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ОглавлениеWo blieb der »Rententopf«
der DDR?
Die Frage ist einfach zu beantworten: Es gab keinen »Rententopf«, denn die Renten in der DDR wurden genauso wie auch im Westen im Umlageverfahren finanziert. Die Arbeitenden zahlten für die Ruheständler.
Die Sozialversicherung der DDR bot allen Bürgerinnen und Bürgern Schutz bei Alter, Invalidität und Tod. Seit 1971 ergänzte sie die Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR), die in zwei Ausbaustufen Bruttoentgelte von mehr als 600 Mark durch Zusatzbeiträge rentenwirksam werden ließ. Etwa 85 Prozent der Berechtigten schlossen die FZR ab.
Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde die Angleichung an bundesdeutsches Rentenrecht nach der Einheit festgelegt. Für Frauen stieg das Renteneintrittsalter von sechzig auf fünfundsechzig Jahre, DDR-Zusagen über die künftige Rentenhöhe – sie lagen bei bis zu 90 Prozent des günstigsten Nettoverdienstes – wurden nicht übernommen. Zu den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen hieß es: »Die bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme werden grundsätzlich zum 1. Juli 1990 geschlossen.« Es gab siebenundzwanzig Zusatzversorgungssysteme für verschiedene Berufsgruppen und Sonderversorgungssysteme für die einstigen »bewaffneten Organe«. Zu beiden Fällen hieß es: »Bisher erworbene Ansprüche und Anwartschaften werden in die Rentenversicherung überführt, wobei Leistungen aufgrund von Sonderregelungen mit dem Ziel überprüft werden, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen.«
Die neue Rentenversicherung unterschied nun »Bestandsrentner«, die per 31. Dezember 1991 Rente empfingen, »Zugangsrentner«, die zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 30. Juni 1995 Rente beanspruchen konnten, und »Neurentner«, die danach das Rentenalter erreichten.
Am 28. Juni 1990 erließ die letzte DDR-Regierung ein Rentenangleichungsgesetz. Es beinhaltete unter anderem für »Bestands- und Zugangsrentner« eine Zahlbetragsgarantie. Der Vertrauensschutz für »Zugangsrentner« war zeitlich nicht befristet.
Laut Einigungsvertrag vom 31. August 1990 sollten Einzelheiten der Rentenversicherung in einem späteren Bundesgesetz geregelt werden. Es schrieb als Datum für den Vertrauensschutz der »Zugangsrentner« dann den 30. Juni 1995 fest. Einen Kürzungsgrund bei Zusatz- und Sonderversorgungssystemen sah das neue Gesetz, »wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat«.
Anfang der 1990er Jahre herrschten unterschiedliche Auffassungen darüber, ob der Einigungsvertrag wie ein einfaches Bundesgesetz behandelt werden dürfe, das der Gesetzgeber jederzeit verändern kann, oder nicht. Auch über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsgarantie für vormalige DDR-Bürger, die im Grundgesetz verankert ist, wurde kontrovers debattiert.
Vor diesem Hintergrund entstand das Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991. Es begrenzte den Zahlbetrag der Renten auf maximal 2.010 DM im Monat, wenn das vormalige DDR-Versorgungssystem nicht als »systemnah« eingestuft wurde. Zur »Systemnähe« legte der Gesetzgeber fest, dass bei früherer Ausübung leitender Funktionen, einer Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt oder in einer Berufungs- oder Wahlfunktion im Staatsapparat eine Begrenzung des für die Rentenhöhe zu berücksichtigen Arbeitsentgelts von maximal des 1,4-fachen des DDR-Durchschnitts angerechnet würde. Somit gab es pro Berufsjahr für Betroffene dieser Regelung bei 1,4-fachem DDR-Durchschnittsverdienst nur einen Rentenpunkt. Das hieß zum Beispiel: Wer im Jahr 1980 in einer als »systemnah« ausgewiesenen Funktion 1.409,33 Mark verdiente, wurde denen gleichgestellt, die, ohne dem Staat oder der SED besonders verbunden gewesen zu sein, genau den Durchschnitt von 1.006,67 Mark verdienten. Beide bekamen je einen Rentenpunkt.
Für den Zahlbetrag aus dem MfS-Sonderversorgungssystem wurde die Anerkennung von 0,7 Prozent des DDR-Durchschnittsverdienstes festgelegt. Daraus entstand für alle MfS-Angehörigen, unabhängig von ihren Einzahlungen und von der vormaligen Gehaltshöhe, eine Einheitsrente von 802 DM.
Auf die Übergangsregelungen folgte eine weitere Form der Rentenbegrenzung. Wie im Westen auch üblich, wurde eine Beitragsbemessungsgrenze beim anrechenbaren Jahreshöchstverdienst festgelegt. Dadurch waren maximal noch 1,8 Rentenpunkte pro Arbeitsjahr erreichbar.
Gegen die Kürzungen aus politischen Gründen gab es zahlreiche Klagen vor Gericht. Der Grund: Der Gesetzgeber unterstellte, dass die höheren DDR-Gehälter nicht wegen der erbrachten Leistung, sondern aufgrund von – nicht näher definierten – Privilegien gezahlt wurden.
Im Januar 1993 entschied das Bundessozialgericht dazu zugunsten der Kläger. Das Rentenüberleitungsgesetz musste geändert werden. Deshalb entstand nun das »Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz« vom 24. Juni 1993. Die neue Regelung nahm verschiedene Rentenkürzungen zurück. Die bisherige generelle Kappungsgrenze der Rente wurde von 2.010 DM auf 2.700 DM erhöht. Davon profitierten DDR-Besserverdiener, wenn sie nicht den Einkommensgrenzen der »staatsnahen« Funktionen unterlagen. Auch dafür galt nun eine neue Rechnung. Betrug das persönliche Arbeitsentgelt nicht mehr als das 1,6-fache des DDR-Durchschnitts, wurden jetzt 1,4 Rentenpunkte angerechnet.
Auch diese Regelung wurde von Betroffenen vor Gericht angefochten. Nach weiteren Prozessen erfolgte mit dem »Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes« vom 11. November 1996 eine wesentliche Einschränkung des Personenkreises, von dem angenommen wurde, er habe aus politischen Gründen in der DDR ein überhöhtes Gehalt bezogen. Ab 1. Januar 1997 galt nun, dass nur noch DDR-Funktionäre, die im Jahr 1988 mehr als 31.800 Mark – das entsprach 2.650 Mark im Monat – verdienten, auf einen Rentenpunkt pro Arbeitsjahr zurückgestuft wurden. Bis zum Verdienst von 31.799 Mark im Jahr gab es hingegen 1,8 Rentenpunkte.
Damit blieben nicht mehr viele Menschen übrig, die sich durch die Rentenregelungen benachteiligt fühlten. Dennoch ging der Streit weiter. Am 28. April 1999 fällte das Bundesverfassungsgericht dazu drei Urteile. Am wichtigsten dabei war die Verpflichtung des Gesetzgebers, auch für Neu-Bundesbürger den Eigentumsschutz des Artikels 14 Grundgesetz einzuhalten. Weiterhin kritisierte es die typisierende und schematische Vorgehensweise bei den als »systemnah« eingestuften Funktionen und die unterschiedliche Rentenberechnung bei »Bestandsrentnern« mit und ohne Zusatz- oder Sonderversorgungssystem.
All das führte zu einer erneuten Gesetzesänderung. Dieses Mal war es das »2. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberleitungsgesetzes« vom 27. Juli 2001. Zu den wichtigsten Neuregelungen gehörten unter anderem: Die Ausdehnung des Vertrauensschutzes für rentennahe Jahrgänge bis zum 30. Juni 1995, die Aufhebung der Kappungsgrenze für »nicht systemnahe« Zusatzversorgungssysteme und eine günstigere Neuberechnung bei Bestandsrenten.
Damit schmolz die Gruppe derer, die sich benachteiligt fühlten, erneut zusammen. Dennoch musste sich das Bundesverfassungsgericht auf Initiative der Betroffenen mit drei weiteren Normenkontrollverfahren beschäftigen. Wieder ging es um die Begrenzung anrechenbarer Arbeitseinkommen aus DDR-Zeiten. Am 23. Juni 2004 rügten die Richter, dass es nach wie vor seitens der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse darüber gab, ob und in welchen Bereichen der früheren DDR »politische Gehälter« gezahlt wurden. Deshalb entstand in der Folge wieder einmal ein neues Gesetz mit kompliziertem Namen: Das »Erste Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes« vom 21. Juni 2005. Es begrenzte erneut den Kreis derer, die wegen »Systemnähe« gekürzte Renten erhielten. Davon betroffen blieben nun nur noch jene in genau den Zeiten, in denen sie Funktionen im SED-Parteiapparat, der Regierung oder dem DDR-Staatsapparat ausübten, die auch eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit beinhalteten. Außerdem wurden die höchsten Ebenen der DDR-Kadernomenklatur einbezogen.
Alle anderen Rentner mit Zusatzversorgungen aus DDR-Zeiten konnten nun pro Arbeitsjahr bis zu 1,8 Rentenpunkte, abhängig vom vormaligen persönlichen Verdienst, der auf Westniveau umgerechnet wurde, erreichen.
Rentnerinnen beim Preisvergleich am 2. Juli 1990 in der Ackerhalle in Berlin-Mitte: Im Zuge der Währungsunion ist der Preis für Brot rapide gestiegen, was die drei Seniorinnen kritisch unter die Lupe nehmen. (picture alliance / dpa-Zentralbild (ADN))