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Principes Centurio Oppidum Ubiorum

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Lucius wachte wie immer vor Tagesanbruch auf. Durch die Fensterläden schimmerte bereits das Licht des neuen Tages. Lucius lauschte auf die gleichmäßigen Atemzüge von der anderen Seite des Bettes. Tertia schlief noch. Leise schwang er sich aus dem Bett und suchte nach seiner weißen Leinentunika, streifte sie über und tapste zur Tür.

Er hatte den Winter bei seinem Freund Appius Maestus in Augusta Treverorum verbracht und war mit ihm ins Oppidum Ubiorum zurückgekehrt.

Appius Maestus‘ Haus war eines der komfortabelsten Häuser im Oppidum und konnte sich durchaus mit den Häusern der Magistrate messen. Es bewies, dass Appius Recht gehabt hatte: Das Oppidum Ubiorum war eine Goldgrube. Appius‘ Vater hatte das bezweifelt.

„Kein Kupferas bekommst du von mir“, hatte der alte Maestus unmissverständlich gesagt. „Du meinst, du könntest erfolgreich sein, na, dann los.“

Nach bereits zwei Jahren konnte sich das Geschäft sehen lassen. Aus Appius war ein angesehener Händler und Bauunternehmer geworden.

Das Haus erwachte nur langsam zum Leben. Wie jeden Morgen huschte Janus umher, löschte die Nachtlampen und entzündete das Herdfeuer.

„Deine posca wird gleich fertig sein“, begrüßte der Sklave Lucius.

„Wo ist Faustus?“

„Er erwartet dich im Bad.“

„Appius und Domitia?“

„Der dominus und die domina schlafen noch. Ich werde sie in einer Stunde wecken.“

Jeden Morgen der gleiche Wortwechsel, fast wie ein Ritual. Lucius nickte Janus noch einmal zu und ging dann in Richtung Bad, wo sein Sklave Faustus ihn erwartete.

Der Junge stammte von den Dakern ab und war entsprechend groß, da er aber als Sklave in Gallien geboren war, konnte er in seiner Muttersprache nur fluchen.

Lucius streifte die Tunika ab und setzte sich auf einen Schemel. Faustus wusch ihn mit einem Schwamm ab, während Lucius seinen Gedanken nachhing.

„Die Nachbarn reden“, sagte Faustus und schrubbte nicht gerade sanft mit einem Metallschaber über Lucius‘ Rücken.

„So? Was reden sie denn?“

„Ein Mann und eine Witwe zusammen unter einem Dach, da weiß man, was vorgeht. Keine ehrbare Frau würde so etwas tun“, sagte Faustus. „Ganz gleich, wie groß die Wohnung ist. Aber bei Appius Maestus mit einem …!“

Faustus verstummte.

„Ja?“, fragte Lucius.

„Mit einem ausgehungerten Soldaten in einem Haus. Mithridates, der Janitor von gegenüber, sagte: Ein Wunder, dass Tertias Schreie nicht die ganze Nachbarschaft wachhalten. Du würdest sie doch bestimmt jede Nacht besteigen.“

Sklavenklatsch war kein bisschen diskreter und vornehmer als Soldatenklatsch, das wusste Lucius, aber irgendwie war es etwas anderes, Ziel des Klatsches im Oppidum zu sein als im Castrum.

„Ich habe ihm gesagt, er soll nicht von seinem Herren auf meinen schließen.“

Lucius hatte das Gefühl, irgendwas dazu sagen zu müssen. „Ah ja, gut.“

„Die Dame Tertia sei ein geehrter Gast in diesem Hause, genauso wie der Centurio Marcellus. Wenn anderweitige Gerüchte in Umlauf gerieten, würde der Centurio so einen klatschsüchtigen Janitor verantwortlich machen.“

Faustus machte ein selbstzufriedenes Gesicht.

„Dann würde der Centurio den klatschsüchtigen Janitor einfach kaufen und mit zur Legion nehmen.“

Jetzt lachte Faustus ein wenig schadenfroh.

„Das brachte sein lüsternes Grinsen zum Verschwinden.“

„Ja, gut“, wiederholte Lucius lahm.

Faustus hatte die Waschung beendet und reichte ihm ein Tuch zum Abtrocknen.

„Gestern kam die Antwort.“

„Was für eine Antwort?“, fragte Lucius.

„Tertias Bruder Ancus Haterius ist im Oppidum eingetroffen“, sagte Faustus tonlos.

„Er ist gestern angekommen? Warum hast du mich nicht informiert?“, fragte Lucius erbost. „Die Dame Tertia hätte gestern schon in sein Haus gehen können.“

„Das hatte ich irgendwie vergessen“, sagte Faustus. „Verzeih mir.“

Lucius warf ihm einen durchdringenden Blick zu.

„Was sage ich Haterius jetzt, warum seine Schwester noch eine Nacht hier geblieben ist?“

„Sag ihm, dass du einen nachlässigen Sklaven hast, der die Peitsche verdient“, erwiderte Faustus gelassen und begann mit der Rasur.

„Du bringst mich auf gute Ideen“, drohte Lucius.

„Was ist, wenn er dich verklagt? Oder sein Bruder?“, fragte Faustus.

„Das werden sie nicht“, meinte Lucius zuversichtlich. „Weswegen auch?“

„Oder wenn er sie tötet?“

„Das wäre Mord. Sie untersteht nicht ihren Brüdern. Sie ist Witwe, hat dreimal geboren, ihr Vater ist tot. Folglich ist sie sui iuris, mündig, und für sich selbst verantwortlich“, sagte Lucius.

„Ob ihre Brüder das auch so sehen?“, fragte Faustus, und kratzte die Bartstoppeln am Kinn ab. „Sie gelten als so konservativ wie Cato.“

Eine Weile war nur das leise Schaben von Faustus‘ Messer zu hören.

„Hast du Tertia mal gefragt, ob sie bei dir bleiben will?“, fragte er dann unvermittelt.

„Sie wird doch nicht mit mir durchs Imperium ziehen wollen.“ Lucius seufzte tief. „Schön wäre es aber.“

„Ja, aber hast du sie gefragt?“

„Wenn sie bei mir bleiben wollte, hätte sie doch was gesagt.“

Was dachte sich Faustus eigentlich?

„Also hast du sie nicht gefragt!“

Faustus wischte ihm mit einem feuchten Tuch durch das Gesicht und reichte ihm eine frische Leinentunika.

„Nein, ich hab sie nicht gefragt.“

Lucius streifte die Tunika über und raffte sie, um sie zu gürten.

„Kümmere dich um meine posca!“

Den Winter über war Tertia seine Bettgefährtin gewesen. Was danach sein würde, hatte er sich nie gefragt. Bald würden die Legionen ausrücken, und nur die Götter wussten, wann sie zurückkehrten.

Wollte er überhaupt zu ihr zurückkehren? Er nahm den dampfenden Becher posca entgegen und trank einen langen Schluck. Das Getränk vertrieb den letzten Rest Schlaf aus dem Körper und sorgte für einen klaren Kopf.

Jemanden zu haben, zu dem man zurückkehren konnte, das wäre ein schönes Gefühl. Aber war Tertia dieser Jemand? Das war die Frage.

Im Haus begann es zu rumoren.

Und wenn sie bei ihm bleiben würde? Was würde ihre Familie sagen? Wo sollte sie wohnen? In einem vicus oder im Oppidum? Wovon sollte sie in seiner Abwesenheit leben? Er könnte Monate und Jahre fort sein, so viel Geld konnte er nicht für sie zurücklassen. Anspruch auf seinen Sold konnte sie nicht erheben.

Er ging in die Schlafkammer zurück. Tertia war aufgewacht.

„Fausta sieht noch nach ihrem Kleinen und wird gleich für dich da sein“, begrüßte Lucius sie. Tertia machte keine Anstalten aufzustehen und nickte nur. Lucius ließ seinen Blick über ihren nackten Körper schweifen. Tertia war kräftig gebaut. Man sah ihr die Schwangerschaften an. Es war aber nicht ihr Körper, der ihm an Tertia aufgefallen war, sondern ihr Gesicht und ihre Augen. Ein Gesicht, das hart aussah, wenn sie ernst oder nachdenklich war, sich aber gänzlich veränderte, sobald sie lächelte. Es war, als ob sie eine Maske abnähme und darunter ein anderes Gesicht zum Vorschein käme. Ein strahlendes, freundliches Gesicht mit wunderschönen Augen. Er schmunzelte.

„Woran denkst du gerade?“, fragte sie.

„An den Tag, als ich eine Bemerkung über deine Augen gemacht habe und Du mich ausgelacht hast!“

„Ich habe dich nicht ausgelacht“, protestierte sie. „Ich habe nur gesagt, dass diese Art Sprüche von kleinen Jungs verwendet wird.“

„Na ja, ich bin ein wenig aus der Übung“, sagte Lucius. „Aber irgendwas muss dir ja an mir gefallen haben.“

Sie lächelte verschmitzt. „Du hast geschmollt, und da wurde aus dem harten Centurio plötzlich der junge Mann, der er eigentlich ist.“

Lucius sah sie erstaunt an.

„Das hat dich für mich eingenommen?“

Sie nickte und streckte die Hand nach seinem Becher aus. Lucius reichte ihr das Getränk.

„Eben warst du noch so angeberisch: ‚Ich gehöre nicht zur nobilias, aber meine Familie ist nicht ganz unwichtig in Gallien, und natürlich werden wir bei Gesatorix übernachten können‘“, ahmte sie seine Stimme nach.

Lucius lachte verlegen. Ja, es stimmte, er hatte sie beeindrucken wollen, nachdem er Faustus ausgeschickt hatte, um bei Gaius Julius Gesatorix um Quartier zu bitten.

„Und dann hast du beim Essen versucht, mich mit den Sprüchen eines Fünfzehnjährigen zu umgarnen.“

„Und du sagtest, so jung sind wir aber beide nicht mehr.“

Sie lachten beide. Lucius liebte es, mit ihr zu lachen.

„Und du schmolltest den Rest des Abends.“

„Und das hat dich von meinem guten Charakter überzeugt!“, stellte Lucius fest und setzte sich aufs Bett.

„Nein, das war Fausta.“

„Fausta? Du hörst also auf Sklavenklatsch?“

„Natürlich, wie soll man sonst auf dem Laufenden bleiben?“

„Was hat sie denn für schlimme Dinge über mich erzählt?“

„Oh, sie verehrt dich, sie würde nie etwas Schlimmes über dich sagen.“

„Sie verehrt mich?“, fragte er überrascht.

„Du hast sie einem Tribun abgekauft und ihr erlaubt, mit Faustus zusammenzuleben.“

„Der Tribun hat mich dazu gezwungen, und Faustus ist der Vater ihres Kindes“, wehrte Lucius ab.

„Außerdem behandelst du Faustus anständig. Er bekommt mal eine Ohrfeige, aber die Peitsche hast du noch nie gegen ihn erhoben.“

„Er hat mir noch keinen Grund gegeben.“

„Und selbst, wenn du noch so lange keine Frau gesehen hast, du hast Fausta noch nie angerührt. Du bezahlst lieber eine Hure.“

„Fausta lebt mit einem anderen Mann zusammen.“

Sich an einer wehrlosen Frau vergreifen? Wovon redete Tertia da bloß?

„Sie ist dein Eigentum, und du hättest von ihr das bekommen können, wofür du woanders bezahlst.“

„Meine Familie hat nur wenige Sklaven, und ich käme nie auf solch eine Idee“, sagte Lucius kopfschüttelnd. „Was willst du mir damit eigentlich sagen?“

„Dass ich daher wusste, dass ich vor dir nichts zu befürchten hatte. Selbst wenn du scharf wie ein brünstiger Eber bist, du würdest nur versuchen, mich mit Worten herumzukriegen, aber nie mit Gewalt.“

„Aber die Worte haben ja nicht gewirkt. Ich bin eben aus der Übung.“

Tertia lächelte ihn an.

„Du und ich, wir sind in anderen Welten groß geworden“, sagte Tertia. „Ich stamme aus einer Welt, in der die Manusehe selbstverständlich ist, in der Männer gegen die Vorstellung wettern, dass Frauen selbst über Geld verfügen können und sogar mündig werden. Und eine Welt, in der ein Vater oder ein Mann seine Frau tötet, wenn sie mit einem anderen Mann zusammen ist.“

Sie reckte sich.

„Deine Erzählungen von Arausio und dein Umgang mit den Sklaven zeigten mir eine andere Welt. Eine Welt, die ich kennen lernen wollte, und da habe ich entschieden, dich in mein Bett zu nehmen. Ich wollte es so, daher keine Geschenke, kein Geld.“

Lucius hob abwehrend die Hände. „Davon habe ich doch gar nichts gesagt.“

„Nein, aber ich wollte das klarstellen, bevor du davon anfängst. Die letzten Wochen waren etwas Besonderes. Wenn ich jetzt ein Geschenk annähme, käme ich mir wie eine Hure vor.“

Lucius sah sie betroffen an.

Tertia sagte entschieden: „Vier Monate lang durfte ich selber über mein Leben bestimmen. Vier Monate lang war kein Vater oder Ehemann da, der auf der patria potestas beharrte. Das lass‘ ich mir nicht kaputt machen, indem du mir jetzt ein Geschenk aufzwingst. Du bist nicht für mich verantwortlich.“

Lucius schwieg verwirrt. Natürlich war er nicht für sie verantwortlich. Aber … Ich werde Monate oder Jahre unterwegs sein, dachte er. Es ist keiner Frau zuzumuten so lange zu warten. Lucius zuckte hilflos mit den Schultern. Irgendetwas musste er dazu sagen.

„Dein Bruder ist eingetroffen. Faustus wird dich nachher dorthin begleiten“, sagte er lahm, und wartete auf ihre Reaktion.

„In Ordnung“, sagte sie, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht.

Er wurde unsicher. Warum sagte sie das so … so emotionslos? War sie nicht traurig, ihn zu verlassen?

„Wir werden Abschied nehmen müssen. Ich muss vor der Rückkehr ins Lager noch einige Besorgungen machen“, sagte er und zeigte auf eine Buchrolle.

„Du und deine Bücher!“, erwiderte sie. „Wofür brauchst du die als Centurio überhaupt?“

„Ich will, dass meine Centurie die beste Centurie der Kohorte wird. Ich suche Anregungen, wie ich das schaffen kann. Marschieren und Waffen sind eher nebensächlich“, erklärte er mit Nachdruck. „Ich will, dass niemand mehr meinen Rang anzweifelt.“

„Wenn die Zeit für den Abschied gekommen ist …“, sagte sie tonlos und unterbrach sich, als ein Geräusch an der Tür zu hören war. Tertia begann wieder zu lächeln und damit kehrte die Wärme in ihren Blick zurück.

„Fausta, du brauchst nicht an der Tür zu horchen.“

Sie drückte Lucius auf den Rücken und setzte sich auf ihn.

„Der Centurio und ich werden es jetzt so laut treiben, dass du deine Ohren nicht an die Tür drücken musst, um es zu hören.“

Unter Waffen schweigen die Gesetze

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