Читать книгу Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt - Kirsten Klein - Страница 5
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ОглавлениеMistie sitzt auf dem Asphalt. Schräg einfallende Strahlen stechen ihm in die Augen. Das ist nicht okay. Hier gehört er nicht hin, nicht jetzt, nach Sonnenaufgang. Er blinzelt, kann nicht glauben, was er gerade erlebt hat.
Bevor ganz in sein Bewusstsein sickert, was es überhaupt war, packt ihn das nächste Entsetzen. Unter seinen Pfoten spürt er, dass ein Mensch naht, will flüchten, aber in welche Richtung?Die Sonne blendet ihn noch immer. Fast erstarrt er vor Angst, hört seinen Atem. Endlich – seine Beine gehorchen ihm wieder. Er flitzt davon. „Mistie!“, hört er den Menschen hinter sich rufen. „Du Mistie!“
Inzwischen haben sich seine Augen an die Sonne gewöhnt und er erkennt, wo er ist. Alles wirkt anders als im Schutz der Dunkelheit. Schnell verkriecht er sich unter einem Fiat Panda. Ist eigentlich unter seinem Niveau, aber in der Not frisst der Marder Pandas. Außerdem hat ihn bestimmt keiner seiner Artgenossen gesehen. Die pennen längst alle.
Er könnte heulen, wenn er ein Mensch wäre. Schlafen... Ausgiebig gähnt er. Wie hatte er sich auf sein kuscheliges Nest gefreut! Zu allem Übel knurrt sein Magen, denn er hat in der Nacht nichts erbeutet, na ja, sich auch kaum angestrengt. Schließlich hat er sich bis heute immer darauf verlassen können, dass Mama ihm von ihren Streifzügen was Leckeres mit nach Hause bringt. Bei dem Gedanken daran, läuft ihm das Wasser im Maul zusammen. Er schluckt. Heute gab's nur Dresche. Raus aus dem Dachboden, über die Regenrinne hinweg, hat sie ihn davongejagt.
Er blickt nach oben, durch das Gewirr von Kühlschlauch und Zündkabeln. Hotel Mama hat seine Pforten für ihn geschlossen – für immer. Schmerzlich wird es ihm klar. Diese winzigen roten, nackten Würmer, die er bei seiner Heimkehr fand – in seinem Nest –, die kriegen jetzt alles, was ihm zusteht!
Das Sekret aus der Duftdrüse eines anderen Marders steigt ihm in die Nase. Offenbar ist der Panda schon besetzt. Mistie regt sich mardermäßig auf. Wenn ihn von hier auch einer vertreiben will, soll er's bloß versuchen!
Voller Wut, voller Heimweh, schlägt er seine Zähne in den Kühlschlauch – immer und immer wieder, dann zur Sicherheit noch in ein paar Zündkabel. Satt wird er davon zwar nicht, aber es tut doch gut, Dampf abzulassen.
Mardermüde sinkt er anschließend in einen tiefen Schlaf.
Plötzlich ist alles wieder gut. Ha, er ist halt doch ein Glückskind und Glückskinder wollen hoch hinaus! Vielleicht liegt es daran, dass er direkt unter dem Himmel geboren wurde, in der prächtigsten Villa des zweitnobelsten Wohnviertels. Wie immer, wenn er tagsüber wach ist, sitzt er auch jetzt in der Regenrinne. Von hier aus sieht er nur auf die schönsten Seiten des Hafens. Besonders nach einem Sommerregen leuchtet alles unter dem Himmelsblau in der Sonne wie frisch gewaschen – bunte Dächer, Yachten, Segelboote. Wie von Menschenhand geschaffene Regenbögen, überspannen Brücken das silbern glitzernde Wasser.
Seitdem Mistie zum ersten Mal sein kuscheliges Nest verlassen hat, sitzt er am liebsten in der Regenrinne und späht auf dieses wundervolle Panorama. Dabei stellt er sich vor, wie er die ganze Welt erobert und es seinen Geschwistern zeigt. Die behaupten nämlich immer, er hinge an Mamas Fellzipfel, sei ein Muttersöhnchen.
Ha, die werden noch staunen über ihn, olle Besserwisser! Sind doch nur neidisch darauf, dass er Mamas auserkorener Liebling ist! Ist es etwa seine Schuld, dass nur er Opas unwiderstehlichen Charme geerbt hat? Dagegen kommt keiner an, am wenigsten Mama. Er ist seine wirksamste Waffe, wenn sie ihn mal wieder aus ihrer Nähe vertreiben will. Sofort schmelzen ihre üblen Vorsätze wie Schnee in der Sonne und sie leckt ihm liebevoll übers Fell. Und er hat ja ein so herrlich seidenweiches Fell. Wie sollten diese runzligen, nackten Würmchen dagegen ankommen?
Wo sind sie überhaupt? Erst jetzt fällt Mistie auf, dass er sie gar nicht mehr an Mamas Milchbar herumschmatzen hört. Wie lange sind sie wohl schon verstummt?
Hoffnung keimt in ihm auf. Er steckt seinen Kopf durch das Loch, wo vor dem Einzug das abgebrochene Eck des Dachziegels war, und wirft einen Blick aufs Nest, sieht Mama friedlich darin schlummern. In gleichmäßigen Atemzügen hebt und senkt sich ihr Bauchfell. Sollte alles bloß ein böser Traum gewesen sein?
Mistie erträgt die Ungewissheit nicht, verlässt seinen Aussichtsplatz und schleicht vorsichtig zum Nest. Sein Magen knurrt. Er verharrt und lauscht.
Nichts zu hören, außer seinem knurrenden Magen. Wie er Mama so anschaut, sehnt er sich plötzlich in seine früheste Kindheit zurück und möchte am liebsten selbst wieder mal einen Schluck aus ihrer köstlichen Milchbar nehmen. Sein Magen ist derselben Meinung. Immer lauter knurrt er, scheint sich regelrecht in ihm auszudehnen, dröhnt ihm bis in die Ohren.
Ah! Das ist ja kaum mehr auszuhalten. Dass Mama dabei überhaupt noch schlafen kann? Sie muss es doch auch hören. Irgendwie muss sein Magen jetzt sogar aus Mistie heraus gekommen sein, denn das schreckliche Gebrumm ist nicht mehr in ihm. „Aufhören!!! Mein Trommelfell platzt!!!“
Mistie reißt die Augen auf. Wo ist er? Ernüchtert fühlt er den harten Asphalt unter sich, erkennt über sich den zerfetzten Kühlschlauch des Fiat Pandas. In der Ferne verhallt das Brummen.
Es kam gar nicht aus seinem Magen, muss Mistie feststellen. Der scheint das Knurren aufgegeben zu haben. In unmittelbarer Nähe hat jemand den Motor seines Autos angelassen und ist losgefahren.
Erst jetzt bemerkt der junge Marder, dass nicht mal der Widerschein eines Sonnenstrahls mehr sein Exil erhellt, spickt vorsichtig darunter hervor – alles dunkel. Die Abenddämmerung hat er schon verschlafen und verträumt.
Er vergewissert sich, dass ringsumher keine unmittelbare Gefahr droht, und kriecht unter dem Panda hervor. In vertrauter Atmosphäre erkennt er alles wieder – den Gehweg vor „seiner“ Villa, die Straße, den nahen Waldrand.
Huschte da nicht gerade etwas zwischen den Tannen hindurch?Ein Marder? Einer seiner Geschwister vielleicht? Nicht, dass Mistie besonders scharf darauf wäre, die zu treffen, aber sie kennen sich hier draußen viel besser aus, haben sich ja letzten Herbst schon selbstständig gemacht und wissen bestimmt, wie und wo man hier leicht an etwas Essbares ran kommt. Mistie musste ja bisher nie viele Gedanken an derart elementare Dinge verschwenden. „Los, hinterher!“, fordert sein Magen. Sein Instinkt warnt: „Sei vorsichtig, sei immer vorsichtig!“
Sein Magen gewinnt die Oberhand. Mistie flitzt los und peng –kriegt er eins über die Nase.