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Es kommt Leben in das Gebäude

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Ab Juli 2010 behandelte Dr. Erin Connally aus dem Bundesstaat Washington mit einem Team von Assistenten in der Zahnklinik die ersten Patienten. Doch sie blieb nicht lange allein. Peruanische Kollegen und Kurzzeitmitarbeiter schlossen sich ihr an. Tibor Minge aus Oranienburg übernahm für ein Jahr die Aufgabe, das Dentallabor einzurichten und zu betreiben. Der Brandenburger war mit Tatkraft reich gesegnet. Wenn andere um 17 Uhr ermattet nach Hause schlichen, scharte er regelmäßig eine Gruppe Kinder um sich und brachte ihnen Karatetricks zur Selbstverteidigung bei. So flog er mit seinen Sprösslingen im Rückwärts- und Vorwärtssalto durch die Luft, dass es eine Freude war.

Die fünf Zahnarztstühle der Klinik boten für mindestens drei Zahnärzte geeignete Arbeitsplätze. Ich wusste, dass es höchst schwierig werden würde, Langzeitkräfte zu finden. Das liegt vor allem an den hohen Gehältern der Zahnärzte in der westlichen Welt. Geld, Luxus sowie ein bequemer Lebensstil bilden für jeden potenziellen Mitarbeiter eine hohe Hemmschwelle.

Seit hundert Jahren stagniert die Zahl von Ärzten und Zahnärzten, die ihr ganzes Leben den Armen in der Mission zur Verfügung stellen, bei etwa tausend. Das ist eine verschwindend geringe Anzahl, wenn man sich vor Augen hält, dass allein im deutschen Sprachraum eine halbe Million, in der anglo-amerikanischen Welt sogar deutlich über zwei Millionen Ärzte bzw. Zahnärzte tätig sind. Wer will schon jahrelang an einem Missionsspital in selbstloser Weise tätig werden und finanziellen Verzicht üben? Dazu bedarf es einer ganz besonderen Motivation. Und Dr. Marlen Luckow hatte sie. Am 27. März 2012 saß ich der Schweizerin in einem Café unweit des Freiburger Bahnhofs gegenüber. Die hübsche Zahnärztin aus Basel erzählte mir ihre Geschichte und nahm mich mit auf eine Zeitreise in das Jahr 2002.

Die Achtzehnjährige fühlt sich seit Wochen unwohl. Sie geht zum Arzt und mehrere detaillierte Untersuchungen werden durchgeführt. Die Diagnose ist niederschmetternd: Sie leidet an einem Hodgkin-Lymphom im Stadium 4. Ist für sie das Leben etwa schon vorbei? Marlen entscheidet sich zu kämpfen und schöpft die notwendige Kraft aus ihrem Glauben. Nach manchen Chemotherapien kann sie sich vor Erschöpfung kaum auf den Beinen halten. Freunde müssen die Krebskranke über die Treppen in ihr Haus tragen. Für ein halbes Jahr wird sie aus dem normalen Leben herausgerissen. Aber sie überlebt.

„Dr. Luckow, gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Einsatz an unserer Zahnklinik ein Dankeschön an Gott ist?“, fragte ich Marlen.

„Ja, so könnte man das sehen!“ Sie nickte.

Vier Jahre lang hat sich Marlen am Hospital Diospi Suyana für unsere Patienten eingesetzt. Ich bin von ihrem persönlichen Bericht beeindruckt. Viele Menschen versprechen Gott und der Welt auf dem Krankenlager alles Mögliche. Ist die Krankheit dann ausgeheilt, werden gute Vorsätze schnell vergessen. Nicht so bei Marlen Luckow.

Die Zahnklinik lief bereits auf hohen Touren, da zeichnete sich auch für die Augenklinik im ersten Stock eine personelle Lösung ab und die hieß Dr. Ursula Buck. Die Augenärztin hatte immer mal wieder vom Hospital Diospi Suyana in Peru gehört. Die Augsburgerin blieb aber kritisch-distanziert. Der Ansatz von Diospi Suyana erschien ihr zu abgehoben. Wie sollte das langfristig funktionieren, den Ärmsten der Armen eine Medizin auf hohem Niveau anzubieten? Sieben Jahre lang hatte Dr. Buck als Missionsärztin in Afrika gearbeitet. Entbehrungen, veraltete Geräte und Finanzmangel waren ihr tägliches Brot gewesen, so wie man sich medizinische Einrichtungen in der Dritten Welt gewöhnlich vorstellt.

Es wäre Dr. Buck nie im Traum eingefallen, mein Buch über Diospi Suyana zu bestellen. Und hätte es ihr jemand geschenkt, wäre der Band wohl bald auf einem Regalbrett als Staubfänger verschwunden. Dr. Ursula Buck lag einfach noch nicht auf der Wellenlänge von Diospi Suyana.

Dann kam der August 2010. Eine gewisse Renate Reibold besuchte Dr. Buck in ihrer Augsburger Wohnung.

„Ursula“, rief sie voller Enthusiasmus, „ich habe gerade ein Buch angefangen zu lesen, das musst du auch lesen!“

Dr. Bucks Blick fiel auf den Titel: „Ich habe Gott gesehen. Diospi Suyana – das Krankenhaus der Hoffnung!“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Und tief drinnen sagte sie sich: „Diospi Suyana ist nicht das Thema, das mich interessiert!“

„Weißt du was? Ich lasse das Buch bei dir!“, schwärmte Renate weiter. „Wenn du mich im Oktober besuchst, dann gib es mir bitte zurück!“

Das Leben kann hart sein. Ständig wird man fremdbestimmt. Ursula Buck wusste, dass ihr wohl nichts anderes übrig blieb, als das Buch zumindest diagonal zu überfliegen. Denn eines war sicher, ihre Freundin würde sie zwei Monate später über den Inhalt befragen.

Als Dr. Buck das Buch an einem schönen Abend aufschlug, las sie sich fest. Die Geschichte faszinierte sie. Man könnte dieses Kapitel ihres Lebens überschreiben: „Die dramatischen Folgen einer höflichen Pflicht!“ Seit 2012 leitet die Ärztin unsere Augenklinik.

Bei ihrer allerersten Operation handelte es sich um einen Quechua-Indianer, dem ein Stier sein Horn ins Auge gerammt hatte. Unter Zuhilfenahme unseres neuen Operationsmikroskops von Haag-Streit konnte Dr. Buck das Augenlicht des Patienten erhalten. Das nenne ich einen Einstand nach Maß.

Während der ersten zehneinhalb Jahre ihres Bestehens haben unsere Mitarbeiter der Dental- und Augenklinik über 65 000 Patienten betreut. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Gerätschaften der beiden Kliniken neu und fast alle wurden von großzügigen Firmen gespendet. Ihr Wert übertrifft in der Summe 600 000 US-Dollar. Wenn ich durch den Haupteingang des Gebäudes schreite, überkommt mich jedes Mal ein Gefühl tiefer Dankbarkeit. Ich glaube, vielen unserer Patienten geht es ebenso.

Gott hat uns gesehen

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