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Schweizer Original aus Wien. Christoph Braendle – Literat mit vielen Gesichtern

Wahrscheinlich ist Christoph Braendle in Österreich bekannter als in der Schweiz. Im vergangenen Jahr hat er den Band Österreich ist schön, oder? Eingewandert aus der Schweiz herausgegeben, und seit einem Vierteljahrhundert wohnt er mitten in Wien, sofern er nicht in Marokko ist oder sonst wo auf der Welt – im Grunde nämlich ist er ein passionierter Weltenbummler, trotz oder mit Familie. Braendle hat als Journalist und Reporter gearbeitet, er hat skurrile Theaterstücke und glänzende Essays verfasst, und er hat eine beachtliche Menge von literarischen Büchern publiziert, unglücklicherweise in ganz unterschiedlichen Verlagen. Andererseits mag das auch seine innere Logik haben, denn keines seiner Bücher gleicht dem anderen. Gemeinsam ist ihnen der wache, neugierige Blick auf die Welt, die immer wieder verblüffende Originalität des jeweiligen Themas und der dafür gewählten literarischen Form und natürlich die hohe sprachliche Qualität, die ihren Autor, im Unterschied zu manch anderen Schriftstellern unserer Zeit, als ungewöhnlich vielseitigen und in zahlreichen Genres versierten Literaten erscheinen lassen. Man muss nicht alles von ihm kennen, um begeistert zu sein – seinen meisterlich erzählten Roman Der Meermacher aber schon, einen von der ersten bis zur letzten Seite packenden Text. Braendles Reportagen aus der Mitte der Welt sollte man ebenfalls lesen, und auch sein vorletztes Buch Das Wiener Dekameron, das Michael Pfister unlängst als »ein vergnügliches Buch voll charmant-perverser Betthupferl für Liebeslüsterne« charakterisiert hat. Die Liebe und die Lust – ein Themenkomplex, der diesen Autor stets begleitet hat und ihn nicht loslässt. Was auch sein jüngster Roman beweist.

Onans Kirchen spielt im südlichen Afrika und ist damit auf jeden Fall ein Afrikaroman. Ein ungewöhnlicher, ziemlich schräger allerdings, immer wieder durchsetzt mit brillanten zivilisationskritischen Tiraden und voll von sprachwütenden Abrechnungen mit Rassismus und Kolonialismus. Ein politischer und ein philosophischer Roman ist Onans Kirchen also auch. Seinen Protagonisten Parsifal, einen sehr bald in die Wildnis flüchtenden vierzigjährigen Regionaldirektor eines europäischen Firmenkonsortiums, der auf eine von »ständigen Weibergeschichten« durchsetzte Karriere zurückblickt, hat die »Afrikanische Krankheit« erwischt: »Wenn man plötzlich nichts mehr werden will, sondern nur noch ist.« Die Arbeit kann er getrost seinem Assistenten Munashe überlassen: »Mein Telefon ist hübsch, aber es klingelt nicht.« Als er aber in einer alten Schweizer Zeitung ein Inserat entdeckt, in dem eine nicht mehr ganz junge Frau einen Mäzen sucht, »Kennwort Parsifal« – da klingelt es gewaltig, und zwar in seinem Innersten. Leider lebt das Objekt seiner Begierde in Wien und studiert dort angeblich Philosophie. Leider hat er sie noch nie gesehen, meint aber alles von ihr zu wissen. Bis zum recht überraschenden Ende in Richard Wagners Bayreuth bleibt sie unerreichbar und geheimnisvoll. Eine literarische Folge dieser vertrackten Konstellation ist die Ich-Form. Die Tagebuchnotizen, die wir lesen, kreisen um einen Mann, der mitten im dunklen Kontinent den Gespenstern seines virilen, durchaus auch beängstigenden Innenlebens begegnet. »Jedenfalls war ich, Parsifal, ein Wüstling, der Herr Hans oder Don Juan, welcher ganze Blumenwiesen leer zu pflücken verstand. Und ich wusste, ich wusste jedes Mal schon in der ersten Nacht, dass im Bett der Beginn der Trennung liegt.« Und jetzt? Ein einsamer Parsifal in Omombo, einem Ort, der so etwas wie das Gegenteil von Wien zu sein scheint. »So weit das Auge reicht: nirgends Spuren von Zivilisation. Nur dieses Endlose, das über den Horizont hinausreicht, bis dorthin, wo vielleicht keine Welt mehr ist.« Ein altes Radiogerät gibt es, einen Generator, Dynamit, vielleicht sogar Diamanten. Hauptsächlich aber Hitze, Dornbüsche, Steinhaufen, Ameisen und Termiten, auch Ziegen und ausgemergelte Kühe. »Omombo ist für den, der weiß, was Liebe ist.« Dem Fast-Nichts wird ein fulminantes Selbstgespräch entgegengesetzt – die trockene Natur wird durch feuchte Träume und wilde Fantasien belebt, und es entsteht ein erregendes Sprachkunstwerk, dessen Lektüre auch den zunächst befremdlichen Romantitel plausibel erscheinen lässt. »Der transfunktionale Mensch verlangt, dass man endlich Onan Kirchen baut, diesem Propheten, der, radikal das Wachset und Werdet mehr! verweigernd, von allen Propheten der weitsichtigste ist. Weniger müssen wir werden, nicht mehr!« Prophetisch? Zuallererst: Spracherotik pur!


Christoph Braendle: Onans Kirchen. Roman. Wien 2012: Czernin Verlag. 269 S.

KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL

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