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Kapitel 5

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Ein überaus stürmischer Wind zog über die artenreiche Westlande. Dank farbenreichen Wäldern, Gebirgen und Hügeln war dieses Lande mit allerhand Lieblichkeit bestückt. Das Rauschen des sich in allen Ecken verbreiteten Flusses war für die Menschenohren dauerhaft zu vernehmen. Ein beständiges Geplätscher füllte die Weiten des Landes. Blätter der zahllos verschiedenartigen und bunten Bäume wirbelten in der nach süßen Blumen riechenden Luft umher, als würden sie um die Wette kreisen. Wohltuende Temperaturen strichen über die Haut aller Lebewesen, die sich in Eintracht mit der Natur fortbewegten und vor Lebensenergie strotzten.

Der seit mehreren Wochen beinahe dauerhaft anhaltende Sturm, brachte die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes zum Grübeln. Denn hierzulande hatte die gefühlte Stärke des Windes eine tiefere Bedeutung. Die Sprache der Natur war ernstgenommen und erhört worden. Dabei war jegliche Witterung als ein Zeichen zu verstehen, so regten mehrere Tage Trockenheit die Menschen zu einem besseren Leben an, während Regenfälle als Belohnung interpretiert wurden.

Es gab hingegen keinerlei Regeln und Vorgaben für ein anständigeres Leben, sämtliche Einflüsse wurden unterschiedlich interpretiert, wie es den Individuen beliebt war.

Trotzdem vereinte die Bevölkerung die Ehrfurcht vor dem vorherrschenden Sturm, der das gewöhnlich rege Außenleben der Menschen verhinderte und diese dazu zwang, sich im Inneren der Häuser Gedanken über die Ursache zu machen. Das Unwetter war ohne Zweifel als Warnung zu verstehen, eine Prophezeiung bevorstehenden Unheils. Obendrein ließen sich stets weniger Regengüsse über das blühende Gebiet nieder, wodurch sich mit der Fortbewegung des Wirbelsturmes ebenso unterschiedliche Gerüchte breit machten, die den Grund der Naturkatastrophe zu entwirren schienen. Einige sprachen von einer Warnung, wobei dem Lande Unheil bevorstand, andere wiederum sahen darin lediglich die Lebendigkeit der Natur, die sich im gesamten Westlande ausbreiten wollte.

Unvoreingenommen von all den Spekulationen waren die Jugendlichen, welche die »Akademie Vasava« in Sturmfels, der Hauptstadt des Landes, besuchten. Sturmfels war auf einem Felsberg errichtet worden, wobei am Gipfel des Felsens das Anwesen der Obersten beheimatet war. Somit hatte sie einen ausgezeichneten Überblick über die belebte Stadt unter ihr.

Ein Pflanzenweg schlängelte sich über den gesamten Felsen bis in das ebene Tal hinunter, in dem sich unzählige Häuser befanden, die gelegentlich von mehr als zehn Menschen bewohnt worden waren. Die Gemeinschaft war in Westlande unabdingbar, kaum jemand agierte habgierig und verbrauchte eine gewisse Fläche bloß für sich allein, zu ehrwürdig war jedes kostbare Stück Boden. Mit der überaus rasch steigenden Bevölkerungszahl breiteten sich ebenfalls Gebäude entlang des gesamten Pflanzenweges aus, wie beispielsweise zwei Pflanzenhäuser, die inmitten des Felsen eingebaut waren. Hergestellt wurden die verschiedenen Häuser aus Stein, um die sich reichlich Pflanzen rankten und derartig die Verbundenheit zur Natur bewiesen. Inmitten des Felsberges befand sich der »Platz der Natur«, eine geschützte Fläche aus vielfältigen Pflanzen und Blumen. Ferner hatte Sturmfels mit Gasthäusern, einem Heilhaus, Waisenhaus, Schutzhaus und einem mächtigen Wettbewerbsgebäude, jede Menge an besonderen Orten und Gebäuden. Im Wettbewerbsgebäude trafen sich alljährlich die besten Magierinnen des Landes, um deren Fähigkeiten zu vergleichen und sich über neue Erkenntnisse in Zaubertheorie auszutauschen.

Ein Juwel der Stadt Sturmfels war fernerhin die Akademie, die westlich vom »Platz der Natur« in die Höhe ragte und für die wohl begabtesten Jugendlichen des Landes als Ausbildungsstätte fungierte. Sie war relativ schlicht gehalten, obgleich eine besondere Atmosphäre zu spüren war, sobald das Tor zum Gebäude durchschritten wurde. Die Aufschrift »Akademie Vasava« war kaum zu entziffern, da sich mit dem Alter des Gebäudes laufend mehr Pflanzen darum scharten. Mit dem Eintritt in das Innere, waren massenhaft Zeichnungen von ehemaligen und aktuell lebenden mächtigen Magierinnen und Magiern an den Wänden zu erblicken sowie angefertigte Abbilder aus Stein.

Das Zentrum der Eingangshalle bildeten Skulpturen der Erfinder der Expertengemeinschaft aus dem Jahre 1076, welche 1111 die Magie entdeckte und folgend diese Akademie errichten ließ. Diese Kunstwerke versprühten allein durch ihre Anwesenheit eine außergewöhnliche Aura, die von den hier Aufzuklärenden, den sogenannten Grünlingen, förmlich aufgesaugt wurde. Der einzigartige Anblick erweckte in ihnen ein besonderes Gefühl, Teil der ruhmreichen Geschichte des Landes zu sein.


Rund um diese Bildhauereien schlängelten sich unzählige Pfade in die verschiedenartigen Ausbildungsräume sowie den weitläufigen Pausenraum, der die gewünschte Vermischung der unterschiedlich alten Jugendlichen bewerkstelligen sollte. Die Ausbildungsräume waren je nach Einheit konzipiert, um einen optimalen Lernprozess zu generieren. Vor dem Tor der Akademie war zudem ein ausgedehnter Bereich mit Sitzgelegenheiten gegeben, umgeben von jahrhundertealten Bäumen, der zum Austausch und der Verbindung zur Natur anregte.

Um die Grünlinge der sechsten Stufe in die Sorgen des Volkes einzuweihen, wollte Magus Dahlia, die Zaubertheorie unterrichtete, zusätzlich zum Lehrplan, ebenso auf den bedenklichen Sturm eingehen. Der Raum für Zaubertheorie war ohne allzu besondere Ausstattung.

Ein weitläufiger Tisch in der Mitte und rundherum Stühle sowie am Ende des Raumes ein Pult für die Magus. Mehr Gegenstände waren nicht vonnöten, da es sich um eine theoretische Einheit handelte und folglich einzig bekannte Gegebenheiten und die Vorstellungskraft der Anwesenden erforderlich waren. Zur Erfüllung des Raumes dienten Bilder und Texte an den Wänden, die verschiedene Theorien darstellten. Damit konnten sich Grünlinge einen Überblick über ihren Lehrplan der aktuellen Stufe verschaffen, obwohl die umfangreiche Zaubertheorie lediglich in den verschiedenen Büchern der Magie zu finden war.

Mit dem Klang der vier Glocken betraten sechs Mädchen im Alter von 16 und 17 Jahren ohne Eile den Raum und nahmen auf ihren gewohnten Stühlen Platz. Das Glockengeläut richtete sich in Westlande nach einem Zeitmesser aus Wasser, der am »Platz der Natur« zu beobachten war und mit Hilfe der Höhenstellung der Sonne den Tag in zwölf Abschnitte teilte. Während mit dem dreimaligen Geläut die Sonne aufging, verschwand sie mit den zehn Glockenschlägen. Dieses System war vor mehreren Jahrhunderten von der regierenden Expertengemeinschaft eingeführt worden, um den Alltag begreiflicher zu machen und die Menschen in Westlande mit einer gemeinsamen Zeitmessung vertraut zu machen.

Die Grünlinge wirkten nahezu euphorisch und freuten sich darauf, abermals neue Erkenntnisse in Zaubertheorie vorgetragen zu bekommen, waren ihnen diese Einheiten doch in den ersten fünf Stufen verborgen geblieben. Die Freude galt mit Ausnahme eines Mädchens, das stetig gelangweilt von Theorie-Einheiten wirkte und sich bloß auf die Praxis freute. In Westlande war es üblich, dass nicht die Schwächen von Grünlingen kompensiert werden sollten, sondern die Stärken weiter ausgebaut werden.

Jemand der kein Interesse an Zauberpraxis hatte, würde folglich niemals Tränke herstellen und benötigte daher auch nur ein Basiswissen dieser Einheit. Darauf achteten die Magi in ihren Einheiten, denn jeder Mensch sollte seinen Interessen folgen und künftig in diesem Bereich sein Wissen erfolgreich nutzen und damit dem Lande sowie der Natur bestmöglich dienen.

Magus Dahlia betrat den Raum und die Mädchen erhoben sich. Sie begrüßte die Gruppe mit dem Wort »Natur«, worauf die Grünlinge beständig mit »und Magie« zu antworten hatten. Dies war ein alter Brauch der Akademie, wobei diese beiden Elemente die Grundpfeiler ihres Glaubens darstellten. Inzwischen hatte sich diese Begrüßung über das gesamte Lande verbreitet, somit hießen sich die Einheimischen anhand dieser Phrase willkommen. Anschließend setzten sich die Mädchen.

Das Volk in Westlande war tief mit ihrem Glauben verwurzelt und huldigte diesem jeden Tag. Der Schutz und Einklang mit der Natur waren für sie existenziell. Es war ein Geben und Nehmen, das für alle Zeit aufrecht gehalten werden musste. Nicht anders verhielt es sich mit der Magie, die alles und jeden umgab. Sie bestärkte alle Geschöpfe und machte aus ihnen Besonderes, wobei ferner die Magie behutsam angewendet und keineswegs ausgenutzt werden durfte. Bedauerlicherweise war dies in der jüngeren Vergangenheit der Westlande nicht allzeit der Fall. Dunkle Kapitel begleiteten die Geschichte hartnäckig.

»Heute, liebe Grünlinge, findet unsere zweite Einheit der Zaubertheorie statt und wir haben jede Menge vor uns. Neben dem eigentlichen Lehrplan behandeln wir neuerlich ein Thema, das aktuell in der Bevölkerung ausdauernd diskutiert wird, den überaus besorgniserregenden Sturm.«

Magus Dahlia bekam die Freude der Mädchen zu spüren, sie wollten ohne Umschweife darüber diskutieren und sofort schossen sechs Hände in die Höhe, um die ersten Fragen zu stellen. »Zuallererst beschäftigen wir uns allerdings noch mit verschiedenen Zauber- und Weissagepraktiken. Öffnet dazu bitte Seite 45 in euren Büchern.«

Eifrig wurden die Bücher aufgeschlagen und selbstständig die ersten Zeilen gelesen.

»Wer kann mir bekannte Zauberpraktiken nennen? Marketa, du vielleicht?« Bewusst nahm Dahlia diese Jugendliche dran, da sie als einzige noch nicht das Buch aufgeschlagen hatte und somit wohl mit den Gedanken ganz woanders war. Überall, nur nicht im Raum der Zaubertheorien.

Die 16-Jährige zuckte zusammen und blickte der Magus mit weit geöffneten Augen entgegen.

»Öffne bitte Seite 45 und versuche dich zu konzentrieren!«, sagte Magus Dahlia in ihrer gewohnt ruhigen und einfühlsamen Art. Mit ihren 51 Jahren hatte sie jede Menge Erfahrung sammeln können, sie wusste mit Grünlingen umzugehen, ohne sie zu verschrecken. Aufgrund ihrer geringen Größe, wäre ihr dies ohnehin schwer gefallen. Gewellte schwarze Haare streckten sich über ihren halben Körper, den sie mit bunten, ausgefallenen Kleidern bedeckte. Ihre braune Augenfarbe hatte sie gemein mit all den anderen Menschen in Westlande. Übermotiviert meldete sich eiligst Melina zu Wort. »Zauberpraktiken können beispielweise Tränke, einzelne Pflanzen oder Wortmagie sein, die allesamt verschiedene Wirkungsgrade haben.«

Die 17-Jährige strich ihre langen braunen Haare aus ihrem Gesicht und starrte die Magus erwartungsvoll an. Ihre Armbänder, die mit verschiedenen Steinen bestückt waren, machten allzeit ein klirrendes Geräusch, sobald sie ihre Arme bewegte.

Wie Magus Dahlia, trug sie stets lockere Bekleidung, auch wenn diese an Melina äußerst elegant wirken konnte.

Nur einen Augenblick später warf sie Marketa einen herablassenden Blick zu, um ihr deutlich zu machen, wer im Raum die Klügste war. Ein höhnisches Grinsen folgte, denn sie genoss die Einheiten in Zaubertheorie, bei denen sie mit ihrem Wissen imponieren konnte und gleichzeitig Marketa ihre größte Schwäche aufwies. Mit dem Rest der Stufe verstand sie sich auffallend gut, womöglich weil sie diese nicht als Konkurrenz ansah. Kaum jemand traute sich das Wort gegen Melina zu erheben, die Furcht vor Ausgrenzung war prägender als der Wunsch nach Anerkennung.

Magus Dahlia dagegen griff beharrlich ein, wenn sie Ungerechtigkeiten in ihren Einheiten vernehmen konnte, denn in Westlande waren Machtkämpfe verpönt. Es sollte zu keiner Zeit ein Unfrieden vorherrschen, sondern fortwährend eine Harmonie des Miteinanders.

»Da hast du vollkommen recht, Melina. All diese Praktiken haben den Sinn, einen Zauber entstehen zu lassen. Dafür müssen wir zuerst verstehen, was ein Zauber ist.« Sie sah in ratlose Gesichter der Mädchen, die zwar allesamt eine Vorstellung von Zauber hatten, dies jedoch nicht eindeutig artikulieren konnten.

»Ein Zauber bewirkt stets eine Reaktion eures Handelns, Sagens oder Tuns. Dies bedeutet, sobald beispielsweise ganze Pflanzen oder deren Blätter in der erforderlichen Dosis mit anderen bestimmten Zutaten zu einem Trank vermischt werden, wird dies eine natürliche Reaktion auslösen. Im Idealfall eine erwünschte gutartige und keine folgenschwere Reaktion, die großes Unheil verbreiten könnte. Es gibt mehrerlei verschiedene Arten von Tränken, könnt ihr mir bekannte nennen?«, fragte Magus Dahlia nach.

Sofort streckte Naike ihre Hand in die Luft und die Magus nickte ihr zu, um ihr das Wort zu erteilen.

»Heiltränke«, rief Naike heraus.

Zierlich, mit schulterlangen blonden Haaren, die zur Seite gebürstet waren, saß sie auf ihrem Stuhl. Dahlia war überrascht über ihr Handzeichen, hielt sich Naike doch die meiste Zeit über in den Einheiten zurück. Unscheinbar tauchte sie gelegentlich ab, sobald die besprochene Thematik tiefergehend wurde. Der Magus wurde hingegen mitgeteilt, dass die Jugendliche großes Interesse an der Geschichte sowie den ehemalig mächtigsten Magierinnen des Landes, die ihr vornehmlich imponierten, zeigte.

Stolz über die Wortmeldung, konnte sich Naike wieder beruhigt zurücklehnen. Sie dachte an ihre Mütter, die sie zunehmend vermisste. Naike war in einem großräumigen Haus in Sturmfels mit mehr als zehn erwachsenen Frauen, die sich neben ihr zudem um andere gleichaltrige Kinder gekümmert hatten, aufgewachsen. So wie auch um Amaya, die sich in derselben Stufe wie Naike befand.

Amaya, die wenige Monate eher geboren worden war, saß in den Ausbildungsräumen stets neben Naike. Sie mochte Amaya, auch wenn die beiden nicht unterschiedlicher sein konnten. Die Braunhaarige war ein außergewöhnlich geselliger Mensch, der nichts lieber tat, als sich lautstark mit anderen zu unterhalten. Diese Aufgeschlossenheit entlockte desgleichen in Naike eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit, sofern sie Seite an Seite waren.

»Korrekt, Naike. Heiltränke haben das Ziel, Krankheiten, Verletzungen und Anderweitiges zu heilen. Welche Arten kennt ihr noch?«, fragte Magus Dahlia nach.

»Hilfstränke«, rief Melina, nach ihrem Handzeichen.

»Korrekt, Melina. Diese sind kaum bedrohliche Tränke, da sie keinerlei negativen Auswirkungen haben können, außer die Unbrauchbarkeit. Darunter fallen unter anderem Tränke, die eine bessere Konzentration sicherstellen sollen oder welche die Müdigkeit bekämpfen.

Sind euch weitere Arten von Tränken bekannt?«

Niemand meldete sich zu Wort, lediglich das eifrige Durchblättern der Buchseiten war zu vernehmen.

»Erwähnenswert sind obendrein Wunschtränke, diese sind erstaunlich schwer zu brauen. Im Laufe der Zeit haben wir bereits unzählige magische Tränke herstellen können, dennoch gibt es weiterhin unendlich viele Kombinationen von Pflanzen und anderen Zutaten, in Verbindung mit nicht erforschten Sprüchen, die uns ferner verborgen sind. Zusätzlich ist die Dosierung der diversen Bestandteile von hoher Bedeutung. Eine kaum bemerkbare Abweichung ruft schon eine gänzlich andere Reaktion hervor. Daher seid euch stetig bewusst, welch immense Verantwortung euch zuteilwurde und dass die Kunst der Magie nicht für jedermann bestimmt ist.«

Magus Dahlia wanderte während ihres Vortrages im Raum umher und beobachtete, welche Notizen sich die einzelnen Mädchen machten, ehe sie fortführte.

»Wie Melina vorhin anmerkte, sind Tränke, Pflanzen und Wortmagie die drei Hauptelemente der Magie. Bereits eines dieser Elemente kann folgend die erstrebte Zauberkunst auslösen, wobei nur die Einbeziehung aller drei Elemente die stärkste Kraft der Magie hervorrufen kann. Nachfolgend sei zu sagen, nur die mächtigsten Magierinnen in Westlande sind fähig, sämtliche Hauptelemente einzubeziehen, da die verbale Wortmagie nicht lehrbar, sondern vom inneren Gehalt der Magie abhängig ist.«

Sämtliche Grünlinge wirkten irritiert aufgrund dieser Erklärung.

»Sind in Tränken nicht ohnehin immer Pflanzen enthalten?«, fragte Nalani verwirrt. Sie streckte ihre langen Beine unter dem Tisch hervor, denn sie konnte das Gefühl nicht ertragen, eingeengt zu werden.

Daher trug sie gleichfalls ihre langen Haare stets offen sowie freizügige Kleidung, bei der allzeit der Wind auf ihrer Haut zu spüren war und sie das Gefühl von Freiheit überkam. Geboren war sie zwar in Oberpass, doch durch ihre beeindruckenden Ergebnisse war sie nach Sturmfels geladen worden.

»Nein, Tränke können genauso aus einzelnen Blättern der Pflanzen oder auch nur aus Zutaten wie Wasser, Beeren, Samen, Kräutern und etlichem anderen bestehen«, antwortete Magus Dahlia.

»Und einzelne Pflanzen können ebenfalls die Kraft der Magie auslösen?«, fragte Nalani nochmals neugierig nach.

»Ja, dies sind die einfachsten Zauberkünste. Es genügt eine beliebige Pflanze, diese wird kleingerieben und auf die Haut aufgetragen. Dadurch können, je nach Pflanze, Wunden geheilt oder Bewusstseinsveränderungen herbeigezaubert werden«, erklärte die Magus.

»Was hat es mit der Wortmagie auf sich?«, fragte erstmals Fantina. Die Jugendliche hielt beständig einen Stift in ihrer linken Hand, denn beharrlich war sie damit beschäftigt, sich eifrig Notizen des Gesprochenen, in ihren Unterlagen zu vermerken. Ihr war bekannt, dass sie nicht selten von anderen unterschätzt wurde, da sie klein und kraftlos wirkte. Doch sprudelten in ihr eine unbändige Lebenskraft sowie eine außergewöhnliche Wissbegierde. Jeden einzelnen Augenblick zierte ein Lächeln ihr Gesicht, das von geflochteten braunen Haaren umgeben war.

»Diese werden verbal ausgesprochen und bewirken eigenständig oder in Verbindung mit Tränken und Pflanzen eine bestimmte Magie.«

Fantina wollte mehr erfahren. »Sie meinten, diese sind nicht lehrbar, woher stammt folgend das Wissen darüber?«

»Die Sprüche selbst können zwar überliefert werden, allerdings werden diese nur nach Aussprache ganz besonderer Magierinnen eine Zauberkunst bewirken.«

»Wie ist das möglich?«, fragte Naike verblüfft.

»Weil nicht jede Frau die gleiche Menge Magie in sich trägt.« Überrascht sahen die Mädchen Melina an, da diese schlagartig antwortete, ehe Magus Dahlia eine Erklärung liefern konnte.

»Das ist korrekt, Melina. Wir sind allesamt in unserem Innersten unterschiedlich geformt. Manche tragen verstärkt Magie in sich, während in anderen Körpern wenig bis keine magischen Kräfte aufzufinden sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dadurch nur der Status einer minderen Magierin erreicht werden kann. Mit Fleiß und einem unbändigen Willen können sich einige Künste angeeignet werden. Lediglich eine Kombination mit Wortmagie sollte unterlassen werden, da dies verheerende Folgen haben kann.«

»Können Sie Wortmagien sprechen und die Zauberkunst erwecken?«, fragte Naike, die speziell Gefallen an begabten Magierinnen fand.

»Nein, leider nicht. Ich bin bloß eine ausgebildete Magus, zu einer berühmten Magierin hat es leider nicht gereicht«, antwortete sie humorvoll. »Aber ihr Sechs habt ausnahmslos sämtliche Voraussetzungen in euch, eine erfolgreiche Magierin zu werden. Daher seid ihr hier in Sturmfels an der renommiertesten Akademie des Landes, um die bestmögliche Ausbildung zu genießen.«

»Mit den drei Hauptelementen können somit alle Zauberkünste hervorgerufen werden?«, fragte Nalani.

»Grundsätzlich ja. Jedoch glaubt das Westlande unvergänglich an den Fortschritt, wodurch wir ferner nicht in der Lage sind zu behaupten, ob in Zukunft nicht doch noch ein weiteres Element hinzustoßen könnte, welches die Magie kontinuierlich effektiver macht.

Allerdings sind diese uns drei bekannten Hauptelemente seit Jahrhunderten festgelegt, deiner Frage kann also prinzipiell zugestimmt werden.«

Während der kräftige Sturm um die Akademie wütete und ein pfeifendes Geräusch im Gebäude hinterließ, begab sich Magus Dahlia nach ihrer ständigen Durchquerung des Raumes wieder zu ihrem Pult.

»Habt ihr noch weitere Fragen, die euch auf dem Herzen liegen?« Niemand meldete sich. »Nein? Dann stoßen wir vor zum nächsten Thema. Neben den Zauberpraktiken gibt es obendrein die Weissagepraktiken. Diese unterscheiden sich vollständig von den zuvor erwähnten Zauberpraktiken und haben sich in euren Heften eine neue Überschrift verdient.«

Ohne Umschweife steckten die sechs Jugendlichen ihre Köpfe in deren Notizbücher und eröffneten mit großer Schrift eine neue Seite. Nachdem sie abermals zu Magus Dahlia aufsahen, führte diese fort.

»Als Weissagepraktik ist beispielsweise das Deuten von Zeichen zu verstehen.« Ein Raunen ging durch den Raum, denn allseits war bekannt, dass nur die mächtigsten Magierinnen das Privileg besaßen, derlei Fähigkeiten zu besitzen. Selbstverständlich war den Grünlingen der sechsten Stufe der Begriff der Weissagepraktiken bekannt, dennoch kam eine gewisse Ehrfurcht in ihnen hoch.

»Wir alle haben in der Nacht Träume, während wir schlafen, die uns zuweilen informieren oder warnen wollen. Beim Großteil der Menschen sind diese Träume meist belanglos und keiner Rede wert, dagegen gibt es wenige Ausnahmen, deren Träume in Wahrheit Visionen von großer Bedeutung sind.«

Sämtliche Grünlinge starrten Magus Dahlia mit ungeheuerlichen Augen an.

»Die Schwierigkeit ist, irrelevante Träume von wegweisenden Visionen zu unterscheiden. Dafür ist es zunächst erforderlich, sich seines Traumes bewusst zu werden und nicht die Augen davor zu verschließen. Dieses Bewusstsein wird Klartraum genannt. Sobald sich die Träumerei als Vision herausstellt, muss diese mit Hilfe von gelenkten Handlungen enträtselt werden. Allerdings erscheinen die Zeichen nie offensichtlich, es verlangt jahrelange Erfahrung, um Visionen überhaupt zu empfangen und folgend Jahrzehnte, um deren Bedeutung zu begreifen.«

Naike interessierte sich abermals für die Fähigkeiten der Magus. »Haben Sie je Visionen gehabt?«

»Nein! Nicht dass ich wüsste.«

»In unserem Lande herrscht doch seit langer Zeit Frieden, gibt es dennoch Visionen?«, fragte Fantina.

»Natürlich, diese warnen keineswegs nur vor feindlichen Übergriffen. Die Kunst des Weissagens hat sich als erheblicher Nutzen für die Westlande bewährt, damit konnten frühzeitig gewisse Ereignisse vorhergesagt oder Geheimnisse aus der Vergangenheit einer Person oder des Landes gelüftet werden. Gleichwohl ist das Weissagen die ultimative Prüfung der Zauberkunst, etliche stellten sich der Aufgabe und gingen als gebrochene Menschen heraus. Grund dafür ist das immerwährend wechselnde Kleid der Visionen, die sich nicht ohne fremdes Bemühen freiwillig zu erkennen geben wollen. Überdies ist das vor sich erblickende Schauspiel keineswegs angenehm, denn sollte es sich um eine Warnung vor einem bevorstehenden Angriff handeln, sehen die Augen Entsetzliches wie nie zuvor.«

Enttäuscht und teils schockiert blickten sich die Jugendlichen an, denn bis dahin war der Wunsch groß, eigenständig Visionen zu empfangen. Allerdings stieg die Ehrfurcht davor, je mehr Worte Magus Dahlia dafür aufwendete.

Die Angst war letztlich jedoch größer, nicht genügend Magie in sich zu besitzen, um jemals in die Vergangenheit und die Zukunft anhand von Träumen zu blicken. Die Aufklärung ließ die sechs Mädchen bangen, zu euphorisch waren sie gewesen, bevor sie die Seltenheit von Weissagungen erfahren hatten.

»Erscheinen Visionen ausschließlich in nächtlichen Träumen?«, fragte Melina.

»Gute Frage, Melina. Nein, diese können sich desgleichen in plötzlich auftretenden Tagträumen zu erkennen geben, diese sind jedoch äußerst selten und meist mit schwerwiegenden Folgen verbunden.«

Magus Dahlia sah in mehrerlei verwirrte Gesichter bezüglich der Weissagung, wodurch sie der Meinung war, noch näher darauf eingehen zu müssen, um so sämtliche offenen Fragen zu beantworten. »Liebe Grünlinge, nehmen wir beispielsweise einen nächtlichen Traum. In diesem passieren gewisse Ereignisse, die augenscheinlich fern von jeglicher Realität sind. Stellt euch vor, wir Menschen fliegen quer durch die Lüfte, was würdet ihr in euren Träumereien wohl denken?«

»Dass dies ein nutzloser Traum ist«, antwortete Melina belustigt.

Nalani dagegen war begeistert von dieser Illusion. »Möglicherweise ist dies ein Ausblick auf unsere Zukunft.«

Melina lachte sofort unüberhörbar auf, dagegen war die Magus diesem Einwand nicht abgeneigt. »Richtig, Nalani. Egal, wie absurd ein Traum auch sein mag, es ist wichtig, diesem auf die Schliche zu kommen und ihn bewusst auf mögliche Andeutungen zu überprüfen. Es muss außerdem festgehalten werden, dass nicht immer vollständige Träume real werden, sondern gelegentlich nur vereinzelte Details daraus. Somit kann selbst ein scheinbar wirrer Traum bedeutende Warnungen beinhalten. Könnt ihr mir folgen?«

Ihre Gruppe bejahte lautstark, worüber sich Dahlia augenscheinlich zu freuen schien.

»Selbstverständlich kann es genauso gegenteilig verlaufen. In eurem Traum befindet ihr euch hier in diesem Raum mit all den Menschen, die ihr kennt und mögt. Plötzlich geschieht ein Unheil, das sich täuschend echt anfühlt, ehe ihr schweißgebadet aus eurem Albtraum erwacht. Denkt ihr nun, es war lediglich ein alberner Traum, dann wäre dies äußerst fahrlässig. Ferner darf desgleichen nicht davon ausgegangen werden, egal wie dramatisch und realistisch sich ein Traum präsentiert, dass es sich mit Sicherheit um eine Prophezeiung handelte. Die Illusion, die sich vor euch offenbart, muss immerzu erforscht und folglich aufgeklärt werden. Dabei können kaum auffällige Details bereits wichtige Zeichen sein.«

Magus Dahlia atmete tief durch, sie bemerkte die Überforderung der anwesenden Mädchen, doch anhand des komplexen Themas hatte sie derartiges geahnt. »Das war die Lehre der Weissagepraktiken, das Deuten von möglicherweise wirren Zeichen. Wie bereits erwähnt, können diese in nächtlichen Träumen, Tagträumen, aber ebenfalls bei bestimmten Begegnungen, Befragungen oder anderen Methoden erscheinen. Zu Letzterem kommen wir demnächst.« Sie sah in die verwirrten Gesichter. »Habt ihr Fragen?«

»Können Visionen nicht ebenso über die Natur in Erscheinung treten, sichtbar und spürbar für alle Menschen?«, fragte die bislang wortkarge Marketa interessiert.

»Korrekt, Marketa! Dazu kommen wir nun mit Abschluss unserer heutigen Einheit, wie zu Beginn angekündigt. Nicht wenige Menschen in Westlande wirken gegenwärtig verunsichert und befinden sich in Aufruhr, aufgrund des beständig starken Sturmes, der über das Lande zieht. Dabei sei angemerkt, die Sorgen sind keineswegs unberechtigt, da ein derartiger Wirbelsturm seit unzähligen Jahrzehnten nicht mehr dokumentiert worden ist. Vereinzelte Magierinnen vermuten, der über Westlande ziehende Sturm will uns vor grauenhaften Dingen warnen.«

Die Jugendlichen waren wie versteinert, bislang hatten sie sich über das Unwetter keinerlei Gedanken gemacht. Hierzulande war es laufend windig und regnerisch, allerdings merkten sie nun, dass die Intensität der Windstärke tatsächlich seit langer Zeit anhaltend hoch war.

»Macht euch aber keine Gedanken, wir haben fähige Individuen, die tagtäglich intensiven Kontakt zur Natur aufnehmen und an einer Lösung arbeiten. Möglicherweise hat das alles auch gar nichts zu bedeuten, derlei kommt nicht selten vor«, sagte Magus Dahlia.

»Gibt es noch niemanden, der ein Zeichen daraus deuten konnte?«, fragte Marketa wissbegierig nach. Selten zeigte sie sich derartig interessiert an der Theorie, doch beschäftigte sie dieses Thema mehr als Dahlia erwartet hatte.

»Dies ist mir leider nicht bekannt. Sollten die begabtesten Magierinnen eine Antwort auf diese Unsicherheit gefunden haben, wird diese erstmals unserer Obersten, Claudia, gemeldet. Anschließend wird die Oberste Vorkehrungen treffen und die Bevölkerung einweihen. Informationen dringen jedoch erst an die Öffentlichkeit, wenn ernsthaft von einer Bedrohung ausgegangen werden kann, da das Volk nicht unnötigerweise im Vorhinein verängstigt werden sollte. Es wird offenbar noch einige Wochen und Monate andauern, bis wir wissen, ob es lediglich als eine Laune der Natur oder als eine Warnung einer bevorstehenden Bedrohung zu verstehen ist.«

Die Schlacht der Fünf Lande

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