Читать книгу Meine blauäugige Pantherin - Kingsley Stevens - Страница 8
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ОглавлениеHarry raufte sich die Haare. »Du bist doch nicht ganz richtig im Kopf, Kind! Du kannst ihr doch kein Honorar versprechen! Bist du denn des Wahnsinns?«
»Sie hätte sonst nichts gesagt.« Bedauernd zuckte Sascha die Schultern.
»Das hat sie auch so nicht. Oder hältst du das etwa für sehr aussagekräftig, was du da mitgebracht hast?« Er wedelte mit den Blättern vor ihrer Nase herum.
Sascha verzog schuldbewusst das Gesicht. »Sie ist sehr vorsichtig und misstrauisch. Wahrscheinlich muss sie sich erst ganz langsam an mich gewöhnen«, behauptete sie verlegen.
»Junge Dame, ich –!« Harry unterbrach sich aufstöhnend. »Wie viele Interviews willst du denn mit ihr machen, bis sie sich an dich gewöhnt hat, hä?«, fragte er sarkastisch.
»Na ja, ein paar –« Weiter kam Sascha nicht, da unterbrach Harry sie schon.
»Ein paar?« Er riss entsetzt die Augen auf. »Sind wir hier bei der New York Times, oder was? Wir sind eine Lokalzeitung, Kind!« Bald würde nichts mehr von seinen Haaren übrig sein, da er sie sich schon wieder verzweifelt raufte. »Wir recherchieren nicht den Watergate-Skandal. Wenn die Geschichte nichts hergibt, wenn sie nicht den Mund aufmacht, dann ist die Sache eben gestorben.«
»Dann musst du das dem Leitenden Redakteur nicht mehr verkaufen«, erwiderte Sascha etwas bitter, »und bist diese Sorge los.«
»Na, wenigstens eine! Ich habe ja auch sonst nichts zu tun.« Er kam auf Sascha zu und nahm sie freundschaftlich bei den Schultern. »Kind, solche Menschen sind es einfach nicht wert, dass man sich mit ihnen beschäftigt. Das bringt nichts. Du machst dich nur unglücklich damit.«
»Sie ist es wert!« Fast hätte Sascha mit dem Fuß aufgestampft.
»Woher willst du das wissen?« Harry seufzte. »Schau, ich bin viel älter als du –« Er setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr mit einer Handbewegung in der Luft darüber. »Alles, was du hier siehst, waren einmal hoffnungsvolle Anfänge. Das meiste Hoffnungen, die sich nicht erfüllt haben. Wo wird das alles landen? – Im Papierkorb. Kein Mensch interessiert sich dafür. Niemand interessiert sich für eine Kleinkriminelle, die nichts Besseres zu tun hat, als ihr eigenes Leben zu verpfuschen.« Freundlich lächelte er sie an und sprach auf einmal sehr sanft. »Bleib bei deinen Gerichts-Zehnzeilern. Opa Schmidt beim Autofahren besoffen erwischt. Das ist das, was die Leute lesen wollen. Klatsch und Tratsch. Sie kennen Opa Schmidt, und deshalb wollen sie etwas über ihn erfahren.« Er schüttelte den Kopf. »Deine Pantherin mit den blauen Augen kennt niemand – und deshalb will auch niemand etwas über sie wissen.«
Sascha lächelte. »Die Pantherin mit den blauen Augen.« Sie blickte Harry schelmisch an. »Woher weißt du das? Sie sieht wirklich so aus.«
»Der Gerichtsfotograf hat ein paar Bilder gemacht«, brummelte er.
»Und du hast sie dir angeschaut? Also interessiert sie dich doch!« Triumphierend streckte Sascha das Kinn in die Luft.
»Sie interessiert mich nicht. Du interessierst mich«, entgegnete Harry genervt. »Du bist in meiner Redaktion und du unterstehst meiner Kontrolle. Wenn du Mist baust, wird man mich dafür verantwortlich machen.« Er brummelte immer noch.
»Wenn es wirklich so wäre, hättest du mich schon längst vor die Tür gesetzt.« Sascha grinste.
»Du bist eine Nervensäge«, seufzte Harry.
»Das gebe ich gern zu«, ein verschmitztes Lächeln überzog Saschas Gesicht, »wenn ich dann weiter an der Sache arbeiten kann.«
Scherzhaft drohte Harry ihr mit dem Finger. »Du hältst mich wohl für deinen guten Onkel, was?«
Schmunzelnd ging Sascha auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf die hohe Stirn. »Genau das tue ich. Ich folge meinem Gefühl, und mein Gefühl hat mich noch nie im Stich gelassen.«
»Wenn du damit nicht mal auf die Nase fällst«, brummelte Harry wieder, seine Rührung zu verbergen suchend. »Sie ist nicht deine Kragenweite. Sieh doch ein, dass sie ganz anders aufgewachsen ist als du. Wahrscheinlich hat sie sich von klein auf durchboxen müssen. Du hattest eine behütete Kindheit. Ihr habt nichts gemeinsam, und sie wird dich nach Strich und Faden ausnutzen, wenn sie merkt, wie naiv du bist. Wahrscheinlich hat sie das schon längst gemerkt.«
»Ich naiv?« Vor Empörung klang Saschas Stimme laut.
»Oh ja, das bist du.« Harry lächelte liebevoll. »Das ist ja das Nette an dir. Du glaubst an das Gute im Menschen. Die meisten Leute heutzutage haben sich das längst abgewöhnt. Nicht zu Unrecht.«
»Doch zu Unrecht!« Saschas Augen funkelten. »Wenn niemand mehr an das Gute im Menschen glaubt, wo soll es dann herkommen? Es verkümmert wie ein Baum ohne Wasser. Man muss ihn gießen, diesen Baum, damit er wächst, damit er blüht und gedeiht.«
»Oh Kind!« Harry schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Gott erhalte dir deine Leichtgläubigkeit. Aber als Voraussetzung für den journalistischen Beruf ist das nicht gerade ideal.«
»Sie ist unschuldig, Harry, sie hat nur nie eine Chance gehabt.«
»Sie hat nie eine Chance gehabt?« Harry seufzte. »Ich will dir mal was sagen. Du bist nicht die Erste, die sich für sie einsetzt. Es gab einen Lehrer an ihrer Schule, der sie immer wieder rausgehauen hat. Er hat es fertiggebracht, dass sie versetzt wurde, obwohl sie ein halbes Jahr nicht in der Schule erschienen war oder nur sehr sporadisch. Er hat für sie gekämpft und sämtliche Lücken ausgenutzt, um ihr die Chance zu geben, die sie ständig mit Füßen getreten hat. Und weißt du, was er davon hatte? Was seine Belohnung war für all die Mühe?«
Sascha blickte ihn verwirrt an.
»Du kannst dir einmal sein Gesicht betrachten«, fuhr Harry fort und warf ein Foto vor ihr auf den Tisch. »Das war ihr Dank!«
Sascha schreckte zurück, als sie das Gesicht des Mannes auf dem Foto sah. Eine lange Narbe zog sich von seinem Auge bis hinunter zum Mund über die ganze Wange.
»Sie hat ihn mit einem Messer traktiert«, sagte Harry. »So lange, bis er in seinem Blut dalag und sich nicht mehr wehren konnte. Wenn seine Frau nicht nach Hause gekommen wäre, wäre er heute vielleicht tot.«
»Sie hat mir von dem Messer erzählt«, wisperte Sascha tonlos. »Aber ich wusste nicht –«
»Du dachtest natürlich, sie hat es nur so zum Spaß mit sich herumgetragen und nie etwas Böses damit angestellt. Das ist typisch für dich!« Harry machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Woher weißt du das alles? Woher hast du das Foto?«
»Ich bin seit zwanzig Jahren Journalist, ich weiß, wie ich an Informationen komme«, sagte Harry sanft. »Du musst noch viel lernen, Kind.«
»Es gibt keinen besseren Lehrmeister als dich.« Sascha blickte Harry erschüttert an. »Ich kann nicht glauben, dass sie das getan hat. Einfach so ohne Grund. Jemanden zu verletzen, der ihr nur helfen wollte.«
»Es gibt Leute, die können keine Hilfe annehmen«, sagte Harry. »Ich bin überzeugt, sie gehört dazu. Sie vermutet hinter jedem Hilfsangebot einen Angriff und verteidigt sich wie der Teufel gegen das Weihwasser. Verstehst du nicht? Sie ist nicht ganz richtig im Kopf. Sie hat zu lange mit all dieser Gewalt gelebt, von klein auf, sie weiß nicht, wie man sich anders verhält. Für sie ist das Leben ein einziger Kampf. Keine ruhige Minute.«
»Ja, den Eindruck hatte ich auch«, sagte Sascha leise. »Aber da gibt es noch etwas anderes.« Sie sah Tyra vor sich, wie sie erschöpft den Kopf an der Wand abgestützt hatte, wie ihre Fingernägel sich in den Putz krallten, so verzweifelt, so hilflos. Wie ein Tier im Käfig. So fühlte sie sich, und deshalb schlug sie um sich. Sie wollte frei sein. Jeder will das, dachte Sascha. Das kann man ihr doch nicht verwehren. Es ist ihr gutes Recht.
Harry seufzte und gab es auf. »Wer nicht hören will, muss fühlen«, sagte er. »Ich hoffe, dass sie im Gefängnis gut auf sie aufpassen und dass sie kein Messer ins Besucherzimmer schmuggeln kann, wenn sie mit dir allein ist.« Er stellte sich vor Sascha hin und blickte sie besorgt an. »Ich sterbe tausend Tode, jedes Mal, wenn du zu ihr gehst. Bitte gib es auf. Du kannst ihr nicht helfen.«
»Ich kann nicht aufgeben, Harry«, sagte Sascha. »Ich kann sie einfach nicht im Stich lassen. Sie hat niemanden außer mir.«
»Sie hat Dutzende von kriminellen Freunden. Sollen die sich doch um sie kümmern!«, schimpfte Harry ärgerlich.
»Und wenn sie sich ändern will?«, fragte Sascha. »Wenn sie nicht mehr so sein will wie diese angeblichen Freunde? Wen hat sie dann?«
»Sie wird sich nicht ändern.« Harry winkte ab. »Mach deine eigenen Erfahrungen. Du bist alt genug. Aber nimm ein Messer mit, wenn du das nächste Mal zu ihr gehst.«
»Damit werden sie mich kaum reinlassen.« Sascha lachte. »Es ist süß, wie besorgt du um mich bist, aber ich kann schon auf mich aufpassen.« Sie lachte und verschwand aus der Tür.
»Das bezweifle ich, mein Kind«, sagte Harry leise zu sich selbst. »Eben das bezweifle ich.«