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aa) Der Facharztstandard

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Bei der Prüfung der Frage, welche Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt objektiv geboten waren, stellt die Rechtsprechung auf das Leitbild des besonnenen und umsichtigen Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises[22] und damit konkret auf den „Standard eines erfahrenen Facharztes“[23] des jeweiligen Fachgebietes ab. Dabei wird der „Standard“, synonym mit dem früher oft gebrauchten Terminus „Stand der Wissenschaft“, inhaltlich als das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlich befähigten Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können umschrieben.[24] Mit den Worten des Mediziners: als die gute, von Verantwortung getragene ärztliche Übung. Der Standard des jeweiligen Fachgebiets beruht also auf zwei Säulen: auf wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen und Erfahrungen einerseits und auf der Anerkennung dieses Wissenstandes in der Praxis des Medizinbetriebs andererseits. Beide Voraussetzungen – Begründung durch die Wissenschaft und Akzeptanz der maßgeblichen Fachkreise – müssen erfüllt sein, damit eine ärztliche Maßnahme, Methode, Diagnose oder Therapie zum „Standard“ avanciert. Wissenschaftliche Erkenntnisse allein ergeben noch keinen Standard![25] Der Standard bezieht sich dabei auf die Praxis im Inland.[26] Dass eine indizierte Maßnahme schon ganz allgemein in vergleichbaren Fällen zur möglichen Tatzeit durchgeführt wird, verlangt die Rechtsprechung nicht.[27]

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Solange diejenige Sorgfalt eingehalten wird, die man von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs[28] in der konkreten Situation erwarten darf, solange ist rechtlich nichts einzuwenden (zur möglichen Individualisierung aber Rn. 120 ff.). Eine ärztliche Betreuung ist also nicht schon dann mangelhaft, „wenn sie nicht optimal ist“ bzw. nicht einer weltweit ermittelten „best practice“ entspricht; denn der „anerkannte juristische Maßstab ist von jeher – und nicht nur in der Medizin! – der Durchschnitt“.[29] Gefordert wird nicht jede erdenkliche, sondern nur, aber auch stets, gleichgültig ob im Krankenhaus oder in der Arztpraxis, bei ambulanten oder stationären Eingriffen, bei Privatpatienten, gesetzlich oder gar nicht Versicherten,[30] die Wahrung der berufsspezifischen Sorgfalt. Deren Maß und Umfang bestimmen sich nach dem Gewicht der jeweiligen Gefahr aus der Sicht ex ante und den in der einschlägigen ärztlichen Fachrichtung zu erwartenden Kenntnissen und Fähigkeiten.[31] Zusammenfassend lässt sich also formulieren: Sorgfaltswidrig handelt derjenige Arzt, der die Anforderungen, die an einen besonnenen und pflichtbewussten Kollegen in der konkreten Situation „bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex ante gestellt werden, nicht erfüllt“.[32]

Arztstrafrecht in der Praxis

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