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Die Rufmordkampagne

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Die Buskatastrophe vom Januar lag drei Monate zurück und im Hospital Diospi Suyana war längst wieder der Alltag eingekehrt. Da erhielt ich in der letzten Aprilwoche 2010 einen überraschenden Anruf vom Geschäftsführer der Gesellschaft SARA Peru. Alexander Chavarry informierte mich, das Gesundheitsministerium habe leider nicht alle entstandenen Kosten der Rettungsflüge bezahlt. Er bat mich, meinen Einfluss in Lima geltend zu machen, damit die Angelegenheit für alle Beteiligten ein schnelles und gutes Ende nehme.

Irgendetwas stimmte mich misstrauisch. Hier war doch etwas faul. Ich konnte mir keinen rechten Reim aus diesem Anruf machen. Sorgfältig überlegte ich mir jedes Wort, als ich Herrn Chavarry darauf hinwies, Diospi Suyana sei zu keinem Zeitpunkt an den Verhandlungen über die Kosten beteiligt gewesen. Es habe sich ausschließlich um eine direkte Vereinbarung zwischen dem Ministerium und SARA Peru gehandelt.

Am Samstag, dem 1. Mai, schaltete ich morgens meinen Computer an, um meine E-Mails zu lesen. Unter den vielen Nachrichten entdecke ich eine von Bernhard Farnheim. Der Vize-Präsident von SARA brachte seinen Ärger darüber zum Ausdruck, dass ich mich nicht zugunsten seiner Gesellschaft beim Ministerium in Lima eingesetzt hätte.

In Peru wird auch in der Öffentlichkeit mit harten Bandagen gekämpft, das wusste ich. Was ich allerdings in den folgenden Zeilen an Beleidigungen las, machte mich geradezu fassungslos. Herr Farnheim bezichtigte mich des Größenwahns. Ich litte an einer Realitätsverkennung und das, was ich auf der Webseite vom Handeln Gottes veröffentlichte, sei Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung.

Die E-Mail erschien mir absolut ungeheuerlich. Ich las ein zweites und dann ein drittes Mal den kurzen Text durch. Schließlich blieb mein Blick an der Liste der Adressaten hängen und ich erstarrte. Bernhard Farnheim hatte seine unflätige Mail an eine nicht enden wollende Liste von Empfängern gerichtet. Zu meinem Schrecken fand ich im cc Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Lima, allen voran den Herrn Botschafter selbst, ein Mitglied des Bundestages in Berlin, eine Ministerin der hessischen Landesregierung, eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen im In- und Ausland, selbst Firmen wie VW sowie mehrere Kontakte, mit denen ich seit Jahren gut zusammengearbeitet hatte.

Ich geriet in helle Aufregung, als ich diese Liste ausdruckte. Herr Farnheim hatte meinen Namen vor rund 400 Adressaten nach allen Regeln der Kunst in den Schmutz gezogen. Vielleicht beschreibt das Wort Panik am ehesten, was ich in diesem Moment empfand. Ich rief Tina in mein Büro und deutete mit meiner Hand auf den Bildschirm. Meine Frau überflog die E-Mail und schüttelte entgeistert mit dem Kopf. Nun waren wir beide wie benommen.

Wie sollten wir auf so einen Rufmord reagieren? Wir sprachen beide ein Gebet und dann unterrichtete ich unseren Bauingenieur Udo Klemenz. Mit seiner weltweiten Erfahrung als Bauleiter hatte er schon so manchen Strauß gefochten, vielleicht hätte er einen guten Rat für uns auf Lager.

Eine Stunde später stand unser Schlachtplan. Udo Klemenz, meine Frau Tina und ich selbst würden die Beleidigungen des Herrn Farnheim in getrennten E-Mails zurückweisen und den Sachverhalt aus unserer Sicht klarstellen. Es erschien uns notwendig, unsere Antworten an alle unter cc kopierten Empfänger zu richten.

Vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn der Boden unter Ihren Füßen schwankt und Sie nicht wissen, ob Sie Sekunden später noch aufrecht stehen werden. So fühlte ich mich, entmutigt und völlig niedergeschlagen. An jenem Samstag und Sonntag verfolgte mich die E-Mail des Vize-Chefs von SARA in den Schlaf und weckte mich am Morgen unsanft auf. Ich kalkulierte, dass über die umfangreiche Verteilerliste möglicherweise 800 Personen von den Verleumdungen gegen mich Kenntnis erhalten hatten. Weh mir! Warum hatte Gott so etwas zugelassen? In seinem Namen arbeiteten wir unter den widrigsten Umständen im peruanischen Hochland. Für Indios aus allen Teilen Perus hatte sich das Hospital Diospi Suyana als segensreich erwiesen. Für die vier Schwerverletzten des Unfalls im Januar hatten wir bis zum Umfallen gekämpft, um ihre notwendige Weiterbehandlung zu ermöglichen. Als Quittung erhielte ich nun einen derben Schlag unter die Gürtellinie.

Vermutlich hat Gott an jenem Wochenende über mich geschmunzelt. Natürlich sah er meine innere Zerrissenheit und Enttäuschung. Aber er wusste schon, was der Montag bringen würde. Am 3. Mai strahlte das ZDF nämlich in der Drehscheibe eine gelungene Reportage über unser Lebenswerk aus. Die sechseinhalb Minuten waren die beste Werbung, die sich ein Spendenwerk wie Diospi Suyana überhaupt erträumen konnte. Vor 800 000 Fernsehzuschauern wurden meine Frau und ich als Gründer des Spitals lobend herausgestellt. Pro Leser der unverschämten E-Mail des Herrn Farnheim hatten also 1 000 Fernsehzuschauer einen positiven Eindruck von unserer Lebensaufgabe gewinnen können. Die Ereignisse vom Samstag, obwohl sie nur achtundvierzig Stunden zurücklagen, erschienen mir nach diesem Medienereignis wie in weiter Ferne. Ich fühlte mich getröstet, gestärkt und neu motiviert. Den Fall „SARA Peru“ legte ich gedanklich zu den Akten.

Die Bibel sagt, dass wir uns nicht über die Zukunft sorgen sollen, denn jeder Tag habe seine eigene Plage. Ich hatte keine Ahnung, was mich neun Monate später erwarten würde, und das war auch gut so, denn sonst hätte dieses Wissen die zweite Jahreshälfte 2010 für mich überschattet.

Am 20. Januar 2011 – ziemlich genau ein Jahr nach dem verheerenden Busunfall – erhielt ich vom Gericht in Curahuasi eine Reihe von Dokumenten. Ich blätterte durch die Seiten und mein Herz rutschte wieder in die Hose. SARA Peru forderte von mir als Privatperson eine Summe von über 29 000 US-Dollar. Rund 9 500 US-Dollar, um einen Fehlbetrag bei den beiden Hubschrauberflügen zu begleichen, und weitere 20 000 US-Dollar für einen nicht näher definierten Schaden, der für SARA Peru durch die angeblich ausstehende Zahlung entstanden sei. Das Rechtswesen in Peru hat den notorischen Ruf von Bestechlichkeit und Dilettantismus. Eine Hand wäscht die andere und das Recht bleibt allzu häufig auf der Strecke. Ich musste handeln und zwar schnell und entschlossen.

In der letzten Januarwoche flog ich nach Lima und versuchte die Personen ausfindig zu machen, die ein Jahr zuvor in den Vorgang involviert gewesen waren. Und siehe da, ich fand sie alle an ihren Schreibtischen im Gesundheitsministerium. Dr. Estela Flores machte mir sogar ein detailliertes Protokoll der Ereignisse jener Katastrophentage zugänglich. Aus ihm ging hervor, dass das Ministerium in Lima sowie die Landesregierung von Apurimac mit SARA über den Preis der beiden Flüge verhandelt hatten. Man hatte sich auf eine Bezahlung von 4 500 US-Dollar geeinigt.

Als SARA Peru dann eine Rechnung über 22 000 US-Dollar beim Ministerium einreichte, regten sich die Beamten über diese Unverschämtheit nicht groß auf, sondern schickten die Rechnung postwendend zurück.

Ich besuchte die Landesregierung in Abancay und erhielt ein weiteres Dokument, das die Version aus Lima bestätigte. Selbstverständlich holte ich mir auch legalen Beistand. Das Anwaltsbüro Olaechea in Lima hilft uns seit 2008 bei Rechtsfragen auf ehrenamtlicher Basis und Anwalt Efrain Caviedes aus Cuso ist sogar Ehrenmitglied von Diospi Suyana Peru.

Am Ende lagen alle Fakten auf dem Tisch. SARA Peru hatte von mehreren Seiten für seine Flüge über 12 000 US-Dollar erhalten, fast das Dreifache der vereinbarten Summe. Da sich weder Ministerium noch Landesregierung von SARA Peru unter Druck setzen ließen, versuchten die Spitzbuben in Cusco von mir zusätzliches Geld ganz privat herauszuquetschen.

Wie immer bei solchen Rechtsstreitigkeiten folgte eine Gerichtssitzung nach der anderen. Es füllten sich dicke Akten mit Darstellungen und Gegendarstellungen und ich reiste zwischen Lima, Abancay, Cusco und Curahuasi hin und her.

Am 14. Juni 2011 brachte ein Bote des Richters das Urteil an unsere Haustür. Ich hatte den Prozess ohne Wenn und Aber gewonnen. So fand für mich die Buskatastrophe vom Januar 2010 erst anderthalb Jahre später ihr gutes Ende.

Zurückblickend frage ich mich, was ich bei diesen Auseinandersetzungen gelernt habe. Ich denke, die wichtigste Lektion ist die, dass Gott unsere Zukunft kennt und in seiner Hand hält. Was uns heute Angst einjagt, löst sich vielleicht schon morgen im Wind der Zeit in Nichts auf. Aber etwas anderes ist sicherlich auch wahr. Bei der Leitung des Krankenhauses werde ich von Jahr zu Jahr vorsichtiger, wohl deshalb, weil ein gebranntes Kind das Feuer scheut.

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