Читать книгу Hier kommt der Antipastidepp - Klaus Nüchtern - Страница 10
Fahr zur Hölle Feel-Good-Tussi!
ОглавлениеIn Julian Barnes’ wunderbarem Erzählband „Der Zitronentisch“ gibt es eine Geschichte über einen in die Jahre gekommenen Musikliebhaber, der in seinen Methoden, zu spät kommende, hustende, niesende und tratschende Konzertbesucher zu maßregeln, zusehends radikaler, ja geradezu gewalttätig wird. So werde ich auch werden: alt, schwul und bösartig. Schuld daran tragen die Feel-Good-Tussis. Während der Hochkulturschmock das Geld anbetet, das er für die Konzertkarte ausgegeben hat (wie Adorno angewidert anmerkte), dabei aber wenigstens das Maul hält, sind seine säkularen Nachfahren dazu übergegangen, lautstark die eigene Gutgelauntheit zur Schau zu stellen – schließlich haben sie 34 Euro für ein John-Cale-Konzert ausgegeben und sind jetzt sooo gut drauf. Nun kann ich es durchaus verstehen, wenn man im Rahmen einer als Individualismus und Freiheitszuwachs missverstandenen rockistischen Enthemmtheit ein bisschen über die Stränge schlägt. Man soll dann halt irgendwelche Drogen in sich reinfüllen, sich gegenseitig den Schlecker reinstecken oder von mir aus auch ein bisschen an Glied und Scheide rummachen, solange damit kein gröberer Entkleidungsaufwand verbunden ist. Aber man soll all das – verdammt noch mal – leise tun. Es ist ein Riesenirrtum, zu glauben, die Lautstärke von Rockkonzerten legitimierte die Zuhörer dazu, ebenfalls laut zu werden. Fürs Lärmmachen werden die Typen auf der Bühne bezahlt! Nichtsdestotrotz bereue ich meine nur allzu berechtigte Aufforderung an die Gutgelaunten neben mir, jetzt endlich mal die Klappe zu halten, im Nachhinein fast ein wenig. Es waren vermutlich harmlose und nette Zeitgenossen; und verglichen mit dem aufgedonnerten, Moët-schlabbernden Tussentrio, das es sich in breitärschiger „Heute gönnen wir uns mal was, weil wir es uns wert sind“-Manier an der Bar bequem gemacht hatte und sich gebärdete, als hätte es John Cale ins eigene Wohnzimmer geladen, waren es echte Sympathieträger. Ich bin kein Freund sozialer Homogenisierungszwänge und sehr dafür, dass auch Adelige, Millionäre, Neureiche und „Sex and the City“-Seherinnen auf Rockkonzerte gehen dürfen. Aber nur, wenn sie sich dort anständig benehmen.