Читать книгу Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt - Kirsten Klein - Страница 11

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In einer Ecke hält Mistie für eine Verschnaufspause inne und schaut sich um, hat keine Ahnung, wo er ist. Schließlich wurde er ja nicht ganz freiwillig als blinder Passagier nach hierher verfrachtet. Die leichten Vibrationen unter seinen Pfoten werden ihm allmählich vertraut und signalisieren ihm, dass er immer noch auf hoher See ist.

Hier sieht alles seltsam aus. Über ihm wölbt sich kein Himmel, sondern eine Decke mit lauter runden Lichtern. Sterne? Dann müsste es ja inzwischen Nacht geworden sein. Unmöglich, so gewaltig kann ihn seine biologische Uhr nicht trügen.

Und was ist das unter ihm, worauf er läuft? Grün und angenehm weich – er schnuppert daran. Kein Gras, erinnert ihn irgendwie an die Matten vor den Türen vieler Häuser, auf denen er sich bei seinen nächtlichen Streifzügen so gern erleichtert hat.

Apropos erleichtern – dafür ist es wirklich an der Zeit. Sorgfältig markiert Mistie zumindest seine nächste Umgebung. Das ist er auch seinen Mitgeschöpfen schuldig. Die müssen ja erfahren, mit wem sie es zu tun haben.

Anschließend erkundet er weiter sein neues Terrain. Wie eine künstliche Welt erscheint es ihm – künstliche Sterne, künstliches Gras, künstliche Kat... nein! Schon wieder dieser Riesenkater. Auf der Stelle macht Mistie kehrt, rennt durch einen langen Flur, saust um eine Ecke, dann um die nächste, die nächste... Ihm wird schon ganz schwindlig. Er kann kommen, wohin er will, immer steht dieser Kater vor ihm! Kunststück, der kennt sich hier natürlich besser aus.

Plötzlich gibt es keine Ecke mehr, um die Mistie flitzen kann, ringsumher nur Wände. Er weicht zurück, will nach hinten ausbrechen, aber es klappt nicht. Immer ist der Kater schneller. Liegt es daran, dass Mistie zu viele Eier im Bauch hat?

„Okay, okay“, stößt er endlich atemlos hervor. „Du hast gewonnen.“ Aug in Aug stehen sie sich gegenüber. Der Kater faucht, entblößt vier Reihen prächtiger Zähne, duckt sich zum Sprung und wedelt voller Jagdeifer mit seinem buschigen Schwanz.

Mistie katzbuckelt, obwohl er ja ein Marder ist und damit nicht gerade in das Beuteschema eines Katers passt, weicht dessen Blick aus. „Verehrter Captain Nemo“, säuselt er demütig. Der stutzt einen Augenblick und faucht dann wieder. Offensichtlich reicht ihm das nicht.

„Verehrtester Captain Nemo, hochverehrter Captain Nemo.“ Ja zum Kuckuck, wie soll er das denn noch steigern?, überlegt Mistie mühsam beherrscht.

Ah, der hält ihn hin, leckt sich ausgiebig und voller Hingabe die Pfoten, lässt seine Krallen spielen. Nicht von schlechten Eltern, erkennt Mistie widerwillig an, aber natürlich hat der Kater Heimvorteil. Ganz anders sähe es aus, wenn sie sich in „Misties Wald“ begegnen würden, in einer echten Welt, nicht in so einer billigen Imitation.

Wohlweislich behält der Marder derartige Gedanken für sich.„Woher kennst du meinen Namen, Mistvieh?“, spricht der Kater ihn endlich an.

Mistie ist höchst irritiert. „Woher kennst du meinen?“, fragt er zurück und fügt hinzu: „Wenn ich dich untertänigst berichtigen darf – Mistie. Mistie heiße ich.“

„Sag' ich doch, Mistvieh.“

Der Marder überlegt. Will der ihn nun provozieren oder was?Wie ein aufgeblasener Gockel stolziert er vor ihm hin und her. Jetzt könnte Mistie einen vielleicht erfolgreichen Fluchtversuch wagen, aber... Seltsam, plötzlich ist ihm nicht mehr danach. Sein Instinkt sagt ihm zwar, der Kater sei sein Feind, er solle aber trotzdem versuchen, sich gut mit ihm zu stellen. Denn anscheinend kennt der sich hier aus und kann ihm wertvolle Hinweise geben sowie Tipps, wie Kater oder Marder sich in kniffligen Situationen am besten verhält.

Also überwindet sich Mistie und packt den Kater an dessen offensichtlicher Eitelkeit. „Ein beeindruckender Name – Captain Nemo.“

Es funktioniert. Er beißt an, fühlt sich geschmeichelt. „Ja, nicht wahr? Er wurde mir von einem Menschen verliehen.“

„Ich habe meinen Namen auch von Menschen erhalten“, platzt Mistie unüberlegt heraus und beißt sich vor Ärger darüber selbst auf die Zunge. Doch Nemo scheint ihm diesen stolzen Vorstoß nicht zu verübeln, im Gegenteil. Er schmunzelt amüsiert. „Ja, das kann ich mir denken. Auf meinen Landgängen erlebe ich so einiges, habe auch schon mitbekommen, wie sehr sich die Zweibeiner über eure Vorliebe für ihre Autos 'freuen'“.

Mistie versteht nicht ganz, wie das gemeint ist, will sich aber nicht als Depp hinstellen. Also nickt er vielsagend und wechselt das Thema. „Wie lange lebst du schon hier, wenn ich fragen darf?“

„Du darfst“, gestattet Captain Nemo gnädig. „Schon immer, ich bin hier an Bord geboren. Meine Mutter, eine schneeweiße Maine-Coon-Schönheit, hat sich auf einem Landgang in einen silbergrauen British-shorthair-Kater verliebt. Von ihr habe ich meine imposante Statur, von ihm meine exquisiten Colour-points.“ Aufreizend stolziert er hin und her.

Was der sich einbildet, denkt Mistie. Erstens ist er keine Muschi und zweitens nicht schwul. „Ist der andere Kater auch hier geboren?“, fragt er.

„Welcher andere Kater? Hier ist nur Platz für mich! Es gibt keinen anderen Kater!“

„Schon gut, schon gut“, beschwichtigt ihn Mistie und unterdrückt seinen Unmut. Von diesem weltfremden, in sich selbst verliebten Trottel wird er wohl wenig Nützliches erfahren.„Unglücklicherweise starb meine Mutter bei meiner Geburt“, fährt Captain Nemo theatralisch fort, „und Charles, mein Butler, den ich von ihr geerbt habe, zog mich auf.“

Mistie schaut ihn groß an. „Charles, dein wer?“

„Mein Butler, das ist ein ganz besonderer englischer Dosenöffner“, belehrt ihn der Kater von oben herab. „Schließlich bin ich väterlicherseits Brite.“

Mistie zermartert sich den Kopf darüber, was er solch einer noblen Herkunft entgegensetzen könnte, aber das ist wohl für die Katz. Captain Nemo will es auch gar nicht wissen, redet unentwegt weiter von sich, was er schon alles gesehen hat auf seinen tausend Weltreisen und und und... „Sag' mal“, wagt Mistie ihn endlich zu unterbrechen, „demnach musst du ja schon einige Jährchen auf deinem Katzenbuckel haben.“

Captain Nemo stutzt, ist es wohl nicht gewohnt, dass man ihn unterbricht. Wahrscheinlich, so hält Mistie ihm zugute, hat er selten Gelegenheit zum Plaudern.

„Ich werde am achten August drei – am Weltkatzentag“, antwortet Captain Nemo.

Mistie fragt sich insgeheim, ob es auch einen Weltmardertag gibt. Wäre ja sonst äußerst ungerecht!

„Ich bin Löwe“, reißt Captain Nemo ihn aus seinen Gedanken. Hä??? Also jetzt wird er eindeutig größenwahnsinnig.

„Vom Sternzeichen“, ergänzt der Kater. Bevor er weiter von sich selbst erzählen kann, spricht Mistie ihn auf die Passagiere an und nutzt dabei die Gelegenheit, wenigstens ein bisschen aufzuschneiden. „Übrigens“, beginnt er lässig, um es recht beiläufig klingen zu lassen, „ich komme gerade vom Frühstücken. Sind ja eine Menge Leute hier und die Ansprache des Kapitäns...“

„Du warst im Speisesaal“, entfährt es Captain Nemo.

„Na klar, wo nimmt man denn sonst sein Frühstück ein?“ Ätsch, ätsch, jetzt ist er der Depp, freut sich Mistie und kann es kaum verbergen. Das verschlägt dem Aufschneider die Sprache!

„Es war köstlich“, fährt der Marder schnell fort. Ich wurde zuerst bedient und erhielt die größte Portion von allen, den exclusivsten Sitzplatz...“

Mit jedem Wort verdüstert sich Captain Nemos Miene mehr. Halte ein, warnt Misties innere Stimme, doch er hört nicht auf sie, quasselt einfach weiter. Zu schön ist es, diesem Großkotz Paroli zu bieten. „Dann kannst du mir bestimmt auch sagen, was für Leute im Speisesaal saßen“, faucht der ihn überraschend an. Erschrocken weicht Mistie zurück und stößt sich den Hintern an der Wand. „Jaaa, na klar. Es waren sehr viele... sehr sehr viele, also wirklich ganz ausnehmend viele. Wie und warum hätte ich mir die alle merken sollen?“

„Warum?“ Captain Nemo vergisst vor Erstaunen seine Wut.„Weil es interessant ist, sich Menschen zu merken, sie zu beobachten. Ja, ihre Spezies ist höchst merkwürdig. Viele von ihnen schimpfen über andere, nur weil die anders sind oder anders aussehen als sie selbst, zum Beispiel dicker, dünner oder sonst was. Und fast jeder von denen glaubt, so, wie er ist, wäre es das einzig Richtige, und zwar für alle. Dabei müssen andere ja allein schon deshalb anders sein, weil sie die 'Anderen' sind. Ist doch logisch, nicht wahr?“

Mistie kann ihm nicht ganz folgen. Wahrscheinlich, so vermutet er, fehlen ihm dazu die nötigen Erfahrungen.

„Uns“, fährt der Kater fort, „sprechen sie die Fähigkeit ab, logisch denken zu können. Aber schau sie dir bloß an. Handeln sie etwa logisch? Doch was soll's, ich schweife ab“, beendet Captain Nemo seine Rede. „Eins muss dir auf jeden Fall aufgefallen sein, wenn du im Speisesaal warst, nämlich ein ausnehmend außergewöhnlicher Passagier.“

Außergewöhnlich, außergewöhnlich – wen kann er bloß meinen?, fragt sich Mistie. Endlich glaubt er es zu wissen, wartet aber noch, bis sein erregtes Herz wieder ruhiger schlägt und genießt währenddessen Captain Nemos siegessichere Miene. „Ach so, du meinst das Schwein aus dem Meer, das wie ein Hund riecht.“ Im nächsten Augenblick hätte er seine Worte am liebsten wieder verschluckt, denn – was ist plötzlich mit dem Kater los? Der reißt sein Maul auf, kriegt es nicht mehr zu, verdreht die Augen und hechelt vor Aufregung. „Da... das kann nicht sein... unmöglich... ausgeschlossen. Ein derartiges Individuum wäre mir nicht entgangen. An mir muss jeder vorbei, der an Bord will. Ich bin bei jeder Abfahrt mit an Deck.“

„Es ist nicht gefährlich – glaube ich“, versucht Mistie ihn zu beruhigen und merkt dabei, dass seine eigene Stimme zittert. Doch der Kater ist noch immer aufgebracht. „Ein Schwein – auf meinem Luxusliner... Das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein!“ Dann fährt er Mistie unerwartet an. „Mein Butler muss die Passagierliste durchgehen. Wie heißt es? Los, raus mit der Sprache!“

„Das weiß ich nicht.“ Der Marder ist total verdattert. Oder weiß er es vielleicht doch? Wurde im Speisesaal nicht ein paar Mal ein Name genannt? „Lady, Lady heißt es!“, platzt er erleichtert heraus.

Keine Sekunde später versteht der junge Marder die Welt überhaupt nicht mehr. Was ist denn nun verkehrt? Der Kater ist ja aufgebrachter denn je. „Lady vom Adlerhorst ist kein Schwein! Entschuldige dich gefälligst sofort!“, brüllt er aus Leibeskräften.

Mistie gehorcht, wenn er auch nicht weiß, wofür und warum er sich entschuldigen soll. Schließlich werden Schweine im Wald von allen anderen Tieren geachtet und respektiert.

Immerhin scheint Captain Nemo nicht nachtragend zu sein. Allzusehr genießt er seine Rolle als Lehrer. „Lady vom Adlerhorst ist ein Hund“, erklärt er geduldig. „Kommt ja selten vor, dass wir Angehörige dieser Spezies aufnehmen – was mir nicht unlieb ist, wenn du verstehst, was ich meine.“

Mistie bejaht. Endlich hat er mal etwas mit dem Kater gemeinsam. Der fährt sogleich fort: „Allerdings ist sie kein gewöhnlicher Hund, was man ihr sofort ansieht. Gewöhnliche Hunde tragen bekanntlich keine diamantbesetzten Halsbänder. Auch ansonsten hebt sie sich recht angenehm von ihren Artgenossen ab. Sie war schon zweimal mit uns unterwegs und hat mir einiges über sich erzählt. Ihre Ahnengalerie in ihrer Villa reicht unglaublich weit zurück. Schon ihre Urururururururururururgroßmutter stand einem der berühmtesten Fotografen Modell.“

„Aha“, hakt Mistie besorgt ein. „Aber – ihr seid doch nicht etwa befreundet.“

Heftig schüttelt Captain Nemo den Kopf. „So weit muss es nun auch wieder nicht gehen. Nein, nein, wir respektieren uns gegenseitig – wie es Leuten unseres Standes eben gebührt.“ Mistie unterdrückt einen Seufzer. Dass dieser Kater einfach keinen Satz von sich geben kann, ohne aufzuschneiden – und noch immer bezweifelt, dass er wirklich im Speisesaal war. „Nun sag mir noch, wie Ladys Dosenöffnerin heißt“, verlangt er. Dosenöffnerin? Damit kann der Marder nichts anfangen, doch Captain Nemo hat ein Einsehen und will ihm auf die Sprünge helfen. „Ich weiß“, beginnt er, „Hunde haben eigentlich nur Frauchen und Herrchen. So was würden wir Katzen uns selbstverständlich nie anschaffen. Lady jedoch hat eine Dosenöffnerin, noch eine Gemeinsamkeit zwischen ihr und mir.“

Allmählich ahnt Mistie, was der Kater meinen könnte, und überlegt fieberhaft. War dort denn nicht noch ein Name gefallen? „Sophia!“

Sein 'hochwohlgeborenes' englisches Gegenüber beeilt sich, eine gönnerhafte Miene aufzusetzen. „Hat zwar ein bisschen lange gedauert, aber von einem deiner Art darf man halt nicht viel erwarten. Für einen Marder hast du sicher ein ziemlich helles Köpfchen“, fährt er besänftigend fort, als Mistie eine beleidigte Miene aufsetzt. „Ganz nebenbei – nicht dass ich dir zu nahe treten möchte mit meiner Fragerei, aber man macht halt so seine Erfahrungen. Ich musste schon zu viele Betrüger und Hochstapler entlarven.“

Das sagt der Richtige, amüsiert sich Mistie klammheimlich.

„Mit dieser Sophia hat Lady eine gute Wahl getroffen“, meint Captain Nemo. „Ist ja heutzutage nicht leicht, zuverlässiges Personal zu finden. Diesmal kamen sie übrigens verspätet an Bord. Das Schiff hat extra auf sie gewartet!“

Mistie hält besser seine Schnauze. Auf ihn hat nämlich noch nie jemand gewartet. Von klein auf musste er stets aufpassen, dass er bei den Ausflügen mit Mama hinterher kam. Vielleicht muss man „Lady vom Adlerhorst“ heißen, um solche Extrawürste zu bekommen, überlegt er.

Apropos Würste und dergleichen – das ist ein heikles Thema. Mit Auskünften scheint Captain Nemo ja großzügig zu sein, aber wenn's um die Verpflegung geht... Wie fängt Mistie es am besten an, auch diesbezüglich Tipps zu bekommen?

„Dieser komische Typ war allerdings auf der vorigen Reise nicht dabei.“

„Was?“, horcht Mistie auf, hat nicht auf Captain Nemos Worte geachtet.

„Na, diesmal sind sie doch zu dritt“, hilft der ihm auf die Sprünge.

„Ach so, ja“, fällt es Mistie wieder ein. „Da hat einer darüber gelästert, dass Lady nicht von Sophias Schoß runter wollte. Das muss wohl der gewesen sein, den du meinst.“

Der Kater verzieht sein Gesicht. „Ich weiß nicht, kann den nicht riechen. Zwischen ihm und mir stimmt – wie die Zweibeiner zu sagen pflegen –, die Chemie nicht.“

Mistie muss sich eingestehen, dass Captain Nemo sich wirklich sehr gewählt ausdrückt. So einen Kater hat er bisher noch nicht kennengelernt. Hat er überhaupt schon einen näher kennengelernt?

„Da fällt mir ein“, will Captain Nemo plötzlich wissen, „wie bist du eigentlich zum Schiff gekommen?“

„In meinem Benz.“ Mistie überlegt kurz. Ja, so muss es gewesen sein.

„Du hast einen Benz – Mercedes Benz?“ Eine Spur von Ehrfurcht schwingt in Captain Nemos Worten mit. Aber auch dazu fällt ihm natürlich was ein. „Ich hörte mal von einem deiner Art, der einen Rover gehabt haben soll. Ein anderer Marder hätte ihm den für drei Rattenzahlungen überlassen, sieben Ratten pro Monat.“

„Aha“, meint Mistie. „Dafür würde ich meinen Benz nicht hergeben. Übrigens besitze ich auch leckeren Speck. Wenn du mich begleitest, geb' ich dir einen Bissen davon ab.“

Captain Nemo willigt sofort ein. Mistie verschweigt ihm, dass dieses Angebot nicht ganz uneigennützig ist. So lernt er nämlich das Schiff besser kennen. Höflicherweise lässt er ihm unterwegs den Vortritt und prägt sich jedes noch so winzige Detail genau ein. Marder müssen sich schließlich ihre Unabhängigkeit bewahren.

Zunächst hoppeln sie eine Treppe hoch, die auch mit diesem „Kunstrasen“ bewachsen ist, und treten durch eine Tür ins Freie. Mistie kommt manches bekannt vor – wieder dieser lange Gang mit hellem Boden, außen gesäumt von dem Geländer mit Netz unten und Rettungsringen darüber.

Nach einer Weile muss er jedoch feststellen, dass es ein anderer ist, dass es viele solcher Gänge gibt. Captain Nemo scheint sie alle auseinanderzuhalten. Kunststück, sagt sich Mistie, er ist ja hier geboren. Leider zieht er die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich. Weil er sehr groß ist, kann Mistie sich aber gut hinter ihm verbergen, und die meisten Zweibeiner scheinen sich derzeit anderswo aufzuhalten.

Eine zumindest vorläufige Lösung für sein heikles Problem fällt ihm zum Glück auch ein. „Für eine kleine Gefälligkeit kriegst du sogar die Hälfte meines Specks.“

Captain Nemo wendet sich zu ihm um und Mistie bemerkt, dass er fast mehr Wasser im Maul hat als das Meer fassen kann. Seine Augen leuchten. Erst hier an Deck bemerkt der Marder, dass sie die Farbe des Himmels besitzen.

„Schieß los, was kann ich für dich tun?“

Unwillkürlich zuckt Mistie zusammen. Vom Schießen will er nämlich nichts hören. „Weißt du“, beginnt er alsbald, „eigentlich würde ich meine Mahlzeiten lieber mit dir einnehmen, als unter den vielen Menschen im Speisesaal.“

Captain Nemo leckt sich mit seiner rosa Zunge über die Barthaare. Das beruhigt Mistie. Er dachte schon, die wäre auch blau.

„Okay Kumpel“, stimmt der Kater freudig zu. „Ich hab dich – ehrlich gesagt –, schon für einen Snob gehalten.“

Mistie juckt das Zwerchfell. Selbsterkenntnis ist für Captain Nemo wahrhaftig ein Fremdwort.

Das Lachen bleibt Mistie allerdings im Hals stecken, denn, wie aus dem Erd-, beziehungsweise Schiffsboden gewachsen, tauchen Kinder auf, springen und hüpfen direkt auf sie zu. Bei denen wird Misties Taktik nicht funktionieren. Die sehen immer mehr als die Erwachsenen, schauen ganz anders hin. Und wenn auch denen nicht geglaubt wird, so mag Mistie trotzdem nicht von ihnen entdeckt werden. Er beschließt, sich zu verbergen, bis die Gefahr vorüber ist. Das muss er dem Kater sagen und ihn für alle Fälle fragen, wann und wo sie ihre gemeinsamen Speisen einnehmen. Bah, jetzt ertappt er sich dabei, dass er schon so geschwollen denkt, wie der redet. „Nemo, he Nemo – Captain Nemo!, hör' mal...“ Alles vergebens, der palavert wieder in einem Fort vor sich hin, hat die Kinder natürlich auch schon bemerkt. Nur, dass der sich sogar darüber freut, sich bestimmt den Pelz durchkneten lassen will.

„Guck mal, was für eine schöne Katze!“, ruft auch schon eins dieser Plagegeister. Mistie reicht's, er verdrückt sich. Nicht mal davon kriegt Captain Nemo was mit.

Im Schutz einer Einbuchtung der Innenwand, beobachtet der Marder, wie er einem der drei Kinder seinen dicken Kopf in die Hand drückt, sich bewundern und genüsslich hinter den Ohren kraulen lässt.

Mistie überläuft ein Schaudern. Wie lange wird man sich wohl putzen müssen, bis man den Menschengeruch wieder los ist?Dabei fällt ihm ein, dass das ja für den Kater keine Rolle spielt. So, wie der sich aufführt, scheint es sehr angenehm zu sein. Bevor Mistie noch beginnt, ihn darum zu beneiden, wendet er sich ab und trippelt ein Stückchen weiter, immer schön an der Einbuchtung entlang.

Wie lange dauert das denn noch? Immer noch hört er, wie sie ihm Honig um den Bart schmieren. Mannomarder, dabei ist der ja wirklich schon eingebildet genug!

Zu allem Übel kommen jetzt aus der anderen Richtung Erwachsene und Mistie hat niemanden mehr, hinter dem er sich verstecken kann. Ihre Stimmen verheddern sich mit denen der Kinder. Angestrengt versucht Mistie, Captain Nemos Schnurren herauszufiltern. Es klappt nicht. Hat er seinen „Motor“ ausgeschaltet, ist womöglich schon weitergegangen?

Mistie traut ihm durchaus zu, dass er selbst dann seine Abwesenheit noch immer nicht bemerkt.

Länger kann er nicht warten. Die Erwachsenen rücken ihm sonst zu dicht auf den Pelz.

Mit zwei Sätzen hockt er auf einem der Rettungsringe, das Rauschen des Meeres in den Ohren, und späht über das Geländer. Unter ihm pflügt der Schiffsrumpf durch's Wasser. Mächtig schäumt es, wie ein weißes Ungeheuer. Doch Misties angeborene Scheu vor Menschen überwiegt. Er klettert über das Geländer und umklammert es kopfüber mit allen Vieren. Nach kurzem Überlegen, in welcher Richtung die Holzkiste mit seinem Speck liegt, hangelt er sich am Geländer entlang. Erst, als sein Gehör ihm signalisiert, dass keine Zweibeiner mehr in der Nähe sind, wagt er einen Blick auf den Gang. Ist er schon zu weit weg? Menschen sind weder zu sehen noch zu riechen noch zu hören, der Kater leider auch nicht. Mistie steigt über das Geländer und sucht Boden sowie Wände nach seinen Duftmarken ab.

Es geht eben nichts über eine gründliche Markierung. Er findet sie, ist nicht verkehrt, folgt ihnen und sieht schon von weitem die Kiste. Nur von Captain Nemo ist weit und breit nichts zu sehen, nicht ein Haar aus seinem „tollen“ Colour-point-Pelz.

Die Kiste steht noch da, wie Mistie sie verlassen hat, der Deckel einen Spalt breit offen. Soll er es wagen? Und wenn sie wieder zufällt? Aber der Speck könnte so gut den Eiern in seinem Bauch Gesellschaft leisten!

Mistie schaut sich um. Die Luft ist rein. Er schlüpft in die Kiste und gräbt zwischen den Bocciakugeln. Zu blöd, dass die immer wieder unter seinen Pfoten wegrollen. Endlich erhascht er einen Zipfel vom Speck, zieht und zerrt daran herum, reißt ihn ab und verschlingt ihn. Köstlich! Aber wo ist der Rest? Erneut unter den Kugeln vergraben!

Mistie kann nicht mehr, streckt seufzend alle Viere von sich und schließt ermattet die Augen. Es ist einfach ungerecht, wie ungleich die Kräfte verteilt sind. Und wenn man schon mal einen Kater braucht, dann ist er nicht da!

Eigentlich würde Mistie sich viel mehr ärgern, doch selbst dazu ist er zu müde, gähnt herzhaft und sinkt in einen tiefen Schlaf.

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt

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