Читать книгу Die Schlacht der Fünf Lande - KF König - Страница 14
Kapitel 7
ОглавлениеMit dem Ende eines mühsamen Lehrtages, begaben sich Anjo und seine Gruppe in deren Unterkunft. Diese war nicht direkt neben der Lehranstalt platziert, sondern in etwa zweitausend Köpfen Entfernung. Der Weg war angenehm und unbeschwerlich für die Auszubildenden, die nur an wenigen Bäumen und Häusern vorbeischreiten mussten. Meist stießen sie auf dem Heimweg mit Gruppen aus anderen Stufen zusammen, wodurch interessante Unterhaltungen mit Andersaltrigen entstehen konnten. Oftmals blieben die unterschiedlichen Stufen allerdings unter sich, wodurch auf dem Weg bereits Pläne geschmiedet wurden, welche Aktivitäten den restlichen Tag folgen sollten.
Die Unterkunft war eine der schönsten und modernsten Holzbauten von Adlerstal und lag im Norden der Kleinstadt, direkt an der Grenze von Eden zu Hel. Sie bot jede Menge Raum, um sämtliche Auszubildende aller Stufen unterzubringen. Selbst die einzelnen Zimmer waren derart großzügig gestaltet, dass es niemanden an Platz mangelte. Größter Beliebtheit des Gebäudes kam jedoch dem gemeinsamen Aufenthaltsraum zu, der vom Eingang wie ein gigantischer Saal wirkte.
In der Mitte des Aufenthaltsraumes erstreckte sich ein langer, geradliniger Weg, während zahlreiche Bereiche, die verschiedenartig aufgebaut waren, links und rechts, betreten werden konnten. Dabei gab es Abteilungen, die wie Büchereien aufgebaut waren, während andere ausreichend Raum zur Entspannung oder Unterhaltung boten. Diese räumliche Aufteilung ermöglichte genügend Fläche für mehreren Gruppen gleichzeitig, ohne sich dabei gegenseitig zu stören.
Ausnahmslos alle Sitz- und Abstellmöglichkeiten waren aus dem edlen Holz aus Eichen produziert. Eichen waren in Waldlande nicht derart verbreitet wie beispielsweise Linden, Weißdorne oder Kiefer, daher war die Verwendung von Eichenholz lediglich priorisierten Gebäuden vorbehalten. Dagegen galt das Holz von Kieferbäumen, dank einem extrem hohen Vorkommen im Lande, als minderwertig und war somit nur in Hel für den Bau von Gebäuden verwendet worden.
Die Aufzuklärenden suchten nach einem Lehrtag zuallererst ihre Zimmer auf, um die Lehrsachen zu verstauen. Anjo teilte sich ein Zimmer mit Pinar und Milan, wobei zu Beginn des Lehrjahres nicht selbst entschieden werden konnte, wer mit wem im selben Raum schlief. Die Zusammensetzung war jährlich ausgelost worden und Anjo hatte Glück, er verstand sich mit beiden ausgezeichnet, auch wenn er liebend gerne seine Partnerin Vesna bei sich gehabt hätte. Dennoch traf sich das Paar regelmäßig, sodass es kaum einen Unterschied machte, wer in welchem Zimmer untergebracht war. Sobald allerdings das Glockengeläut elfmal ertönte, mussten ohne Ausnahme die eigenen Räume aufgesucht werden, um ausreichend Schlaf zu garantieren.
»Was heute mit dem alten Aviv los war, hat mich ziemlich irritiert und nachdenklich gemacht«, sagte ein verwirrter Anjo zu seinen Zimmerkollegen. »Er hat sich wahrlich in einen Rausch gesprochen und konnte sich kaum noch zügeln.
Was da bloß dahinter steckt?«
Milan war nicht minder überrascht. »Das habe ich mich heute ebenfalls gefragt.« Der achteinhalb Kopf große 17-Jährige zwängte sich aus seiner Uniform und ließ dabei ansehnliche Bauchmuskeln zum Vorschein kommen. Wie auch seinen ständigen Begleiter, eine goldene Halskette, welche er von seinen Großeltern vererbt bekommen hatte und die er, selbst wenn er ein Bad nahm, zu keiner Zeit ablegte. Nachdenklich rieb er sich über seine kurzen, lockigen braunen Haare, da er sich nicht entscheiden konnte, welches Hemd er überziehen sollte. Der ungeordnete Stapel war nicht enden wollend, dies machte es ihm nicht unbedingt einfacher.
»Der rastet jedes Mal aus, sobald er anfängt von Hel zu reden«, mischte sich Pinar erstmals ein, die mit Adeva eine Zwillingsschwester hatte, welche aber in einem anderen Zimmer untergebracht war. Ihre langen blonden Haare schlängelten sich über ihre Schulter, als sie sich im Spiegel betrachtete und nach Hautunreinheiten Ausschau hielt. Von ihrer Schwester war sie für Fremde kaum auseinanderzuhalten, einzig die unterschiedlichen Halsketten mit den jeweiligen Anfangsbuchstaben verhinderten wiederkehrende Verwechslungen.
Deren gesamtes Leben verbrachten beide ununterbrochen mit den Eltern in Adlerstal, wobei Adeva und Pinar beständig der Mittelpunkt der Familie waren, da Zwillinge eine kaum vorkommende Rarität waren. In Waldlande konnten derartige weitere Fälle an nur einer Hand abgezählt werden, dies verlieh den Geschwistern einen besonderen Status und zu jeder Zeit Aufmerksamkeit. Wogegen den Lehrvorträgen von den beiden nur selten Aufmerksamkeit geschenkt worden war, zu desinteressiert wirkten die zwei jungen Frauen.
»Dies ist mir schon öfters aufgefallen, wir müssen ihn auf jeden Fall im Auge behalten und wenn erforderlich beim Zirkel melden«, sagte ein ernster Anjo.
Milan fasste sich an seinen brummenden Kopf. »Ich dachte, der hört überhaupt nicht mehr auf zu reden. Mein Kopf schmerzte bereits.« Vernehmbares Gelächter brach unter den drei Freunden aus.
Anjo quälten noch weitere Fragen. »Sollte Lehrmeister Aviv tatsächlich an Verwirrtheit leiden, wäre es dann nicht unsere Pflicht, ihn zu melden? Sollte jemand mit dieser Krankheit weiterhin Jugendliche lehren?«
Pinar winkte ab. »Ich denke, wir sollten uns darüber nicht weiter Gedanken machen. Er ist alt und senile Menschen reden oft und gerne wirres Zeug.«
Weder Anjo noch Milan hatten Pinar etwas entgegenzusetzen, obwohl Anjo des Weiteren skeptisch blieb und daran dachte, mit seinem Vater Arvid, einem hochrangigen Zirkelmitglied, bei nächster Gelegenheit ein Gespräch darüber zu führen. Er wollte dem Zirkel gegenüber stets loyal sein und keine eigenhändigen Entscheidungen treffen, die möglicherweise der führenden Fraktion des Landes entgegenstanden. Der Zirkel hatte als einzige Instanz festzulegen, ob Aviv ein Problem war oder nicht.
»Genug geredet und in den Spiegel gestarrt, beeilt euch jetzt! Die anderen warten sicherlich bereits«, sagte Milan forsch.
Die Drei waren mit anderen aus der gleichen Stufe verabredet und besonders Milan wollte niemanden warten lassen. Somit schlüpften Anjo und Pinar nun rasch aus ihrer Lehranstaltskleidung, wobei die Auszubildenden keinerlei Scheu hatten, sich vor den anderen nackt zu zeigen. Anschließend zogen sie ihre Alltagskleidung über, wobei ebenso diese das Symbol der Lehranstalt, ein Emblem mit einem Adler, aufgenäht hatten. Damit waren die Zusammengehörigkeit und obendrein der Stolz innerhalb der Anstalt vorgeführt worden.
Als die Drei fertig angezogen waren und ihren Raum verließen, stießen sie im Aufenthaltsraum auf sieben weitere Weggenossen, mit denen sie aus ihrer Stufe die meiste Zeit abhingen. Gemeinsam wirkten sie wie eine unzertrennbare Gemeinschaft, die alles miteinander teilte. Anjo begrüßte seine Partnerin Vesna mit einem innigen Kuss. Die beiden waren ohne Zweifel das führende Paar ihrer Einheit und gaben gelegentlich den Weg vor. Pinar gesellte sich sofort zu ihrer Zwillingsschwester Adeva, die im Arm ihrer Partnerin Flora lag.
Nach flüchtigen Unterhaltungen begaben sich die zehn Freunde auf den Weg zum berüchtigten Grenzpark, welcher die Städte Adlerstal und Helheim voneinander trennte und westlich, angrenzend an der Unterkunft lag. Auch der Marktplatz von Adlerstal war oftmals von den jungen Vertrauten aufgesucht worden, obwohl sie mittlerweile immer öfter den Grenzpark favorisierten. Wie der Name bereits verriet, handelte es sich um einen Park, der als Grenze zwischen den Regionen Hel und Eden diente. Als das Waldlande vor etwa 40 Jahren noch vereint war, trug der Park den Namen »Park des Adlers«.
Dieser zog sich vom nördlichen Ende der Städte Helheim und Adlerstal bis beinahe zum südlichen Ende, doch rodete Eden bereits einen Teil vom Grenzpark, um weitere Häuser in Adlerstal erbauen zu können. Der Park galt unter den Menschen als »Schönheit der Natur«, denn soweit das Auge reichte, waren ausschließlich grüne Wiesen und massenhaft bunte Bäume zu erblicken. Um diese Schönheit beizubehalten, erließ der Zirkel vor wenigen Jahren das Gesetz, den Grenzpark nicht weiter zu roden. Zusätzlich waren Wasserstellen und reichlich Wege vorzufinden, die sich wiederkehrend nach links und rechts gabelten und in die zwei Kleinstädte führten, die nicht unterschiedlicher sein konnten. Dabei waren überall Bänke und Tische installiert, um den Einheimischen sowie all den Auszubildenden perfekte Bedingungen in der Natur zu bieten.
Darüber hinaus sorgte der Grenzpark gelegentlich für Streit und Auseinandersetzungen, denn hier prallten zwei Gesellschaften aufeinander, wie an keinem anderen Ort in Waldlande. Für die Bewohner und Bewohnerinnen auf Seiten von Eden war die Lösung eines gemeinsamen Grenzparks keineswegs nachvollziehbar. Es gab massenhaft Proteste und Kämpfe, da Adlerstal den Park für sich beanspruchen wollte. Zu unsicher waren Besuche des großen Gartengeländes, solange den Menschen aus Hel begegnet werden konnte. Schlussendlich verpufften die Proteste und es bürgerte sich eine Art Ignoranz gegenüber den jeweiligen Feinden ein, sodass die Regionen offiziell durch den Grenzpark geteilt waren und niemand alleinigen Anspruch auf diesen hatte.
Für die Auszubildenden der Lehranstalt von Adlerstal war der Besuch des Grenzparks jedes Mal besonders, einen von den Menschen beinahe unberührten Fleck kannten sie zuvor nicht. Die aus Bronzestadt Stammenden bekamen bis zum Lehrbeginn mit neun Jahren keinerlei Wälder oder geschweige denn Bäume zu Gesicht. Daher war dies vor allem für sie ein abstrakter und beliebter Ort. Der Geruch von farbenreichen Pflanzen, die Vielfalt an Bäumen, fliegende kleine Insekten und von Blättern überzogene Wege boten ein überragendes Schauspiel der Natur.
Beim kurzen Weg zum Grenzpark teilten sich die Freunde meist in zwei Gruppen auf, während über ihnen hoch in der Luft seltsame, scheue Lebewesen umherflogen. An der Front gingen üblicherweise Anjo, Vesna, Milo, Blerina und Milan, die sich allesamt freudig erregt miteinander unterhielten.
Anjo beobachtete seine Partnerin, Vesna, während sie vertraut Händchen hielten. Sie war ein Stück kleiner als er und trug ihre blonden Haare hochgebunden. Wie er selbst, fand sie desgleichen Gefallen daran, für Aufsehen zu erregen. Anjo wusste, dass die in Bronzestadt aufgewachsene Vesna, als die Jüngste von drei Schwestern, stets der Mittelpunkt ihrer Eltern war. Hinzu kam ihr umwerfendes Aussehen und ihr verführerischer Duft, wodurch Anjo kaum die Fingern von ihr lassen konnte.
Neben ihr ging Blerina, die eine ähnliche Ausstrahlung wie Vesna hatte, befand Anjo. Sie trug jedoch ihre langen blonden Haare offen, dies langweilte ihn ein wenig.
Einst hatte er auch großes Interesse an ihr, aber letztendlich machte sich der Kampf um das Herz von Vesna bezahlt. Die beiden waren schon beste Freundinnen, als sie einst erstmals Anjo begegnet waren. Wie die Eltern von ihm, verkehrten auch die Eltern von Vesna und Blerina in höchsten Kreisen. Bedauerlicherweise hatte Blerina mit acht Jahren einen schweren Verlust hinnehmen müssen, als ihre Mutter deren fortschreitender Krankheit erlag. Dies stellte Blerinas Leben jählings auf den Kopf. Seitdem fürchtete sie tagtäglich, zugleich ihren geliebten Vater zu verlieren.
Mit geringem Abstand marschierten Haru, Joris, Flora und die Zwillinge Adeva und Pinar hinterher. Unter Obacht tuschelten die Fünf leise vor sich hin, damit die vordere Gruppe nicht Wind davon bekam.
»Die Lobhuldigungen auf den Zirkel werden mit jedem Lehrtag schwerer zu ertragen«, meckerte ein verärgerter Haru.
Mit seinen kraftlosen Armen wischte er sich seine langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Große Ohrringe betonten seinen dünnen, annähernd ovalen Kopf. Seine Freude war groß, die Lehranstalt für kurze Zeit hinter sich zu lassen. Er war zwar selbst der Meinung, zu den klügeren Auszubildenden zu gehören, doch interessierte er sich bloß für Landkunde und Geschichte, wobei mit jedem Jahr, das er älter geworden war, das Interesse an Politik in ihm wuchs. Wie der Großteil der Auszubildenden in Adlerstal, liebte er es zudem, in der Lehranstalt zu musizieren. Er hatte wahrlich Rhythmus im Blut und wenn es nach seiner Lehrmeisterin für Musikalische Künste ging, noch eine große Karriere vor sich. Jedoch sah sich Haru inzwischen eher in der Politik aufgehoben, wie auch seinen Partner Joris, der kaum politikinteressiert war, aber von Haru indoktriniert worden war.
»Das kannst du laut sagen!«, antwortete ein oftmals wortkarger Joris und tastete mit seiner Hand nach der von Haru.
An seinem Unterarm zeichneten sich dicke Adern ab, wobei ihn Haru oft genug davor warnte, das Training bloß nicht zu übertreiben. Joris konnte hingegen nicht anders, er benötigte diesen Ausgleich zur Lehranstalt, auf der als phlegmatischer Auszubildender bei den Lehrenden verschrien war. Doch schätzte er die Besorgnis seines Partners, mit dem er nunmehr seit knapp vier Jahren ein Paar war.
»Pscht, wenn das jemand mithört«, sagte eine verängstigte Pinar. Als wären sie verfolgt worden starrten alle durch die Gegend.
Haru dagegen blieb ruhig. »Niemand kann uns hören, wenn wir derart leise zueinander sprechen. Mich ärgert, dass nie betont wird, welche Fehler und Schwächen der Zirkel hat. Stets wird ausschließlich das wenige Positive erwähnt«, beschwerte er sich.
»Da sind wir alle auf deiner Seite, aber der Zirkel ist eben zu mächtig. Und daran wird sich die nächste Zeit nichts ändern, die sind unantastbar und es wird schwer einen der zehn Plätze in der Fraktion des Zirkels zu ergattern. Gerüchten zufolge sollen mit der nächsten Wahl zwei Plätze frei werden. Nur innerhalb des Zirkels könnten wir Veränderungen vorantreiben«, stellte Pinar fest. Sie war nicht übermäßig an Politik interessiert, trotzdem schnappte sie gelegentlich verschiedene Sätze ihrer Mutter auf, die gut und gerne über den Zirkel schimpfte. Ihr Vater stimmte dagegen unaufhörlich zu, um keinen Streit anzuzetteln.
»Die zwei Plätze sind schneller vergeben, als sich jemand von uns dafür melden könnte. Anjo hat zumindest schon einen Fuß drinnen. Dank seines überaus großartigen Vaters«, beschwerte sich Flora augenrollend. Sie war wenig erfreut über die Vorteile von Jugendlichen, die einflussreiche Elternteile hatten.
Anjo drehte sich wütend zu den fünf Klagenden um, zu denen der Abstand kontinuierlich anwuchs. »Kommt endlich!«, schrie er. Erschreckt blickten sie nach vorne und schlossen artig zur vorderen Gruppe auf.
Der Grenzpark war an diesem Tage mitnichten zufällig gewählt, denn Anjo und seine Gruppe hatten Wichtiges zu klären. Zielstrebig schritten sie voran und drangen zwischen den vielfältigen Bäumen in den Park ein. Massenhaft Sitzgelegenheiten waren an diesem warmen und windstillen Tag frei, doch vorerst wollte sich niemand setzen, sondern eine fremde Gruppe aufspüren. Diese stammten aber nicht aus der reichen Stadt Adlerstal ab, sie besuchten ebenso nicht die Lehranstalt an diesem Ort, denn diese auswärtige Gruppe bestand aus Auszubildenden der mittellosen Lehranstalt von Helheim.
Desgleichen war deren Unterkunft nördlich am Rande der Stadt angesiedelt und damit nur etwa fünfhundert Köpfe vom Grenzpark entfernt. Somit war naheliegend, dass sich der Park zu einem beliebten Treffpunkt der Jugendlichen aus Helheim entwickelte. Während diese hingegen konsequent nur den westlichen Teil des Grenzparks besuchten, gab sich Eden nur widerwillig mit dem Osten zufrieden und überschritt allzu gerne die fiktive Grenzziehung, um sich auszudehnen. Die wohlhabenderen Jugendlichen sahen keinen Grund zur Zurückhaltung, denn sie teilten nicht gerne und besonders nicht mit Menschen unter ihrer Würde. Zusätzlich hatte die Gruppe aus Helheim stets nur für Probleme gesorgt, behaupteten Anjo und sein Gefolge, daher musste es zu einer baldigen Aussprache kommen, um die Standpunkte ein für alle Male zu klären. Als sie den Grenzpark hastig durschritten und bei einer bezaubernd dekorierten Wasserstelle stehenblieben, sahen sie bereits ihre Feinde auf Decken am harten Untergrund herumlungern.
Sie trugen keineswegs derart schicke Kleidung, wie beispielsweise die Auszubildenden der Lehranstalt in Adlerstal. Dennoch konnten sie durch eine ähnliche Bekleidung als Gruppierung identifiziert werden. Mit überhasteten Schritten stürmten die Freunde um Anjo zu den von ihnen verurteilten Gleichaltrigen.
»Was habt ihr hier zu suchen? Wie oft sollen wir es euch noch sagen?«, schrie Anjo ihnen boshaft entgegen.
Die Aufzuklärenden aus Helheim erschraken aufgrund des plötzlichen Wirbels, ehe sich die fünf Verbündeten aufrichteten und Anjo gegenüberstanden. Daraufhin machte Zlatan einen Schritt nach vorne, um sich schützend vor seine Gruppe zu stellen.
Zlatan war ein überaus großer, mit Muskeln versehener 18-Jähriger, dem die kurzen schwarzen Strähnen über die Stirn hingen. Als einer von wenigen Menschen in Waldlande hatte er eine schwarze Augenfarbe, wodurch ein Blick in seine Augen zu einem faszinierenden Moment werden konnte. Er war von auffallender Gestalt, auch wenn er dafür keinen Schmuck oder teure Kleidung tragen musste, sondern lediglich sein natürliches Erscheinen seine Umgebung bezauberte. Geboren und großgezogen war Zlatan in Kleintal geworden, einem kleinen Dorf nordwestlich von Helheim.
Der junge Mann war mit einem äußerst ausgeprägten Gerechtigkeitssinn versehen und konnte somit die Schmach der Menschen aus Eden nur allzu schwer verkraften. Hinzu kam, dass sein drei Jahre älterer Bruder vor etwa zehn Jahren im Wald bei Baumrodungen von einem fallenden Baum erschlagen worden war und somit einen zornigen Zlatan hinterließ, der dem Landesteil Eden die Schuld an dem Tod gab. Die Zerstörung von Waldlande war für ihn ein unverzeihliches Übel und fernerhin wollte er es nicht hinnehmen, sich zudem von Eden und dem Zirkel unterdrücken zu lassen.
Anjo packte den mutigen Zlatan am Kragen und zog ihn vehement zu sich heran, ehe er ihn zu Boden stieß. »Jetzt bist du Nichtsnutz dort, wo du hingehörst. Am Boden, wie der gesamte Abschaum aus eurer Region«, verkündete ein triumphierender Anjo.
Sein Gefolge lachte und bewunderte ihren Anführer. Nachdem Zlatan auf dem Untergrund lag, waren seine vier Begleitpersonen furchtloser geworden, sie bildeten um Zlatan einen Kreis und waren bereit für einen Gegenschlag. Doch war das Risiko immens, die Unterzahl von fünf gegen zehn konnte nicht ignoriert werden.
Anjo konfrontierte nun seine Gegenüber. »Ihr seid diese Nacht abermals in unsere Unterkunft eingebrochen und habt zugleich Essen gestohlen. Hochwertige Lebensmittel, die für euch abscheulichen Wesen gar nicht zum Verzehr gedacht sind.« Diese Worte schockten Zlatan und seine Leute, sie waren einiges gewohnt, aber derart behandelt und beleidigt zu werden, war äußerst verletzend.
»Wie könnt ihr es nur wagen, euch in unserem Gebiet aufzuhalten?«, fragte Haru erbost nach.
Die Auszubildenden aus Hel stritten in einem wilden Durcheinander die Tat ab. »Niemand von uns hat Lust auf euren exklusiven Fraß«, sagte Zlatan.
»Und wieso haben wir dann jemand von euch erwischen können? Diese da!«, sagte Anjo und zeigte auf eine junge Frau, die völlig überrascht darüber war. »Ich konnte ihre leuchtend hellen Haare bereits aus großer Entfernung erkennen«, verkündete er überzeugt.
»Pinar?«, fragte Zlatan.
Sie drehte ihren Kopf verwirrt hin und her, derart überrumpelt fühlte sie sich. Sie konnte es nicht ertragen, von allen angestarrt zu werden, am liebsten wäre sie ohne Erwiderung geflüchtet.
Jeder in der Lehranstalt von Helheim wusste, welch kluges Geschöpf Pinar war, die eines Tages als Ärztin oder in Bereichen der Tierkunde arbeiten wollte. Sie hoffte dadurch, niemand würde auf die Idee kommen, den Worten von Anjo Glauben zu schenken und sie ebenfalls zu verdächtigen. Denn nie im Leben würde sie das Essen von anderen stehlen. Sie wuchs mit ihren Geschwistern und Eltern in Tiefwald auf, westlich von Helheim und ungefähr in der Mitte von Hel. Gewiss hatten sie kaum Münzen, aber es mangelte ihnen nicht an genügend Nahrung, wodurch Pinar gezwungen gewesen wäre, zu stehlen.
»Ich habe nichts getan, ich war das nicht! Warum sollte ich dieses Risiko für Essen eingehen?«, fragte Pinar traurig.
Indessen erhob sich Zlatan vor Anjo, der eine Spur kleiner als sein Widersacher war. »Und selbst wenn wir es gewesen wären, kann es euch egal sein. Oder was wollt ihr dagegen machen?« Zlatan zeigte weder Respekt noch Ehrfurcht vor den vermögenden Erzfeinden.
Eingeschüchtert, aber standhaft versuchte Anjo zu erwidern. »Dann werden wir dafür sorgen, dass ihr nie wieder eine Grenze überschreiten könnt.«
»Dann zeig mir doch, wie du dies bewerkstelligen willst, du Dampfplauderer!«, antwortete Zlatan schlagartig.
Es lag Ärger in der Luft, Anjo und Zlatan blickten sich tief in die Augen und fletschten ihre Zähne. Anjo war rasch anzumerken, wie der Hass in ihm hochkrabbelte und baldigst sein Gehirn den Befehl zum Angriff gab. Er blickte nach links und rechts, ehe er aus dem Nichts Zlatan zu Boden stoßen wollte, der indes damit spekulierte und felsenfest dastand, die Füße auf dem Boden fixiert.
Sofort wechselten alle Anwesenden in die Kampfhaltung und befürchteten das Schlimmste, denn prügeln wollte sich bis auf Anjo und Zlatan im Grunde niemand.
Die Spannung war stets hitziger geworden, doch ehe die Jugendlichen aufeinander losstürmten, trafen zwei Lehrmeister der Lehranstalt von Helheim am Ort des Geschehens ein. Sie stellten sich zwischen die Auszubildenden und unterbanden somit die drohende Auseinandersetzung.
»Was ist hier los?«, fragte Lehrmeister Ain im gewohnt ruhigen, aber strengen Ton.
»Wir sind ihnen keine Rechenschaft schuldig«, verkündete Anjo, ehe sich er und seine Freunde umdrehten und wortlos verschwanden.
Nach dem hastigen Rückzug der Jugendlichen aus Eden, versammelten sich die fünf Auszubildenden um Lehrmeister Ain. »Bitte glaube uns, wir wollten keinen Ärger«, verkündete eine traurige Rabea.
»Wir lagen nur hier in der Wiese und unterhielten uns, als die plötzlich auftauchten.« Damian war ebenso keiner, der großen Wert auf Streit mit anderen legte.
»Sie haben uns beschuldigt, Essen gestohlen zu haben!«, rief Aviva heraus.
»Nur die Ruhe, ich glaube euch. Aber nehmt euch in Zukunft in Acht, mit denen ist nicht zu spaßen. Sie sind zu mächtig, da sie einflussreiche Erwachsene hinter sich haben.«
»Aber wir können uns nicht andauernd auf der Nase herumtanzen lassen. Wie soll das denn weitergehen? Eines Tages hat diese junge Generation das Sagen in Waldlande, dann werden wir noch weniger Rechte als ohnehin schon haben.« Zlatan wirkte verzweifelt, als er dieses Zukunftsbild durch seinen Kopf schwirren ließ.
Lehrmeister Ain konnte Zlatans Bedenken nachvollziehen, dennoch tat er sich schwer, eine passende Antwort darauf zu finden. »Ich kann eure Besorgnis verstehen und schaue selbst sorgenvoll in die nahe Zukunft. Andererseits dürfen wir niemals die Hoffnung verlieren, denn dies ist das Einzige, was uns Menschen aus Hel noch bleibt.« Artig lauschten seine Auszubildenden den Worten des 52-Jährigen. »Gewalt darf jedoch niemals die Lösung sein. Selbst wenn die Situation aussichtlos erscheint, könnt ihr ohne Gewalt noch einiges bewirken. Merkt euch dies bitte!«
Die Anwesenden nahmen die friedvollen Worte zur Kenntnis und sie hätten gerne daran geglaubt, dass eine Wende ohne Einbeziehung von Gewalt möglich sein würde. Trotzdem waren sie es satt, ihr gesamtes Leben nur daran zu glauben und zu hoffen, es werde sich alles von selbst lösen. Es scheiterte bereits an den Grundrechten der Menschen aus Hel, somit war es ein weiter Weg in Richtung eines gerechten Lebens in uneingeschränkter Freiheit, wie es längst üblicher Standard in Eden war.
Nach diesem Aufeinandertreffen mit den Gleichaltrigen aus der Lehranstalt Helheim, begaben sich Anjo und seine Gruppe abermals in deren Unterkunft. Angeheizt von den Ereignissen im Grenzpark, diskutierten sie wild durcheinander, was mit dem Abschaum von Hel anzustellen wäre. Es war nicht der erste Streit unter den Jugendlichen, aber derart nahe an einer Rauferei waren sie zuvor noch nie gewesen. Selbst Handgreiflichkeiten wie die bösartigen Stöße in Richtung des Bodens waren ein Novum in deren frischen Fehde. Jedenfalls war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu solchen Szenen hatte kommen müssen.
Die Abneigung gegen die mittellose Region und deren Bewohner und Bewohnerinnen gipfelte sich mittlerweile in einem Hass.
Für die Menschen aus Eden war nicht nachvollziehbar, wie ein derartiges Leben in Hel überhaupt tagtäglich ertragbar war. In Eden gab es einen geregelten Tagesablauf und jede Menge Arbeiten, die ein Leben erst sinnvoll machten. Anjo hatte von seinem Vater diverse Erzählungen über die Menschen in Hel überliefert bekommen, doch Wörter wie Fleiß und Wille kamen niemals vor.
In der Unterkunft von Adlerstal angekommen, setzten sie sich abermals im Aufenthaltsraum zusammen. Anjo beschwerte sich dabei lauthals. »Denen sollten endlich eindeutige Grenzen aufgezeigt werden, denn sie haben im Grenzpark, der geografisch zu Eden gehört, nichts verloren.« Alle Anwesenden stimmten ihm nickend und mit einem Gemurmel zu.
Mit jedem Lehrtag mehr wuchs die Abneigung gegenüber Hel an, denn die Geschichten der Waldlande, die ihnen an der Lehranstalt vorgetragen worden waren, konnten keineswegs ignoriert werden. Die westliche Seite des Landes war in den Büchern von Eden derart niederträchtig beschrieben worden, wodurch die Auszubildenden nicht anders konnten, als deren Gegenseite zu hassen und zu verachten. Die Menschen aus Hel waren ein Pack, das in ihren Augen schleunigst entfernt werden musste und den Rest des Landes ausschließlich behinderte. Hinzu kam, dass die Auszubildenden aus Helheim die Frechheit besaßen, nach Adlerstal vorzudringen und deren Nahrung zu stehlen.
»Wir müssen etwas gegen dieses Ungeziefer unternehmen und endlich mit allen nötigen Mitteln aktiv werden, um dieses Unkraut zu beseitigen.« Anjo sprach sich in eine unvorstellbare Wutrede. »Unsere Eltern haben uns gelehrt, was es bedeutet und was es gewissermaßen benötigt, um ganz oben in der Gesellschaft und damit der Nahrungskette zu stehen. Wir sind die Generation, die Waldlande in Zukunft lenken wird und daher sind wir jetzt verpflichtet, aufzustehen und dafür zu kämpfen, genauso erfolgreich wie unsere Eltern zu werden. Von diesem Gesindel dürfen wir uns nichts mehr gefallen lassen und wenn sie nicht hören wollen, dann müssen sie es eben auf eine brutale Art und Weise fühlen.«
Alle stimmten Anjo euphorisch zu und ballten die Fäuste in die Luft.
»Dieser Abschaum wird sich noch wünschen, nie geboren zu sein!«, stellte Vesna klar.
Nachdem das zehnmalige Glockengeläut längst der Vergangenheit angehörte, machten sich die Auszubildenden langsam auf den Weg in ihre jeweiligen Zimmer. Einzig Anjo blieb sitzen und grübelte vor sich hin. In seinem Kopf entfalteten sich zahlreiche Ideen, seine Gedanken malten Bilder, doch fehlte ihm vorerst ein brauchbarer Rahmen.
Nach einiger Zeit begab auch er sich in sein Zimmer, in dem sich eben Pinar in ihrem Bett mit Milan vergnügte. Die junge Frau schrie vor Lust immer wieder auf, während Milan durchgehend von hinten in sie eindrang. Der Geruch ihres Schweißes verbreitete sich in deren Zimmer. Keinesfalls waren die beiden ein Paar, doch als Alleinstehende war es eine willkommene Abwechslung in deren strapazierenden Alltag. Anjo hätte sich liebend gerne zu den beiden gesellt, doch hatte er mit Vesna eine Partnerin und somit kein Recht an Vergnügung mit anderen. Allein in seinem Bett erinnerte er sich daran zurück, wie es damals mit Pinar und Milan war. Von der Vorstellung erregt, streichelte er sich unter seiner Decke selbst, im Takt zum Gestöhne von Pinar.