Читать книгу Mond der verlorenen Seelen - Kim Landers - Страница 8

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„Verfluchte Bestie, verschwinde!“

Amber schrie, trat, schlug und konnte nicht mehr aufhören, bis sie jemand grob schüttelte.

„Amber, komm zu dir. Es ist vorbei. Hast du mich verstanden?“

Die Worte durchdrangen nur mühsam den Nebel um ihr Hirn. Es pochte schmerzhaft hinter ihrer Stirn. Ihr Kopf glühte wie im Fieber. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Lider zu öffnen. Als grelles Licht sie blendete, fielen sie wieder zu. Sie war durstig und leckte über ihre Lippen, die nach Blut und Salz schmeckten. Der Schweiß, der über ihren Körper rann, kribbelte wie tausend Ameisen.

„Ich fühle mich wie durch den Fleischwolf gedreht.“ Sie stöhnte auf, als sie ihren Rücken wölbte.

„Passt schon, vergeht schnell. Kommt von der Anspannung“, tröstete sie die Stimme.

„Hermit?“, fragte sie heiser und blinzelte.

Das faltige Gesicht des Druiden blickte ihr entgegen. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass sie in Hermits Wohnzimmer auf seiner alten Ledercouch lag. Die Benommenheit wich und verschaffte Enttäuschung Platz. Ruckartig setzte sie sich auf.

„Verdammt, warum hast du mich zurückgeholt? Ich hätte es geschafft. Mir wäre der Verbannungsspruch noch eingefallen.“ Amber war davon überzeugt, dass es ihr gelungen wäre, den Dämon aus ihrem Körper zu vertreiben. Auch ohne Hermits Einmischung.

„Das hätte schiefgehen können. Du hattest einen Schreikrampf und standest kurz vor dem Kollaps. Du bist noch nicht so weit, um es mit Dämonen aufzunehmen. Warum zur Hölle bist du nicht aus der Trance erwacht?“

Sie schob seine Hand von ihrer Schulter. Ja, sie hätte umkehren und aus der Trance erwachen können, wenn sie gewollt hätte.

„Weil ich den Weg bis zum Ende gehen wollte.“ Erschrocken betrachtete sie ihre nackten, zerkratzten Arme.

„Siehst du, in welchem Zustand du warst? Das hast du dir selbst zugefügt. Ich hatte Angst um dich.“

Sie blickte kurz zu Hermit, der sie sorgenvoll musterte. „Du bist damals auch diesen Weg gegangen. Bis zum Ende! Mir hast du die Chance genommen, mich zu beweisen, obwohl du wusstest, wie wichtig das ist.“

„Den Dämonenpfad zu betreten, war eine Schnapsidee, auf die ich hätte gar nicht eingehen sollen. Ich hätte vorher wissen müssen, wie schnell du in Gefahr geraten kannst. Wie konnte ich deinem Drängen nur nachgeben, ich alter Narr.“

Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und schüttelte den Kopf. Mit finsterem Blick starrte er vor sich hin, und zum ersten Mal bemerkte Amber die dunklen Schatten unter seinen Augen. Widerwillig gestand sie sich ein, ihn überredet zu haben. Trotzdem war sie wütend auf ihn und vor allem auf sich selbst, weil sie versagt hatte. Das bevorstehende Beltanefest bescherte ihr unruhige Träume, in denen sie von Schatten verfolgte wurde, die ihr nach dem Leben trachteten. Gefahr schwebte wie eine dunkle Wolke über Gealach, und der Geruch des Todes hing in der Luft. Aber Hermit nahm ihre Warnungen nicht ernst.

„Spürst du denn nicht die Dunkelheit, die nach uns greift? Wir müssen auf alles vorbereitet sein.“

„Was nutzt dir eine Prüfung? Die Realität ist eine ganz andere Sache.“ Er umfasste ihren Arm und suchte ihren Blick.

„Es ist mir gleich, was du denkst. Ich will es schaffen, verstehst du nicht? Wie sollte ich herausfinden, welche Gefahr uns erwartet? Du selbst hast gesagt, man solle seinen Gegner kennen. Alles leere Worte? Stattdessen verlässt du dich nur auf das Runenorakel und wartest ab. Irgendjemand hat die Dämonen gerufen. Ich fühle ihre Kälte.“

Hermit seufzte und bedeutete ihr mit einer Geste, sich zu beruhigen. Das brachte sie nur noch mehr auf die Palme.

„Ach, du willst mich ja gar nicht verstehen und nimmst meine Warnungen nicht ernst genug. Du bist alt und lethargisch geworden“, entfuhr es ihr. Sofort bereute sie ihre Worte, als er erbleichte und in sich zusammensackte. Noch nie war er ihr so alt und gebrechlich vorgekommen wie in diesem Augenblick. Ihre Wut verrauchte und schlug in Mitleid um.

„Ich spüre das drohende Unheil bei jedem Atemzug. So wie damals, als Gordon Macfarlane das Tor geöffnet hat. Vielleicht versucht es wieder jemand?“

Hermit schüttelte den Kopf. „Dann hätte ich die Zeichen gesehen. Die Runen lügen nie.“

„Und wenn jemand das Runenorakel manipuliert hat? Versteh doch, Hermit. Weshalb führte der Pfad gerade mich zur Schattenwelt? Und dann das Gerede von Aidan und Revenant über das Einswerden. Das war so was wie eine Prophezeiung, davon bin ich überzeugt.“ Der Gedanke daran, Aidan könnte tatsächlich Revenants Ruf folgen und mit der Schattenwelt verschmelzen, war ihr unerträglich.

Deutlich sah sie die Szene vor sich. Die Menhire, Aidan, Revenant und über ihnen der rote Himmel. Und diese bedrückende Stille. Die Qual in Aidans Blick saß wie ein giftiger Stachel in ihr.

„Hermit …“, flüsterte sie und hielt inne, als der Eremit erbleichte und zurückwich.

„Du hast die Schattenwelt tatsächlich gesehen? Und Revenant und Aidan getroffen?“, fragte er. „Gütiger Gott. Du hast die Grenze überschritten. Das kann nicht sein. Es ist noch niemandem gelungen. Du darfst den Pfad der Dämonen nie wieder begehen, denn von jetzt ab schwebst du in Gefahr. Der Lord würde dich nie mehr gehen lassen.“ In seinen weit aufgerissenen Augen lag Furcht.

„An mir beißt Revenant sich die Zähne aus.“ Amber bemühte sich, selbstbewusst zu wirken, obwohl nach ihren Erlebnissen der Zweifel an ihr nagte. Hermit erbleichte und wollte etwas erwidern, als sich plötzlich seine Miene verzerrte. Mit einem Stöhnen fasste er sich an die Brust und krümmte sich. Kleine Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

„Oh, mein Gott, Hermit, was ist? Hast du Schmerzen? Ich rufe besser einen Arzt.“ Sie zückte ihr Handy aus der Tasche und begann, die Notrufnummer einzutippen, als er abwehrend die Hand hob.

„Nicht nötig. Passt schon. Geht schon wieder. Mein Herz macht nur manchmal nen Sprung zu viel.“

Amber drückte die Wähltaste.

„Wirklich. Es geht wieder.“

„Bist du dir sicher?“ Ambers Sorge wuchs, als sie seine eingefallenen Wangen sah. Das Rufzeichen erklang.

„Leg auf. Ich sagte doch, es geht schon wieder. Dauert nur nen Moment. Gleich ist alles wieder okay. Wirst sehen.“ Er atmete langsam ein und aus. Allmählich kehrte Farbe in sein Gesicht zurück. „Ich möchte dir noch etwas sagen, Amber.“ Seine Hände zitterten noch immer, als er sie näher an sich heranwinkte.

„Meine Tage sind gezählt …“

„Hermit, lass den Quatsch. Was redest du da?“ Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass ihm etwas geschah, und wollte nicht alle Menschen verlieren, die ihr etwas bedeuteten.

„Passt schon. Ich sagte doch, die Runen lügen nicht. Ich habe meinen Tod gesehen. Bald. Meine Kräfte verlassen mich jeden Tag ein Stückchen mehr. Aber ich sterbe in der Gewissheit, dass es dich gibt. Du wirst eine würdige Nachfolgerin, die Wächterin des Tores sein, wenn du eine Druidin bist.“

„Ich bin eine Druidin, Hermit. Du hast mich so vieles gelehrt …“

„Noch nicht ganz. Du bist zu ungeduldig, zu impulsiv. Druiden beherrschen ihre Gefühle. Deshalb können sich ihre Kräfte auch bei Gefahr entfalten. Solange du deine Emotionen nicht im Griff hast, wirst du versagen.“

„Ich habe meine Gefühle gut im Griff. Wir werden ja sehen, Hermit.“ Sie war es leid, mit ihm darüber zu diskutieren und sich verteidigen zu müssen. Irgendwann würde er schon einsehen, dass er ihren Kräften vertrauen konnte. Dennoch musste sie eingestehen, wie schwer es ihr gefallen war, sich bei den Angriffen der Dämonen auf ihre Fähigkeiten zu konzentrieren. Doch wenn es drauf ankam, fand sie immer eine Lösung. Wenn man sie ließe.

„Sei vernünftig. Alles braucht seine Zeit der Reife, auch deine Kräfte. Später …“

„Später, später! Du willst es wirklich nicht begreifen. Die Zeit rennt uns davon“, herrschte sie ihn an und stemmte die Hände in die Hüften.

„Amber, deine Erinnerungen und die Furcht um Aidan haben dich misstrauisch werden lassen. In den Runen …“

„Komm mir nicht schon wieder damit. Ich sehe mehr als diese Hölzchen.“ Er wollte den Arm um sie legen, aber sie entzog sich ihm. „Ich muss an die frische Luft, um den Kopf wieder freizukriegen. Vielleicht wirst du auch bald die Zeichen erkennen. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.“

Sie schwang sich vom Sofa und eilte zur Terrassentür hinaus, weil sie sonst erstickt wäre.

Mond der verlorenen Seelen

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