Читать книгу Unter Waffen schweigen die Gesetze - Klaus Pollmann - Страница 7
Auf dem Forum
ОглавлениеFrüher hatten im Oppidum Ubiorum nur ein paar Fischer, Bauern und Handwerker gelebt. Mit den Legionen kam die übliche Mischung von Schankwirten, Huren, Soldatenliebchen und deren Bastarde dazu.
Haldavoo, der Häuptling der Familie, in deren Machtbereich das Oppidum Ubiorum lag, hatte einen Tempel der Roma errichtet, um die Dokumente, Verträge, Urkunden und Schriftstücke zu lagern, die sich aus dem Kontakt mit dem Imperium ergaben. Andere Sippen hatten ihre Dokumente ebenfalls hier gelagert, und um die Kontrolle über die Stadt und das Heiligtum nicht einer Familie alleine zu überlassen, hatten weitere einflussreichen Familien angefangen, hier Häuser zu errichten und einen Tempel für den Divis Julius, den göttlichen Julius, in Auftrag gegeben. Familien, die früher über die ganze civitas verteilt lebten, hatten ihre pagi verlassen, um hierher zu kommen.
Es folgten die römischen Händler. Händler wie Appius Maestus, der sich im Oppidum einige Grundstücke gesichert hatte und entschlossen war, seinem Vater zu beweisen, dass die Geschäfte hier auch weiterhin ein Erfolg sein würden.
Drusus hatte das Forum pflastern lassen und den Bau einer basilica in Auftrag gegeben.
Heute war Markttag und das ganze Oppidum schien auf den Beinen zu sein. Lucius genoss es, als Zivilist durch die Straßen zu schlendern. Keine rote Tunika, kein Militärgürtel – nur die vitis wies ihn als Soldat und Centurio aus. Appius und seine Familie begleiteten ihn. Lucius steuerte zielsicher einen Stand mit Büchern an und war bald völlig in den angebotenen Schriften versunken.
Da drangen auf einmal lautes Lachen und Grölen über den Platz. Eine Horde Legionäre betrat das Forum. Anfangs hatte nur eine Legion hier überwintert, aber mittlerweile waren es vier. Überall traf man auf betrunkene Legionäre, die sich langweilten. Sie waren der Traum aller Schank- und Bordellbesitzer und der Schrecken aller übrigen Bürger.
So weit ist es schon gekommen! Bald müssen wir unsere Frauen und Töchter verstecken, dachte Appius angewidert, und ging zu seiner Frau hinüber. Das Forum leerte sich schnell, die meisten Forumsbesucher verschwanden vorsichtshalber in den Seitenstraßen. Viele Händler bauten ihre Stände ab, besonders die Geschirrhändler packten eilig zusammen. Die betrunkenen Legionäre lärmten ausgelassen zwischen den verbliebenen Ständen herum.
Appius verstand es, mit Tagelöhnern und Arbeitern umzugehen, oder auch mit zwielichtigen Gestalten, wie Geldverleihern und Schutzgelderpressern. Bei diesen Männern wusste er, woran er war. Selbst der übelste Halsabschneider wollte Geld verdienen und nicht sein Leben riskieren.
Legionäre waren anders. Sie folgten Gesetzen und Regeln, die kein normaler Mensch verstand. Appius sah zu Lucius hinüber. Wenn der sich doch nur schneller seine Bücher aussuchen würde! Dasselbe dachte wohl auch der Händler am Stand, dem allmählich der Schweiß ausbrach. Appius wechselte einen besorgten Blick mit Domitia, die die kleine Domitia Prima eng an sich drückte. Die Legionäre kamen immer näher und waren offensichtlich bester Laune. Appius‘ gravitas erlaubte ihm nicht, seine Besorgnis zu zeigen, aber innerlich verspürte er Furcht. Er wandte sich hilfesuchend zu Lucius um, der aber sah nur die Bücher vor sich.
„Hallo, Schätzchen!“ Ein schriller Pfiff und anzügliches Gejohle ertönten.
„Nicht umdrehen“, sagte Appius leise und legte seiner Frau die Hand auf die Schulter. Er spürte, wie Domitia am ganzen Körper zitterte.
Die unrasierten Legionäre in ihren schmuddeligen Tuniken prosteten sich grinsend zu und klopften zweideutige Sprüche. Ihr aggressives Auftreten erschreckte Appius zutiefst.
„Lucius! Lucius!“
Nur langsam sickerten die Rufe in sein Bewusstsein.
„Hm?“
Lucius drehte sich zu Appius um. Er konnte sich nur schwer von der Schriftrolle losreißen, die er gerade auf Kopierfehler durchgesehen hatte.
Appius zischte so etwas wie „lass uns endlich verschwinden“.
Lucius sah sich auf dem Forum um. Überrascht stellte er fest, dass die meisten Besucher gegangen waren. Eine Gruppe angetrunkener, ausgelassener Legionäre lief zwischen den Ständen herum. Ein paar lungerten neben dem Bücherstand herum. Lucius sah verwundert zu seinem Freund und dessen Frau. Domitia starrte die Legionäre entsetzt an. Lucius verstand.
Zivilisten!, dachte er. Da hatten die Soldaten mal Spaß, und schon machten sie sich in die Tunika.
Er sah sich die Männer an. Natürlich waren sie ziemlich besoffen. Besoffen und vergnügungssüchtig, aber mehr gutmütig als bösartig. Na gut, da waren die anzüglichen Bemerkungen, aber die konnte man doch mit der nötigen gravitas über sich ergehen lassen.
„Ich kümmere mich darum!“, sagte Lucius und griff nach seiner vitis.
„Ach, sind sie aus deiner Legion?“, fragte Domitia erleichtert.
„Was? Äh, keine Ahnung!“
Lucius musterte die Gruppe.
„Nein, ich glaube nicht!“
Er ging auf die Männer und steckte zwei Finger in den Mund. Ein schriller Pfiff ertönte.
„Achtung!“
Die Männer zuckten zusammen, sahen die vitis, hörten den vertrauten Kommandoton − und standen stramm.
„Jawohl, Centurio!“
„Hört auf hier herumzuschreien und die domina zu belästigen!“
„Jawohl, Centurio!“
„Dann Abmarsch, und ab jetzt ein bisschen leiser!“
„Jawohl, Centurio!“
Die Legionäre zogen brav ab. Lucius hätte beinahe laut gelacht, als er Appius‘ ungläubiges Gesicht sah. Doch da bemerkte er, wie Faustus über das Forum auf ihn zukam.
Er wurde von einem kräftigen Mann begleitet, der finster hinter ihm her stapfte.
„Dominus! Das ist Ancus Haterius, der Bruder der Dame Tertia“, rief Faustus, wurde aber rüde beiseitegeschoben. Ancus Haterius hielt sich nicht mit langen Vorreden auf.
„Centurio, ich verlange eine Erklärung!“
Immerhin wollte er reden und war nicht gleich mit gezücktem Dolch auf ihn losgegangen. Lucius zeigte auf den nächstgelegenen Weinstand. Haterius nickte und holte einen Krug Wein und zwei Becher.
„Wir sehen uns später“, sagte Lucius zu Appius und Domitia, ohne auf ihre fragenden Mienen zu achten. „Faustus, du wartest dort.“
Haterius füllte die beiden Becher und stellte den Krug zwischen sie.
„Ich verlange eine Erklärung von dir. Wieso ist meine Schwester seit vier Monaten in deinem Haus? Selbst wenn du sie in Augusta Treverorum gerettet hast. Ja, Tertia sagte tatsächlich ‚gerettet‘.“
Er rang nach Luft.
„Vor dem Bruder ihres verstorbenen Mannes. Sonst hat Tertia nicht viel gesagt, das brauchte sie auch nicht.“
Haterius nahm einen langen Schluck.
„Ich hatte Vater gewarnt. Eine alte Familie, das schon, aber sie taugt nichts. Der jüngere Sohn war noch der beste des ganzen Wurfes.“
Haterius stürzte den restlichen Inhalt des Bechers herunter.
„Tatsächlich war er ein feiner Kerl, aber ich kenne auch seinen Bruder, dieses Schwein, und seine Frau, diese Harpyie.“
Er kippte den nächsten Becher herunter. Lucius sah ihn verblüfft an. Wollte er nach jedem Satz einen Becher kippen? Lucius schenkte ihm den dritten Becher ein, aber an dem nippte Haterius nur.
„Also, was immer in Augusta Treverorum an den Saturnalien vorgefallen ist, ich danke dir, dass du meine Schwester von dort ins Oppidum gebracht hast.“
Gern geschehen, zeigte Lucius mit einer Geste. Er wusste sowieso nicht, was er sagen sollte, und Haterius war so schön in Schwung. Haterius fixierte ihn mit seinem Blick.
„Das erklärt aber nicht, warum du sie nicht, wie es deine Pflicht gewesen wäre, bei ihrer Familie abgeliefert hast.“
„Du hattest mit deiner Familie den Ort bereits verlassen, um bei deinem Bruder zu überwintern. Ihr seid Meilen entfernt gewesen“, erinnerte ihn Lucius.
„Das heißt aber nicht, dass sie die H …, äh, im Haushalt eines Centurio wohnen soll.“
Haterius‘ Blick wurde geradezu durchbohrend.
„Sie hat in deiner Unterkunft den ganzen Winter verbracht. Ich bin sicher, ihr habt nicht nur Gedichte rezitiert.“
Lucius verzog keine Miene. Er musste sich beherrschen. Er durfte dieses Ekel weder auslachen, noch ihm eine reinhauen. Tertia würde es ausbaden müssen.
„Wir sind eine sehr traditionsbewusste Familie“, hatte sie erzählt. Schon die Namen Ancus und Novius bewiesen, was für eine Gesinnung die Familie hatte. Wer nannte seine Kinder heute noch so? Lucius entschloss sich also zu einer diplomatischen Antwort.
„Ich habe deine Schwester mit großem Respekt behandelt. Sie war auch nicht in einer Taverne untergebracht, sondern wohnte in dem Haus des angesehenen Appius Maestus. Seine Frau Domitia hat sich ihrer angenommen und ich habe ihr meine Sklavin Fausta zur Verfügung gestellt“, erklärte Lucius. „Ich war ebenfalls Gast in diesem Haus und hatte natürlich ein anderes Zimmer.“
Sie starrten einander an. Lucius konnte erkennen, wie es im Kopf des anderen arbeitete. Vielleicht erhoffte Haterius sich vom Wein Inspiration, denn er leerte den Becher erneut in einem Zug.
„Wenn du sie mit zur Legion nehmen willst, das kannst du vergessen!“, brach es aus Haterius heraus. „Soll sie in einer dieser miesen Hütten vor dem Lager wohnen? Hast du so was mit meiner Schwester im Sinn?“
„Was denkst du von mir? Dass ich deine Schwester wie eine Straßenhure behandle? Sie in einem Stall halte, jeden Abend beehre, danke für den Fick und auf Wiedersehen?“
Haterius lief rot an und stellte den Becher mit einem lauten Knall auf den Tisch.
„Wir Haterii sind zwar nur Plebejer der dritten Klasse, aber wir sind stolz auf unseren guten Namen. Ich will wissen, ob du unsere Familie entehrt hast!“
Lucius erhob sich und spielte den tödlich Beleidigten.
„Du sprichst von eurer Ehre, aber was ist mit meiner? Mit der dignitas der Justinii Marcelli? Glaubst du, ich bin über sie hergefallen? Glaubst du, ich habe sie gezwungen, Gast in dem Hause zu sein? Glaubst du, sie hat sich mir an den Hals geworfen wie eine Straßenhure?“
Haterius starrte ihn unverwandt an und Lucius entdeckte kein Fünkchen Wohlwollen in seinem Blick. Er bekam plötzlich Angst um Tertia. Auch wenn sie nicht mehr unter der Vormundschaft ihres Bruders stand, konnte dieser sie doch aus verletztem Ehrgefühl töten, gleichgültig, ob er das Recht hatte oder nicht. Lucius legte seine linke Hand an sein Gemächt und hob die rechte zum Schwur.
„Ich schwöre, dass ich deine Schwester mit größtem Respekt behandelt habe und dass wir in getrennten Zimmern untergebracht waren.“
Das war immerhin nicht gelogen. Hoffentlich entging Haterius der Unterschied zwischen getrennt untergebracht und getrennt schlafen. Haterius mahlte mit dem Kiefer als müsste er die Worte zerkleinern.
„Außerdem ist deine Schwester nicht dumm. Sie braucht eure Hilfe, nicht meine!“, ergänzte Lucius, um Haterius auf eine andere Spur zu bringen. „Wie kann ihr ein Centurio bei ihrer Mitgift helfen? Wie soll ein Centurio sie schützen und für sie sorgen, wenn er irgendwo jenseits des Rhenus in den germanischen Wäldern steckt?“
Haterius sprang auf das Wort Mitgift an.
„Was ist mit der Mitgift?“
„Sie hat sie nicht zurückbekommen“, sagte Lucius. „Ihr Schwager hat sie behalten.“
„Dieser Scheißkerl“, fluchte Haterius. „Möge Pluto ihn in den Arsch ficken. Wie kann er es wagen?“
„Es war niemand da, der sie beschützen konnte. Ihre Brüder waren weit weg.“
Lucius nippte am Wein. Bacchus hilf! Was für ein Gesöff! Haterius aber hatte schon den nächsten Becher zur Hälfte geleert.
„Ich werde Novius sofort schreiben. Wir müssen beraten, was geschehen soll, sie braucht einen neuen Mann.“
Haterius schien mit seinem Becher zu sprechen.
„Und wir müssen diese Mitgift wiederhaben.“
Der Gedanke belebte ihn. Lucius versetzte das Gesagte einen Stich. Tertia sollte heiraten? Natürlich, irgendjemand musste sich ja um sie kümmern.
„Empörend wie das mos maiorum, die Sitten der Väter, dauernd verändert werden!“, sagte Haterius plötzlich. „Dieses neumodische Zeug, wonach die Frau ein eigenes Vermögen hat und jederzeit ausziehen kann.“
Er schüttelte sich angewidert.
„Was soll aus Rom werden, wenn wir unsere Traditionen aufgeben?“
Traurig leerte er den Becher und Lucius schenkte nach. Je mehr Haterius trank, desto weniger würde er sich später an alles erinnern.
„Tertia hat gesagt, eine Manusehe kommt nicht mehr für sie infrage. Zweimal sei genug.“
Er donnerte die Faust auf den Tisch und die anderen Gäste sahen herüber.
„Nicht infrage! So weit ist es schon gekommen. Jetzt wollen die Frauen schon mitreden.“
„Euer Vater ist tot, ihr Mann auch. Sie hat drei Kinder geboren, damit ist sie jetzt sui iuris, mündig, auch wenn keines der Kinder überlebt hat.“
Der Hinweis konnte nicht schaden. Lucius nippte wieder an seinem Becher und wiederholte: „Sie ist sui iuris, und kann also über sich selbst bestimmen.“
Haterius sah ihn verschlagen an.
„Theoretisch. Quot licet iovi, non licet bovi. Was den noblen Frauen gestattet ist, ist den einfachen noch lange nicht erlaubt. Unsere Frauen brauchen jemanden, der sie beschützt, der sie vor Gericht vertritt. Unser Vater ist tot, also wäre es am besten für sie, wenn sie sich unter unsere Vormundschaft stellen würde.“
Sein Blick verfinsterte sich.
„Ich kenne ein paar achtbare Römer. Die wären bestimmt daran interessiert, eine Witwe zu heiraten, die bewiesen hat, dass sie fruchtbar ist. Novius kennt auch ein paar Bauern, die Witwer sind und eine neue Frau für den Hof und die Kinder suchen.“
Lucius schwieg. Nur nichts Falsches sagen.
„Du hast sie gerettet, dafür danke ich dir. Auch, dass du sie sicher hierher gebracht hast“, begann Haterius von Neuem. „Auch für deine Gastfreundschaft danke ich dir. Appius Maestus werde ich schreiben.“
Lucius neigte sein Haupt und nahm den Dank schweigend entgegen. Haterius schwankte davon, ohne bezahlt zu haben.
Lucius starrte auf seinen fast vollen Weinbecher. Sollte er Tertia vielleicht fragen, ob sie bei ihm bleiben wollte, wie Faustus es vorgeschlagen hatte, als seine concubina, seine Lebensgefährtin? Er grübelte. Morgen würde er endlich wieder eine Centurie übernehmen. Die 2. Principescenturie der 3. Kohorte der XVIII Legion. Auf dieses Kommando freute er sich. Seit die Ala Pomponiani zu Beginn des Winters über die civitas verteilt worden war, um Futter für die Pferde zu sparen, hatte er kein Kommando gehabt. Vier Monate Urlaub klang in vielen Ohren wie ein Venuswurf und er hatte sie genossen, aber ohne Kommando keine Aufgabe, ohne Aufgabe keine Beförderung, kein Ruhm, keine Beute, keine Möglichkeit, den anderen Centurionen zu beweisen, dass er ein guter Centurio war, trotz seines jungen Alters.
Seine Gedanken kehrten zu Tertia zurück. In ein paar Monaten war er mit der neuen Centurie weit weg, jenseits des Rhenus. Wenn er ein Kommando im Osten oder in Africa hätte, wo die Legionen wenig außerhalb der Stellungen unterwegs waren, dann sähe die Lage anders aus. Er konnte sie nicht mitnehmen, und ließe er sie hier als seine concubina, würden ihre Brüder sie vermutlich töten. Da war es doch besser, Tertia bliebe eine ferne, schöne Erinnerung. Traurig kramte er einige Münzen hervor und legte sie auf den Tisch.