Читать книгу Meine blauäugige Pantherin - Kingsley Stevens - Страница 7
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Оглавление»Was wollen Sie von mir?« Kalte blaue Augen unter wirren schwarzen Haaren starrten Sascha an. Tyra streckte eine Hand aus. »Her mit der Kohle!«
Unbehaglich blickte Sascha auf die Hand. »Ich kann Ihnen nichts geben. Ich habe nichts.«
»Was? Sie haben gesagt, ich bekomme Geld für das Interview! Nur deshalb habe ich zugesagt. Sonst hätte ich nie mit Ihnen geredet.« Mit schweren Schritten ging Tyra zur Tür. »Verschwinden Sie!«, presste sie zwischen knirschenden Zähnen hervor. »Ohne Knete läuft gar nichts.«
»Ich kann etwas für Sie besorgen!« Sascha flüchtete sich in diese Lüge, weil ihr nichts anderes übrigblieb. »Aber erst, wenn das Interview gedruckt wird. Die zahlen vorher nicht.«
»Sie können mir viel erzählen.« Knurren wie das eines wilden Hundes begleitete die Antwort.
»Ich . . . Ich gebe Ihnen mein Wort.«
»Ihr Wort?« Tyra stemmte die Hände in die Hüften und lachte laut. Nach einer Weile hörte sie auf und betrachtete Sascha eingehender. »Ich glaube fast, Sie meinen das ernst.«
»Natürlich meine ich das ernst!«, antwortete Sascha nun richtig empört. Wenn ihr jemand so etwas unterstellte, konnte sie nicht anders, als automatisch zu reagieren. Leider dachte sie dann meistens erst zu spät über ihre Antwort nach, was sie schon das eine oder andere Mal bedauert hatte. »Mein Wort breche ich nie.«
»Kaum zu glauben.« Tyra setzte sich hin. »Ich bin ein Trottel, aber legen Sie mal los. Was wollen Sie wissen? Ich gebe keine Antworten, die ich nicht will.«
»Das ist mir klar.« Sascha zog ihr Diktiergerät heraus. »Darf ich das mitlaufen lassen? Mein Steno ist eher mäßig.« Sie lachte. »Das heißt, ich kann es gar nicht.«
Die andere betrachtete das kleine Gerät misstrauisch. »Und wenn Sie da irgendwas zusammenschneiden, was ich gar nicht gesagt habe?« Sascha blickte sie schon wieder leicht empört an. Tyra verzog die Mundwinkel. »Lassen Sie mich raten: Sie geben mir Ihr Wort, dass Sie das nicht tun.«
»So ist es.« Ohne weitere Verzögerung schaltete Sascha das Gerät ein. Sie konnte es ja immer noch wieder abschalten, wenn es gar nicht anders ging. »Meine Redaktion will mehr Informationen«, sagte sie, wobei ihre Stimme entschuldigend klang. »Was in den Akten steht oder im Gericht besprochen wurde, ist ihnen nicht genug.«
»Wer hätte das gedacht?« Tyra lächelte spöttisch.
»Können wir uns vielleicht öfter treffen? Ich könnte jeden Tag kommen, die ganze Woche.« Sascha legte ihre Stirn bittend in Falten wie ein kleiner Hund.
»Jeden Tag? Sie scheinen masochistisch veranlagt zu sein«, erwiderte Tyra, immer noch spöttisch lächelnd. »Ich kenne niemanden, der gern jeden Tag einige Stunden mit mir verbringen möchte. Die meisten laufen eher weg und sind froh, wenn sie mich nicht sehen müssen.«
»Wären Sie einverstanden?« Wenn sie sich einmal dazu entschlossen hatte, ließ Sascha nicht locker.
»Eigentlich –« Tyra brach ab. »Eigentlich habe ich lieber meine Ruhe«, sagte sie dann. »Da dieser verdammte Richter aber meine Verhandlung vertagt hat und ich sowieso noch drei Wochen bis zu meiner Verurteilung warten muss –«
»Vielleicht werden Sie gar nicht verurteilt. Vielleicht werden Sie ja freigesprochen«, unterbrach Sascha sie eifrig.
Tyra sah sie nur mitleidig an. »Sie glauben wirklich noch an den Weihnachtsmann, was?« Sie holte tief Luft und stand auf, lief ein paar Schritte im Besucherraum hin und her. »Also gut. Ich habe nichts Besseres zu tun als hier herumzusitzen und zu warten, da kann ich auch ein bisschen Geld verdienen.«
Sascha biss sich auf die Zunge, bevor sie einfallen und sagen konnte, dass es wahrscheinlich kein Geld geben würde, obwohl sie behauptet hatte, sie könne welches besorgen. Sie hasste sich selbst dafür, eine solche Lügnerin zu sein und dieser Frau falsche Hoffnungen zu machen, aber innerlich betete sie, dass die Geschichte so gut werden würde, dass sie ein Honorar herausschlagen konnte.
Zur Not würde sie der Frau eben ihr eigenes Honorar geben, wenn das auch nicht besonders hoch sein dürfte für diesen Artikel. Ein paar Cent pro Zeile, mehr zahlte die Zeitung nicht. Sie hätte dann zwar wochenlang umsonst gearbeitet, aber irgendetwas trieb sie dazu, ausnahmsweise einmal nicht an die Miete zu denken, die bezahlt werden musste.
»Was unsere Leser sicherlich interessiert«, begann Sascha, »ist Ihr Lebenslauf. Wo sind Sie aufgewachsen? Was machen Ihre Eltern?«
»Meine Eltern?« Tyra fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. »Was gehen Sie meine Eltern an?«
»Gar nichts. Ich wollte nur –« Sascha brach ab. »Meine Eltern waren sehr gut zu mir«, fuhr sie dann leise fort. »Sie haben immer alles für mich getan. Ich bin ihnen sehr dankbar dafür. Ich telefoniere jeden Tag mit meiner Mutter. Mein Vater ist seit zwei Jahren tot.«
»Das hat er mit meinem gemeinsam«, erwiderte Tyra. Sie hatte es nicht sagen wollen. Nun hatte diese kleine Göre doch noch eine Information aus ihr herausgelockt.
»Vermissen Sie ihn sehr?« Sascha schob das Diktiergerät ein wenig in Tyras Richtung.
»Vermissen.« Tyra lehnte sich in eine Ecke des Zimmers. Es war sehr dunkel dort, und Sascha konnte nur die Umrisse ihres Gesichts erkennen. »Kann man etwas vermissen, was man nie gehabt hat?«
»Sie kannten Ihren Vater nicht?«
»Oh doch, ich kannte ihn!« Tyras Stimme klang hart.
»Sie wollen nicht über ihn reden?«
»Irgendwann einmal – vielleicht«, sagte Tyra. Sie stieß sich von der Wand ab und kam zu Sascha an den Tisch, setzte sich jedoch nicht, sondern blieb vor ihr stehen und blickte auf sie hinunter. »Meine Mutter spricht nicht mehr mit mir, seit er tot ist. Das nur zum ›täglichen Telefonieren‹.«
»Das . . . Das tut mir leid.« Sascha war ganz betroffen. »Ich wusste ja nicht –«
Tyra lachte verächtlich. »Was wissen Sie schon? Was können Sie schon wissen? Sie sind doch noch ein Baby!«
Genau wie andere Leute, die älter waren als sie, benutzte auch Tyra ihr Alter als Waffe, um sie mundtot zu machen. Aber das würde ihr nicht gelingen. So leicht war Saschas Selbstbewusstsein nicht zu erschüttern. »Ich war im Gerichtssaal, als Ihr Geburtsdatum verlesen wurde«, sagte sie lächelnd. »Sie sind nur ein paar Jahre älter als ich, sechs, um genau zu sein.«
»Das Geburtsdatum sagt gar nichts aus. Sie haben nichts erlebt. Ich bin –« Tyra stockte und sah Sascha an, dann setzte sie ein süffisantes Lächeln auf. »Ich bin durch die Hölle gegangen. Das können Sie sich nicht einmal vorstellen.« Sie schlenderte zur Wand und lehnte sich dagegen. »Wenn Sie etwas aus mir herausholen wollen, müssen Sie schon geschickter vorgehen.«
»Erzählen Sie doch einfach, was Sie erzählen wollen. Dann stelle ich nicht die falschen Fragen«, schlug Sascha vor.
»Weißt du –«, Tyra grinste sie an, »ich bin nicht gerade der Typ, der mit Worten kommuniziert. Ich musste schon früh meine Fäuste einsetzen.«
Sascha hatte das Gefühl, dass Tyra sich ihr öffnete, weil sie das steife ›Sie‹ verlassen hatte. Also ging sie darauf ein. »Schon in der Schule?«, fragte sie. »Was war in der ersten Klasse? Da warst du doch noch viel zu klein, um –«
»Ich war immer schon groß für mein Alter«, unterbrach Tyra sie. »Die Jungs wollten sich mit mir messen – haben aber meistens verloren –, und die Mädchen hatten Angst vor mir.«
Das kann ich mir vorstellen, dachte Sascha. Dieser wilde Blick, diese schwarzen Haare, diese blauen Augen, die kalt und gefühllos schienen, zumindest was den positiven Teil von Gefühlen anging, und andere durchbohrten bis auf den Grund ihrer Seele – das machte nicht gerade sympathisch.
»Wie war es mit deiner besten Freundin?«, fragte Sascha. »Hatte die auch Angst vor dir?«
»Welche beste Freundin?« Tyra blickte irritiert. »Du hattest bestimmt eine«, grinste sie dann. »Habt ihr Nagellack getauscht und über Jungs gekichert?«
»So ungefähr«, sagte Sascha. »Machen das nicht alle?«
»Alle außer mir«, sagte Tyra. Sie setzte sich an den Tisch zu Sascha. »Meine beste Freundin war ein Messer, das ich immer bei mir trug – für den Notfall.«
»In der Grundschule?«, fragte Sascha entsetzt.
»So lange, bis ich gut genug im Training war, um mich auch ohne Waffen verteidigen zu können«, sagte Tyra. »In der Nähe der Schule war ein Karate-Dojo. Ich kam jeden Tag daran vorbei. Da ich mir den Unterricht nicht leisten konnte, beobachtete ich alles durchs Fenster und brachte es mir selbst bei.«
»Du kannst Karate?« Sascha war beeindruckt.
»Mittlerweile ist es wohl mehr eine Mischform aus allem Möglichen, was ich mir beigebracht habe.« Gleichgültig zuckte Tyra die Schultern. »Was man halt so braucht.«
»Ich habe so was noch nie gebraucht«, sagte Sascha. »Ich bin der Meinung, man kann Auseinandersetzungen auch aus dem Weg gehen. Am besten, indem man miteinander spricht.«
»Klar!« Tyra lachte laut. »Wenn mich jemand angreift, spreche ich erst mal mit ihm!« Sie beugte sich vor. »Wenn ich mich so verhalten hätte, wäre ich längst tot.«
Sascha betrachtete Tyras Gesicht, das ihr plötzlich so nah war. Sie sah kleine Narben, vor allem an den Augenbrauen. Tyra tat ihr so leid. Sie konnte sich nicht zurückhalten und strich mit einem Finger über die Braue, die eine Narbe bedeckte.
Tyra fuhr in ihrem Stuhl zurück. Einen Moment sah sie so aus, als ob sie Sascha schlagen wollte. »Tu das nie wieder!«, fauchte sie. »Ich könnte dich umbringen!«
Sascha blickte sie lange an. »Ich glaube nicht«, sagte sie. »Das glaube ich nie und nimmer.«
»Oh Mann!« Tyra sprang auf und tigerte durch den Raum. »Wo bist du eigentlich aufgewachsen? In einem Nonnenkloster? Haben sie dich gerade erst freigelassen?«
Sascha lachte. »Nein, das nun gerade nicht.« Sie beobachtete Tyras unruhige Bewegungen, die den Raum mit Spannung erfüllten. »Es tut dir nicht gut, hier eingesperrt zu sein, nicht wahr?«
Tyra krallte ihre Nägel in den Wandverputz. »Ich könnte die Wände hochgehen!«, knurrte sie. »Ich fühle mich wie in einem Käfig.«
»Aber du bist nicht zum ersten Mal im Gefängnis.«
»Nein. Aber jedes Mal wird es schlimmer«, flüsterte Tyra und legte ihre Stirn erschöpft gegen die Wand.
»Warum versuchst du dann nicht, das zu vermeiden?«
»Das habe ich ja!« Tyra drehte sich schnell herum und starrte Sascha mit glühenden Augen an. »Aber wen interessiert das? Ich wollte diesem Typen helfen, und nun sitze ich hier. Das war das letzte Mal, dass ich jemand geholfen habe.«
»Du wolltest ihm also wirklich helfen? Warum hast du das nicht im Gerichtssaal gesagt? Der Richter hat dich mehrmals gefragt.«
»Ich hatte das schon den Bullen erzählt. Ich wiederhole mich nicht gern.« Tyra nahm ihre Wanderung durch das Zimmer wieder auf.
»Aber es könnte dich vor einer Verurteilung bewahren!« Sascha konnte Tyras Verhalten einfach nicht verstehen. »Wenn du unschuldig bist –«
»Ich bin nicht unschuldig!« Tyra sprach mit der Wand. »In diesem Fall wollte ich helfen – dumm genug von mir. Aber unschuldig . . . unschuldig ist etwas anderes. Unschuldig bin ich schon lange nicht mehr. Vielleicht war ich es nie. So werde ich jetzt dann eben für etwas bestraft, was ich nicht getan habe. Dafür habe ich früher viele Dinge getan, für die ich nie bestraft worden bin.«
»Hältst du es deshalb für gerecht?«, fragte Sascha.
Tyra gab ein hohles Geräusch von sich. »Gerecht. Was ist schon gerecht?« Sie schüttelte den Kopf. »Gerechtigkeit gibt es nicht. Für mich nicht und für andere nicht. Für niemand.«
»Doch, ich denke schon.« Sascha stand auf und ging zu Tyra hinüber. »Ich denke, dass es immer eine Gerechtigkeit gibt. Vielleicht nicht sofort, vielleicht nicht immer im selben Augenblick, in dem man sie sich wünscht. Aber es gibt sie. Und sie wird siegen. Auch in deinem Fall.«
»Wie naiv muss man eigentlich sein, um das zu glauben?«, fragte Tyra. Ihr Blick ruhte einen Augenblick mit einer Sanftheit auf Sascha, die Sascha bislang noch nie an ihr wahrgenommen hatte. Doch der Augenblick verging schnell. Tyra ging zur Tür und trommelte dagegen. »Lassen Sie mich raus! Ich will in meine Zelle!«
Sascha blickte sie erstaunt an. »Das Interview – Machen wir morgen weiter?«
Tyra drehte sich halb zu ihr herum. »Kann ich nicht versprechen«, sagte sie.
Der Wächter kam und führte Tyra aus dem Raum.