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Ein großes Fest mit Stressmomenten
ОглавлениеDie Besucher des Morgengottesdienstes starrten auf ein verhülltes Gestell im vorderen Teil der Krankenhauskirche. Sie fragten sich im Stillen, was sich hinter dem gelben Laken wohl verbergen mochte. Nach der Predigt bat ich Udo und Barbara Klemenz nach vorn und zog das Tuch zur Seite. Eine bronzefarbene Tafel kam zum Vorschein.
Feierlich verlas ich den eingravierten Text: „In Anerkennung dem Bauingenieur Udo Klemenz und seiner Gattin Barbara Klemenz für ihren historischen Beitrag zum großartigen Traum Diospi Suyana. Dieses deutsche Ehepaar hat über drei Jahre seines Lebens dem Bau des Hospitals Diospi Suyana und der Zahnklinik gewidmet. Wir danken Gott für ihren herausragenden Dienst für die ärmsten Menschen Perus!“
Heimlich schielte ich zu den Klemenz’ hinüber und freute mich über ihre Rührung. Am 14. April 2010 würden sie nach Deutschland zurückreisen und die Einweihung der Zahn- und Augenklinik leider verpassen. Ihren Rückflug hatten sie Monate im Voraus gebucht.
Der Festakt ehrte ein Ehepaar, das im Februar 2005 in der Küche seines Hauses um einen besonderen Lebensauftrag gebetet hatte. Ihre Mission war nun erfüllt, auch wenn das große Fest erst Ende Juni stattfinden sollte. Acht Wochen verblieben also noch, um alle Restarbeiten in Ruhe abzuschließen. Doch, ehrlich gesagt, ich habe bei Diospi Suyana so einen „Ruhezustand“ noch nie erlebt. Und wenn er jemals eintreten sollte, hätte ich Grund zu befürchten, dass es sich in Wahrheit um die Ruhe vor dem großen Sturm handeln würde.
Während Maler, Elektriker und Glaser für Staub und Lärm sorgten, räumten die Mörls im ersten Stock die Optikerwerkstatt ein. Ein umtriebiger Optiker namens Reinhard Müller aus Blaufelden hatte das erforderliche Instrumentarium gespendet. Es ging eigentlich gut voran, doch wie immer rannte uns am Ende die Zeit weg.
Mit großer innerer Anspannung schauten wir Mitarbeiter auf Samstag, den 26. Juni. Am Donnerstag jener Woche keuchte ein Sattelschlepper mit Container Nr. 27 die Auffahrt zum Spital hoch. Seine Ankunft kam gerade noch rechtzeitig. Eine Viertelmillion US-Dollar an Produkten galt es zu entladen, das meiste davon für die Dentalklinik. Dr. Dankfried Geister, seine Frau Dorothea und Zahnärztin Dr. Erin Connally machten sich sofort an die Arbeit, um den Inhalt der vielen Paletten zu sichten. Jede Kiste der Sachspende entpuppte sich als echte Wundertüte.
Drei Stunden später traf Ms Ayla Bloomberg aus New York ein. Sie würde den amerikanischen Konzern Henry Schein während der Feierlichkeiten würdig vertreten. Außerdem wollte sie in Curahuasi einen kleinen Werbefilm für ihr Unternehmen drehen.
Ein Team um Udo Klemenz hängte die vertikalen Jalousien auf. Ja, Sie haben richtig gelesen. Der Bauingenieur hatte es in Solms einfach nicht mehr ausgehalten. In einem Anflug von „wildem Heimweh“ war er kurzentschlossen ins Flugzeug gesprungen und nach Peru geflogen. Jetzt erlebte er live den Nervenkitzel des Endspurts mit.
Michael Mörl und Freunde installierten die gespendeten Wasserhähne der mexikanischen Firma Helvex in den Toiletten der Zahnklinik. Ortrun Heinz dirigierte das Küchen- und Putzteam. Seit geraumer Zeit hatten sich diese emsigen Damen auf das große Ereignis vorbereitet. Nun strahlten sie beim Scheuern und Schrubben große Gelassenheit aus.
Es kam der Freitag: Katrin Krägler und Ulrike Beck verwandelten den grauen Beton des Amphitheaters in eine attraktive Kulisse. Während sie Luftballons in den Farben der Landesflagge an den Seitenwänden der Bühne befestigten, reinigten Bauarbeiter die Treppen und Sitzstufen des Halbrunds, um die vielen Schwarzen Witwen zu vertreiben. Es wäre unschön, wenn die festliche Einweihung durch schmerzhafte Bisse dieser Giftspinnen überschattet werden würde.
Am Morgen traf ein Team des 4. Peruanischen Fernsehens ein. Mit Kamera und Mikrofon nahmen sie umgehend ihre Dreharbeiten auf. Die beiden Reporter machten einen fitten Eindruck. Sie hatten den Flug von Lima nach Cusco und die anschließende dreistündige Fahrt durch die Berge offensichtlich gut verkraftet. Erstaunlicherweise stiegen gegen 10 Uhr auch die neun Musiker der Gruppe Arpay völlig locker aus dem Reisebus. 19 Stunden hatten sie für die fast 1 000 Kilometer lange Strecke von Lima nach Curahuasi benötigt.
Um 11 Uhr waren auch Olaf Böttger, der 1. Vorsitzende von Diospi Suyana Deutschland, zur Stelle. In seinem Taxi saßen noch Jörg Vogel von Sirona, ein bolivianischer Unternehmer sowie Jürgen Eisenkolb, Vereinsmitglied von Diospi Suyana.
Grafikdesigner Manolo Chavez aus Cusco hatte mir in die Hand versprochen, am Montag jener Woche die Beschilderung der Dentalklinik anzubringen. Aus Montag wurde dann Freitag und schließlich Mitternacht. Manolo war um eine Ausrede nie verlegen, auch diesmal nicht. Ein einziger Blick in sein Gesicht reichte mir und schon schoss mein Blutdruck in die Höhe.
Als ich um 23 Uhr meinen Tagesbericht für die Webseite von Diospi Suyana schrieb, waren die Vorbereitungen noch voll im Gange. Aber es fehlten nur noch wenige Stunden, um das zweite große Projekt von Diospi Suyana seiner Bestimmung zu übergeben. 16 Firmen hatten durch ihre Sachspenden dazu beigetragen, eine „Luxusklinik“ zu schaffen, die armen Patienten mit Zahn- und Augenproblemen eine hochwertige Versorgung bieten würde.
Samstag: Am Morgen fuhr Gynäkologe Dr. Haßfeld mit unserem Auto nach Cusco, um Pilar Nores de García am Flughafen zu begrüßen. In der Empfangshalle warteten schon eine Polizeieskorte und einige Leibwächter auf die First Lady. Als unser Stargast erschien, kam es zu einem kleinen Durcheinander und dadurch prompt zu einer protokollarischen Panne. Anstatt in das bereitgestellte Fahrzeug der Polizei zu steigen, saß die hohe Würdenträgerin plötzlich in unserem Wagen. Jens Haßfeld würde zum ersten Mal in seinem Leben eine Präsidentengattin über kurvenreiche Straßen durch die Berge Perus kutschieren. Mit feuchten Händen umklammerte der Gynäkologe das Lenkrad und versuchte, während der dreistündigen Fahrt mit halbwegs klugen Bemerkungen Pilar Nores zu unterhalten.
Ob es an den Fahrkünsten von Dr. Haßfeld lag oder an den vielen Serpentinen sei dahingestellt, jedenfalls war Pilar Nores leichenblass, als der grüne Hyundai auf den hinteren Hof des Krankenhauses einbog.
Wir führten die Gattin des Staatschefs in ein Apartment und wünschten ihr zwei geruhsame Stunden, um erneut Kraft zu tanken. Dieser kleine Aufschub kam uns wie gelegen. Denn aus dem Amphitheater drangen besorgniserregende Nachrichten. Es war gähnend leer und die ersten Spekulationen über das Warum kursierten. Würde das Fest etwa ohne die Beteiligung der Bevölkerung stattfinden?
Udo Klemenz und ich fuhren in den Ort in der Hoffnung, am Straßenrand lange Kolonnen von Curahuasinos in Richtung Krankenhausgelände marschieren zu sehen. Aber nichts dergleichen. Das Treiben auf den Straßen von Curahuasi sah aus wie immer. Bei der Einweihung des Spitals im August 2007 hatten bereits zur Mittagszeit Tausende am Veranstaltungsort ausgeharrt. Was war nur los?
Betroffen fuhren wir beide zu uns nach Hause und setzten uns ins Wohnzimmer. „Oh Gott“, beteten wir, „so viele Mitarbeiter haben sich die größte Mühe gegeben, damit das Fest ein unvergessliches Ereignis werden kann. Jetzt scheint niemand aus Curahuasi daran teilnehmen zu wollen. Bitte hilf uns. Irgendwie!“
Pilar Nores erschien wieder in der Tür und das Mittagessen im Speisesaal des Krankenhauses konnte beginnen. Es bestand aus einer leckeren Suppe, Hühnchenbrust und einem deutschen Streuselkuchen. Alle zehn Minuten ließ ich mich über den Teilnehmerstand im Amphitheater informieren. „Um die 100 Leute sind da, mehr nicht“, richtete man mir aus und meine innere Unruhe steigerte sich zur Panik.
Wir mussten auf Zeit spielen. Also führten wir unsere Ehrengäste durch das Spital und die Dentalklinik. Jörg Vogel und Ayla Bloomberg nutzten ihre Chance, der Präsidentengattin zu zeigen, was ihre Firmen gespendet hatten, und das war in der Tat beachtlich.
Als wir mit unseren Besuchern gegen 14 Uhr das Amphitheater erreichten, fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Über 2 500 Menschen hatten sich auf den Rängen eingefunden und sorgten für eine bunte Kulisse.
Die Menschenmenge im Freilichttheater war bereit und wir waren es ebenfalls. Vor den Kameras von fünf Fernsehteams intonierten wir die Nationalhymnen Perus und Deutschlands sowie das Lied der Stadt Curahuasi. Es folgte eine Parade mehrerer Schulen, die zu den Klängen einer Polizeikapelle stramm an der Bühne vorbeimarschierten.
Nun schritt ich langsam zum Rednerpult, um die Eröffnungsansprache zu halten. Feierliche Reden sind mir zuwider, es sei denn, sie handeln von den wesentlichen Dingen des Lebens. Kurz umriss ich die Vision von Diospi Suyana und kam dann auf das zu sprechen, was mir unter den Nägeln brannte.
„Diospi Suyana ist nicht irgendein Krankhaus mit einem gesicherten Budget“, rief ich ins Mikrofon, „sondern ein Glaubenswerk, das im Vertrauen auf Gott errichtet und betrieben wird. Seit grauer Vorzeit haben die Heiligen Schriften verkündigt, dass wir Menschen im Schatten des Allmächtigen leben dürfen. Die Treue Gottes und seine Wunder haben das Krankenhaus Diospi Suyana und die Dentalklinik ermöglicht!“
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal die Einweihung eines öffentlichen Gebäudes miterlebt haben. Sicherlich ging es bei den Ansprachen um den Zweck des Hauses und den Fleiß der Bauarbeiter, vielleicht auch um die Hilfestellung der Behörden, aber sicherlich nicht um Gott. Bei Diospi Suyana ist das völlig anders. Bei uns dreht sich alles um den Glauben. Und deshalb blieb ich beim Thema.
Mit einer gewissen Emphase sagte ich: „Der Glaube interessiert absolut niemanden, es sei denn, es finden sich Männer und Frauen, die ihn auf überzeugende und selbstlose Weise ausleben. Der Dienst an Gott und dem Nächsten ist mit persönlichen Opfern verbunden. So sind die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Spitals, die für mehrere Jahre am Krankenhaus dienen, das wertvollste Kapital von Diospi Suyana. Ihr Umgang mit den armen Menschen, die oftmals in der Gesellschaft nur verachtet werden, zeigt, dass die Liebe Gottes kein billiges Schlagwort ist!“
Ich machte eine kurze Pause und blickte in die Menge vor mir. Hier saßen Indianer und Mestizen aus dem Bergland, die die Härten des Lebens kannten. Ihr Alltag war ein ständiger Kampf um Essen, Kleidung und Arbeit. Krankheit und Tod bedeuteten für sie keine theoretischen Möglichkeiten in ferner Zukunft, sondern eine reale Gefahr hier und jetzt. Und genau deshalb wollte ich von der Hoffnung sprechen, die meine Frau und mich viele Jahre zuvor nach Curahuasi geführt hatte.
„Ich habe mich jahrelang gefragt, ob Gott überhaupt existiert“, fuhr ich fort und versuchte mein Sprechtempo zu drosseln. „Ich wollte wissen, ob es nach dem Tod eine Hoffnung gibt und ob das ewige Leben, das Christus uns versprochen hat, eine reale Grundlage besitzt. Vor vier Monaten verstarb meine Mutter, vor drei Wochen meine Cousine und vor zwei Wochen mein Onkel. Die Frage nach Gott wurde für mich zum alles entscheidenden Thema meines Lebens. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass wir Gott zwar nicht beweisen, aber durchaus erfahren können!“
Ob sich die Teilnehmer des Festes noch lange an meine Ansprache erinnert haben, weiß ich nicht. Aber wohl jeder hat den Folkloretanz der Mitarbeiter im Gedächtnis. In den Bergen Perus gehören Tanzdarbietungen unbedingt zum Programm dazu. In bunter Verkleidung hüpfen und springen zehn bis zwanzig Quechuas zu den Klängen alter Inka-Melodien im Kreis. Diesmal hatten sich auch drei unserer Missionare in die Formation gemischt. Stefan Höfer, Alexandra Kopp und Marit Weiland waren trotz ihrer Verkleidung selbst für Kurzsichtige als „Gringos“ erkennbar. Die Zuschauer belohnten ihre akrobatischen Übungen mit wahren Begeisterungsstürmen.
Passend zur Zweckbestimmung der Zahnklinik spielten einige Kinder die bösen Bakterien „Karius“ und „Baktus“. Voller krimineller Energie schlugen sie mit Spitzhacken große Löcher in ein überdimensionales Gebiss in der Mitte der Bühne. Eine mächtige Zahnbürste von zwei Metern Länge machte ihrem Treiben schließlich ein Ende. Für die Löcher in den Zähnen wurde den Zuschauern ein Besuch in der Dentalklinik von Diospi Suyana empfohlen.
Die Sonne senkte sich bereits, als Sra. Pilar Nores de García zur Schere griff, um in Gegenwart Tausender Zeugen sowie zeitversetzt vor den Augen eines nationalen Fernsehpublikums das rote Band zu durchtrennen. Damit bei diesem symbolträchtigen Akt auch jeder dabei sein konnte, stand eine Nachbildung der Klinik auf einem kleinen Tisch neben dem Podium. Unsere Kinder Natalie und Dominik hatten das Modell sechs Monate zuvor als Weihnachtsgeschenk für mich angefertigt. Jetzt rückte das Papphäuschen mehrere Minuten lang ins Zentrum des Interesses. Ein Schnitt, viele Fotos und ein lauter Applaus. Die Zahnklinik, deren Bau zwei Jahre in Anspruch genommen hatte, konnte endlich ihren Betrieb aufnehmen.
30. Juni 2010. Die Feierlichkeiten waren längst vorbei. In einem kleinen Büro des Spitals folgten meine Frau Tina, die Australierin Lyndal Maxwell, Michael Mörl und ich den Ausführungen eines erfahrenen Mannes. Auf seinem T-Shirt am Rücken stand in großen Buchstaben „Dieters Sportgruppe“. Er erläuterte die Architektenpläne seines Schwagers für den Bau eines Kinderhauses. Dieses Gebäude würde den Kinderklubs von Diospi Suyana ein eigenes Zuhause geben.
Im April 2010 hatten wir dazu ein Grundstück von 700 Quadratmetern mitten in Curahuasi günstig erworben. Auf diesem Gelände sollte zukünftig ein dreigeschossiges Haus entstehen. Im Parterre würden drei große Räume, eine Küche und Toiletten den Kinderstunden optimale Bedingungen bieten. Vier Apartments im ersten Stock sowie zwei große Wohnungen im dritten Stock würden dringend benötigten Wohnraum für Missionarsfamilien schaffen.
Der Mann aus „Dieters Sportgruppe“ warb mit so viel Begeisterung für dieses Projekt, dass fast der Verdacht aufkommen konnte, er würde die Bauarbeiten selbst einmal leiten. In meinem Bericht auf der Webseite wollte ich die Identität des Mannes nicht preisgeben. Allerdings hatte sein Hinterkopf große Ähnlichkeiten mit einem gewissen Udo Klemenz.