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Castrum Ubiorum

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Faustus zerrte die Truhe durch die Tür, während Lucius den Altar der Hausgötter aufbaute und ein kurzes Gebet sprach. Dann öffnete er die Läden, um Luft und Licht hineinzulassen. Der Raum wurde kaum heller, das war bei dem trüben Februarwetter auch nicht zu erwarten. Überall auf den Möbeln zeichnete sich der Staub der letzten Monate ab.

„Wir müssen erstmal gründlich sauber machen“, sagte Lucius und sah sich um.

„Ja, das müssen wir wohl, dominus“, sagte Faustus und grinste.

Lucius ignorierte die Spitze. Sollte der Sklave ruhig seinen Spaß haben.

Es gab nur eine Schlafkammer. Faustus musste also in der Küche schlafen. Lucius ging durch den Wohnraum und betrat sein Dienstzimmer. Die karge Einrichtung bestand aus einem Tisch, einem Stuhl und einem Hocker. In einem weiteren Raum stand nichts außer einer leeren Truhe, sicher als Aufbewahrungsort für die Unterlagen der Centurie.

„Nun Centurio, hast du deinen Urlaub genossen?“, hörte Lucius eine vertraute Stimme. „Ich auf jeden Fall.“

Sein Optio Publius Caedicius betrat das Dienstzimmer und sah sich um.

„Sehr übersichtlich.“

„Das wird schon. Ich kann über meinen Urlaub nicht klagen“, sagte Lucius. „Wo hast du deinen verbracht?“

„Ich bin gerade aus Aquitanien zurückgekehrt.“

„Warum bist du bei Schnee, Eis und Regen nach Aquitanien gereist?“, fragte Lucius. „Du stammst doch gar nicht aus der Gegend.“

„Dort lebt meine Unsichtbarwerdendeessenkochendewaschfraubettgespielin!“, sagte Caedicius, wischte den Staub vom Hocker und setzte sich.

„Was? Wer lebt da?“

„Meine Unsichtbarwerdendeessenkochendewaschfraubettgespielin!“, wiederholte Caedicius geduldig. „So bezeichnen wir bei der Legion die Wunschgefährtin. Sie soll waschen und Essen kochen können, mit uns das Bett teilen, und wenn wir aufbrechen, unsichtbar werden.“

„Den Begriff habe ich noch nie gehört“, stellte Lucius kopfschüttelnd fest.

„Ein Wunder, wenn an man deine langjährige Erfahrung in der Legion denkt. Drei Jahre, nicht wahr?“, sagte Caedicius.

Lucius ließ sich nicht provozieren. „Vier Jahre bitteschön. Vier Jahre als miles gloriosus.“

„Vier Jahre. Verzeih‘, also 22 Jahre alt, vier Jahre unter den Adlern. Da hast du mit Sicherheit schon Unmengen an concubinae gehabt“, sagte Caedicius.

„Wohl nicht so viele wie du. Wie viele hattest du denn bisher?“

„Zwei.“ Caedicius überlegte kurz. „Drei eigentlich. Eine ist nach einem Jahr bei der Geburt des ersten Kindes gestorben. Die anderen beiden waren Witwen, hatten Kinder und bekamen von mir auch noch ein paar.“

„Wo sind sie jetzt?“

„Die zweite starb auch im Kindbett. Zwei ihrer Söhne, naja, unserer Söhne, sind mittlerweile auch bei den Adlern. In Hispanien.“

Er hatte einen nachdenklichen Blick. „Die letzte, Flora habe ich sie genannt, lebt in Aquitanien.“

„Bei ihr bist du also gewesen. Wie geht es ihr?“

„Gut“, war die knappe Antwort.

„Wann zieht sie zum Rhenus? Wir haben doch schon eine Reihe concubinae hier.“

„Gar nicht“, sagte Caedicius kurz. „Sie wird mir nicht folgen. Wir gehen getrennte Wege.“

Lucius musste an Tertia denken. Caedicius wechselte schnell das Thema.

„Wie wirst du die Centurie angehen? Du wirst doch sicher wieder Scherereien mit ihnen haben, weil du so jung bist.“

„Natürlich.“

Lucius nickte. Darüber hatte er sich in den letzten Wochen mehrfach Gedanken gemacht, und er wollte einige Dinge ausprobieren. Aber das würde er dem Optio nicht auf die Nase binden. Er wollte es ohne fremde Hilfe schaffen. Er grinste schief.

„Wie ich die Centurie angehen werde? Mit den Mitteln des miles gloriosus natürlich.“

Eines war klar, es würde keine schmissige Ansprache geben. Die letzte war ein Desaster gewesen und hatte ihm den verhassten Spitznamen miles gloriosus eingebracht. Nein, heute würde es nicht darum gehen, die Männer zu gewinnen oder zu überzeugen. Es war ganz einfach: Er war ihr Centurio und sie hatten diesem Rang Achtung und Respekt entgegenzubringen, egal was sie von seiner Person hielten.

Militis. Ich bin Centurio Lucius Justinius Marcellus!“

Lucius stand breitbeinig vor der Centurie und klopfte mit der vitis in seine Handfläche.

„Das ist Publius Caedicius, mein Optio!“

Er machte eine Pause, in der er die Männer musterte. Sie machten keinen sonderlich disziplinierten Eindruck. Es war eben die XVIII Legion.

„Wie ihr wisst, steht uns in diesem Jahr ein kleiner Ausflug über den Rhenus bevor. Außerdem steht in zwei Wochen die Equirria an, und wir wollen Mars doch nicht mit schlechten Waffen entehren. Ich erwarte, dass alles im besten Zustand ist. Daher werden wir jetzt eine kleine Inspektion vornehmen, um zu sehen, wie es um die 2. Principescenturie der 3. Kohorte steht.“

„Erste Reihe vortreten!“

Caedicius wedelte mit der Wachstafel und die Legionäre machten einen Schritt vorwärts. Gemeinsam mit Fulcinus, dem Signifer, marschierten die Inspekteure auf den ersten Legionär zu.

„Name?“, schnarrte Lucius.

„Immunis Ennius, 1. Contubernium!“, war die hastige Antwort.

Lucius überflog mit raschen Blicken die Ausrüstung. Alles war da, alles war in Ordnung, nur das Kettenhemd war ein wenig stumpf. Auch der cingulum , der Militärgürtel, konnte eine Reinigung vertragen.

„Füße hoch!“

Ennius hob gehorsam erst den einen und dann den anderen Fuß, damit Lucius die Sohlen begutachten konnte, die ausreichend mit Nägeln beschlagen waren. Zufriedenstellend. Nun war das Bündel dran. Kochgeschirr, Trinkflasche und Getreidebeutel waren in ordentlichem Zustand. Ein gutes Omen?

„In Ordnung!“

Er tippte Ennius mit der vitis auf die Brust.

„Das Kettenhemd und der Gürtel könnten besser gereinigt werden. Optio, schreibe auf: Ennius 1. Contubernium: Alle Metallgegenstände haben bis morgen zu glänzen!“

Ennius schaute ihn ungehalten an.

„Fragen, Immunis?“, bellte Lucius.

Ennius starrte geradeaus.

„Nein, Centurio!“

„Sehr gut. Name?“

Lucius winkte den zweiten Mann des Contuberniums nach vorne.

„Immunis Bruttius, 1. Contubernium!“

Bei Bruttius sah die Sache schon anders aus. Das Kettenhemd hatte einige schadhafte Ringe. Bei zwei Schnallen war das Leder durchgescheuert, der Tragriemen vom pugio schien nur noch von der letzten Faser gehalten zu werden.

Gladius!“, schnauzte Lucius den Immunis an, der hastig das pilum in den Boden rammte und sein gladius zog. Lucius begutachtete es kurz und fragte dann mit ruhiger Stimme: „Was ist das?“

„Mein gladius, Centurio!“, sagte Bruttius erstaunt.

„Bist du sicher?“

Lucius fuhr mit dem Daumen die Klinge entlang.

„Die Klinge ist stumpf. Hat ein gladius eine stumpfe Klinge?“

Bruttius sah ihn unsicher an. Er fuhr nervös mit der Zunge über seine Lippen.

„Willst du mich küssen? Oder mir ein eindeutiges Angebot machen?“, polterte Lucius los.

„Nein, Centurio!“

„Dann behalte deine Zunge im Mund, da wo sie hingehört!“

Bruttius schloss den Mund.

„Hat ein gladius eine stumpfe Klinge?“, wiederholte Lucius seine Frage.

„Nein!“, sagte Bruttius tonlos.

„Ich kann dich nicht hören!“

„NEIN, CENTURIO!“, schrie Bruttius.

„Also. Ich wiederhole meine Frage. Was ist das dann hier?“

Bruttius blieb die Antwort schuldig, und Lucius untersuchte das Bündel.

„Optio. Legionär Bruttius hat in den nächsten drei Wochen jeden zweiten Wachdienst, damit er lernt, sorgfältig mit seiner Ausrüstung umzugehen.“

„Er ist Immunis!“, ließ sich Fulcinus, der Signifer, vernehmen.

„Jetzt nicht mehr!“, bemerkte Lucius, und winkte den nächsten Legionär nach vorne.

Die Inspektion zeigte bereits Wirkung, stellte Lucius zufrieden fest. Die Legionäre machten langsam einen etwas verunsicherten Eindruck.

„Vortreten! Name?“

„Immunis Siccius, 2. Contubernium.“

Mal sehen, wo hier der Hund begraben lag. Siccius hatte ein schadhaftes Kettenhemd, obendrein fehlte noch die Tragestange mit dem Marschgepäck. Er hatte den Befehl, die vollständige Ausrüstung mitzubringen, einfach ignoriert.

„Legionär Siccius ist für die nächsten drei Wochen auf Gerste gesetzt und sein Sold wird um ein Drittel gekürzt. Damit er das Befolgen von Befehlen lernt. Außerdem übernimmt er jeden zweiten Wachdienst.“

Unruhe breitete sich in der Centurie aus.

„Nächster!“

Lucius winkte den nächsten Legionär des 2. Contuberniums nach vorne. Auch bei diesem fehlte das Marschgepäck, die Waffen waren vollkommen verwahrlost. Eine echte Schande. Neben der Soldkürzung und dem zusätzlichen Wachdienst durfte er sich auch besonders intensiv um die Latrine kümmern, entschied Lucius.

„Nächster!“

Auch die nächsten sechs Legionäre hatten samt und sonders das Marschgepäck nicht dabei, und darüber hinaus noch ungepflegte Waffen. Daher durften auch sie sich allesamt in den nächsten drei Wochen um die Latrinen kümmern und mit einer Soldkürzung leben.

„Name?“

„Legionär Andarius, 2. Contubernium!“, sagte der ältere Legionär, der an letzter Stelle stand. Merkwürdig, dass ein so alter Legionär nicht mindestens Immunis war. Noch überraschender war, dass bei ihm die komplette Ausrüstung vorhanden und in gutem Zustand war. Die Waffen waren gepflegt, das Kochgeschirr sauber.

„Zufriedenstellend“, lobte Lucius. „Legionär Siccius?“

„Jawohl, Centurio!“

„Komm her und nimm den Platz hier hinten ein!“

Mit verkniffenem Gesicht kam Siccius und stellte sich auf Andarius‘ Platz.

„Immunis Andarius, du übernimmst dieses Contubernium. Geh nach vorne auf deinen Platz!“

Lucius beglückwünschte sich zu dieser guten Idee. Jetzt konnten alle sehen, dass gutes Verhalten sofort belohnt wurde.

„Bis die Ausrüstung beim ganzen Contubernium in Ordnung ist, bekommen alle nur Gerste“, wies Lucius Caedicius an.

Sie setzten die Inspektion fort, und am Ende war Caedicius‘ Wachstafel über und über mit Strafen gefüllt. Das 5. Contubernium war ähnlich verwahrlost wie das 2. und bekam daher wechselnden Latrinendienst mit dem zweiten aufgebrummt. Das 7. Contubernium landete geschlossen auf Gerste, das 9. Contubernium durfte sich mit zusätzlichem Marschdrill anfreunden. Zufrieden beendete Lucius die Inspektion und ließ die Männer wegtreten.

„Auf ein Wort, Centurio.“

Fulcinus, der Signifer, blieb vor Lucius stehen.

„Ich weiß nicht, ob das so klug war!“, sagte er und nickte zum 2. Contubernium hin. „Andarius ist ein Spätberufener. Das gibt böses Blut.“

Spätberufene waren Männer, die sich erst nach vielen Jahren, manchmal sogar erst mit Ende zwanzig zur Legion meldeten. Die Blicke, die die Männer des 2. Contuberniums Andarius zuwarfen, waren alles andere als freundlich. Lucius beschlichen Zweifel. Hatte er einen Fehler gemacht? Würde Andarius im Contubernium zum Außenseiter werden und am Ende gar Prügel beziehen? Auf dem Schlachtfeld konnte er ohne den Schutz seiner Männer schnell tot sein. Ein Rückzieher kam aber jetzt nicht mehr infrage, wenn Lucius seine Autorität nicht gefährden wollte. Hoffentlich wird das gutgehen, dachte er bei sich.

Laut knurrte er ungehalten: „Ach was! Abmarsch vor das Lager!“

Die Centurie marschierte nach Norden auf den verlandeten Flussarm zu. Während des Marsches befahl Lucius Schwenks, Rückzüge und Laufschritt. Auch die testudo, die Schildkrötenformation, ließ er üben. Er beobachtete mit Argusaugen die Geschwindigkeit und Präzision, mit der eine Formation eingenommen wurde.

Als die Männer in der Pause zusammensackten, als ob sie einen Gewaltmarsch hinter sich hätten, setzte Lucius diesen sofort ganz oben auf seine Liste. Für seinen Plan musste die Centurie in bester Verfassung sein.

Am nächsten Morgen stand wieder eine Inspektion an. Diesmal stattete Lucius den Baracken einen Besuch ab. Zu allem hatte er Fragen, denn alles war wichtig. Die Sicherheit der Feuerstellen? Schließlich sollte keiner das Lager abfackeln. Die Sauberkeit? Es würden sich noch früh genug Krankheiten einschleichen. Die Vorräte? Die Männer mussten gut und ausreichend essen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Bevor der Feldzug beginnt, wird so mancher Schweiß fließen, dachte Lucius grimmig.

Marcus Cornelius Plautus Justinianus grüßt seinen Bruder den Centurio Lucius Justinius Marcellus.

In ganz Rom gibt es derzeit nur ein Gesprächsthema: Die erzwungene Scheidung von Tiberius und Vipsania Agrippina. Jetzt, wo Agrippa tot ist, brauchte Julia einen neuen Ehemann, und dieser ist niemand anderes als ihr Stiefbruder. Tiberius ist nach Claudius Marcellus und Marcus Agrippa ihr dritter Mann. Obwohl der Klatsch sagt, dass Julia früher einmal in Tiberius verliebt war, hat sie sich, so heißt es, mit Händen und Füßen gegen diese Hochzeit gewehrt. Auch Tiberius wollte diese Hochzeit nicht, er war mit Vipsania glücklich. Augustus hat sich aber weder davon, noch von dem eigenen Dreikindgesetz beeindrucken lassen.

Die Omen waren entsprechend schlecht – Donner während der Hochzeitzeremonie, ein zweiköpfiges Kalb wurde geboren, vor dem Tempel der Bellona soll es Blut geregnet haben und ein schwarzer Hund ist in den Tempel des Mars ultor eingedrungen. Augustus hat trotzdem auf die Hochzeit bestanden, und Tiberius ist nach der Zeremonie Hals über Kopf zu seinen Legionen nach Pannonien abgereist. Was soll aus einer Ehe entstehen, die so anfängt?

Man kann ja verstehen, dass sich Julia nicht mehr für ihn erwärmen kann. Tiberius war noch nie der Geselligste, seit er sich aber diesen Ausschlag zugezogen hat, ist er auch nicht mehr der Hübscheste. Ganz anders als Julias bevorzugter Begleiter vor der Ehe, Iullus Antonius. Der Mann sieht gut aus, ist charmant, hat Witz. Natürlich gibt es die wildesten Spekulationen, was zwischen den beiden läuft, aber das spielt keine Rolle. Egal, ob die beiden was miteinander haben oder nicht, die Art und Weise, wie sie in der Öffentlichkeit auftreten, ist ein Skandal und eine Provokation für Augustus.

Drusus hat Antonius nun erneut als Legat angefordert, angeblich, um ihn von Rom fernzuhalten. Was erbittert Tiberius jetzt mehr? Dass er eine glückliche Ehe beenden musste? Dass Gaius und Lucius, die Söhne des Agrippa, schon vor Jahren von Augustus adoptiert wurden und ganz offen als seine Erben aufgebaut werden? Dass er den Stiefvater für die übrigen drei Kinder von Agrippa geben muss? Dass Augustus bei jeder Gelegenheit betont, dass die Kinder Julias Kinder sind und damit nichts anderes sagt, als dass nur ihre Kinder seine Erben werden und nicht Tiberius und sein Sohn? Fragen über Fragen.

Man kann den Faden noch weiter spinnen. Was ist mit Drusus und seinen Kindern? Und was ist, falls Tiberius und Julia einen gemeinsamen Sohn haben? Immerhin heißt es, dass Julia, freiwillig oder gezwungenermaßen, das Jahr bei ihrem Mann in Panonnien verbringt. Demnächst mehr.

Vale.

Unter Waffen schweigen die Gesetze

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