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Die turbulenten 1970er- und 1980er-Jahre

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Doch genau dann, Anfang der 1970er-Jahre, wurde klar, dass das Wirtschaftswunder nicht von Dauer sein würde. Als wir uns in Davos versammelten, waren bereits Risse im System an der Oberfläche sichtbar. Der Nachkriegsboom war abgeklungen und soziale, wirtschaftliche und ökologische Probleme zeichneten sich ab. Meine Hoffnung war jedoch, dass europäische Geschäftsleute, Politiker und Akademiker durch aktiveres Erlernen erfolgreicher amerikanischer Managementpraktiken den Wohlstand auf dem Kontinent weiter ankurbeln könnten.

Tatsächlich haben viele europäische Unternehmen den Schritt in Richtung der benachbarten internationalen Märkte gewagt. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die sich, wie der Name schon sagt, auf einen gemeinsamen Markt für einige wenige Schlüsselressourcen konzentrierte, hatte sich in den vorangegangenen Jahren zur umfassenderen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) entwickelt. Sie ermöglichte einen freieren Handel von Waren und Dienstleistungen auf dem gesamten Kontinent. Viele mittelständische Unternehmen nutzten diese Öffnung, um Tochtergesellschaften zu gründen und den Vertrieb in benachbarten EWG-Ländern aufzunehmen. Nicht zuletzt dank dieser Zunahme des intraregionalen Handels konnte das Wachstum in den 1970er-Jahren fortgesetzt werden. Aber einige wirtschaftliche Variablen, die sich entscheidend auf Wachstum, Beschäftigung und Inflation auswirken, wie z. B. der Energiepreis, entwickelten sich ungünstig. Öl, das neben Kohle den Nachkriegsboom befeuert hatte, sorgte für einen ersten Schock im System. Der Preis für den wichtigsten Energieträger der Welt stieg 1973 um das Vierfache und verdoppelte sich 1979, als die großen erdölproduzierenden und -exportierenden Länder (OPEC) – viele von ihnen ehemalige Kolonien der europäischen Mächte im Nahen Osten und in Arabien – ihre Muskeln spielen ließen. Die OPEC-Staaten, die zu jener Zeit den größten Teil der weltweiten Ölversorgung kontrollierten, verhängten als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg ein Ölembargo. Während dieses Krieges stellten sich viele der arabischen Mitglieder der OPEC gegen Israel, das während und nach dem bewaffneten Konflikt sein Territorium in der Region erweiterte. Das Embargo, das sich hauptsächlich gegen Israels westliche Verbündete, darunter die USA und Großbritannien, richtete, war äußerst effektiv.

Kein Wunder also, dass die OPEC-Länder ihre neu gewonnene Marktmacht nutzten. In den vorangegangenen zwei Jahrzehnten hatten viele ihrer Mitglieder – oft ehemalige europäische Kolonien in Asien, dem Nahen Osten und Afrika – endlich ihre Unabhängigkeit erlangt. Aber im Gegensatz zu den meisten westlichen Ländern in jener Zeit waren diese Entwicklungsländer oft von politischen und sozialen Unruhen geplagt. Der wirtschaftliche Aufschwung in Europa und den Vereinigten Staaten blieb für viele der neuen unabhängigen Länder in Asien, dem Nahen Osten und Afrika unerreichbar. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten die OPEC-Staaten, deren wichtigste Ressource, das Erdöl, die Weltwirtschaft ankurbelte.

Angesichts des in den drei vorangegangenen Jahrzehnten so großen wirtschaftlichen und industriellen Fortschritts im Westen gab es auch Stimmen, die davor warnten, dass diese Expansion nicht nachhaltig und ein neues Wirtschaftssystem nötig sei, das nachhaltiger für den Planeten, seine begrenzten natürlichen Ressourcen und letztendlich auch für die Menschen selbst ist. Dazu gehörten europäische Wissenschaftler und Industrielle des Club of Rome, die zu der Überzeugung gelangt waren, dass der Zustand der Welt, insbesondere die Umweltzerstörung des Planeten, ein großes Problem für die menschliche Gesellschaft darstellte. In der Tat gab es deutliche Warnzeichen für jeden, der sie zur Kenntnis nehmen wollte, und bei den Treffen des Forums in Davos haben wir genau hingeschaut. 1973 hielt Aurelio Peccei, der Präsident des Clubs, in Davos eine Grundsatzrede über die Erkenntnisse seiner Organisation und warnte vor einem bevorstehenden Ende des Wachstums.

Doch nachdem die Welt mehrere Rezessionen überstanden und einige Energiesparmaßnahmen wie die Sommerzeit und autofreie Sonntage eingeführt hatte, kehrte sie in den 1980er-Jahren schließlich auf den gewohnten Wachstumspfad zurück. Die Zeiten des 5- und 6-prozentigen BIP-Wachstums waren vorbei (zumindest im Westen), aber Wachstumsraten von 3 bis 4 Prozent waren dort keinesfalls ungewöhnlich. Andere Volkswirtschaften, darunter die asiatischen Tigerstaaten (Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur), halfen, den Rückstand auszugleichen. Doch seit den 1980er-Jahren zeichnete sich ein grundlegender Perspektivenwechsel in der Frage ab, was das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit ermöglicht hatte. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren glaubte man, dass der gestiegene wirtschaftliche Wohlstand etwas sei, zu dem jeder beigetragen habe, und dass er daher von allen geteilt werden müsse. Es war ein industrielles Fortschrittsmodell, das auf der Partnerschaft zwischen Firmeninhabern und ihren Arbeitskräften aufbaute. Im Gegensatz dazu basierte die Wachstumsphase der 1980er-Jahre mehr auf Marktfundamentalismus und Individualismus und weniger auf staatlichen Eingriffen oder dem Aufbau eines Gesellschaftsvertrages.

Ich denke, das war ein Fehler. Das Stakeholder-Modell verlangt von den Unternehmen, über ihre direkten, primären Interessen hinaus zu denken und die Belange der Mitarbeiter und ihres Umfelds in ihre Entscheidungen einzubeziehen. In den Anfangsjahren unseres Davoser Treffens hatten sich die Teilnehmer sogar in einem »Davoser Manifest« dazu verpflichtet:19

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