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Wer hatte den Daumen auf der DDR-Kasse?

Es ist eine vergessene Geschichte. Mit der Bildung der letzten DDR-Regierung nach der Wahl vom 18. März 1990 endete das selbständige Wirtschaften des Landes. Seit der Amtsaufnahme des SPD-Finanzministers Walter Romberg wurde jeden Morgen um neun Uhr in der »Ständigen Arbeitsgruppe Liquidität« ein Kassensturz gemacht. Dabei rechnete man Steuereinnahmen und Kredite zusammen. Jeweils am Freitag gab es dann eine Runde, um eine Vorschau auf Ausgaben und Einnahmen zu erarbeiten und damit einen Staatsbankrott der DDR zu verhindern. So entstanden monatliche Kassenpläne – es ging nur noch von der Hand in den Mund.

Sehr schnell tauchten im Ostberliner Finanzministerium »Leihbeamte« aus Bonn auf, die dem Bundesfinanzminister Theo Waigel berichtspflichtig waren. Dennoch warf er Walter Romberg mehrfach vor, die DDR-Seite habe ihn nicht rechtzeitig und umfassend informiert. Das wies Romberg zurück: »In Bonn wusste man zu jeder Zeit und zu jeder einzelnen Frage detailliert Bescheid.« Und er spürte, dass er nur noch eine Marionette war.

Über das hinter dem Druck aus Bonn stehende Parteiengerangel sprach der SPD-Politiker Walter Romberg erst nach der Einheit: »Regine Hildebrandt und ich haben immer wieder auf die katastrophale Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Osten hingewiesen. Aus Bonn kam eine Menge von Zweckoptimismus, den ich nicht teilte. Ich wollte den nach dem 1. Juli abzusehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht mit schönen Worten überdecken. Außerdem waren Regine Hildebrandt und ich ja Sozialdemokraten und als solche ohnehin ein Feindbild.«


Ostberlin, 1. Juli 1990, im Haus des DDR-Ministerrats: Vor dem Schriftzug »Die Regierung der DDR informiert. Start in die soziale Marktwirtschaft« geben sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (rechts) und DDR-Finanzminister Walter Romberg bei einer Pressekonferenz zur Währungsumstellung die Hand. Im Hintergrund links – im geblümten Kleid – die stellvertretende DDR-Regierungssprecherin Angela Merkel. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)

Wie harsch der DDR-Finanzminister aus Bonn reglementiert wurde, belegt ein Brief von Bundesfinanzminister Theo Waigel vom 28. Juni 1990, also zwei Tage vor dem Einzug der DM:

»Sehr geehrter Herr Kollege,

eine Pressemeldung vom heutigen Tage, nach der Sie für den Staatshaushalt von einem Haushaltsdefizit für das zweite Halbjahr 1990 von 35 Mrd. DM ausgehen, gibt mir Veranlassung, Ihnen meine tiefe Sorge über den unter Ihrer Verantwortung aufzustellenden Entwurf des Staatshaushaltes für das 2. Halbjahr 1990 mitzuteilen. Ich halte die Bekanntgabe einer derartigen Einschätzung, die mit mir als dem für eine eventuelle Erhöhung der Kreditobergrenze zuständigen Minister nicht abgestimmt worden ist, für wenig hilfreich.

Nach der Beurteilung meiner Mitarbeiter aus der Haushaltsabteilung sollte es bei der gebotenen äußerst strengen Ausgabedisziplin möglich sein, die derzeit bestehenden Mehrforderungen der Ressorts zu reduzieren und die finanziellen Eckwerte des Staatsvertrages, den ich sehr ernst nehme, einzuhalten.

Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Sie in der für die kommende Woche vorgesehenen Vorlage an den Ministerrat ein Kürzungskonzept vorlegen, das zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt für das 2. Halbjahr 1990 führt. Dabei gehe ich davon aus, dass die Vorlage entsprechend der bisherigen Übung mit meiner Haushaltsabteilung abgestimmt wird.«

Dass die entscheidenden Weichen von denen gestellt wurden, die nun das Geld besaßen, belegt auch »ein weiteres Problem«, das Theo Waigel im gleichen Schreiben ansprach:

»Ich meine, dass Löhne und Gehälter nach dem 1. Juli nur in einer produktivitätsorientierten Weise angehoben werden sollten. Für den öffentlichen Bereich, der – wie Sie wissen – personell stark überbesetzt ist, können m. E. keine Steigerungen im Haushalt 1990 verkraftet werden. Ich befürchte deshalb, dass kostenwirksame Ministerratsbeschlüsse, wie z. B. über den Rahmenstrukturplan für Finanzämter, die falschen Zeichen setzen, zumal präjudizielle Auswirkungen auf den gesamten öffentlichen Bereich nicht auszuschließen sein werden. Nach meiner Erfahrung ist es außerdem für den Finanzminister wenig hilfreich, wenn er selbst mit Mehrforderungen in die Ressortauseinandersetzungen gehen muss …

Mit freundlichen Grüßen …«

Dass mit der Währungsunion die Zügel kräftig angezogen wurden, bestätigte Ministerpräsident Lothar de Maizière: »Für das zweite Halbjahr gab es einen Haushaltsplan. Die 63 Milliarden DM Ausgaben waren linear errechnet worden, nur die Exportsubventionen wurden verringert, aber es waren nur 55 Milliarden DM vorhanden, denn 7,9 Prozent hatten wir wegen Mindereinnahmen gesperrt. Die Ausgaben wurden bis zu 32 Milliarden DM durch Transferleistungen finanziert – 22 Milliarden Bundeszuschüsse und 10 Milliarden Bundesbankkredite.«

Die Finanzkrise in der DDR spitzte sich zu. Walter Romberg wies darauf hin, dass die 10 Milliarden DM Bankkredit für 1990 nicht reichen würden, Finanzstaatssekretär Manfred Carstens aus Bonn rechnete den Bedarf herunter und prognostizierte für die neuen Länder bis 1994 eine Kreditnachfrage »bei 24 Milliarden Mark«, der DDR-Finanzminister kalkulierte mit 90 Milliarden Mark. In der zweiten Lesung des Haushalts in der Volkskammer beschwerte sich Walter Romberg: »Nichts von dem, was das Kabinett in den letzten Monaten, immer mit Zustimmung des Bundesfinanzministers, beschlossen hat, wurde mit zusätzlichen Mitteln aus Bonn unterstützt.«

Dort dachte man inzwischen an die bevorstehende gesamtdeutsche Bundestagswahl. SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine drängte die Genossen im Osten, die Koalition mit der CDU aufzukündigen. Richard Schröder, SPD-Fraktionschef in der Volkskammer, weiß es noch: »… wir sollten aus der Koalition austreten. Das Hauptargument war der Wahlkampf. Die Idee, die dahinter stand, fand ich nicht sehr fein: Hier geht es wirtschaftlich den Bach herunter, und wir wollen damit nicht in Zusammenhang gebracht werden.«

Auch Ministerpräsident Lothar de Maizière sah die Ursachen für das Ende seiner Koalition mit der SPD am 16. August 1990 so: »Ein Grund ist, dass im August 1990 Oskar Lafontaine in die Fraktion der Volkskammer kam und sagte: ›Freunde, wir sind im Vorwahlkampf, und Wahlkampf aus einer Koalition heraus ist nicht zu führen. Ihr müsst eben sehen, wie ihr nach Möglichkeit aus der Koalition herauskommt!‹«

Der Hebel dazu lag beim Geld. Der DDR-Ministerpräsident: »Ich hatte eine große Meinungsverschiedenheit mit Walter Romberg. Walter Romberg wollte, dass alle im Osten gezogenen Steuereinnahmen im Osten Deutschlands bleiben, dafür aber auch auf alle Zuschüsse aus dem Westen verzichten. Und ich habe ihm damals gesagt: ›Walter, wir haben keine Bestandssteuer, wir haben keine Vermögenssteuer oder sonst irgendwas, wir haben keine Ertragssteuern, unsere Betriebe haben keine Gelder, die sie versteuern können, wir werden kaum Lohnsteuern haben, weil die Leute so wenig verdienen, dass sie unter den Freisätzen bleiben, also all die üblichen Steuern, die so ausfallen, werden wir nicht ziehen. Hundert Prozent von nichts ist immer noch nichts.‹ Nein, er wäre anderer Ansicht, und er würde anders verhandeln.«

Finanzminister Walter Romberg begründete das: »Natürlich wusste ich auch, dass das Steueraufkommen im Osten nur ein Bruchteil dessen werden würde, was der Westen kassierte. Dort gingen damals 57 Prozent aller Steuern an den Bund. Dadurch sah ich die Entwicklung der angestrebten föderalen Struktur im Osten als gefährdet an.«

Gelöst wurde der Streit, indem Lothar de Maizière auf seine Richtlinienkompetenz als Regierungschef pochte: »Und da habe ich im Beisein der Fraktionsvorsitzenden gesagt: ›Walter, ich gebe dir 24 Stunden Bedenkzeit. Wenn du dich nicht entschließen kannst, die von mir vertretene Verhandlungsposition zu vollziehen, dann muss ich dich ablösen.‹«

So geschah es. Walter Romberg: »Wir haben noch einmal telefoniert. Der Ministerpräsident rief mich an, weil ich mich nicht gemeldet hatte. Am Ende sagte er: ›Dann betrachte dich als abgesetzt.‹ Ein Bote brachte wenig später die Urkunde.«

Daraufhin trat die SPD aus der Koalition der letzten DDR-Regierung aus, und auch der SPD-Fraktionschef Richard Schröder legte sein Amt nieder. Ihm folgte Wolfgang Thierse. Auch er sah den Grund für den Bruch der Koalition in der Übermacht aus Bonn: »Die große Koalition ist ja am Ende auch deshalb geplatzt, weil wir nicht mehr den Eindruck hatten, dass die sozialdemokratischen Minister in der Regierung de Maizière überhaupt angemessen Einfluss nehmen konnten, dass Lothar de Maizière immer stärker von Kohl bestimmt wurde. Die Vereinbarungen galten nicht mehr so, und ich dachte, was ist denn das für ein Spiel? Wir können doch nicht in einer Regierung sein, in einer Koalition, die – nach unserer Wahrnehmung, vielleicht ist das ungerecht, aber sie war damals emotional ganz stark – nur noch instrumentalisiert ist von Helmut Kohl und seiner Regierung.«

Vom Geld aus dem Westen, das der Katalysator für die dramatische Entwicklung im Sommer 1990 war, wurde nicht mehr gesprochen.

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