschäftigung, die in Zeiten wie diesen wichtig und angebracht wäre. Wenn sie nicht bald einen Sohn entbindet, droht das gesamte Königssystem vom Südlande erstmals zum Erliegen zu kommen. Sie ist 36, allzu viel Zeit bleibt ihr leider nicht mehr.«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass die Königsfamilie auf ungewöhnliche Weise tricksen müsste«, konterte Quinn mit spitzer Zunge, ehe ein breites Grinsen folgte.
Königin Ann fand dies alles andere als komisch und versah ihn im ersten Moment mit einem überraschten und teilweise schockierten Gesichtsausdruck.
Quinn reagierte rasch. »Tut mir leid, das ist wohl derzeit nicht angebracht.«
»Nein, ganz und gar nicht! Vor gefühlt langer Zeit hätte ich aber vermutlich noch über deinen Einwand gelacht«, sagte Ann mit einem zarten Lächeln im Gesicht.
Beide grinsten sich daraufhin an, Quinn wusste stets, welche Bemerkungen er bringen konnte, um die Königin nicht zu überrumpeln oder zu verärgern. Doch mancherlei Aussagen mussten erlaubt sein, zudem lockerten diese die angespannte Stimmung im Raum, in dem König Finn endlos gegen den Tod kämpfte.
»Gut, dass wir beide noch darüber lachen können, aber die Lage ist momentan alles andere als komisch und jeder Tag ohne einen möglichen Nachfahren ist eine Gefahr für diese Königsfamilie und somit für das Lande«, verkündete Ann.
Quinn bemerkte ihre pure Verzweiflung, selbst wenn sie dies niemals zugeben würde. Sollte König Finn in absehbarer Zeit von ihr gehen, dann müsste Königin Ann selbstständig eine Entscheidung treffen. Diese würde die Zukunft aller Menschen im Südlande beeinflussen. Sie konnte sich nicht vorstellen, es übers Herz zu bringen, ihrem Sohn Druck zu machen, schleunigst einen Sohn aufzutreiben. Im Idealfall mit seiner Frau Fee, doch glaubte Ann nicht mehr daran, wodurch weitere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssten.
Hinzu kam die Unsicherheit, wie sich Till als neuer König präsentieren würde. Sie liebte ihn, doch kannte sie ihren einzigen Sohn in und auswendig, wodurch die Skepsis nur schwer verdrängt werden konnte.
Königin Ann stellte sich vor, wie gelassen sie und ihr Mann Finn wohl wären, hätte Fee längst einen Sohn geboren. Damit wäre nicht nur die Nachfolge von Till gesichert, zugleich hätte er mit einem eigenen Sohn Verantwortung übernehmen und daher reifen müssen. Ein nicht unwichtiger Moment im Leben eines zukünftigen Königs. Ann stellte sich oftmals vor, wie sie mit ihren Enkeln spielen und ihnen beim heranwachsen zusehen würde. Diesen Traum musste sie indes als wenig realistisch einstufen, in Anbetracht ihres Alters arbeitete die Zeit tagtäglich gegen sie.
Ohne jegliche Worte von Ann, näherte sich Quinn ihr an und nahm sie in den Arm. Er konnte erahnen, welche Gedanken sich in ihren Kopf eingeschlichen hatten. Zudem konnte er fühlen, wenn es besser keine weiteren Worte brauchte, sondern bloß körperliche Zuneigung. Königin Ann lehnte ihren Kopf gegen seine Brust und plötzlich waren all die herumschwirrenden Gedanken um ihren Sohn Till und ihren Mann Finn wie weggefegt. Erstmals seit Wochen konnte sie loslassen und alles um sich herum vergessen. Sobald sie aus den Armen von Quinn trat, hoffte sie vergeblich, all das Grausame aus ihrem Leben sei verschwunden.
Doch was verschwand schon jemals?