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Mars und Vesta Castrum Ubiorum

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Gnaeus Pompeius Trogus grüßt seinen Neffen, den Centurio Lucius Justinius Marcellus.

Glück und Wohlergehen und den Segen der Götter wünsche ich dir. In Lugdunum ist gerade ein spektakulärer Prozess zu Ende gegangen. Ich war dabei und kenne die Details aus erster Hand, weil dein Bruder Gaius einigen Stämmen bei der Klage geholfen hat. Hier nun der Bericht, wie ich ihn in mein Geschichtswerk aufnehmen will:

Denn die Gallier hatten nicht nur unter den Germanen schwer leiden müssen, sondern auch durch einen gewissen Gaius Julius Licinius viel Böses erfahren. Es traf sie alle überraschend, obwohl sie meiner Ansicht nach ein Seeungeheuer, das am Ufer gestrandet war, ganz deutlich auf die drohende Gefahr hingewiesen hatte.

Nun war dieser Licinius ursprünglich ein Gallier und noch unter Caesar Sklave gewesen. Dann war er freigelassen worden und Augustus hatte ihn zum Prokurator von Gallien gemacht. Dieser Mensch nun verband barbarische Habsucht mit römischer Würde und versuchte all jene zu überwältigen und zu vernichten, die augenblicklich stark sind.

Er versah nicht nur sich selbst mit einer Masse Geld, die er für sein Amt brauchte, sondern sammelte auch große Summen für sich und das seiner Genossen. Dabei trieb er seine Schurkerei so weit, dass er in Fällen, wo die Leute Abgaben monatlich entrichteten, die Zahl der Monate auf vierzehn erhöhte. Er behauptete, dass der Monat Dezember der zehnte sei, wie der Name bewies, und die Leute deswegen zwei weitere Monate an Abgaben schuldig seien. Diese Monate nannte er den elften und zwölften. Diese stellte er den Betreffenden in Rechnung. Wenn ihr mich fragt, sind die Unruhen während des Zensus auch durch diese Maßnahmen entstanden.

Die Gallier wandten sich an ehrbare Römer und gewannen so das Ohr des Augustus. Sie erhoben heftigen Einspruch und waren so beredt, dass Augustus ihren Groll teilte. Trotzdem versuchte er zu beschwichtigen und zu beschönigen, da er diesen schändlichen Prokurator selbst eingesetzt hatte.

Er berief Licinius vor Gericht, aber der schlug eine andere, und zwar folgende Taktik ein: Er ging höhnisch lachend über alle Anklagen hinweg. Er führte den Princeps in sein Haus, zeigte ihm viele Schätze von Silber und Gold und noch zahlreiche andere wertvolle Dinge, und sprach wie folgt: „Mit Absicht, dominus, habe ich dies alles für dich und die übrigen Römer eingesammelt. Dadurch hat sich der Reichtum der Gallier gemindert, und sie können nicht mehr an Empörung denken. Jedenfalls habe ich es nur für dich aufbewahrt, und gebe es nun in deine Hände.“

So rettete sich Licinius, indem er vorgab, die Stärke der Barbaren geschwächt und damit Augustus einen guten Dienst erwiesen zu haben. Tiberius und Drusus waren mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, daher erklärte sich der Princeps bereit, Licinius als Prokurator abzusetzen und als Präfekten zu den Ubiern zu schicken.

Auch das noch!, dachte Lucius. Licinius würde seiner Familie alles andere als wohlgesonnen sein. Als Präfekt würde er durchaus in der Lage sein, ihm Steine in den Weg zu legen. Hoffentlich war die Legion schon abmarschiert, bevor er eintraf! Hatte Syros in einem seiner Briefe nicht einmal von zehn oder zwölf Plagen berichtet, die ein Gott über die Feinde irgendeines Volkes gebracht hatte? Die Götter schienen auch Lucius mit Plagen prüfen zu wollen. Was würde wohl als nächstes kommen?

„Andarius wurde verprügelt!“

Lucius schreckte auf.

„Was hast du gesagt?“

„Andarius wurde verprügelt“, wiederholte Caedicius und schlug ungeduldig gegen den Türrahmen.

Lucius brauchte einen Moment, um diese Aussage zu verarbeiten. Er fluchte innerlich. Fulcinus hatte also Recht gehabt. Und nun?

„Wer war es?“, fragte er.

„Ist die Frage ernst gemeint?“

„Ja, natürlich!“, polterte Lucius los. „Hat er gesagt, wer es war?“

„Immunis Andarius gibt an, gestolpert und mit dem Gesicht aufgeschlagen zu sein“, sagte Caedicius betont sachlich.

„Ist gut! Geh wieder! Ich kümmere mich später darum“, erwiderte Lucius gereizt.

Er griff nach einem Dokument und versuchte, es zu lesen. Die Wörter verschwammen vor seinen Augen. Was mache ich nun?, dachte er. Da habe ich schon nach wenigen Tagen richtig in die Scheiße gegriffen. Andarius weiterhin im selben Contubernium zu lassen, wäre eine Aufforderung, ihn weiter zu verprügeln. Und ihn zu versetzen, wäre ein Zeichen von Schwäche. Ich mache mir was vor. Wenn ich Andarius nicht schützen kann, bin ich schwach.

Er legte den Brief auf den Tisch und sah auf die Proviantlisten. Morgen war Proviantausgabe. Hunger hatte sich schon einmal als ein gutes Zuchtmittel erwiesen. Er überflog die Verbrauchsmeldungen der Contubernia. Was war zu tun? Am besten eine Nacht darüber schlafen. Lucius verdrängte den Gedanken an Andarius erst einmal.

Er überprüfte die Bedarfsmeldungen der einzelnen Contubernia, zeichnete sie ab oder korrigierte sie. Das erinnerte ihn an etwas. Schließlich musste er sich ja auch ein wenig um sich selbst kümmern!

„Faustus!“

Das Gesicht des Sklaven erschien in der Tür. Lucius warf ihm einen Beutel zu.

„Du musst dich um meine Sondervorräte kümmern. Wir brauchen garum, lukanische Würste, Schweinswürste. Dazu Wein aus Italien, Hispanien oder Syrien. Bloß keinen aus Gallien! Und nicht zu vergessen, ein oder zwei Schinken, gut abgehangen und gepökelt.“

Faustus‘ Gesicht wurde bei der Aufzählung immer länger.

„Wo soll ich das hernehmen? Im Umkreis von Meilen haben die Legionen alles abgegrast.“

„Frag Appius‘ Haushaltsvorstand. Sieh zu, dass du meine Vorräte rechtzeitig besorgst, und wenn du nach Augusta Treverorum reisen musst.“

Andarius‘ zerschlagenes Gesicht war nicht zu ignorieren. Lucius konnte ihm seine Furcht ansehen. Der Großteil des 2. Contuberniums sah ausdruckslos an ihm vorbei. Nur Bruttius unterdrückte ein Grinsen.

„Immunis Andarius tritt vor!“, befahl Lucius und sah den Verprügelten finster an. „Was ist passiert?“

Andarius starrte geradeaus und wagte nicht, den Kopf zu drehen.

„Bin gestürzt, Centurio. War meine Schuld, Centurio. Kommt nicht wieder vor.“

„So, und du meinst, damit ist es getan? Du Trottel fällst am helllichten Tag so auf die Schnauze, dass du aussiehst, als ob die Sugambrer über dich hinwegmarschiert sind, und meinst, alles sei gut? Was ist, wenn du beim nächsten Mal in dein eigenes Schwert fällst? Oder jemand anderen verletzt? Ich hab‘ dann den ganzen Papierkram.“

Lucius machte eine Kunstpause. Andarius tat ihm fast ein bisschen leid, aber er musste das hier nun durchziehen.

„Du bist ab sofort kein Immunis mehr, du Idiot.“

Die Männer grinsten und Lucius tat so, als würde er es nicht bemerken. Andarius hingegen wirkte, als ob er vor Scham im Boden versinken wollte.

„Ennius!“, rief Lucius zum 1. Contubernium gewandt. „Traust du dir zu, solch einen tölpelhaften Legionär vernünftig auszubilden?“

Auf diese Frage gab es nur eine Antwort.

„Natürlich, Centurio!“

„Gut! Legionär Andarius, ab heute bist du im 1. Contubernium. Stell dich hinten an, damit ich dein verbeultes Gesicht nicht sehen muss!“

Andarius schlich wie ein geprügelter Hund ans Ende der Reihe.

„Hm, ihr habt jetzt einen Legionär zu viel in euren Reihen!“

Lucius tat so, als würde er angestrengt nachdenken.

„Legionär Bruttius, komm her! Du wechselst ins 2. Contubernium!“

Bruttius nahm den zugewiesenen Platz ein.

„Jetzt zu den wichtigeren Dingen. Die Frumentarii zu mir, ich habe eure Versorgungsbefehle.“

Lucius zeigte auf den Stapel Wachstafeln, den er bereitgelegt hatte. Normalerweise hatte jedes Contubernium zwei oder drei Immunes, von denen der Dienstälteste für das Contubernium sprach und für die Versorgung zuständig war. Den Frumentarius. Nachdem Lucius aber die meisten Männer degradiert hatte, hatten alle Contubernia mittlerweile nur noch einen Immunis. Lucius gab die abgezeichneten Proviantbefehle an Ennius, Vedius und die anderen aus. Vor Siccius vom 2. Contubernium blieb er scheinbar überrascht stehen.

„Was willst du, Legionär?“

„Die Anforderung für unsere Einheit!“

„Seit wann geht die an einen Legionär? Schick deinen Frumentarius!“

Lucius wandte sich ab.

„Wir haben keinen Immunis mehr“, rief Siccius unsicher.

„Jedes Contubernium hat einen Immunis“, entgegnete Lucius. „Was ist mit eurem passiert?“

Siccius stotterte etwas.

„Ach so!“

Lucius schnippte mit den Fingern.

„Das war ja der Trottel, der über seine Füße gefallen ist.“

Er grinste Siccius und das 2. Contubernium fröhlich an.

„Na, da habt ihr aber Pech. Passt besser aufeinander auf! Deckst du meinen Rücken, decke ich deinen Rücken.“

Siccius begann, zu protestieren.

„Ich kann auf keinen Fall einen einfachen miles zum Lagerpräfekten schicken. Was für ein Verstoß gegen das mos maiorum!“

Lucius kratzte sich am Kopf.

„Die einzige Lösung ist, ihr fastet, bis einer von euch sich so weit bewährt hat, dass er es zum Immunis bringt. Das kann durch vorbildlichen Dienst sein oder indem er von einem Mann in dieser Centurie Schaden abwendet. Sollte es aber zu weiteren Unfällen kommen, weil ihr nicht aufeinander aufpassen könnt, wird die Fastenzeit wohl länger dauern. Nächste Proviantausgabe ist in drei Tagen. Wegtreten!“

Lucius ging voraus und Caedicius schloss zu ihm auf.

„Das ist also die Methode des miles gloriosus!“, sagte er mit einem Grinsen.

„Ich weiß nicht, was du meinst!“, knurrte Lucius.

„Hunger!“, stellte der Optio fest. „Hunger und Schwertkampf. Das hast du mit uns damals auch gemacht. Entweder du provozierst jemanden zum Schwertkampf oder du lässt ihn hungern!“

Lucius setzte eine undurchdringliche Miene auf, spuckte einmal aus und reichte Caedicius eine Wachstafel.

„Der Dienstplan für die nächsten Tage. Kümmere dich darum, anstatt hier den Philosophen zu spielen. Dem Marschtraining sollten wir besondere Aufmerksamkeit widmen.“

„Dem Marschtraining?“, fragte Caedicius.

„Anweisung vom Tribun Saturninus“, bestätigte Lucius und winkte mit der Anweisung. „Wenn er sich die Mühe macht, das sechzig Mal aufschreiben zu lassen, dann kannst du die Wichtigkeit ermessen.“

„Sechzig Mal?“, fragte Caedicius ungläubig. „Er hat jedem Centurio diese Anweisung zukommen lassen?“

Lucius nickte und zog die Schriftrolle auseinander.

„Und dann noch auf Papyrus statt auf Wachs, wo man es versehentlich löschen könnte.

‚An alle Centurionen der XVIII Gallica von bla, bla, bla. Das Marschieren ist in den vergangen Jahren vernachlässigt worden. In Germanien kommt dem Gewaltmarsch besondere Bedeutung zu. Da sich die Legionen nicht aus dem Lande ernähren können, müssen Entfernungen schnell überwunden, Engpässe schnell passiert werden. Daher erwarte ich, dass jede Centurie, jedes Manipel und jede Kohorte besonderes Augenmerk auf bla, bla, bla.‘ Jetzt wissen wir Bescheid.“

Lucius ließ den Brief wieder in sich zusammenrollen.

„Ich bin auf dem Weg zu Mamilius. Beaufsichtige du das Waffentraining!“

Was Caedicius nicht zu wissen brauchte, war, dass Lucius weitreichendere Pläne als nur ein bisschen Marschtraining hatte. Er kannte die germanische Kampfweise aus eigener Erfahrung. Drei Feldzüge mit und gegen die Germanen hatten ihm Erkenntnisse beschert, die er zu nutzen gedachte. Dazu musste er aber mit dem 1. Principes Centurio reden. Mal sehen, wie aufgeschlossen der neuen Ideen gegenüber war.

„Mamilius, auf ein Wort.“

Lucius ging auf den breitschultrigen Centurio zu. Der sah ihn mürrisch an. Lucius winkte mit Saturninus‘ Schreiben.

„Ich wollte mir deine Befehle abholen, wegen dem gemeinsamen Marschtraining. Hast du besondere Anweisungen?“

„Besondere Anweisungen?“

Mamilius sah von ihm auf das Schreiben und wieder zurück.

„Äh, der Manipel wird in Kolonne marschieren und wir werden die Schwenks üben und den Aufmarsch in den drei Reihen.“

„Natürlich.“ Lucius nickte beflissen. „Hast du einen Plan für den Aufmarsch aus dem Marsch heraus?“

„Aus dem Marsch heraus?“

Mamilius überlegte.

„Wir … wir machen ihn so schnell wie möglich.“

Mamilius hatte nichts Brauchbares beizusteuern, wie erwartet. Lucius führte dieses Gespräch auch nur, um sagen zu können: Ich habe mein Vorgehen mit dem Manipelführer abgesprochen.

„Ich werde heute mit der Centurie einen Übungsmarsch veranstalten und deine Anweisungen berücksichtigen.“

„Tu das!“, sagte Mamilius und kratzte sich verdutzt am Kopf.

Er überlegte lange, von welchen Anweisungen Lucius da wohl gesprochen hatte.

Pergite! Auf Links!“

Die nächsten Tage marschierten sie das Marsfeld rauf und runter. Bei Alarm wies Lucius Fulcinus an, mal hier, mal dort Aufstellung zu nehmen. Caedicius trieb die Männer an, sich so schnell wie möglich auszurichten. Die Männer brachen in Gelächter aus, als sich nach einigen Manövern und Wendungen die eine Hälfte der Centurie in die eine und die andere in die andere Richtung ausrichtete.

„Ruhe!“, brüllte Lucius.

Das Gelächter verstummte.

„Die eine Hälfte von euch dreht dem Feind den Rücken zu und ist so gut wie tot. Findet ihr das lustig?“

„Nein, Centurio“, brüllten die Legionäre.

„Gut. Linke Abteilung, kehrt! Reihen schließen, los, aufrücken!“

Er wartete, bis die Männer sich neu formiert hatten.

„Im Laufschritt, marsch!“

Die Männer rannten los.

Lucius ließ sie ein Stück laufen, dann befahl er: „Kehrt!“

Die Männer kamen rutschend zum Stehen, drehten sich um und rannten zurück.

„Angriff!“, brüllte Lucius.

„GALLICA!“

Die Männer stürmten auf den imaginären Feind zu. Die langsameren und älteren Legionäre fielen zurück, und die Reihen brachen auseinander.

„HALT!“, donnerte Lucius über den Platz. „Jeder stehenbleiben, wo er ist!“

Die meisten Männer blieben gehorsam stehen. Allerdings registrierte Lucius noch den einen oder anderen Versuch, Lücken zu schließen.

„Ihr habt so große Lücken in euren Reihen, dass ein Wagen dort durchfahren könnte.“

Er schlenderte durch die mehr oder weniger aufgelöste Formation.

„Schaut euch das an! Ich kann hier durchspazieren, ohne jemanden zu berühren. Das soll eine Formation sein? Eine Schande ist das!“

Er machte eine Pause.

„An der Standarte ausrichten, marsch, marsch!“

Die Männer wirbelten herum und rannten auf Fulcinus zu. Diesmal stellten sie sich in die richtige Richtung auf.

„Wenn der Angriffsbefehl gegeben wird und ihr lasst die Formation aufreißen, seid ihr tot. Die Schnelleren müssen auf die Langsameren warten, um die Reihen geschlossen zu halten. Wer als erster beim Feind ankommt, gewinnt keinen Siegeskranz, sondern den Tod durch Schwert oder Speer.“

Lucius verfolgte einen ganz bestimmten Plan, und damit der funktionieren konnte, brauchte er die Bereitschaft des Signifer. Er nahm Fulcinus beiseite, kurz bevor sie abrückten.

„Jeder weiß, dass die Germanen heimtückisch sind“, sagte Lucius. „Wir müssen jenseits des Rhenus jederzeit auf einen Hinterhalt gefasst sein.“

Fulcinus nickte gewichtig.

„Das Signum muss die Ausrichtung sofort ohne Verzögerung anzeigen. Die Antesignani im 1. Contubernium müssen sofort Position beziehen.“

Fulcinus begriff, worauf Lucius hinauswollte. Er war entsetzt.

„Ohne Befehl meinst du?“

„Du bist mit Abstand der dienstälteste Principalis dieser Centurie“, sagte Lucius entschieden. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass du nicht weißt, wo man eine Standarte aufstellt?“

„Natürlich weiß ich das“, fuhr Fulcinus auf. „Aber das Signum wird nicht ohne Befehl aufgestellt, das ist die Ordnung der Dinge.“

„Wir durchqueren einen Wald, Alarm wird geblasen, eine Horde Germanen stürmt auf uns zu. Du siehst den Platz für die Standarte und ich sehe ihn. Bis ich den Platz bezeichnet habe, stehst du schon dort“, führte Lucius aus. „Die Centurie steht schneller als sonst in Gefechtsordnung und kann den Feind zurückwerfen. Diese Herzschläge können bei einem Hinterhalt über Sieg und Niederlage entscheiden.“

Fulcinus wollte widersprechen.

„Nur ein Signifer mit Erfahrung und Überblick kann so etwas“, sagte Lucius eindringlich. „Bist du dieser Mann?“

Fulcinus dachte nach.

„Wenn der Befehl kommt ‚an Standarte ausrichten‘ ist die Standarte schon bereit.“

Fulcinus trommelte mit den Fingern auf sein Bein und starrte in die Ferne. „Es gibt keine Verzögerung, kein Gedränge, weil der Abstand zur Standarte erst ausgemessen werden soll.“

Fulcinus sah jetzt Lucius direkt an.

„So soll es sein. Ich bin dieser Mann.“

„Sehr gut. Die Antesignani werden von heute an dem Signifer immer und überallhin folgen, ohne auf einen Befehl zu warten“, sagte Lucius. „Gib das an Ennius und das 1. Contubernium weiter!“

„Jawohl, Centurio!“

Bei den Marschübungen mit der Kohorte lernte Lucius die anderen Centurionen nach und nach besser kennen. Den 1. Pilus Centurio Mucius kannte er schon von seinen ersten Tagen in der XVIII Legion. Der 2. Pilus Centurio Cossulius, ein bärbeißiger Veteran, war auf seine alten Tage überraschend Centurio geworden und hatte keine zehn Jahre Erfahrung, obwohl er schon weiße Haare hatte. Er war ein evocatus, einer der Legionäre, die nach Ablauf ihrer Dienstzeit wieder zu den Adlern zurückgekehrt waren.

„Vernünftiger Drill, sag‘ ich immer. Nicht so ein neumodischer Firlefanz“, war seine Aussage zum Marschtraining.

Mamilius war das Idealbild eines Centurio. Einmal auf seinen Platz gestellt, würde er diesen erst mit den Füßen voran verlassen. Für Lucius war es leicht, freie Hand bei Mucius und Mamilius für die Übungen seiner Centurie zu bekommen. Mucius hatte in der Vergangenheit schon von Lucius‘ Ideen profitiert, und Mamilius hatte keine eigenen Ideen.

Die beiden Hastaten Centurionen Ligarius und Secundus hingegen störten sich an dem aufgeschlossenen Umgang mit Lucius‘ Neuerungen. Sie sorgten dafür, dass es bald in der Legion hieß, in der 3. Kohorte gäbe der jüngste Centurio, der miles gloriosus, den Ton an, und die älteren würden seine Anweisungen wie die Schafe befolgen.

Allerdings verfingen ihre Lästereien nicht. Mucius ignorierte sie, Mamilius schien sie gar nicht mitzubekommen und Cossulius, nun, Cossulius hatte seine eigene Art, damit umzugehen.

„Na, müsst ihr von eurem miles gloriosus noch was lernen?“

„Ja, natürlich“, entgegnete Cossulius. „Mittlerweile hat er uns sogar schon beigebracht, mit dem Schwert umzugehen. Wie sieht‘s bei euch aus? Wollt ihr ein Tänzchen wagen?“

Cossulius interessierte sich sehr für Lucius‘ Trainingsmaßnahmen.

„Wie kommt es, dass deine Centurie immer als erste die Formation einnimmt?“

Lucius genoss diese Frage mehr, als er bereit war zuzugeben.

Du willst wissen, wieso die Einheit des miles gloriosus besser und schneller ist als deine?, war er versucht zu fragen, besann sich aber noch rechtzeitig.

„Bei jedem Alarmruf beziehen der Signifer und die Antesignani selbstständig Position, ohne auf weitere Befehle zu warten“, erläuterte er stattdessen. „Dadurch weiß die Centurie ohne weitere Verzögerung, an welcher Position sie sich ausrichten muss.“

„Der Signifer bestimmt die Ausrichtung der Centurie, nicht der Centurio?“, fragte Cossulius kopfschüttelnd. „Das ist ja ganz was Neues.“

„Bei Alarm wendest du dich an den Signifer und sagst ihm, wo er die Standarte aufpflanzen soll. Dann eilt er los und die Antesignani bekommen den Befehl, ihn zu decken“, erläuterte Lucius. „Dabei geht wertvolle Zeit verloren. Ein Signifer weiß aufgrund seiner Erfahrung ganz genau, worauf es ankommt.“

„Vielleicht.“ Cossulius sah ihn nachdenklich an. „Hast Du noch weitere, umstürzlerische Ideen?“

Lucius war sich nicht sicher, ob Cossulius das jetzt ernst oder sarkastisch meinte.

„Wir werden einige Sonderübungen mit dem pilum machen. Du darfst sie dir gerne ansehen.“

„Auf das Kommando ‚Werft pila!‘ werft ihr die pila so schnell wie möglich, aber auf das Kommando ’Pila halt!‘ beendet ihr die Salve und beginnt eine Rotation, schließt die Reihen und fällt das pilum. Verstanden?“

„Jawohl, Centurio!“

„Dann: Werft pila!“

Die Pila-Salve wurde wie aus dem Lehrbuch geworfen. Die vorderste Reihe schleuderte ihre pila, sprang zurück, bekam die nächsten pila angereicht, schleuderte diese und so weiter. Lucius ließ die Centurie die gesamten pila schleudern und mit den Reserve-pila weitermachen.

Pila halt!“, brüllte er plötzlich, und begann laut zu zählen.

„Eins, zwei, drei, vier.“

Es wurden keine pila mehr geworfen oder nach vorne gereicht.

„Fünf, sechs, sieben, acht, neun.“

Eilig drängten die Männer aus der ersten Reihe nach hinten. Die zweite Reihe hatte nun ihre Position eingenommen.

„Zehn, elf, zwölf, dreizehn.“

Die folgenden Reihen schlossen auf.

„Vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn.“

Die pila wurden gefällt.

„Achtzehn, neunzehn, zwanzig.“

Jetzt stand die Centurie geschlossen.

„Zu langsam! Das muss schneller gehen! Beim Wechsel von Wurf- zur Gefechtsformation verlieren wir zu viel Zeit. Werft pila!“

„Wozu soll das gut sein?“, fragte Cossulius verständnislos.

Lucius hatte gerade erneut ‚Pila halt!‘ befohlen, und die Reihen waren nach ‚achtzehn‘ geschlossen gewesen.

„Die Germanen formieren sich nicht groß zur Schlachtordnung. Der Häuptling rennt los und alle anderen rennen hinterher“, erklärte Lucius und brüllte: „Werft pila!“

Dann redete er weiter: „Selbst wenn eine Pila-Salve sie kurzfristig stoppt, ziehen sie sich nur kurz zurück. Pila halt!“

Wieder zählte er bis achtzehn.

„Wenn sie uns mitten in der Salve erwischen, …“

Lucius sprach den Satz nicht zu Ende, aber Cossulius hatte ihn auch so verstanden. Er berichtete Mucius und Mamilius davon. Bald kannte die ganze Kohorte Lucius‘ Taktik. Der Spott über den miles gloriosus wich verhaltenem Respekt, auch wenn der eine oder andere nach wie vor die Witze über den jungen Centurio nicht lassen konnte.

Lucius war die Aufmerksamkeit nicht recht. Er wollte nicht schon wieder im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen. Er wollte nur seine Männer so gut es ging auf den kommenden Feldzug vorbereiten. Ihn störte eigentlich alles, was ihn von diesem Ziel abbrachte. Daher reagierte er auch ungehalten, als Andarius an ihn herantrat, während er über den Berechnungen für den Proviant brütete.

„Warte!“

Lucius hob ohne aufzusehen die Hand. Nur keine Störung! Er war stolz auf die Fähigkeit, ohne Hilfe der Finger rechnen zu können. Dafür brauchte er aber Ruhe. Andarius trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sein Gezappel ging Lucius auf die Nerven.

„Hier ist nicht die Latrine. Wenn du musst, such die auf!“, herrschte er den Legionär an, und schrieb die Anzahl der Scheffel auf, die er gerade berechnet hatte.

„Was willst du?“

Das zerschlagene Gesicht des Legionärs war rot vor Aufregung.

„Ich brauche Hilfe, Centurio! Deine Hilfe! Oder Urlaub! Oder deine Hilfe, um Urlaub zu bekommen!“

„Urlaub? Wirklich?“ Lucius hob spöttisch die Augenbrauen. „Bald geht die Legion nach Germanien und der Herr möchte nach Hause, wo immer das ist!“

„Picenum, dominus“, erklärte Andarius eilig.

„Es ist mir scheißegal, wo du herkommst!“, bellte Lucius ihn an. „Du scheinst zu viel Freizeit zu haben, wenn du solche Gedanken im Hirn hast! Das können wir gerne ändern!“

„Es ist wirklich wichtig!“

Verzweifelt wedelte Andarius mit einer Schriftrolle.

„Um was geht es?“, fragte Lucius genervt.

„Meine Frau und mein Sohn stecken in Schwierigkeiten!“, brach es aus dem Mann heraus. Lucius sah ihn verblüfft an. Der hatte laut und vernehmlich matrona gesagt, und das würde bedeuten, er hätte eine rechtsgültig geschlossene Ehe.

„Du meinst deine concubina!“, stellte Lucius daher richtig.

„Ich lebe in cohabitatio und nicht im concubinatus!“, empörte sich der Legionär. „Wir lebten schon zusammen, bevor ich zur Legion ging!“

„Aber trotzdem …“, fing Lucius an, wurde aber sofort unterbrochen.

„Um ganz sicher zu gehen, hat Pompeia, bevor ich zur Legion ging, jede Nacht unter meinem Dach verbracht. Daher ist sie sogar manus, in meiner Hand, und untersteht nicht mehr ihrem Vater!“

Das klang, soweit Lucius die Rechtslage kannte, eindeutig. Er dachte an Tertia, die gesagt hatte, sie würde sich nie wieder in die Hand eines Mannes begeben. Nicht ablenken lassen, dachte er, griff nach seiner vitis und setzte einen drohenden Gesichtsausdruck auf.

„Wenn du mich noch einmal unterbrichst, kannst du was erleben, miles!“

Andarius nahm Haltung an.

„Verzeih, Centurio! Das ist der Erregung geschuldet. Kommt nicht wieder vor!“

„Schön.“

Lucius setzte sich wieder hin.

„Was für ein Problem gibt es?“

Als Antwort wedelte Andarius erneut mit der Schriftrolle.

„Mein Sohn sollte dieses Jahr die toga virilis, die Toga der Männer, anlegen, aber der Praetor hat dies abgelehnt. Aulus wäre ein peregrinus, ein Fremder, kein Römer, und hätte daher nicht das Recht, die Toga zu tragen.“

Die Empörung stand Andarius ins Gesicht geschrieben.

„Nicht das Recht, die Toga zu tragen!“ Andarius schrie fast. „Wir haben seit mehr als hundert Jahren das römische Bürgerrecht. Meine Vorfahren haben gegen Sertorius und Mithridates gekämpft. Ich habe Aulus vor Zeugen nach seiner Geburt aufgehoben. Wir sind so römisch wie jeder dieser Sesselpupser!“

Er atmete schwer.

„Im Tempel von Picenum waren alle nötigen Dokumente hinterlegt, und ich habe meiner Frau eine Vollmacht geschickt, damit sie diese holen konnte. Heute kam die Antwort. Der Praetor hat sie sich gar nicht angesehen, für ihn ist der Fall erledigt. Für alles Weitere soll sie sich, sie soll …“ Er stockte. „… sich an den Praetor Peregrinus wenden!“

Er sah Lucius‘ Gesichtsausdruck.

„Verzeih, Centurio! Stell dir das vor! Meinen Sohn an den Praetor Peregrinus zu verweisen! Ich muss nach Picenum, sofort, um diesem aufgeblasenen Arsch den Schädel zu spalten. Dann erst ist der Fall erledigt.“

Sie schwiegen. Andarius hatte die Fäuste geballt und atmete schwer. Lucius schwirrte der Kopf. Wenn ein Römer mit einer Römerin verheiratet war, hatte deren Sohn automatisch das römische Bürgerrecht. Wenn ein Römer ein Neugeborenes vor Zeugen aufnahm, erkannte er ihn als sein Kind an. Damit war Aulus natürlich ein Römer. Aber. Legionäre durften gar nicht heiraten. Punkt. Alle Kinder, die sie zeugten, waren unehelich, und konnten daher nicht das römische Bürgerrecht bekommen. Punkt. Doch was war mit den Fällen, in denen der Sohn vor der Berufung in die Legion gezeugt wurde, und einer Ehe, sogar einer Manusehe, entsprang?

Keine Ahnung, dachte Lucius bekümmert. Er sah im Geiste Tertias lächelndes Gesicht vor sich und fühlte plötzlich mit Andarius. Vielleicht könnte er ihm ja irgendwie helfen.

„Kehre zu deinem Contubernium zurück, ich werde sehen, was wir tun können“, sagte er ein wenig freundlicher. „Und du solltest um deiner selbst willen nicht herumerzählen, dass du einem Praetor den Schädel spalten willst!“

Lucius grübelte. Wen konnte er um Rat fragen? Eigentlich sollten der Primus Pilus und der Praefectus Castrorum Bescheid wissen.

Gemellus oder Potitus. Schon bei dem Gedanken daran, die beiden um Rat zu fragen, wurde Lucius schlecht. Ihr Spott wäre ihm sicher. Hier ging es aber nicht um seine dignitas, hier ging es um einen seiner Männer, und daher musste er diesen Gang auf sich nehmen. Schließlich trug er die Verantwortung für die Legionäre.

Er ging zu den Baracken der ersten Kohorte und betrat mit einem kurzen Gruß das Dienstzimmer des Primus Pilus Gemellus. Ein eifrig kritzelnder Schreiber verrichtete sein Werk an einem Tisch in der Ecke. Der Primus Pilus wirkte müde und abgespannt, obwohl der Feldzug noch nicht einmal begonnen hatte.

„Was immer du willst, fass dich kurz!“, knurrte Gemellus.

Lucius war hier so willkommen wie ein Aussätziger. Er holte tief Luft und sprach dann den Satz aus, von dem er gehofft hatte, ihn nie zum Primus Pilus sagen zu müssen: „Ich brauche deinen Rat!“

Gemellus und sein Schreiber sahen sich erstaunt an. Endlich brach Gemellus das Schweigen.

„Hört, hört. Der miles gloriosus braucht Rat.“

Der Schreiber breitete theatralisch die Arme aus.

„Die griechischen Kalenden sind gekommen!“

Einmal ruhig bleiben, zweimal ruhig bleiben, dreimal ruhig bleiben, sagte sich Lucius.

Er schilderte ihnen kurz und knapp Andarius‘ Problem.

Als er geendet hatte, fragte Gemellus: „Und du bist dir sicher, dass er matrona gesagt hat und dass er sie ersessen hat?“

„Ja, ganz sicher.“

Gemellus rieb seine Bartstoppeln.

„Da hat er Pech gehabt, nicht wahr? Durch den Eintritt in die Legion wurde die Ehe geschieden.“

Lucius hatte es befürchtet.

„Nicht nur das“, fügte Gemellus hinzu. „Alle Kinder aus dieser Ehe gelten ab diesem Moment als unehelich und das bedeutet …“

Er machte eine Pause und Lucius vollendete den Satz: „ …kein Bürgerrecht!“

Lucius fühlte sich schlecht. Gemellus hatte es bestätigt: Er konnte nichts für seinen Legionär tun. Vor seiner honesta missio, der ehrenhaften Entlassung, konnte Andarius nichts unternehmen. Sie schwiegen eine Weile, dann machte Gemellus eine einladende Handbewegung.

„Beim ersten Mal ist es am schwierigsten. Setz‘ dich und schnapp‘ dir einen Becher.“

Der Wein war süß, aber trinkbar.

„Was meinst du mit ‚beim ersten Mal‘?“

„Soldaten und ihre Frauen, Mars und Vesta. Was glaubst du, wie oft Legionäre zu dir kommen, wenn eine Verlegung der Legion ansteht und sie ihre Familien mitnehmen wollen?“, fragte der Primus Pilus. „Dein Fall ist da der Venuswurf. Es kommt nicht oft vor, dass verheiratete Männer in die Legion eintreten. Daher ist den meisten die Rechtslage unbekannt. Erkläre mal einem Vater, dass er mit Eintritt in die Legion die Vaterschaft verliert. Beim ersten Mal ist es am schwersten.“

Gemellus sah in die Ferne.

„Es leben irgendwo fünf Kinder, mit denen ich per Gesetz nicht verwandt bin“, erklärte er dann in die Stille hinein.

Lucius glaubte, ein leichtes Zittern in Gemellus‘ Stimme zu hören. Aber vielleicht täuschte er sich.

„Andarius muss also später seinen eigenen Sohn adoptieren?“, fragte er, und trank einen Schluck.

„Adoptieren kann man nur, wenn der pater familias noch lebt, nicht wahr.“

Gemellus seufzte.

„Der Junge hat aber keinen pater familias. Andarius könnte allenfalls eine arrogatio beantragen. Dazu brauchte er nur die Zustimmung des Augustus und der comitia centuriata, der Volksversammlung, nicht wahr.“

Sie sahen sich an, und dann tranken sie. Ein Legionär hat keine Kinder und keine Familie. Das ist die Ordnung der Dinge.

Lucius saß im Dienstzimmer seiner Lagerbaracke und hatte mal wieder mit dem unvermeidlichen Wachskram zu tun, als Mucius ihn besuchte.

„Du bist aber auch nicht von deiner Centurie wegzubekommen.“

Lucius sah ihn verwundert an.

„Die Legion rückt bald aus. Ich habe viel zu tun und wenig Zeit.“

Lucius hatte keine Lust auf eine Unterhaltung. Wenn Mucius gekommen war, um sich über ihn lustig zu machen, dann hatte er sich den falschen Zeitpunkt ausgesucht.

„Ich bin so frei!“, sagte Mucius leutselig, legte einen Weinschlauch auf den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

„Bring zwei Becher!“, sagte er zu Faustus gewandt, der sofort im Nebenzimmer verschwand, um das Gewünschte zu holen.

Lucius runzelte die Stirn. Wem gehörte der Bengel eigentlich? Wie kam er dazu, sofort auf Befehl von jemand anderem zu springen?

„Viel zu tun?“

Mucius deutete auf die sich türmenden Stapel aus Wachstafeln.

„Ich versinke im Wachs!“, stöhnte Lucius. „Neben den üblichen Listen habe ich noch eine ellenlange Strafliste.“

„Was ist mit deinem Schreiber?“, fragte Mucius, und schenkte die beiden Becher voll, die Faustus hingestellt hatte.

„Ich habe nicht mal genug Immunis, um jedem Contubernium einen zuzuteilen, geschweige denn einen zum Schreiber zu befördern.“

„Na, na! So schlimm wird es nicht sein.“

Mucius wiegte skeptisch sein Haupt.

„Du hast keine Ahnung“, stieß Lucius hervor. „Der beste Legionär im ganzen Haufen ist Ennius. Der bekommt mit Händen und Füßen gerade mal einen anständigen Satz geschrieben. Veidius und Poppaeus sind auch brauchbar, stehen aber mit dem Griffel auf Kriegsfuß. Und sonst? Bruttius und Siccius sind Veteranen, aber faul. Die restlichen Männer sind so grün, die werden im Sommer von den Kühen gefressen.“

„Wie viel Mann hast du?“

„68, zwölf unter Soll!“

„Hm, dann solltest du um mehr Männer bitten. Die 2. Hastaten hatten volle Sollstärke und einige brauchbare Männer. Als 2. Principes steht dir durchaus das Recht einer Verstärkung aus den Hastaten zu.“

„Sonst noch was?“, fragte Lucius. „Dafür brauch‘ ich die Empfehlung eines Primi Ordines, und dann muss Potitus es absegnen. Das passiert erst, wenn die Verdammten aus dem Tartarus zurückkehren.“

„Ein bisschen mehr Vertrauen in unsere Primi Ordines solltest du haben.“

Mucius trank genüsslich seinen Wein. Will der mich zum Besten halten? Mucius klagte doch selber oft genug über die unfähigen Primi Ordines! Lucius trank einen Schluck von dem Wein. Überrascht stellte er den Becher wieder ab. Das war Falerner. Der musste Mucius ein Vermögen gekostet haben!

„Haben wir was zu feiern?“

„Dürfen ein Hastaten Centurio und ein Principes Centurio nicht zusammen einen guten Becher Wein trinken?“ Mucius schenkte großzügig nach. „Oder auch zwei?“

„Hastaten Centurio???“

„Jawohl, Gaius Mucius, 2. Hastaten Centurio der 1. Kohorte der XVIII Legion Gallica!“

„Ja, das ist doch …“, rief Lucius und sprang auf. „Du hast es geschafft!“

Sie fielen sich in die Arme und Lucius trommelte dem Älteren vor Begeisterung auf den Rücken.

„Auf dich, und darauf, dass die Gallica noch nicht ganz verloren ist!“

Lucius erhob den Becher und Mucius strahlte vergnügt.

„Da du indirekt schuld an meiner Beförderung bist, habe ich vor, mich erkenntlich zu zeigen.“ Lucius hob abwehrend die Hände.

„Doch, doch“, sagte Mucius entschieden. „Zum ersten gehört der Schlauch Wein, den wir gerade leeren, dir.“

Lucius lachte verschmitzt.

„Also, wenn wir jetzt nichts mehr trinken oder einen von meinen nehmen, bleibt mehr für mich?“

„So ungefähr!“

Mucius schlürfte genüsslich den Becher leer und hielt ihn Faustus zum Auffüllen hin.

„Dann könnte ich aber versucht sein, mein zweites Geschenk an dich zurückzuziehen.“

„Was denn für ein Geschenk?“

„Ein dienstliches!“

Ohne Vorwarnung brüllte Mucius plötzlich los: „Immunes, vortreten!“

Zwei Legionäre stapften in voller Montur ins Zimmer.

„Darf ich dir die neuesten Zugänge der 2. Principescenturie vorstellen? Immunis Marcus Caelius und Immunis Aulus Corvus. Natürlich nur Immunes, wenn sie deinen Anforderungen genügen.“

Lucius stand auf. Wein war Wein, aber Pflicht war Pflicht. Caelius grinste Lucius breit an. Wir kennen uns, sollte das wohl heißen, aber darauf brauchte er nicht zu hoffen!

„Gibt’s hier was zu Grinsen, miles?“, herrschte Lucius ihn an.

„Nein, Centurio!“, beeilte sich Caelius zu sagen und nahm Haltung an.

„Schon besser!“

Lucius besah prüfend die Ausrüstung der beiden Männer. Sie war vorbildlich.

„Meldet euch beim Optio, er wird euch zwei Contubernia zuteilen.“

Lucius war gerührt von diesem „Dienstgeschenk“.

„Vielen Dank!“, sagte er mit belegter Stimmte, als sie wieder alleine waren.

„Das hab‘ ich doch nicht deinetwegen getan.“ Mucius setzte eine gespielt ernste Miene auf. „Mir geht’s um die Kohorte und die Legion. Stell dir diese Centurie mit dem miles gloriosus als Centurio vor. Das gefährdet die ganze Schlachtreihe.“

„Auch wenn du jetzt Primi Ordines bist“, drohte Lucius scherzhaft, „auf dem Übungsplatz kann ich dir immer noch den Arsch aufreißen!“

Sie lachten und wechselten das Thema. Es gab viel zu bereden: die bevorstehenden Feste, die Equirra, das Quinquatrus und natürlich der nahende Feldzug gegen die Germanen.

Lucius machte Caelius zu seinem Schreiber. Endlich jemand, der sich für ihn um den ganzen Wachskram kümmern konnte!

Lucius befasste sich derweil mit seiner Unterkunft. Er hatte vor, am Durchgang zum Dienstzimmer ein triclinium, ein Speisesofa, einzurichten. Das Holz dafür würde er bei Appius bestellen.

„Da ist ein Bote, Centurio!“, rief Caelius aus dem Dienstzimmer.

„Ich komme.“

Der Bote war ein Legionär der 1. Centurie seiner Kohorte.

„Du sollst dich beim neuen 1. Pilus Centurio melden“, verkündete der Legionär.

„Hat er auch einen Namen?“

„Tuditanus!“

Caedicius, der mit Caelius die Dienstpläne erstellte, sah auf.

„Tuditanus, der Hammer? Das ist sein Name?“, fragte der Optio ungläubig.

„Eigentlich sein Beiname“, räumte der Bote ein. „So möchte er gerufen werden.“

„Ich habe aber nach seinem Namen gefragt, wenn du dich erinnerst!“, wies Lucius ihn zurecht.

„Ogulnius“, beeilte sich der Soldat zu sagen.

„Ja?“

„Nur Ogulnius. Den Vornamen wissen wir nicht.“

Was war das wieder für eine Kuriosität? Er winkte dem Boten abwesend, zu gehen, nahm vitis und Helm und nickte Caelius kurz zu, bevor er auf den Wandelgang hinaustrat.

„Kennst du ihn?“, fragte Caedicius und folgte ihm. „Du siehst so aus, als ob du den Namen schon mal gehört hast.“

„Nur als cognomen der Sempronier, aber denen gehört er sicher nicht an.“

Lucius setzte seinen Helm auf.

„Dann werde ich mich mal auf den Weg machen.“

„Woher er den Namen wohl hat?“, überlegte Caedicius.

„Fragt doch mal den Schreiber des Centurio!“, ließ sich Caelius vernehmen.

Lucius und Caedicius drehten sich wie auf ein Kommando um.

„Wir hören!“

„Er konnte als Legionär gut mit dem Schmiedehammer umgehen, und da ist der Name hängengeblieben.“

„Ja, dann!“, sagte Lucius, und wollte gerade gehen, als Caelius fortfuhr: „Außerdem heißt er mit Vornamen Occius!“

„Wie bitte?“, riefen Lucius und Caedicius gleichzeitig.

Caelius grinste breit. „Aus gut unterrichteten Kreisen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, wird verlautet, dass sein Vorname Occius ist!“

„Occius?“ Caedicius prustete los. „So heißt doch keiner mehr! Bei dem Namen …“

„… würde ich mich auch nur Tuditanus rufen lassen!“, beendete Lucius lachend den Satz. „Ja, dann will ich mir dieses Namenswunder mal ansehen!“

„2. Principes Centurio Lucius Justinius Marcellus“, wurde Lucius vom Schreiber angekündigt, und ein grobschlächtiger Centurio mit buschigen Augenbrauen sah auf.

„Ah, der miles gloriosus, die Berühmtheit der Kohorte“, sagte er spöttisch.

„Ah, Occius Ogulnius Tuditanus, die Berühmtheit der Legion“, erwiderte Lucius.

Der Centurio lief puterrot an, und für einen Moment dachte Lucius, er würde losbrüllen. Dann besann er sich aber und sah seinen Schreiber finster an, der mit roten Ohren hastig auf einer Wachstafel herumkritzelte. Dem stand fürs Plaudern gewaltiger Ärger bevor!

„Wenn dir deine Gesundheit lieb ist“, knurrte Tuditanus mit zusammengebissenen Zähnen, „dann vergiss den Namen ganz schnell wieder!“

„Wenn du es sagst, Occius Ogulnius!“, sagte Lucius fröhlich, und er hätte am liebsten die Frage hinzugefügt, ob sein Vater am Tag der Namensgebung betrunken gewesen war. Hinter Tuditanus Rücken grinsten sein Signifer und sein Optio breit. Tuditanus atmete schwer und gab sich einen Ruck.

„Gut, Marcellus. Du hast deinen Spaß gehabt. Aber sei versichert: Schon viele Männer haben meinen Weg gekreuzt, Legionäre, Optiones und Centurionen, und glaubten, mich verspotten zu dürfen. Sie haben es alle bereut. Und mit so einem …“, er suchte offensichtlich nach dem richtigen Wort, „… und mit so einem wie dir werde ich auch noch fertig.“

Zeit, ein bisschen einzulenken, aber einen kleinen Seitenhieb konnte sich Lucius dann doch nicht verkneifen.

„Ich weiß, wie dir zumute sein muss. Ich muss mir auch immer viel Spott anhören. Zur Begrüßung, und auch sonst so.“

Tuditanus hob die Hände.

„Der Treffer geht an dich, Marcellus. Ich werde also den miles gloriosus vergessen und du wirst dich an Tuditanus halten. Klar?“

„Klar!“

„Aber, dass du so was wie eine lokale Berühmtheit bist, kannst du nicht abstreiten. Ich bin erst ein paar Stunden hier und habe bereits einiges über dich gehört.“

„Auch Gutes?“

Tuditanus stutzte.

„Das kommt wahrscheinlich auf den Betrachter an. Ich möchte eines zwischen mir und den anderen Centurionen klarstellen. Diese Kohorte wird ihre Aufgabe zu Beginn des Feldzuges erfüllen. Ich komme aus der XIV Gemina und wir legen hohe Maßstäbe an. Erfülle sie, oder du lernst mich kennen. Principes Centurio oder nicht.“

„Jawohl, Centurio!“

Jetzt war nicht mehr der Zeitpunkt für rhetorische Spitzfindigkeiten.

„Und wenn du nach Schwächen suchst oder nach Möglichkeiten dich hervorzutun: Vergiss es! Ich mache das hier nicht erst seit gestern.“

„Jawohl, Centurio!“

„Deine Einheit soll gut in Schuss sein, habe ich gehört. Das freut mich. Wenn dem nicht so sein sollte, hagelt es Extradrill.“

Lucius sah ihn schweigend an. Ja, ja, ich habe verstanden.

Jetzt wurde Tuditanus Gesichtsausdruck listig.

„Ich werde auch nicht den Fehler machen, dich zu einem Zweikampf herauszufordern“, sagte er. „Also vergiss es!“

„Schade“, erwiderte Lucius trocken.

„Ja, eigentlich schade!“

Der Centurio schnippte mit den Fingern und ein Sklave brachte Lucius einen Becher Wein. Ein saurer Geruch stieg auf. Beim Bacchus, dieser Wein musste reiner Essig sein!

„Auf einen erfolgreichen Feldzug!“ Tuditanus hob seinen Becher. „Den besseren Wein gibt es nach dem Sieg!“

„Auf einen erfolgreichen Feldzug! Schütze deine rechte Seite!“, erwiderte Lucius, und freute sich jetzt schon auf den besseren Wein.

Die Alaudae, Gallica und Gemina waren bereits abmarschiert, und alle erwarteten in Kürze den Marschbefehl für die XVIII Gallica. Bis dahin nutzte Lucius jede Minute zum Drill. In vier Kolonnen stapfte seine Centurie den Trampelpfad entlang. Lucius beobachtete die Männer zufrieden, Tuditanus würde nichts zu beanstanden haben.

„Kein Manipel und keine Centurie in dieser Kohorte wird durch schlechte Marschleistung auffallen“, hatte der Hammer mit einem drohenden Blick unter seinen buschigen Augenbrauen hervor gesagt. „Ihr werdet eure Männer drillen, bis sie jedes Marschmanöver im Schlaf können. Legat und Tribun werden nicht enttäuscht werden!“

Sie näherten sich einer Brücke und damit einer Gefahrenquelle. Die Überquerung eines Flusses mit oder ohne Brücke stellte im Feindesland immer eine Gefahr dar. Jeder Römer wusste aus der eigenen Geschichte, dass ein beherzter Kämpfer wie Horatius an solchen Engpässen eine ganze Armee aufhalten konnte.

„Optio, nach vorne!“, brüllte Lucius, und als das Poltern der genagelten Sohlen von Caedicius nahe war, rief er den nächsten Befehl: „1. und 2. Contubernium Laufschritt! 3. und 4. folgen! Pergite!“

Sofort eilten die beiden Contubernia mit Lucius an der Spitze auf die Brücke zu. Er hörte Ennius und Caelius hinter sich keuchen. Diese Übung war mit Gepäck eine ziemliche Tortur. Es gab aber keinen Grund, die Männer zu schonen. Sie mussten auf Situationen wie diese vorbereitet sein.

Die Bohlen hallten dumpf von den Tritten der genagelten caligae wider, als die Legionäre über die Brücke rannten. Sie erreichten die andere Seite.

„An mir ausrichten!“, stieß Lucius hervor, und rannte nach rechts.

Er hielt ungefähr fünfzehn Schritte hinter der Brücke an, und die beiden Contubernia bildeten eine Front gegen den imaginären Feind, um den Rest der Centurie beim Übergang zu decken. Jetzt kamen die nächsten beiden Contubernia unter der Führung des Signifer herangekeucht. Nachdem Fulcinus seine Position eingenommen hatte, begann Lucius die Reihen zu inspizieren.

„Enger zusammen“, knurrte er und tippte mit der vitis gegen die Schulter der Legionäre. Hastig korrigierten die Männer die Abstände. Die nächsten beiden Contubernia, angeführt von Raecius, dem Tesserarius, trabten über die Brücke, gefolgt von Caedicius mit den letzten beiden Einheiten. Lucius überprüfte und korrigierte die Aufstellung, bevor er den nächsten Befehl rief: „Signum auf die Straße! 1. bis 4. Contubernia dort Aufstelllung nehmen in Marschordnung! Antreten!“

Sofort rannten die Männer der ersten vier Reihen los und reihten sich hinter dem Signum ein.

Pergite!

Sie setzten sich in Bewegung.

„5. bis 8. Contubernia dahinter Aufstellung nehmen! Antreten!“

Eilig rannten jetzt die restlichen Männer los und nahmen hinter ihren Kameraden Aufstellung. „Pergite!

Als die Centurie wieder geordnet auf der Straße marschierte, sah sich Lucius zufrieden um. Die Überquerung der Brücke, das Wechseln in Kampfformation und wieder zurück hatten reibungslos geklappt. Das ließ doch hoffen. Bei dem Anblick eines dichten Buschwerks zur linken Hand kam ihm eine Idee. Er stieß den Cornicen an.

„Blas Alarm!“

In den Augen des Cornicen sah man die Überraschung aufblitzen, aber gehorsam blies er das Signal. Die Männer schraken zusammen und Stimmgemurmel wurde laut.

„Centurie, halt! Achtung, Feind linke Hand! Kommt aus dem Buschwerk! ACHTUNG! FEIND LINKE HAND! KOMMT AUS DEM BUSCHWERK!“, brüllte Lucius, die Rufe der Männer übertönend.

Fulcinus wendete sich nach links und lief einige Schritte vor. Die Antesignani folgten und umringten ihn.

„Centurie, Gepäck abwerfen! Am Signum ausrichten!“

Mit lautem Geschepper und Gepolter gingen die Tragestangen zu Boden. Die Männer rannten auf ihre Positionen und hatten in kürzester Zeit Aufstellung genommen.

„Ersten vier Reihen fällt pila!“

Die ersten zwei Reihen senkten die pila nach vorne, die nächsten zwei Reihen lehnten die pila auf die Schulter ihrer Vorderleute und die restlichen Reihen hielten die pila unverändert nach oben. Wie ein Igel, der seine Stacheln aufstellt. Der Anblick erfüllte seinen Zweck der Abschreckung, stellte Lucius zufrieden fest, als er die Formation umrundete.

„Signifer, Takt vorgeben, zehn Doppelschritte vor! Auf Links! Pergite!

Der Signifer markierte die Schritte durch das feste Aufstampfen mit dem linken Fuß. Stampf. Die Centurie walzte vorwärts. STAMPF. Die Männer kamen zum Stillstand.

„Nochmal zehn Doppelschritte, und lasst unseren Namen hören!“

Das Stampfen hallte über die Wiesen und Felder. Begleitet wurde es jetzt von den Rufen der Männer.

„GA-LLI-CA, GA-LLI-CA, GA-LLI-CA!“

„Lauter! Jedem, der uns hört, soll eine Scheißangst in die Glieder fahren!“, schrie Lucius.

Unter Waffen schweigen die Gesetze

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