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Waren die »treuen Hände« schmutzig?

Ja, sagen viele, die Anfang der 1990er Jahre durch die Treuhandaktivitäten ihre Arbeit verloren. Oft kamen sie nie wieder so richtig auf die Beine. Das spüren die Betroffenen heute an ihrer Rente. Ja, sagen auch manche Politiker und verweisen auf den bis heute weitgehend deindustrialisierten Osten. Im Fernsehen sind Berichte über besonders dreisten Betrug zu sehen. Die Darstellung von Treuhandverkäufen ganzer Firmenkomplexe für 1 DM soll illustrieren, dass das alles gar nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Es gibt sogar konkrete Zahlen. Am 17. Januar 1994 informierte Bundesfinanzminister Theo Waigel den Deutschen Bundestag: »In den der Stabsstelle ›Besondere Aufgaben‹ des Direktorates Recht der Treuhandanstalt bisher bekanntgewordenen Fällen von Vereinigungskriminalität beläuft sich der strafrechtlich – nicht betriebs- oder volkswirtschaftlich – relevante Schaden, das heißt der Schaden, der auf tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlungen beruht, an die das Gesetz eine Strafandrohung knüpft und für die ein Anfangsverdacht besteht, auf rund 3 Mrd. DM – Schaden der Treuhandanstalt ca. 1,84 Mrd. DM, Schaden von Treuhand-Unternehmen ca. 961 Mio. DM, Schaden von Dritten ca. 207 Mio. DM. Dank der erfolgreichen Tätigkeit der verschiedenen Kontrollorgane der Treuhandanstalt konnte der tatsächlich eingetretene Schaden allerdings auf rund 300 Mio. DM begrenzt werden.«

Die Treuhandanstalt (THA) habe mit Kriminalität wenig zu tun, beteuerten hingegen ihre ehemaligen Mitarbeiter. Sie haben sich im »Treuhand Alumni Club e. V.« zusammengeschlossen. Ihr Präsident, Dr. Ken-Peter Paulin, erklärte 2011: »Die Anzahl der ›Fälle‹ mit kriminellem Hintergrund über die gesamte Laufzeit der THA liegt mit weniger als 2 Prozent recht niedrig. Das bedeutet: In über 98 Prozent aller Privatisierungsfälle ist derartiges nicht aufgedeckt worden.« Am 16. März 2011 erläuterte er in der Frankfurter Allgemeinen auch, weshalb Kriminalität in größerem Umfang gar nicht möglich gewesen sei: »Die THA war von Anfang bis Ende ihrer Tätigkeit von vielen Seiten einer beinahe ›umfassenden‹ Kontrolle unterzogen. Unsere Kontrolleure waren: der Verwaltungsrat der THA, zwei Ministerien des Bundes, die Landesregierungen, die Gewerkschaften, das Bundeskartellamt, die EU-Kommission und nicht zuletzt die Presse. Natürlich waren die internen Kontrollen der THA nicht von Anfang an da, aber sie wurden zügig aufgebaut, sobald ihre Notwendigkeit erkannt war. […] So wurden folgende Funktionen aus der Taufe gehoben: Umweltschutz/Altlasten, Recht, Zentrales Beteiligungscontrolling, Prüfung von Unternehmenskonzepten, Koordination Reprivatisierung, um einige zu nennen. Die ursprünglichen Kontrollgremien existierten ohne Diskontinuität weiter. Die THA wurde im Laufe der Zeit immer stärker kontrolliert.«

Wissenschaftler bemühten sich um eine differenzierte Betrachtung. Dennoch fällten auch sie ein hartes Urteil. Jan Priewe, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, erklärte zum Ende der Treuhand am 31. Dezember 1994: »Es wurde relativ regellos, mitunter willkürlich und manchmal kriminell privatisiert.«

Die mit Wirtschaftskriminalität befassten Professoren Klaus Boers von der Universität Münster und Hans Theile von der Universität Konstanz wiesen in diesem Zusammenhang auf folgenden Umstand hin: »Die Stabsstelle bearbeitete, meist nach externen oder internen Hinweisen, 3.661 strafrechtlich bedeutsame Vorgänge, unterlag dabei aber keinem Ermittlungs- und Anzeigezwang. In der Regel gerieten Mitarbeiter oder Unternehmen in den Blick, wenn sie im Verdacht standen, die Treuhand strafrechtswidrig geschädigt zu haben. Auf diese Weise wurden der Stabsstelle weit mehr Verdachtsfälle bekannt als der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Dies lag und liegt nicht zuletzt daran, dass sich Mitarbeiter, die einen strafrechtlich relevanten Verdacht hegen, eher an eine Einrichtung des Unternehmens wenden als an die Polizei oder Justiz. Allerdings beruhte letztlich nur ein Drittel der 1.426 die Treuhand betreffenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren auf Anzeigen der Stabsstelle. Auch die Anklagequote bewegte sich bei den von der Stabsstelle untersuchten Fällen mit 28 Prozent in einem für Wirtschaftsverfahren üblichen Rahmen.«

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags erfuhren zu diesen Ermittlungen Konkreteres, denn verschiedene Untersuchungsausschüsse beschäftigten sich mit den Treuhandaktivitäten. In der Drucksache 12/6664 des Deutschen Bundestags vom 24. Januar 1994 hieß es: »Die Stabsstelle ›Besondere Aufgaben‹ der Treuhandanstalt ist seit ihrem Bestehen ab Februar 1991 bis September 1993 in über 1.400 Fällen dem Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens nachgegangen. In diesem Zeitraum wurden 586 Ermittlungsverfahren der staatlichen Strafverfolgungsbehörden registriert; 188 dieser Ermittlungsverfahren wurden aufgrund von Strafanzeigen der Treuhandanstalt eingeleitet. Von diesen 586 Ermittlungsverfahren betrafen 292 Verfahren Privatisierungsvorgänge; 56 dieser Ermittlungsverfahren sind eingestellt worden, in 64 Fällen liegen Urteile vor, und in 7 weiteren Fällen ist Anklage erhoben worden.«

Die Bundesregierung mochte die Diskussion um diese Fälle nicht besonders. Sie verwies lieber auf die Erfolge der Treuhand, denn immerhin hatte sie ja in nur viereinhalbjähriger Tätigkeit, bis auf kleine Restbestände, die ostdeutsche Wirtschaft verkauft, rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze »gerettet«, 65 Milliarden Mark erlöst und Investitionen in Höhe von gut 200 Milliarden angestoßen. Dahinter stand ein einmaliger politischer Vorgang, über den nicht viel diskutiert worden war und es auch im Nachhinein nicht noch werden sollte: Die Bundesregierung wollte das Problem der Ostbetriebe so schnell wie möglich loswerden, mit der radikalen Liquidation der vormaligen DDR-Wirtschaft aber möglichst wenig zu tun haben. Unter diesem Gesichtspunkt arbeitete die Treuhand überaus erfolgreich. Obwohl sie eigentlich nur eine Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Finanzministeriums war, stand sie in einem weitgehend ungeklärten rechtlichen Status neben der Regierung und verfügte über eine Machtfülle, die größer als die der »neuen Bundesländer« war. Durch das Einbinden von Oppositionspolitikern und Gewerkschaftern als Mitglieder des Verwaltungsrats gelang es ihr, den Eindruck eines »überparteilichen« Agierens zu erwecken.


Berlin, 28. Februar 1991: Der Präsident der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder mit Treuhand-Vorstandsmitglied Birgit Breuel bei einer Pressekonferenz zum Informationsgespräch mit Betriebsräten und Großunternehmen. Am 1. April 1991 wird der Manager und SPD-Politiker Rohwedder in seinem Düsseldorfer Wohnhaus von einem Heckenschützen ermordet. Seine Nachfolge im Präsidentenamt der Treuhand tritt die CDU-Politikerin Breuel an. (picture alliance / Andreas Altwein)

In Wahrheit hatte die Regierung die Anstalt mit einer umfangreichen Autonomie, aber nur mit begrenzter Verantwortlichkeit ausgestattet. So hieß es zum Beispiel in einem Brief von Bundesfinanzminister Theo Waigel an Treuhandchefin Birgit Breuel vom Dezember 1992: »Da der Treuhandanstalt ein Ermessensspielraum durch den Gesetzgeber eingeräumt worden ist, wird sich bei der Privatisierung der Verdacht der Untreue im Regelfall kaum begründen lassen, insbesondere wenn im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ausschreibung der Bestbieter den Zuschlag erhält.« Obwohl die Bundesregierung betonte, die weitgehende Freistellung von kaufmännischen Grundregeln sei kein »Freibrief« für Unregelmäßigkeiten, nahmen manche cleveren Investoren die Treuhand aus wie eine Weihnachtsgans.

Wie das konkret lief, zeigten diverse Gerichtsverfahren, zum Beispiel jenes über die Privatisierung der Rostocker Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei (BBB) 1994 vor dem Landgericht Rostock.

Anfang 1990 arbeiteten dort noch 2.522 Mitarbeiter, die Reederei verfügte über 138 Schiffe. Es gab zwar Investitionsbedarf, die BBB galt aber als sanierungsfähig. Dann wurde das Unternehmen gegen große Versprechungen und für nur 50.000 DM an einen Strohmann der niederländischen Jan-Zwagerman-Gruppe verkauft. Am 16. September 1993 wies der BBB-Betriebsratsvorsitzende Ingo Schöngraf Treuhandchefin Birgit Breuel darauf hin, dass selbst diese geringe Summe aus dem Betriebsvermögen stammte. Sie antwortete am 5. Oktober 1993: »Den Vorwurf der grob fahrlässigen Privatisierung müssen wir zunächst mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Zum Zeitpunkt der Privatisierung lagen nach unseren Recherchen keine Verdachtsmomente vor, die einem Verkauf der Geschäftsanteile … entgegengestanden hätten.«

Der Rostocker Richter sah das anders und gestand »Investor« Zwagerman mildernde Umstände zu: »Schließlich ist auch zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass die Treuhandanstalt mit einer fatalen Leichtgläubigkeit den Bekundungen des Angeklagten … Glauben schenkte und durch die Veräußerung eines Unternehmens von überregionaler Bedeutung an eine de facto vermögenslose GmbH erst die Voraussetzungen für die vom Angeklagten begangenen Straftaten schaffte.« Er bekam sechs, sein Strohmann fünf Jahre Haft. Die BBB-Belegschaft hatte längst ihre Arbeit verloren.


Sitz der Zentrale der Treuhandanstalt in Berlin, Leipziger Straße/Wilhelmstraße, 1993. Von 1991 bis 1994 sitzt die Treuhand in dem monumentalen Bürogebäude, das seit ­April 1992 den Namen »Detlev-Rohwedder-Haus« trägt. An diesem Schalter melden sich potentielle Käufer der ehemaligen DDR-Betriebe an. (picture alliance / ZB – Fotoreport / Hubert Link)

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