Читать книгу Mond der verlorenen Seelen - Kim Landers - Страница 12

~ 7 ~

Оглавление

Als Amber die Augen aufschlug, lag sie noch immer auf dem Sofa, aber Aidan war fort. Wenn es dunkel wurde, erfasste ihn eine Unruhe, die ihn aus dem Haus trieb. Noch immer konnte sie sich nicht an seine stundenlangen Ausflüge gewöhnen, von denen er ihr nichts erzählte. Wenn er zurückkehrte, lag etwas in seinem Blick, das ihr Furcht einflößte. Nur wenn sie sich leidenschaftlich liebten, vergaß sie die Distanz. Sie entfremdeten sich von Tag zu Tag ein Stückchen mehr. Nur Aidan schien es nicht so zu empfinden.

Die Standuhr schlug acht und erinnerte Amber, dass sie eigentlich Beth in Edinburgh hatte besuchen wollen. Jetzt verspürte sie ein schlechtes Gewissen. Gleichzeitig schwand ihre Hoffnung, durch Beth kurzfristig einen Job zu finden. Sie war bestimmt sauer auf sie und enttäuscht, was Amber bedauerte, aber verstand. Sie mochte Beth, die es im Leben nicht immer leicht gehabt hatte. Beth war auch Studentin auf der Westhighland-University gewesen, auf der sie und Amber sich kennengelernt hatten. Selbst als Beth von Gealach nach Edinburgh zog, schrieben sie sich regelmäßig.

Amber ging zum Telefon, das sich neben der breiten Treppe mit den aufwendig gedrechselten Geländern befand, die zum Obergeschoss führte. Dort oben im Schlafzimmer hätte sie sich jetzt liebend gern in Aidans Arme geschmiegt. Seufzend tippte sie Beths Telefonnummer ein und legte sich die passenden Worte zurecht. Nach dreimaligem Freizeichen schaltete sich die Mailbox ein. Bestimmt probte Beth wieder auf der Bühne. Amber hinterließ eine Nachricht und bat um Rückruf. Sie gähnte und reckte ihre Glieder. Sie hasste es, jeden Abend auf Aidans Rückkehr warten zu müssen. Die Zeit wollte nicht vergehen, und gerade heute sehnte sie sich besonders nach seiner Nähe. Außerdem blieb sie nicht gern allein in diesem Trakt des Schlosses. Der Geist Gordon Macfarlanes schien in diesen Räumen noch immer zu wohnen. Sie musste hier raus.

Amber beschloss, Mom und Kevin einen Besuch abzustatten, um der düsteren Atmosphäre zu entfliehen. Sie ging durch den Wehrgang, der beide Wohntrakte miteinander verband. Draußen wehte noch immer ein frischer Wind, und dunkle Wolken fegten wie schwarze Schleier über den Himmel. Sie spähte durch die Schießscharten nach unten. Nicht weit entfernt lag Loch Gealach, genauso schwarz wie seine Geschichte.

Plötzlich nahm Amber unter sich eine Bewegung wahr. Eine Gestalt in brauner Kutte lief im fahlen Licht der Laternen geduckt an der Schlossmauer entlang. Der Geruch frischen Blutes stieg Amber in die Nase, als würde man ein Tier schlachten. Es bereitete ihr Übelkeit. Entsetzen packte sie bei der Vorstellung, die geheimen Treffen des Druidenclans und ihre blutigen Rituale könnten sich fortsetzen. Verließ Aidan jeden Abend das Schloss, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten? Wurden die geheimen, okkulten Treffen im Turm fortgeführt, vielleicht sogar mit Folterungen, bei denen er das Blut der Opfer trank? Ein Schauder rann ihren Rücken hinab. „Bitte, lass das nicht wahr sein“, flüsterte sie und beobachtete den Kuttenträger, der an der Mauer weiterhuschte und nun hinter einer der vier Türen auf der unbewohnten Nordseite des Schlosses verschwand, die zum Folterturm führten.

Ihres Wissens nach besaß nur Aidan die Schlüssel zum Turm. Sie wollte der Sache nachgehen, musste wissen, ob sich ihre Vermutung bestätigte, und schlich ins Schloss zurück. Irgendjemand musste diesem Treiben rechtzeitig ein Ende setzen, bevor Schlimmeres geschah.

Wenig später stand sie vor der massiven Holztür, die nur angelehnt war. Vorsichtig stieß sie diese auf und lugte hinein. Das Knarren der Tür ließ Amber zusammenzucken. Sie unterdrückte einen Fluch. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit und hörte nichts außer ihrem eigenen Atem. Der Kuttenträger konnte nur die Treppen hinaufgestiegen sein, denn der einzige Raum im Turm lag etliche Stockwerke über ihr. Langsam wagte sie sich weiter vor. Drinnen war es stockdunkel, nicht eine der Fackeln, die in den eisernen Wandhaltern steckten, brannte. Mit den Händen ertastete sie die unebene Mauer. Als ihre Finger das kalte Gestein berührten, drängten sich ihr erneut Bilder auf, wie am Nachmittag als sie den Zweig in den Händen gehalten hatte, nur war es diesmal noch intensiver, beängstigender. Momentaufnahmen von Folterungen, und sie hörte das qualvolle Gebrüll der Opfer. Bilder des Grauens, in denen der Tod unbarmherzig seine Sense schwang. Ruckartig zog sie ihre Hände zurück. Es dauerte einen Moment, bis das durch die Visionen ausgelöste Schwindelgefühl nachließ.

Sie stieg die steinerne Wendeltreppe empor, und verharrte, reckte ihren Kopf und erkannte am Ende der Treppe einen schwachen Lichtschein. Die Folterkammer! Deutlich spürte sie die Schatten hinter sich, die sie die Treppe hinaufbegleiteten, spürte ihre Kälte und Verzweiflung, die sie mit jedem Schritt tiefer durchdrangen und den bitteren Geschmack des Todes hinterließen. Die Stufen schienen kein Ende zu nehmen und ließen ihre überbeanspruchten Waden krampfen. Endlich erreichte sie die Folterkammer. Sie rang nach Atem, ihr Herz pochte wie verrückt, und sie presste den Rücken gegen die Mauer.

Fackeln warfen gespenstische Schatten an die zerklüfteten Steinwände, deren Patina aus Schweiß und Blut bestand. Ein muffiger Geruch nach faulem Holz, Spiritus und Blut schlug ihr entgegen, der zum Würgen reizte. Weder der Kuttenträger noch Aidan befanden sich hier. Ihr Blick glitt über den steinernen Altar und schließlich über die Folterinstrumente, die aus Eisenketten, Daumenschrauben, Brustreißer, Mundbirne und einem Satz rostiger Messer verschiedenster Formen bestanden. Schon allein der Anblick reichte Amber, um furchtbare Bilder vor ihrem inneren Auge entstehen zu lassen. Nicht auszudenken, welche Bilder in ihrem Kopf auftauchen würden, wenn sie die Foltergeräte berührte.

Zum ersten Mal, seitdem sie Gealach Castle betreten hatte, befand sie sich bewusst in diesem Raum, der mehr Finsternis ausstrahlte, als die schwärzeste Nacht. In diesem Raum hatte William, der Revenant, einst seine Opfer gefoltert und deren Blut getrunken. Seine düstere Aura war noch heute präsent, als kehrte sein Geist immer wieder an den Ort des Geschehens zurück. Amber schloss die Augen und glaubte, seine Gegenwart zu fühlen, wie damals, als er nach ihr verlangt hatte. Alles in ihrem Kopf begann sich, zu drehen. Sie fühlte sich schwerelos.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, versammelten sich ein Dutzend gesichtsloser Kuttenträger um den Altar, deren Eintreten sie nicht bemerkt hatte. Auf dem Altar lag eine junge Frau. Nur das leichte Flattern ihrer Lider verriet, dass sie noch lebte. Ein Messer steckte tief in ihrer Brust, aus der das Blut über den bleichen Körper rann. Einer der Umstehenden ergriff ein weiteres Messer, hob es über seinen Kopf, um es schwungvoll in den Leib der Frau zu rammen. Sein Vorhaben riss Amber aus der Starre, und sie sprang mit einem Satz nach vorn, um ihm das Messer aus der Hand zu reißen.

„Ihr Wahnsinnigen! Es ist genug Blut vergossen worden. Nicht noch mehr Morde!“

Aber als sie nach der Waffe griff, fasste ihre Hand ins Leere. Auch durch die Gestalt in der Kutte konnte sie greifen. Das hier waren keine lebenden Menschen, sondern Dämonen, Geistwesen, die sich materialisieren konnten, wenn sie attackierten. Amber konnte in diesem Augenblick nicht unterscheiden, ob sie einer Illusion erlegen war oder sich wieder in der Dämonenwelt befand. Bevor sie darüber nachgrübeln konnte, wirbelte einer der Kuttenträger zu ihr herum und stieß sie von sich. Amber spürte eine Druckwelle und prallte voller Wucht gegen die Wand. Der heftige Schmerz schnitt ihr die Luft ab, sie konnte jede einzelne Rippe spüren. Die Dämonen kannten kein Erbarmen und attackierten sie weiter. Jeder Hieb fühlte sich verdammt real an. Einer hob sie hoch, schleuderte sie durch die Luft auf den Boden. Wie eine verrenkte Gliederpuppe blieb sie liegen. Ihre Feuerkräfte hatten ihr schon einmal geholfen. Sie rappelte sich auf und begann, sich darauf zu konzentrieren. Doch es fiel ihr ungemein schwer, denn sämtliche Energie verließ ihren vom Schmerz beherrschten Körper. Sie war zornig auf sich selbst, weil ihre Kräfte versagten.

Endlich begannen ihre Fingerkuppen, doch noch zu glühen. Schon spürte sie die Macht des Feuers wieder, wie ein gewaltiger Sturm, der nach außen drängte. Sie streckte ihre zitternden Arme aus, um dem Feuer freien Lauf zu lassen, doch es erlosch, sobald es aus ihren Fingern trat. Tränen der Enttäuschung und der Furcht schossen in ihre Augen. Wenn sie ihre Fähigkeiten nicht einsetzen konnte, war sie verloren.

Ein mächtiger Schlag in den Magen vernebelte ihr Hirn und fällte sie wie einen Baum. Alles begann, sich zu drehen. Da traf sie ein weiterer Schlag in den Rücken. Einer der Dämonen zerrte sie an den Beinen über den rauen Boden quer durch den Raum. Nur ihre Arme, mit denen sie ihren Kopf schützte, verhinderten, dass sie mit dem Schädel gegen den Altar schlug. Wimmernd blieb sie liegen. Ihr Körper war eine einzige Schmerzzone, die jeglichen Widerstand im Keim erstickte.

„Aidan“, flüsterte sie schluchzend, „hilf mir.“

Einer der Dämonen beugte sich über sie und streifte die Kutte ab. Darunter kam ein schwarzer Hund hervor, dem Geifer aus dem Maul tropfte. Angewidert drehte sie den Kopf zur Seite. „Oh, Aidan, bitte …“ Heftige Schluchzer schüttelten sie, während sie sich vor Schmerzen krümmte. Die Dämonen schirmten ihre Gedanken ab. Aidan konnte ihren Hilferuf nicht hören. Ihre Hoffnung schwand mit jedem Schlag, der sie traf. Sie schmeckte Blut, das ihr aus der Nase lief. Verzweifelt schloss Amber die Augen und wartete auf den Tod.

Ein durchdringendes Grollen hallte durch den Raum und brachte ihren Brustkorb zum Vibrieren. Jetzt holte der Dämon zum letzten Schlag aus.

Als nichts geschah, öffnete sie die Augen und erkannte Aidan, der breitbeinig über ihr stand, mit verzerrtem Gesicht, kampfbereit mit geballten Fäusten, um sie mit aller Kraft wie eine Mutter ihr Junges zu verteidigen. Sein wutverzerrtes Gesicht hatte nichts mehr mit dem einst friedfertigen Lehrer gemein.

Entsetzt verfolgte Amber den Kampf zwischen ihm und den Dämonen. Aidan bewegte sich so schnell, dass es für ihre Augen kaum wahrnehmbar war. Durch seine Schnelligkeit gelang es ihm, einen der materialisierten Dämonen zu packen, als dieser ihn angriff. Der Dämon quiekte wie ein Schwein, bevor Aidan ihm den Kopf abriss. Die anderen Angreifer stoben auseinander und hielten mit Respekt Abstand. Aidan legte den Kopf in den Nacken und stieß ein animalisches Brüllen aus. Seine Augen schienen förmlich zu glühen in dem scharf geschnittenen Profil, das ihr in diesem Moment so fremd erschien. Der liebevolle Mann hatte sich in eine reißende Bestie verwandelt. Diese Erkenntnis traf sie wie ein Hammer.

Noch einmal stieß er das markerschütternde Brüllen aus, bis sich die Dämonen zurückzogen und in Nichts auflösten.

Aidans Atem ging stoßweise, an den Knöcheln seiner Hände wurde das Weiße sichtbar. Nur langsam entspannte er sich.

„Aidan“, krächzte Amber heiser. Sie wusste nicht, ob sie ihn bewundern oder sich vor ihm fürchten sollte. Als er auf sie herabsah, war das Glühen in seinen Augen verschwunden, und seine Gesichtszüge nahmen den Ausdruck der gewohnten Normalität an. Amber versuchte, sich aufzurichten, kippte aber wieder nach hinten. Aidan bückte sich und hob sie auf seine Arme.

„Ich bin so froh, dass du gekommen bist“, wisperte sie.

„Es ist alles vorbei. Du bist in Sicherheit“, antwortete er und küsste sie sanft auf die Stirn.

„Mom …“ Ambers Stimme versagte.

„Ich bringe dich zu ihr.“

Mond der verlorenen Seelen

Подняться наверх