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In Treptow brennt noch Licht
ОглавлениеAlle achtzehn Monate werde ich im Neuerscheinungstrakt des Verlages vorstellig und sage: „Ich will ein Buch.“ Dort reagiert man meist mit Verständnisfragen wie „Du?!“, „Wozu?“, „Warum schon wieder?“ oder „Ist das Pizzakäse an deiner Wange?“. Beim letzten Mal wurde mit einem müden „Da geht nix mehr. Du müsstest den deutschen Markt erobern“, abgewunken. „Kein Problem“, antwortete ich, „ich habe Verbindungen nach Deutschland, kenne wichtige und einflussreiche Leute aus dem Literaturbetrieb. Einige meiner besten Freunde sind Deutsche!“ Nachdem ich zwei Monate lang mit einem Sebastian-Schweinsteiger-Fußballshirt in die Redaktion gekommen war (ohne es zwischenzeitlich auch nur kurz mal abzulegen, geschweige denn zu waschen), gab man nach.
Dann kam die Phase, in der ich die Texte auswählen und Korrektur lesen musste. Sie ist jedes Mal ernüchternd. Warum sagt einem niemand, dass man eine Formulierung, einen (jetzt ohnehin nicht so rasend komischen) Witz, ein leicht abweichendes Sonnetschema schon drei Mal verwendet hat? Warum weist einen niemand darauf hin, dass diese erotische Schneewittchenfixiertheit langsam peinlich wird?!
Nur die Leser passen auf. Am liebsten sind mir freilich jene Leser, die die Fehlermeldungen anderer Leser kommentieren – und zwar auf höchstem, mit allen Wässerchen Hegel’scher Dialektik gewaschenem Niveau. So habe ich zum Beispiel einmal Keith Richards mit Cliff Richards verwechselt, was einerseits bemängelt, mir andererseits von Herrn H. W. Wolf dann aber wieder als „gelungene Demütigung der Rolling Stones“ ausgelegt wurde. Es ist schon schön, wenn die Leser die besseren Einfälle haben – jedenfalls so lange, solange das nicht allzu auffällig wird (den Cliff hab ich jetzt trotzdem auf Keith ausgebessert).
Mit manchen meiner Einfälle bin ich aber schon auch zufrieden. Zum Beispiel mit meinen Titeln. „Hier kommt der Antipastidepp“ hat Schwung und Pepp und wurde von allen auf Anhieb akzeptiert. Wäre ich damit auf Zweifel oder gar Widerstand gestoßen, ich hätte „es wird zu wenig geohrfeigt!“ ausgerufen, und damit wäre man wohl sofort einverstanden gewesen. Persönlich habe ich ja auch noch eine Vorliebe für das leichtfüßig-poetische „Wir lümmelten auf leichten Stühlen“. Schade, dass Anton Webern das nicht mehr vertonen kann, aber vielleicht mag den Satz ja wer übernehmen. Die zeitgenössische österreichische Literatur hat ohnedies nicht grad ein Händchen für Titel. Meist fallen sie recht fad und einsilbig aus: „Der Tee“ (Gerhard Roth), „Bier“ (Elfriede Jelinek), „Flugverkehr“ (Robert Menasse), aber auch „Jessica, fleißig“ (Marlene Streeruwitz), „Was man geben soll“ (Thomas Glavinic) oder „Der fliehende Zwerg“ (Christoph Ransmayr) sind nicht übermäßig inspiriert. Aber besten ist noch Wolf Haas’ Krimi „Der Täter mit reichlich Barem“, auch wenn er ein wenig affektiert wirkt.
Womit ich aber die ganze heimische Hochliteratur in den Sack stecke, sind „meine“ Vorworte. Mehr und bessere sind hierzulande nicht zu haben. Das Schöne am Schreiben ist ja, dass man immer auch sozial interagiert, wie wir Studierten sagen. Man macht was, und andere machen dann auch was – toll! Und dass jetzt, wenn der Rest der jeweiligen Weltgegend schon schläft oder in sexueller Verzücktheit sich windet, in einem einsamen Schreibstübchen in Canterbury, Treptow und Währing noch Licht brennt, weil man sich dort ein Vorwort ausdenken muss – das erfüllt mich schon mit Freude.
Klaus Nüchtern