Читать книгу Hier kommt der Antipastidepp - Klaus Nüchtern - Страница 8
Ein freundlicher Wiener
ОглавлениеWenn Klaus Nüchtern seine Ankunft ankündigt, dann entsichere ich in Berlin vorsichtshalber das kleine Wörterbuch, das unter der beratenden Mitwirkung von H.C. Artmann entstanden ist. Wer regelmäßigen Umgang mit Österreichern pflegt, weiß, dass es ratsam ist, Worte wie Marmeladinger, Marschierpulver oder Mausvöglerei schon einmal gehört zu haben und nicht völlig ahnungslos zu sein, wenn von Buchteln, Baunzerln oder Beuschelreißern die Rede ist. Klaus Nüchtern kommt immer mit einer ganzen Tasche voller merkwürdiger Begriffe, die er generös und mit größter Selbstverständlichkeit in der Fremde verteilt. Nach Wienerart denkt er sich nichts dabei, in den Hosensack zu greifen, um von dort einen Feitel zutage zu fördern, den er Begriffsunkundigen als Speckmesser offeriert. Was will er damit, fragt man sich in Berlin. Gibt es dort, wo er herkommt, keinen geschnittenen Speck? Schneidet man den Speck in Wien auf der Straße? Oder warum glaubt er, sich fürs Unterwegsspeckschneiden im Ausland besonders aufrüsten zu müssen?
Nun ist es niemals leicht, in die lebensweltlichen Abgründe fremder Völker hinabzusteigen. Das Dasein in Wien aber muss besonders hart und entbehrungsreich sein. Wie sonst wäre die schwere Berlinklatsche zu erklären, die Klaus Nüchtern immer wieder dazu treibt, ein Flugzeug zu besteigen, um die Welt von erfreulich weit oben zu betrachten und dann einige bodennahe Runden in der deutschen Hauptstadt zu drehen? Dort lässt er sich, mittlerweile schon recht geübt, von Busfahrern und Bardamen beleidigen, treibt sich in öffentlichen und halböffentlichen Bedürfnisanstalten und in fragwürdigen Lese-Etablissements herum und findet total toll und echt super, was ihn zu Hause in eine mittlere Depression stürzen würde. Vielleicht ist sein Begeisterungsformat eine unmittelbare Folge geminderter Sauerstoffzufuhr in der Höhe, vielleicht auch nur eine perspektivische Verschiebung: Schließlich bewahrt er sich auch in seinen Texten häufig diesen barmherzigen Blick aus schwebender Halbdistanz, der die Dinge wie mit einem Fernrohr herholt, sodass sie schärfer wirken, als sie in Wirklichkeit sind.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich begrüße diese Haltung des bedingungslos Berlingutfindens sehr. Eine Art und Weise, in der Welt zu sein, spricht sich darin aus, an der es dem gemeinen Berliner eher mangelt. Freundlichkeit, Zuneigung, Neugier und solide Schwärmerei gehören nicht unbedingt zu den Stärken der Einwohnerschaft. Umso wichtiger ist es, dass ab und zu jemand die Mühe der Anreise auf sich nimmt, um uns zu sagen, wie schön es hier doch ist. Natürlich wissen wir das insgeheim auch selbst. Aber wir würden es niemals zugeben.
Jörg Magenau