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III.Zu Vorgehen und Darstellung 1.Der Kulturdruck der Großmächte und die Periodisierung der alttestamentlichen Literaturgeschichte

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Die Frage der Epochalisierung oder Periodisierung ist ein in der Literatur- und Geschichtstheorie breit diskutiertes Feld (von Bormann 1983; Gumbrecht/Link-Heer 1985; für das Alte Testament Krüger/Wiesehöfer 2012). Es dürfte allerdings immerhin so viel klar sein, dass Epochen nicht zu quasi-hypostatischen Entitäten hochstilisiert werden dürfen und dass auf den Epochenbegriff nicht ganz verzichtet werden kann, wenn geschichtliche oder literaturgeschichtliche Prozesse in übergreifenden Perspektiven verstanden werden sollen. Deshalb ist auch für eine alttestamentliche Literaturgeschichte der Epochenbegriff weder zu überhöhen noch ganz aufzugeben. Vielmehr dient er der elementaren Strukturierung ihres Verlaufs (Japhet 2003).

An der Disposition einer alttestamentlichen Literaturgeschichte werden in der Regel die elementaren Grundentscheidungen des rekonstruierten Bildes erkennbar: Es ist nur etwa an die von Hermann Gunkel gewählte Unterscheidung zu erinnern, die Literatur des Alten Testaments in die Epochen der Volksliteratur der Frühzeit, der großen Schriftstellerpersönlichkeiten und der Epigonen zu gliedern. Sie zeigt die Hochschätzung der genialischen Literaten von Jesaja bis Deuterojesaja als Mitte des so entworfenen literaturgeschichtlichen Triptychons.

So einfach es ist, heute die Grenzen dieses Bildes zu bestimmen, so schwierig ist es, in sinnvoller Weise über es hinauszugelangen und dabei nicht bloß ein neues Prokrustesbett der Geistesgeschichte des antiken Israel zu erstellen. Folgende Überlegung bietet sich aber an: Entsprechend den neueren religionsgeschichtlichen Sensibilitäten in der alttestamentlichen Wissenschaft legt es sich nahe, die alttestamentliche Literatur ausgehend von einem kulturgeschichtlichen Vergleich mit den jeweiligen Hegemonialmächten im Vorderen Orient zu segmentieren und zu interpretieren (Younger 2002; Weisberg 2002; vgl. auch Goldstein 2002 sowie bereits Smith 1952). Vor allem die Einsicht, dass das Alte Testament nicht als völliger Fremdkörper, sondern zunächst als Teilmenge des Alten Orients zu verstehen ist, rechtfertigt die Entscheidung, in einem ersten Schritt die alttestamentliche Literatur ausgehend vom Kulturdruck der altorientalischen Großmächte (Donner 2000/2001; Frevel 2018; vgl. Kuhrt 1994) zu periodisieren, die die Geschichte Israels besonders seit der Assyrerzeit massiv bestimmten. Dabei ist davon auszugehen, dass mit der Abnahme militärischer Unterdrückung, die im Assyrerreich noch das zentrale Element der Sicherung der imperialen Macht darstellte, eine Kulturalisierung der Macht einhergeht, die auf alternative Weise den Bestand eines Großreiches sichert (Münkler 2005, 87–88). Entsprechend ist etwa die persische Fremdherrschaft im Alten Testament grundsätzlich sehr viel positiver gesehen als die assyrische, nicht zuletzt natürlich deshalb, weil die Kulturalisierung der persischen Macht wesentlich pluralistischer orientiert war, als dies die assyrische Propaganda vorsah.

An der grundsätzlichen Möglichkeit auch geographisch weitgreifender Kulturkontakte in der vorderorientalischen Antike sollte man aufgrund der Lage der Fragmentfunde nicht zweifeln (Rothenbusch 2000, 481–486; van der Toorn 2000; Horowitz et al. 2002; Vieweger 2019a-c; zum antiken Transport- und Nachrichtenwesen vgl. Kolb 2000): Im ägyptischen Amarna ist der babylonische Adapa-Mythos belegt, im nordsyrischen Ugarit kannte man das Atramḫasis-Epos, im nordisraelitischen Megiddo las man das Gilgamesch-Epos. Eine aramäische Fassung der iranischen Behistun-Inschrift ist auf der Nilinsel Elephantine bezeugt. Die Kulturkontakte innerhalb des Alten Orients waren so eng, dass die Mittelstellung Israels und seine fast durchgängige politische Abhängigkeit von den jeweiligen Großmächten am Euphrat und am Nil (innerhalb des sogenannten Fruchtbaren Halbmonds) vom 8. Jahrhundert v. Chr. an es nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich machen, dass die gängigen grundlegenden kulturellen und religiösen Konzeptionen in Israel bekannt waren und – in abgrenzender oder zustimmender Weise – rezipiert wurden.

Dabei ist in aller Form zu betonen, was sich in gewisser Weise von selbst versteht, dass nämlich die alttestamentliche Literatur nicht darin aufgeht, (positive oder negative) Reaktion auf altorientalische Reichsideologien in historischer Folge zu sein. Jede Form von „Parallelomanie“ (vgl. Sandmel 1962; Machinist 1991; Gordon 2005) verbietet sich daher. Doch sind einige entscheidende literarische und theologische Konzeptionen im Alten Testament historisch nur angemessen beschreibbar, wenn man sie gegen ihre altorientalischen Gegenstücke hält.

Um nur einige Beispiele aus der nachfolgenden Darstellung herauszugreifen: Besonders deutlich ist dies etwa bei den Grundgedanken des Deuteronomiums und der daran anschließenden Tradition, die deutliche Anleihen bei der neuassyrischen Vertragstheologie macht, indem die vom Vasallen geforderte unbedingte Loyalität gegenüber dem assyrischen Großkönig JHWH-orientiert reformuliert wird (Steymans 1995a.b; Otto 1996d; 1999a; Koch 2008; vgl. aber Levin 2013). Ein vergleichbarer Fall liegt in der antiköniglichen Rezeption der neuassyrisch überlieferten Sargon-Geburtslegende in Exodus 2,1–10 vor (Otto 2000b; Gerhards 2006).

Gegen die königliche Rechtstradition Babyloniens gerichtet dürften die exilischen Interpretationen der pentateuchischen Rechtsüberlieferungen sein, die das Recht von JHWH geoffenbart und von Mose promulgiert sein lassen (vgl., allerdings ohne die notwendigen diachronen Differenzierungen [Levinson 2004], Van Seters 2003; Schmid 2016b). Entweder vor assyrischem (Finkelstein/Silberman 2006) oder babylonischem (Hurowitz 1992) Hintergrund zu bedenken ist die ausgestaltete Darstellung des Tempelbaus Salomos in 1. Könige 6–8 (vgl. die Diskussion bei Vieweger 2019b, 195–205) – dass Könige in erster Linie Tempelerbauer sind, ist ein prominenter Topos vor allem neubabylonischer Königsinschriften.

Ähnlich umweltgebunden sind die Priesterschrift und ihr nahestehende Texte, die die persische Weltordnungsidee aufgreifen und aus israelitischer Sicht reproduzieren (zu den Westkontakten der iranischen Religion siehe Colpe 2003). Persische Einflüsse sind auch für die Idee der Weltreichsukzession im Danielbuch auszumachen (Koch 1991; Kratz 1991b).

Kaum adäquat ohne ihren hellenistischen Hintergrund zu verstehen sind schließlich etwa die Weisheitstexte in Proverbien 1–9 (Baumann 1996, 26–27) oder in Kohelet, die im Diskurs mit der griechischen Popularphilosophie stehen (Schwienhorst-Schönberger 1994 [21996]; 2004, vgl. Uehlinger 1997; Krüger 1999).

So ergibt sich in der gegenwärtigen Forschungslage die Möglichkeit und Notwendigkeit, die antike israelitische Literatur in ihrem altorientalischen Kontext zu interpretieren – und zwar frei von den pseudotheologischen Hemmnissen der Zeit des „Babel-Bibel-Streits“ (vgl. Johanning 1988; Lehmann 1994). Die Originalität der Bibel liegt nicht in der Analogielosigkeit ihrer Materialien, sondern in deren Interpretationen und Transformationen, die allerdings nur adäquat mit Blick über die Bibel hinaus erfasst werden können.

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