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Oppidum Ubiorum

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Im Sitzen essen! Bei einem gesellschaftlichen Ereignis! Das war ja wohl so barbarisch wie nur irgendwas. Klar, im Felde, wo man allerlei Unbequemlichkeiten erdulden musste, da konnte so was ja noch angehen, aber hier? Lucius verlagerte sein Gewicht. Auf einer Bank sitzen! Man konnte sich nicht anlehnen, man konnte sich nicht entspannen, stattdessen hockte man an diesem Tisch und brauchte zwei Hände, um das Essen zu zerteilen. Und dann dieses Gesöff! Das Bier schmeckte so ähnlich wie die gallische cervisia. Da war ihm dieser Met noch lieber, wenn es schon keinen Wein gab. Haldavoo und seine Söhne hatten zwar das römische Bürgerrecht, aber ihre Esskultur war eindeutig barbarisch.

Es wäre aber unhöflich, ihnen das zu sagen. Immerhin hatten sie ihn eingeladen, um die Ernennung von Haldavoos ältestem Sohn Marcus Vipsanius Hristo zum neuen Präfekten der Ala Pomponianus zu feiern.

Lucius war seine Aufgabe als Ausbilder endlich los und freute sich auf einen Urlaub, bevor er im Frühjahr seine neue Centurie übernehmen würde. Er würde die Saturnalien in Augusta Treverorum feiern und seine freie Zeit in vollen Zügen genießen.

„Ich kann dir nicht zustimmen“, sagte Hristo, und brachte Lucius damit ins Hier und Jetzt zurück. Der frisch ernannte Präfekt schnitt sich ein Stück Braten herunter und warf es sich auf den Teller. Er sah Lucius über den Tisch hinweg an.

„Das römische Bürgerrecht ist nur eine Auszeichnung, so wie ein Ehrengeschenk. Mehr nicht.“

„Das römische Bürgerrecht ist mehr als das“, belehrte Lucius ihn, und probierte einen Bissen von dem Fleisch. Durchaus genießbar, dachte er überrascht.

„Das römische Bürgerrecht ist ein Privileg.“

„So? Dann lass mich von diesem Privileg wissen.“

„Du bist von persönlichen Steuern befreit und darfst in den Legionen dienen.“

„Dafür zahlt mein Stamm Steuern, zu denen ich beitragen muss, und mir reicht es vollkommen in den Kohorten oder den Alen der Ubier zu kämpfen.“

„Du hast das Recht auf einen Prozess, und bei einer Verurteilung das Recht auf eine provocatio beim Princeps.“

„Auch als Ubier habe ich das Recht auf einen Prozess auf dem Thing.“

„Du darfst nicht erniedrigt, gequält oder gefoltert werden!“

„Das darf das Thing auch nicht anordnen.“

„Du darfst nicht zur Zwangsarbeit verurteilt werden.“

„Das werde ich vom Thing auch nicht.“

„Todesurteile gibt es nur für Hochverrat, und auch dort steht dir das Recht auf Tod durch das Schwert oder durch die eigene Hand zu. Das Kreuz bleibt dir erspart.“

„Tod ist Tod. Was spielt es für eine Rolle, wodurch er herbeigeführt wird?“ Hristo lächelte. „Sieh es ein, Centurio. Deine Privilegien gelten vielleicht für die Menschen in deinem Land oder im Osten, wo sie vor Königen katzbuckeln müssen, aber nicht für die Menschen hier, die Ubier, Bataver oder Sugambrer.“

„Natürlich spielt die Todesart eine Rolle“, warf Hristos Bruder ein. „Ob du im Moor versenkt oder gehenkt wirst, ob du den Strohtod stirbst oder im Kampf, spielt sowohl für dich als auch für deine Familie eine Rolle.“

Hristo zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht. Alles in allem sehe ich das römische Bürgerrecht aber nur als Ehrenzeichen.“

„Ich sehe die Rechtsprechung als den wichtigsten Punkt“, beharrte Lucius. „Wenn das für uns Römer nicht so wichtig wäre, würden wir es nicht in die Verträge mit unseren Verbündeten schreiben. Das Recht auf einen Prozess ist nicht so selbstverständlich.“

„Für einen freien Ubier schon.“

„Und wenn du eine Reise unternimmst? Nach Lugdunum? Nach Augusta Treverorum?“

„Was soll ich da?“

Lucius hob resignierend die Arme.

„Mit jemandem, der alles verneint, kann man nicht diskutieren, und man kann ihn auch nicht überzeugen.“

„Du wirst noch auf viele Hunnos treffen, die so denken wie ich“, erklärte Hristo lachend. „Ich erkenne viele Vorteile in dem, was du gesagt hast, aber ich sehe es nicht in so leuchtenden Farben wie mein kleiner Bruder. Und andere Hunnos werden dort, wo du von Freiheit sprichst, nur die Kette der Sklaverei sehen.“

„Dann kann ich ihnen nicht helfen.“

Lucius war dieses Themas überdrüssig. Wenn die Germanen, egal ob Ubier, Bataver oder Sugambrer, die Vorteile des römischen Imperiums im Allgemeinen und des römischen Bürgerrechtes im Besonderen nicht erkennen konnten oder wollten, dann eben nicht.

Jetzt schaltete sich Haldavoo der Ältere ein, der bisher schweigend auf seinem Stuhl am Kopfende der Tafel gesessen hatte.

„Marcus,“ er nickte zu seinem jüngsten Sohn hin, dessen voller Name Marcus Vipsanius Haldavoo der Jüngere lautete, der aber zur Unterscheidung von seinem Vater nur Marcus gerufen wurde, „hat eine Einladung nach Rom bekommen.“

„Eine Einladung nach Rom?“, fragte Lucius überrascht.

„Der Statthalter Roms hat eine Einladung an alle Aldermänner und Hunnos der Ubier und Bataver geschickt“, erzählte der Häuptling. „Sie sollen einen ihrer Söhne nach Rom schicken, wo sie Gäste des Princeps sein werden.“

„Das ist eine große Ehre. Du wirst die größte Stadt der Welt kennen lernen und eine Ausbildung erhalten“, sagte Lucius begeistert. „Du hast die letzten Jahre als mein Reitknecht viel gelernt, und dir steht eine Karriere im ganzen Imperium offen.“

Die Ubier teilten seine Begeisterung nicht.

„Er wird eine Geisel sein“, widersprach Hristo. „Und allein unter Fremden.“

„Er kann Latein. Er ist klug“, entgegnete Lucius. „Es wird ihm gut gehen.“

„Ich weiß nicht“, sagte Marcus beklommen. „Rom ist viele Tagesreisen entfernt von hier. Was ist, wenn ich Hilfe und Unterstützung brauche? An wen soll ich mich wenden?“

„Mein Bruder Marcus lebt in Rom“, sagte Lucius. „Ich kann dir ein Schreiben an ihn mitgeben.“

„Was soll ein bekritzeltes Pergament nutzen?“, fragte Hristo geringschätzig.

„Es bietet dir Schutz, wie ein Gastgeber“, erklärte Lucius.

„Und dein Bruder wird einen Barbaren, der an seine Tür klopft, hereinbitten, um die Zeilen zu lesen?“, fragte Hristo spöttisch.

So angriffslustig kannte Lucius ihn gar nicht.

„Hast du heute was Falsches gegessen?“, fragte er Hristo und säbelte sich ein Stück Braten herunter. Er legte es auf seinen Teller, häufte dazu noch ein wenig Gemüse an und trank einen Schluck von dem sauren Bier.

Hristo sah ihm belustigt zu. „Centurio, ich sehe einige Vorteile, die uns dein Volk bringen kann, aber stell es bitte nicht so dar, als ob ihr wie ein Segen der Götter über uns gekommen seid. Wir haben bisher auch nicht wie die Tiere gelebt.“

Das kam immer darauf an, wen man fragte, dachte Lucius. Viele Römer sahen das anders. Er steckte sich ein Stück Braten in den Mund. So musste er wenigstens nicht direkt antworten.

„Wie würde das mit dem Schreiben funktionieren?“, hakte Marcus noch einmal nach.

Lucius überlegte kauend. Ein Schreiben alleine konnte in der Tat zu wenig sein.

„Ich werde dir ein Zeichen für das hospitium mitgeben“, sagte er dann. „Eine Tafel, auf der unser beider Namen stehen, und die Erklärung, dass du mein Gast bist. Diese Tafel breche ich in zwei Teile. Einen sende ich mit einem Brief an meinen Bruder und einen bekommst du.“

„Wenn du das tust, schulden wir dir etwas“, sagte Haldavoo der Ältere. „Ich wusste nicht, dass du einer so mächtigen Familie angehörst, dass dein Wort über Tausende von Meilen noch Gewicht hat.“

Macht und Einfluss waren ein zweischneidiges Schwert. Sie brachten Rechte, aber auch Pflichten, und konnten sogar gefährlich werden. Lucius dachte an den Brief seines Vaters, den er vor wenigen Tagen bekommen hatte. Sein Bruder Gaius vertrat in Lugdunum den Fall einiger gallischer Stämme gegen Gaius Julius Licinius. Licinius war nicht irgendein freigelassener Gallier. Er war vom göttlichen Julius freigelassen worden und diente Augustus und Drusus. Von diesen war er zum Prokurator ernannt worden. Sich gegen Licinius zu stellen war ein Risiko.

Vielleicht wird die Freundschaft eines germanischen Häuptlings meiner Familie irgendwann noch nützlich sein, dachte Lucius.

Gnaeus Justinius Marcellus grüßt seinen Sohn, den 2. Principes Centurio Lucius Justinius Marcellus

Mit Genugtuung habe ich von deiner Ernennung zum Principes Centurio gehört, und auch mit Freuden vernommen, dass du deine Pflicht tust.

Selbstverständlich habe ich dies von dir als einem Justinii Marcelli nicht anders erwartet, trotzdem ist eine Beförderung, die Verleihung der torque, ein Zeichen der Anerkennung.

Wir wissen zwar alle, dass die Legionen von heute nicht mehr mit denen von früher vergleichbar sind. Es darf bezweifelt werden, ob eine Legion heute in der Lage wäre, im Winter durch die verschneite Cebenna zu ziehen. Auch das Ausheben von 30 Meilen Befestigung in drei Wochen werden die heutigen Legionäre kaum schaffen. Sie sind doch alle verzärtelt, man hört, manche nehmen ihre Frauen mit, um sie in ihrer Nähe zu haben. Das hätte es früher nicht gegeben! Trotzdem ist ein Sieg über Germanen ein Sieg über Germanen und verdient Anerkennung, selbst wenn dieser Melon nicht so viele Krieger wie Ariovist hatte.

Dein Bruder Gaius hat mich zum zweiten Mal zum Großvater gemacht. Es gibt wieder einen Gnaeus Justinius, und ich unterstütze ihn und Julia bei der Erziehung der Kinder. Sie sollen als echte Römer aufwachsen, und jemand muss euch Jungen ja die richtigen Werte vermitteln.

Als Anwalt erregt Gaius weiterhin Aufsehen. Es sind einige Stämme aus den drei Gallien an ihn herangetreten, um ihren Fall vor dem Statthalter zu vertreten. Es geht um Ungenauigkeiten bei der Steuereintreibung. Kann man von einem Steuereintreiber jemals etwas anderes erwarten?

Gaius schwankte, ob er diesen Fall annehmen sollte, da er gegen den Prokurator klagen müsste. Dieser Gaius Julius Licinius ist immerhin von Augustus eingesetzt worden! Gaius findet es unklug, sich mit diesem Fall zu befassen. Ich aber habe ihn darüber belehrt, dass wir eine Verpflichtung unseren Klienten gegenüber haben, und dazu gehören auch die gallischen Stämme, die ich während Agrippas Statthalterschaft unter meine Fittiche genommen habe. Dein Großvater hat nicht gescheut, mit seinem Leben für das einzustehen, was für seine dignitas und die seiner Klienten oder seines Patrons das Richtige war.

Gaius muss dies noch lernen, wenn er irgendwann das Oberhaupt der Justinii Marcelli sein will. In diesem Fall habe ich als pater familias ein Machtwort gesprochen und ihm gesagt, er solle die Gallier vertreten. Vor so einem Freigelassenen soll ihm nicht bange sein!

Ich wünsche dir Erfolg, Beute und Gesundheit auf deinen weiteren Feldzügen. Sei deinen Legionären stets ein gutes Vorbild, und verlange nichts, was du nicht auch tun würdest! Sei hart, aber gerecht zu deinen Legionären! Wer die vitis spart, verzieht den Legionär.

Es grüßt dich dein Vater

Gnaeus Justinius Marcellus

Unter Waffen schweigen die Gesetze

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