Читать книгу Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer - Страница 31
bb) Prozessuale Bedeutung der Leitlinien
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Richtig ist daher die in den Leitlinien der AWMF, der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., routinemäßig abgedruckte – oftmals überlesene – Anmerkung, dass weder die Befolgung noch die Abweichung von einer bestehenden Leitlinie stets – und hierauf liegt die Betonung – eine haftungsbefreiende bzw. haftungsbegründende Wirkung hat. „Das bedeutet, dass eine medizinische Behandlung, die nicht den Leitlinien entspricht, nicht zwingend behandlungsfehlerhaft ist“.[65] „Ärztlichen Leitlinien sind somit in der konkreten Behandlungssituation und damit auch in deren haftungsrechtlicher Beurteilung Grenzen gesetzt“.[66] „Vor einer Überbewertung der Leitlinien im Arzthaftungsprozess ist deshalb zu warnen“.[67] Es muss immer im konkreten Fall geprüft werden, ob insoweit Richtlinien, Leitlinien oder Empfehlungen bestehen (zur ggf. verteidigungsfördernden Wirkung Rn. 82), ob sie dem medizinischen Standard entsprechen und, wenn ja, ob der Arzt ihnen folgen muss oder sachliche Gründe für ein abweichendes Vorgehen sprechen bzw. es sogar erfordern. Dies gilt, wie ein Urteil des OLG Düsseldorf zeigt,[68] auch für die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Sie sind zwar nach § 91 Abs. 6 SGB V und nach der Rechtsprechung des BSG[69] für die gesetzlich Versicherten, die Krankenkassen, die an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und für die zugelassenen Krankenhäuser als „untergesetzliche Normen“ rechtlich verbindlich und deshalb auch im Bundesanzeiger bekannt zu machen (§ 94 Abs. 2 SGB V). Entgegen der Ansicht des BGH[70] sind sie aber nicht notwendigerweise der „ärztliche Standard“[71].