Читать книгу Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt - Kirsten Klein - Страница 7

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Und was macht Steinmarder Mistie? Kriegt der seine Zähne auseinander?

Einem Riesenhund sieht er sich gegenüber. Bisher hat er noch nie persönlich die Bekanntschaft mit dieser Spezies gemacht. Muss auch jetzt nicht unbedingt sein, entscheiden seine Beine und befördern ihn in Windeseile durchs Unterholz und in den Wald hinein.

Zwischen aufeinandergestapelten Buchenästen verharrt er mardermäuschenstill, hört seine Verfolger blaffen. Ganz in der Nähe müssen sie sein und mindestens zu dritt.

Dann ertönen von fern andere Stimmen, menschliche. Nach und nach wird das Gebell leiser, entfernt sich, verebbt schließlich ganz.

Mistie atmet auf und triumphiert. „Sind die blöd! Wie blöd müssen erst die Menschen sein, wenn sie sich so was als 'besten Freund' ausgesucht haben? Da verfügen wir Marder doch über ganz andere Qualitäten!“

„Ja, vor allem du“, dringt es von hinten spöttisch an seine Ohren. Mistie fährt herum und schaut seinem erstgeborenen Bruder direkt ins unverschämt grinsende Gesicht. „Na“, lästert der weiter, „hat 'Hotel Mama' jetzt endgültig seine Pforten für dich geschlossen?“

„Ich unternehme nur einen kleinen Ausflug“, schwindelt Mistie. Dem Pokerface seines großen Bruders ist nicht anzusehen, ob er ihm glaubt. „Schließlich hatte ich letzten Vollmond Geburtstag“, schickt Mistie schnell hinterher, „und ich denke, es ist Zeit, mir die Welt anzuschauen.“

„Fällt dir reichlich spät ein“, meckert sein Bruder weiter.

„Ich bin ja auch jünger als du“, kontert Mistie. Der Bruder lacht.„Ja, ganze vier Minuten.“

„Na und...“ Mistie stockt. Ihm fällt gerade nichts mehr ein.„Glaub' bloß nicht“, nutzt der Bruder seine Denkpause, „dass ich dir Nachhilfeunterricht erteile. Musst schon selbst erfahren, wie man sich hier draußen zurechtfindet.“

Kaum hat er ausgesprochen, da springt er auch schon über Baumwurzeln davon, die wie Schlangen aus dem Boden ragen.„Halt, warte!“, schreit Mistie ihm hinterher, mit mehr Panik in der Stimme als ihm lieb ist. Tatsächlich hält der Bruder inne und schaut fragend zu ihm zurück.

„Kannst du mir nicht einen Tipp geben, wo hier was Fressbares zu ergattern ist, nur einen kleinen – einen klitzekleinen?“, fügt Mistie hinzu, als sein Bruder immer noch nichts erwidert.

„Also gut“, seufzt der endlich betont wohlwollend, „weil du mein Bruder bist.“

Erleichtert atmet Mistie auf. Blut ist eben doch dicker als Wasser.

„Geh' mal zurück zum Waldrand“, meint sein Bruder. „Im Garten vom ersten Haus kriechen jede Menge Nacktschnecken über Osterglocken und Tulpen.“

Ich hör' wohl nicht richtig, denkt Mistie. „Von da sind doch die Hunde gekommen.“

Wieder dieses saublöde Grinsen. „Tja, Brüderchen, das ist dein Problem. Lektion eins beim Nachhilfeunterricht: der Umgang mit Hunden.“ Und weg ist er.

Mit hängendem Kopf schleicht Mistie zurück, macht aber einen großen Bogen, als zwischen den Tannen die eidotterfarbene Fassade jenes Hauses auftaucht, schwach beleuchtet von einer Straßenlaterne. Keine zehn noch so saftige Hühnchen würden ihn nach dahin zurück bringen, geschweige denn Nacktschnecken!

Der Waldboden ist hart, weil es lange nicht geregnet hat. Trotzdem gräbt Mistie wenigstens ein paar vertrocknete Würmer aus. Dörrfleisch. Aber sein Magen protestiert nicht, ist froh, dass er endlich überhaupt was kriegt.

Im Schutz der letzten Tannen, entlang des Kieswegs, den die Menschen benutzen, wenn sie in den Wald wollen, lässt Mistie seinen Blick über Straßen und Häuser schweifen. Seltsam – wieso kann er nirgends den Hafen sehen, das silbern glitzernde Meer mit seinen bunten Schiffen? Warum verschwindet das alles, sobald er den Dachboden verlässt?

Mistie grübelt, findet keine Antwort auf diese Frage und schlägt sie sich schweren Herzens aus dem Kopf – vorläufig. Schließlich ist diese Grübelei anstrengend und weckt nur wieder seinen kaum gestillten Hunger.

Plötzlich erkennt der junge Marder „seinen“ Fiat Panda. Der muss inzwischen auch unterwegs gewesen sein, steht ein paar Meter weiter hinten. Mistie schaut darüber hinweg zur Villa. Soweit er kann, reckt er seinen Hals. Dort, hinter den jetzt grau erscheinenden Dachziegeln, genau dort ist sein gemütliches Zuhause – war sein Zuhause.

Wehmut beschleicht ihn. Um ihr zu entkommen, flitzt er über die Straße und verkriecht sich wieder unter dem Panda. Immerhin – der Motorraum ist kuschelig warm. Wie wohl das tut in dieser doch noch recht frischen Aprilnacht! Flugs schlüpft Mistie zwischen zwei Schläuche, lässt sich von ihnen umarmen und versucht, seiner Wehmut zu entfliehen – in einen weiteren schönen Traum, aus dem er am liebsten nicht mehr erwachen will.

Aber Pusteblume! Es klappt nicht, rein gar nichts scheint mehr zu klappen in seinem Leben. Wahrscheinlich ist es auch noch viel zu früh zum Schlafen. Die Kirchturmuhr hat ja noch nicht mal zwölf geschlagen.

Mistie vergewissert sich, dass die Luft rein ist, und verlässt den Panda. Ein letzter wehmütiger Blick zurück auf sein altes Leben, die Dachrinne „seiner“ Villa, in der er immer so gern seine Zeit verträumte... und dann nichts wie weg, bevor er an gebrochenem Herzen stirbt.

Ziellos rennt er umher, im Zick-zack-Lauf über Straßen und Gehwege. Ab und zu blenden ihn Autoscheinwerfer. Dann eilt er auf die andere Seite und verbirgt sich zwischen den Sträuchern eines Vorgartens.

Wie angenehm warm die Motoren frisch abgestellter Fahrzeuge sind! In eisigen Nächten kann man sich wohlig an sie schmiegen.

Schon auf den ersten gemeinsamen Ausflügen hat Mama ihm davon vorgeschwärmt. Als stünde sie neben ihm, so deutlich hört er jetzt ihre Stimme aus der Erinnerung: „Da schau, mein lieber Junge, diese bunten Blechhügel, die sich bewegen können, als wären es lebende Wesen, das sind Autos. Unsere Urahnen haben vor langer, langer Zeit erkannt, wie nützlich sie sind und ihren Gebrauch von Generation zu Generation überliefert. In ihnen bist du sicher vor Hunden, Katzen, Menschen und anderem Ungeziefer.“

Seufz. „Oh Mama! Wärst du doch nur wirklich hier an meiner Seite!“

Angeregt durch ihren Unterricht, hat Mistie sich zum Autokenner und -liebhaber entwickelt. Leider verschwinden die schönsten Modelle vor seinen Augen in Garagen.

Plötzlich – vom vielen Hin- und Herlaufen weiß Mistie gar nicht mehr, wo er gerade ist –, kommt er angefahren – ein Traum von einem Benz! Es ist sehr spät, schon kurz vor der Morgendämmerung. Das Objekt seiner Begierde rollt mit behaglich schnurrendem Motor majestätisch den Straßenrand entlang, direkt auf ein ausnehmend luxuriöses Anwesen zu. Im Schutze eines Polos, tretelt Mistie mit den Vorderpfoten auf dem kalten Asphalt und registriert mit höchster Sorge, dass zu jenem Anwesen eine riesige Garage gehört. Er hasst Garagen!

Der Benz wird immer langsamer. Bestimmt gehört er hierher. Er wird doch nicht... Misties Herz schlägt schneller, höher, rast! Die Scheinwerfer des nachtblauen Prachtstücks verlöschen. Es hält.

Mistie fasst es nicht, traut seinen Augen kaum. Die Luxuskarosse parkt tatsächlich am Straßenrand. Im nächsten Moment wird deutlich, warum. Ein dünner, alter Mann steigt aus, torkelt und nickt schier im Gehen ein.

„Mach' dir die Bequemlichkeit der Menschen zunutze“, ertönt erneut Mamas Stimme in Mistie. Wie recht sie doch hat, ist wahrlich eine weise Marderin! Und er wird ihr Ehre erweisen, versprochen!

Wenn der Alte doch nur etwas schneller torkeln würde... Nicht, dass er es sich noch anders überlegt und doch in die Garage fährt. Aber nein, jetzt fummelt er mit so einem glitzernden Ding – einem Schlüssel – an der Haustür herum. Wie lange das dauert...

Mistie erträgt die Warterei nicht mehr. Wieder missachtet er seine warnende innere Stimme und saust, schnell wie ein Schatten, über die Straße zu „seinem“ Benz. Schützend verbirgt der ihn unter sich vor den Augen der übrigen Welt. Mit den Tatzen prüft der Marder die Temperatur der unteren Schläuche. Sie ist gerade passend. Der Alte hat tatsächlich so lange gebraucht, dass Mistie den Motorraum sofort in Beschlag nehmen kann. Wie geräumig der ist! Und völlig frei von fremden Duftmarken! Sorgfältig signiert Mistie ihn überall mit seinen, damit jeder andere Vierbeiner künftig seine Pfoten davon lässt, schmiegt sich an den Motor und sinkt in einen tiefen Schlaf. Alles um ihn herum und in ihm ist still, sogar sein Magen.

Abends weckt ihn der Ruf eines Käuzchens. Leider erwacht auch sein Magen und knurrt vernehmlich.

Nur ungern verlässt Mistie seinen Benz, aber der Hunger lässt ihm keine Ruhe mehr. Der Wald, den er erreicht, ist ihm fremd, doch auch hier liegen aufeinandergeschichtete Äste am Wegesrand, und dazwischen – Misties Herz hüpft vor Freude – huschen Mäuse umher. Vorsichtig schleicht er sich an, wie Mama es ihm gezeigt hat.

Zum Kuckuck – hören die leckeren Häppchen etwa seinen Magen knurren? Jedenfalls sind sie plötzlich verschwunden. Warum gelingt mir das nicht?, fragt sich Mistie. Bei Mama sah alles so leicht aus.

Da, ein Schnäuzchen! Mistie prescht vor – und stößt sich die Nase an einem Ast. Betreten schaut er sich um. Hoffentlich hat ihn kein anderer Marder gesehen. Wäre wirklich zu peinlich. Endlich kann er einen Mäuserich gerade noch am Schwanz erwischen. Sein Fleisch ist hart wie Stein. Wahrscheinlich war er steinalt.

Mistie sucht sein Glück anderswo, kriecht durchs Unterholz, springt über Baumwurzeln. Für Walderdbeeren ist es noch zu früh – leider. Vor ihm werden die Abstände zwischen Buchen, Eichen, wilden Kirschen und Kiefern größer. Dazwischen sprießt das Gras üppiger. Mistie hält inne und blickt erstaunt auf eine Fläche, die ihn fast ein bisschen an seine Aussicht von der Regenrinne erinnert – das silbern glitzernde Wasser mit den Schiffen darauf.

Er geht weiter, doch das vermeintliche Wasser entpuppt sich als Wiese, deren Gräser im Mondlicht silbern schimmern. Sacht streicht der Wind darüber hinweg und bewegt sie. Mistie atmet die würzige Nachtluft ein und springt auf die Lichtung. „Hund, Katze, Maus nochmal!“, entfährt es ihm laut. Argwöhnisch stupst er mit der Nase einen bunten, blechernen Gegenstand an, worüber er gestolpert ist. Aus einer Öffnung tropft etwas Gelbliches heraus. Der Marder rümpft die Nase. Bäh! Was ist das denn?

„Bier“, hört er hinter sich jemanden antworten und fährt herum. Schon wieder sein großer Bruder. Ob der seine peinlichen Jagdversuche bemerkt hat? „Was machst du denn hier?“, fragt Mistie. „Wusste gar nicht, dass das hier zu deinem Revier gehört.“

„Tut es auch nicht“, entgegnet der Bruder, „noch nicht.“ Sowas von ehrgeizig, denkt Mistie. Aber so war der schon immer. Die gelbliche Flüssigkeit fällt ihm wieder ein. Wie nannte er das – Bier?

„Haben die Menschen vergessen“, erklärt der große Bruder.„Manchmal ist noch was drin, kann man sich dran gewöhnen, ist jedenfalls besser als gar nichts.“ Schon stöbert er auf der Lichtung herum und ruft. Ob er noch was gefunden hat, was Genießbares? Mistie wundert sich. Der würde doch sicher nicht mit ihm teilen. Neugierig eilt Mistie herbei und sieht noch so ein Blechding im Gras liegen. Der Bruder leckt an der Öffnung herum. „Ist fast voll. Heb' mal das andere Ende ein bisschen an, damit was rausläuft.“

Ach so ist das, denkt Mistie. Er braucht mich, um daraus trinken zu können. Der Bruder scheint seine Gedanken zu lesen. „Ich zuerst, weil ich der Ältere bin“, erklärt er weise. „Dann du, Bier trinken macht allein keinen Spaß.“

Immer abwechselnd, süffeln beide. Zuerst findet Mistie das Zeug abscheulich, will's aber nicht zugeben. Zu schön ist es, mal wieder mit jemandem was gemeinsam zu unternehmen. Offenbar ist er noch nicht zum absoluten Einzelgänger geworden. Mit sich allein kann man auch nicht so gut angeben.„Ach, übrigens“, beginnt er und stockt. Seine Stimme klingt irgendwie belegt. „Ich habe jetzt einen Benz!“

Der Bruder lacht. „Tatsächlich? Du alter Spießer!“

Plötzlich geschieht etwas Seltsames. Das widerliche Zeug schmeckt Mistie mit jedem Schluck besser. Er beginnt sich mit seinem Bruder darum zu kabbeln, entfaltet einen ungeahnten Kampfgeist und erwischt um einiges mehr.

Eine frische Brise Nachtluft weht zwischen den Bäumen hindurch und streift über die Wiese. Mistie sieht das Gras hin- und her wogen, hin und her, hin und her... Wie von fern dringt ihm das Gelächter seines Bruders in die Ohren. Was hat der bloß? Was ist denn so lustig? Mistie will sich nach ihm umdrehen, verliert das Gleichgewicht und – hoppla – landet auf dem Rücken.

„Ha, ha, ha!“ Big Brother kugelt sich vor Lachen. Auch von fern, aus dem Dunkel zwischen den Bäumen, scheint spöttisches Gelächter auf die Lichtung zu dringen.

Mistie kann nicht mehr klar denken. Wurde er hereingelegt?Allmählich wird ihm das alles zu viel. Er will weg hier, nur weg, stolpert über die Lichtung und hin zu den Bäumen. Bums – da kracht er auch schon gegen einen Stamm, rappelt sich wieder auf und torkelt weiter.

„Autsch! Pass doch auf, du Blödmann!“, schimpft eine Blindschleiche. Die wäre ein leckerer Happen, aber in seinem gegenwärtigen Zustand erbeutet Mistie nicht mal eine Schnecke. Irgendwie schafft er es tatsächlich, an der richtigen Stelle aus dem Wald herauszukommen und sogar seinen Benz zu finden. Dass der Motor kalt ist, fällt ihm gar nicht auf, denn er meint, innerlich zu kochen. Dabei war er noch nie im Leben so müde, so unendlich müde.

Zentnerschwer sind Misties Lider, und noch beim Einschlafen scheint sich alles um ihn herum zu drehen.

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt

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