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Herzzeit für Philologen. Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan

Liebe ist immer etwas sehr Privates, und nur durch den Bekanntheitsgrad der Liebenden wächst ihr zuweilen ein Element von Öffentlichkeit zu. Das gilt mit einiger Sicherheit für das Verhältnis zwischen Ingeborg Bachmann (1926–1973) und Paul Celan (1920–1970). Die Werke dieser beiden Schriftsteller gehören zum Kernbestand der deutschsprachigen Literatur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und sie gehören auch deshalb dazu, weil sie, auf unterschiedliche Art und Weise, vom deutschen Zivilisationsbruch in der NS-Zeit geprägt sind, vor allem von der fabrikmäßigen Ermordung vieler Millionen Juden und deren so unsagbaren wie unendlichen Folgen. Was wäre die deutschsprachige Lyrik ohne Die gestundete Zeit (1953) und Anrufung des Großen Bären (1956)? Ohne Mohn und Gedächtnis (1952) und Sprachgitter (1959)? Was wäre die Erinnerung an die Fünfziger- und Sechzigerjahre ohne die berühmte Gruppe 47? Unser Blick auf die Nachkriegszeit wäre unvollständig ohne die Verse, die Stimmen und die Fotos von Bachmann und Celan.

Dass die Tochter eines Kärntner Nazis der ersten Stunde und der jüdische Holocaustüberlebende aus Czernowitz, die sich im Mai 1948 in Wien kennenlernten, eine für ihre Literatur eminent folgenreiche Liebesbeziehung zu gestalten versuchten, die letztlich in Verzweiflung, Verstummen und Tod endete, weiß man seit Langem. Dokumentiert wird diese nicht nur poetische Korrespondenz in dem Band Herzzeit, und sie wird so gut dokumentiert, wie das durch Briefe und Gedichte, Kommentare und Nachworte überhaupt möglich ist. Gedichte? Mit In Ägypten, entstanden im Juni 1948 und »Ingeborg« gewidmet, beginnt Herzzeit. Der Titel des Bandes stammt aus dem Celan-Poem Köln, Am Hof, das nach dem Wiederaufleben der Liebesbeziehung im Herbst 1957 entstand. Beide Gedichte gehören zu den 196 in Herzzeit versammelten und ausführlichst kommentierten Dokumenten aus etwa zwanzig Jahren. Das Herausgeberteam hat ganze Arbeit geleistet, und entsprechend begeistert zeigten sich die Experten – wenn auch der eine oder andere Einwand gegenüber manchem Detail nicht ausblieb. Die Briefe, Postkarten, Widmungen und Grußtelegramme enthüllten ein »existenzielles Ringen um die deutsche Sprache im Angesicht der historischen Katastrophe« und offenbarten zudem »einen verzweifelten Kampf um private Verständigung und poetisches Verstehen«, schreibt der Kritiker Hubert Spiegel, der den »Kampf gegen das Verstummen, die Überwindung des Schweigens« als zentrales Thema der Briefe bezeichnet. Was unbedingt richtig ist, durch alles Auf und Ab dieses immer höchst gefährdeten Verhältnisses hindurch. Die junge Frau aus Klagenfurt wird zu einer erfolgreichen Dichterin, die Kritiker und Kollegen der Gruppe 47 im Sturm für sich einnimmt, während Celan mit seiner heute weltberühmten Todesfuge beim Gruppentreffen in Niendorf (1952) kopfschüttelnd abgetan wurde. Schon 1951 hatte der nach Paris gegangene Dichter seine spätere Frau Gisèle Lestrange kennengelernt. Bachmann war dem Komponisten Hans Werner Henze begegnet, und im Mai 1958, wenige Monate nach dem Wiederaufleben ihrer Liebesbeziehung zu Paul Celan, traf sie zum ersten Mal den Schweizer Schriftsteller Max Frisch, mit dem sie sich bald darauf zusammentat. Die Briefe zwischen Celan und Frisch, die man in Herzzeit aufgenommen hat, sind zum Verständnis der Konstellation ebenso wichtig wie die zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Auch sie bestätigen, was man ahnen konnte: Paul Celan, dessen Kosmos durch die sogenannte Goll-Affäre und durch eine als antisemitisch empfundene Kritik seines Sprachgitter-Bandes verdüstert wurde, war im Grunde auf Erden nicht zu helfen. Weder der Büchnerpreis konnte sein Gefühl tilgen, verraten worden zu sein, noch vermochten das die Hilfs- und Tröstversuche seiner Freunde – Ingeborg Bachmann an erster Stelle. Nichts und niemand konnte verhindern, dass der Mann, der die Dichtung in deutscher Sprache um eine ganze Dimension atemberaubend neuer lyrischer Ausdrucksmittel bereichert hat, 1970 seinem Leben ein Ende setzte. Drei Jahre später starb Ingeborg Bachmann an den Folgen eines Brandunfalls in Rom.

Muss man Herzzeit gelesen haben? Nein, das muss man nicht. Wer die literarischen Werke der Briefpartner nicht kennt, wird von der Lektüre nur wenig haben. Der für die Celan- und die Bachmann-Forschung äußerst wichtige Band könnte allerdings ein Anlass sein, sich den heute nicht mehr allgemein präsenten Texten zweier großer Poeten des 20. Jahrhunderts zuzuwenden. In Bachmanns Spätwerk, speziell in Drei Wege zum See und im Malina-Roman, kann man auch mehr über ihre unglückliche Liebe zum Autor der Todesfuge erfahren. Die Gedichte und Prosastücke aber, für die Ingeborg Bachmann und Paul Celan zu Recht berühmt geworden sind, ruhen meistens, oft lange nicht mehr gelesen, in den Regalen. Sie sollte man hervorholen und mit neuen Augen lesen. Sie sind das Primäre. Ihnen sollte man sich widmen. Und das geht zur Not auch ohne den beeindruckenden und aufschlussreichen Herzzeit-Band.


Ingeborg Bachmann / Paul Celan: Herzzeit. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Frankfurt am Main 2008: Suhrkamp Verlag. 399 S.

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